Herrschaft

WIR, ALLE UND DIE STIMMEN DES GANZEN
REPRÄSENTATION UND VEREINNAHMUNG

Repräsentation


1. Die Konstruktion kollektiver Identitäten und die Integration der Einzelnen
2. Repräsentation
3. Schlussgedanke
4. Links

Gänzlich unmerklich ist die Beherrschung durch Vereinnahmung. Einzelne können im Namen Vieler oder Aller sprechen, ohne die, für die sich sprechen, zu fragen oder überhaupt nur zu informieren. Die Fähigkeit, im Namen aller zu sprechen und dabei auch als legitimeR SprecherIn wahrgenommen zu werden, ist ein Privileg. Es ist ungleich verteilt. Das gilt sowohl in Bezug auf Staaten, wo irgendwelche Mächtigen im Namen ihres Volkes oder, ähnlich gemeint, der BürgerInnen sprechen, als auch in allen gesellschaftlichen Subräumen, in denen ständig privilegierte Personen ihre Familie, Vereine, Firmen oder sogar rein informelle Zusammenhänge wie soziale Bewegungen nach außen vertreten. Die Repräsentation schafft erst das "Wir" und haucht diesem dann die Meinung der Privilegierten als Gesamtwille ein.

Die Entmündigung wird offen eingefordert. Das Zusammenspiel zwischen Masse und SprecherInnen funktioniert zu einem von beiden Seiten erwünschten Ereignis. Die einen erhöhen ihr Gestaltungspotential, d.h. ihre Macht, die anderen empfinden einen scheinbaren Bedeutungsgewinn, wenn - wo sie selbst schon so kleine Lichter sind und ohnmächtig in der Welt stehen - wenigstens ihre Führungspersonen Einfluss zu haben scheinen.
Monika Kappus beklagte sich am 23.9.2005 in einem Kommentar der FR nach der Bundestagswahl, dass die Parteien zu zögerlich wären: "Der Wähler hat seine Stimme abgegeben, damit andere für ihn sprechen." Wahlen sind ohnehin eine bemerkenswerte Mischung verschiedener Formen der Beherrschung. Die WählerInnen werden zu Masse ohne Differenz - alle haben genau den gleichen, aber nur als Einzelperson ausführbaren Einfluss, der nicht mehr messbar ist. Immer wieder verschwinden Wahlurnen, was jedoch nicht zur Ungültigkeit der Wahl führt, weil selbst ein ganzer Stimmbezirk keinen statistisch messbaren Einfluss auf das Ganze hat. Die WählerInnen können weder Fragestellung noch Entscheidungsmodus bestimmen. Und sie werden alle vom späteren Ergebnis repräsentiert - unabhängig davon, was sie gewählt oder ob sie überhaupt mit abgestimmt haben. Der totalen Vereinnahmung der späteren WahlsiegerInnen als legitime Vertretung aller Menschen kann sich niemand entziehen.

Im Original: Repräsentation und Einheit
Repräsentation entschärft Widersprüche
Aus Agnoli, Johannes/Brückner, Peter (1967), "Die Transformation der Demokratie", Voltaire Verlag in Berlin (S. 28)
... in der Gesellschaft vorhandene, teils sich hart widersprechende Kräfte sollen parlamentarisch und durch das Parteiensystem nicht reproduziert und damit politisch potenziert, sondern repräsentiert, und in ihrer Widersprüchlichkeit entschärft werden.

Überraschend einfache Erklärung auf der Kinder-Demokratieseite der Bundeszentrale für politische Bildung (www.hanisauland.de, Quelle für "Wahlen")
In der Schulklasse können nicht alle gleichzeitig reden und ihre Meinung durchsetzen. Dafür braucht man einen Klassensprecher oder eine Klassensprecherin, der oder die mit der Mehrheit der Mitschüler und Mitschülerinnen gewählt werden. Sie versuchen, die Interessen derjenigen, die sie gewählt haben, richtig zu vertreten, zum Beispiel gegenüber Lehrerinnen und Lehrern oder in der Schulversammlung.
In der Politik ist es ähnlich. In bestimmten Zeitabständen wählen die Wahlberechtigten (in Deutschland ab 18 Jahren) ihre Vertreterinnen und Vertreter aus bestimmten Parteien, von denen sie glauben, dass sie von ihnen am besten vertreten werden. Diejenigen, die gewählt sind, werden in die Volksvertretung, das Parlament, geschickt. In Deutschland ist das der Deutsche Bundestag. Dort versuchen die Volksvertreter und Volksvertreterinnen, die Abgeordneten, das Beste für ihre Wählerinnen und Wähler zu erreichen. Wichtig ist, dass bei den Wahlen jeder für sich geheim in einer Kabine eine Partei und seine Vertreter und Vertreterinnen wählen kann. Niemand soll dabei von außen beeinflusst werden, niemand braucht Angst zu haben, wegen seiner Wahl Nachteile zu erleiden.


Masse, Repräsentation und Privileg
Am 4. Oktober 2008 wurde bekannt, dass der Telekom (der zu dieser Zeit führende Telekommunikationsanbieter in Deutschland) Millionen von KundInnendaten geklaut wurden. Dabei waren auch Prominente - in den Hörfunknachrichten wurden die Namen von Günter Jauch (Fernseh-Unterhalter) und Franz Beckenbauer (Ex-Weltfußballer) benannt. Die Namen der Millionen Unbekannten fehlten. Die Bundesregierung ordnete eine Untersuchung an, wie die Daten führender PolitikerInnen und WirtschaftsfunktionärInnen in Zukunft besser geschützt werden könnten. Die Daten anderer waren gleichgültig.
Der Vorgang zeigt das Dilemma der Repräsentation. Die jeweils Entscheidungsmächtigen - hier in Medien bzw. in Regierungen - bevorzugen Ihresgleichen. Dabei geht es nicht mehr um Parteizugehörigkeiten oder Sippschaften, wie sie in alten und ganz alten Zeiten wichtig waren. Sondern es geht um die Zugehörigkeit zu den Deutungs- und Funktionseliten. Die Personen dort mögen zu guten Teilen austauschbar sein, doch in ihrer Funktion erkennen sie sich an.
Würde sich das bei anderen Formen von Repräsentation ändern? Wie sähe das aus z.B. in einem Rätesystem? Wer die Prinzipien von Repräsentation begreift, wird schnell erkennen: Kaum verändert. Warum sollten diejenigen, die in einem Rat sitzen, ihre daraus resultierenden Privilegien selbst in Frage stellen, in dem sie genau diese Privilegien bei anderen Angehörigen der Räte kritisieren? Folglich wird jeder Rat kraft seiner Existenz zur Elite. Die Beteiligten stützen sich gegenseitig und bestimmen den Diskurs. Die Überlegungen, imperative Mandate einzuführen oder Delegierte jederzeit abwählen zu können, sind naiv. Sie gehen von einer objektiven Beobachtungsmöglichkeit der Räte aus. Doch diese bestimmen die Wahrnehmung ihrer Tätigkeit. Sie steuern den Diskurs über sich selbst.


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