Herrschaft

GEWALTDEBATTE BEI ATTAC

Pro & Contra Militanz (Positionen aus dem Attac-Koordinierungskreis)


1. Gewalt verdrängen, Protest einbinden
2. „Diskussionspapier“: ATTAC Deutschland zur Gewaltdiskussion, 3.7.2001
3. Pro & Contra Militanz (Positionen aus dem Attac-Koordinierungskreis)
4. Zitate gesammelt
5. Debatte zur Gewaltwarnung für EU-Gipfel in Brüssel
6. Links

Text von Peter Wahl (Attac, Weed) "Eine kritische Anmerkung zur Militanz", erschienen in der Tageszeitung von 16.7.2001
"Dem Hut soll gleiche Ehre wie ihm selbst geschehen!" heißt es im Wilhelm Tell. Auch derzeit werden sie wieder allerorten aufgepflanzt, die diskursiven Gesslerhüte auf hoher Stange. Da muss man sich von Gewalt in Göteborg - und vorsorglich in Genua - distanzieren. Auch von andrer Seite wird ein Hut - oder vielmehr eine schwarze Kapuze - aufgepflanzt: "Du darfst dich nicht distanzieren." Schon Schiller wusste, dass man daran "die Gehorsamen erkennen" kann. Und wer das Knie nicht beugt, sieht sich von den Landvögten aller Lager unversehens aus der Gemeinschaft der jeweiligen politischen Couleur ausgegrenzt.
Dass es hochemotional wird wenn physische Gewalt in die Politik kommt, ist natürlich verständlich. Gewalt ist für alle Menschen eine existenzielle Erfahrung. Für die meisten ist sie ein Kindheitstrauma. Daher fühlt man sich von Gewalt in besonderem Maße berührt, selbst wenn man sie nur im TV erlebt. Gewalt übt eine hochambivalente Faszination aus. Gerade wegen dieser durchschlagenden Wirkung ist die Versuchung, Gewalt politisch zu instrumentalisieren, besonders groß - auf allen Seiten. Man kann damit auf einen Schlag Ziele erreichen, für die man sich sonst in jahrelanger Kleinarbeit abmühen müsste. Das weiß nicht nur Otto Schily.
Die große Mehrheit derjenigen, die eine andere Form von Internationalismus wollen, als den der neoliberalen Globalisierung, lehnt Gewalt ab. Manche aus prinzipiellen, ethischen Motiven, z.B. Pazifismus, andere aus politischen Gründen, wie die prinzipielle Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols oder dessen taktische Hinnahme mit dem Hinweis, die Kräfteverhältnisse seien nun mal nicht so, als dass Militanz derzeit positive Effekte haben könnte. Aber es gibt eben auch jene, die Gewalt oder eine die staatliche Gewalt provozierende Militanz in ihr politisches Kalkül einbeziehen. So schreibt z.B. ein Luciano aus der Freiburger Autonomenszene am 11. April auf einer Diskussionsliste im Internet: "Wir sollten den Level an Konfrontation nicht schneller steigen lassen als die Unterstützung, die wir von der 'Zivilgesellschaft' haben."
Darüber sollte gesprochen werden, es sei denn, man wollte eine bestimmte politische Strömung unter Denkmalschutz stellen und die Kritik an ihr zum Tabu erklären. Auf alle Fälle hat es jener Luciano geschafft, alle wesentlichen Defekte militanter Politik in einem einzigen Satz unterzubringen:

  • das offensive und kalkulierte Ansteuern der Konfrontation mit der Polizei,
  • ein dem zugrundeliegende strategisches Konzept, das auf einer Eskalationslogik beruht,
  • die an Größenwahnsinn grenzende Selbstüberschätzung und das Großsprecherische - als ob es die Militanten in der Hand hätten, gegenüber der Polizei irgendwelche "Level der Konfrontation" zu bestimmen! -,
  • die Instrumentalisierung der Zivilgesellschaft, also all der Initiativen, Gruppen, Verbände, NGOs etc. die sich in der globalisierungskritischen Bewegung zusammenfinden.

Mit dem Hineintragen von Militanz in eine soziale Bewegung diktiert man dieser den Charakter der Aktionsformen, ohne sich der Mühe demokratischer Überzeugungsarbeit unterziehen zu müssen. Zu dieser erstaunlichen Leistung sind die Militanten aber keineswegs kraft eigener intellektueller, politischer oder zahlenmäßiger Stärke in der Lage. So wie beim Jiu Jitsu auch ein Schmächtiger mit guter Technik einen viel Stärkeren durch die geschickte Nutzung von dessen Stärke besiegen kann, so erzielen die Militanten in Wechselwirkung mit dem unvergleichbar stärkeren Staat eine Wirkung, die in keinem Verhältnis zu ihrer politischen Bedeutung steht. Weniger nett formuliert, Militanz verhält sich unter den gegenwärtigen Bedingungen parasitär zum staatlichen Gewaltmonopol. Anders als im Sport, legen die Militanten allerdings nie den Staat, sondern Dritte aufs Kreuz, nämlich jene "Zivilgesellschaft", deren Unterstützung eingefordert wird. Gleichzeitig jedoch verachten sie die Zivilgesellschaft als nützlichen Idioten.
Dieses Haltung ist durch und durch undemokratisch. Darüber hinaus grenzt sie aus. Denn jeder, der sein Grundrecht wahrnimmt, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, muss mit zweierlei rechnen: erstens, dass ihm der Schwarze Block u.ä. Formationen in subtilem Zusammenspiel mit den Medien - auch hier funktioniert die Jiu Jitsu Logik ! - ihn mit seinem inhaltlichen Anliegen in den Hintergrund drängt. Das Gewaltthema marginalisiert alles Inhaltliche. Denn die visuelle TV-Logik hat nicht nur im Krimi eine besondere Affinität zu Gewaltszenen. Ihre dramaturgischen Bedürfnisse nach Action, Schwarz-Weiss Schemata und der Sensationalismus entfalten ihre Wirkung auf dem Hintergrund der o.g. existenziellen Gewalterfahrungen und -faszination. Die Strategen der Militanz wissen, wie die Medien funktionieren und verstehen es glänzend, davon zu profitieren. Niemand kann behaupten, sie wüssten nicht was sie tun.
Zweitens werden Menschen, die Gewalt ablehnen, sei es aus prinzipiellen Gründen, sei es weil sie - was absolut legitim ist - Angst haben, von der Teilnahme an solchen Aktionen abgeschreckt. Susan George hat dies in einer sehr persönlichen Stellungnahme zu Göteborg auf den Nenner gebracht: "Eine Bewegung kann sich nicht auf Grundlage einer Jugendkultur und auf der Bereitschaft, sich verprügeln zu lassen, entwickeln. Jeder der Angst vor Tränengas und Gewalt hat - Menschen meines Alters, Familien mit Kindern, Menschen, die körperlich nicht so fit sind - werden zukünftig nicht mehr an unseren Demonstrationen teilnehmen."
Selbstverständlich besteht keine Veranlassung, sich von der Politik der Militanz zu distanzieren. Distanzieren ist ein Verb der Bewegung. Wer sich von etwas distanziert, begibt sich von einer Position zu einer anderen. Die Bewegung, die sich für eine Alternative zur neoliberalen Globalisierung engagiert, hat nie auf militanten Positionen gestanden. Daher braucht sie sich auch nicht per Distanzierung auf andere hin zu bewegen. Vielmehr ist es ihr Recht - politisch und moralisch - Theorie und Praxis der Militanz öffentlich zu kritisieren und abzulehnen.
Mit anderen Worten: die Rituale um Distanzierung sind wie der Gesslerhut: nur ein Stück Filz. Lassen wir uns davon nicht beeindrucken.


Antwort von Werner Rätz (ila & attac) auf den Anti-Gewalt-Text von Peter Wahl (Weed & attac, aus Jungle World, 37/2001)
In einem taz-Kommentar legte Peter Wahl, der mit mir Autor der Attac-Erklärung war, seine Interpretation dar. Militanz sei die Scheidelinie zwischen der "großen Mehrzahl derjenigen, die eine andere Form des Internationalismus wollen als den der neoliberalen Globalisierung" und "jenen Protestierern, die Gewalt oder eine staatliche Gewalt provozierende Militanz in ihr politisches Kalkül einbeziehen". Ihnen wirft er vor, im Zusammenspiel mit dem Staat zugunsten des Gewaltthemas "alles Inhaltliche zu marginalisieren". "Militanz", schreibt er, "verhält sich unter den gegenwärtigen Bedingungen parasitär zum staatlichen Gewaltmonopol." Und: "Mit dem Hineintragen von Militanz in eine soziale Bewegung diktiert man dieser den Charakter ihrer Aktionsformen, ohne sich der Mühe demokratischer Überzeugungsarbeit unterziehen zu müssen." Hier wird nicht nur das Verhältnis von Gewalt und Gegengewalt (anders als in der Attac-Erklärung) auf den Kopf gestellt, sondern auch die Dialektik von Form und Inhalt völlig verkannt. Selbst in Zeitungen wie der taz, dem Neuen Deutschland oder der Frankfurter Rundschau wurde darauf hingewiesen, dass es sehr wohl einen Zusammenhang zwischen Gewalt und kritischer Berichterstattung gebe. Wer sagt, dass Gewalt sozialen Bewegungen immer geschadet habe, bemüht eine außerordentlich unhistorische und völlig unpolitische Betrachtungsweise. Vielmehr ist es so, dass, geschichtlich gesehen, Gewalt in all ihren Formen - destruktiven wie wohl überlegten, begrenzten wie nützlichen - soziale Bewegungen einer gewissen Relevanz immer begleitet hat.


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