Kopfentlastung

REVISIONSSCHRIFT DES ANGEKLAGTEN P.N.

Sachrüge


1. Revisionsschrift des Angeklagten P.N.
2. Verletzung des § 275 und § 338 Abs. 7 (Verfahrensrüge)
3. Verletzung des § 260. Abs. 1 (Verfahrensrüge)
4. Verletzung des § 147, Abs. 7 StPO (Verfahrensrüge)
5. Gewalttätiges Auftreten an der Eingangskontrolle
6. Entfernung von Personen mit abweichender Kleidung
7. Verletzung des § 261 II StPO (Verfahrensrüge)
8. Verletzung des § 261 im Urteil zu den Anklagepunkten 1-8 (Verfahrensrüge)
9. Verletzung StPO § 24, Abs. 2 und Verletzung des Gesetzes nach StPO § 338, Satz (Verfahrensrüge)
10. Ablehnung der Beiordnungsanträge (Verfahrensrüge)
11. Bruch von Vereinbarungen bei Terminplanung u.a. (Verfahrenrüge)
12. Sachrüge
13. Sachliche Fehler zum Anklagepunkt 9 (Hausfriedensbruch am 27 März 2003)
14. Links 

Der Unterzeichner rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Es folgen Einzelausführungen. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass die Sachrüge nicht auf die benannten Punkte beschränkt ist. Die Einzelausführungen entbinden das Revisionsgericht nicht von der Pflicht, das gerügte Urteil umfassend auf sachlich-rechtliche Fehler zu prüfen.

1) Materielle und sachliche Fehler zu den Anklagepunkten 1-8 (Sachbeschädigung Wahlplakate)

Übersicht:
a. Die Beschreibung eines Polizeizeugens hinsichtlich weggeworfenen Tatwerkzeugs wird vom Gericht trotz offensichtlicher Widersprüche und fehlender Beweissicherung übernommen
b. Widersprüche in den Aussagen der Belastungszeugen wurden umgedeutet zu Beweisen für die besondere Glaubwürdigkeit der Zeugen
c. Die Aussage eines Polizeizeugens, der bestritt, das überhaupt nach Utensilien wie Pinsel u.ä. gesucht wurde, ist im Urteil überhaupt nicht berücksichtigt worden.
d. Für die Behauptung, die Angeklagten seien an einer gemeinschaftlichen Tat beteiligt, gab es in der Verhandlung keinerlei Beweisaufnahme. Vielmehr sind Beweisanträge der Angeklagten, die diese Klärung hätten erbringen können, sogar abgelehnt worden. Die Feststellungen des Urteils zu diesem Punkt sind bloße Vermutung.
e. Der Freispruch in zwei Fällen erzeugt einen zusätzlichen Widerspruch, der im Urteil nicht gewürdigt wird.
f. Das Urteil enthält eine Passage, in der politische Gesinnung als belastend gewertet wird.
g. Die Angaben der Angeklagten zu den Abläufen sind überhaupt nicht berücksichtigt worden.

zu a.)
Im Fall der vermeintlichen Wahlplakateveränderungen hat das Gericht die Aussage des Zeugen Haberkorn über ein Glas mit Pinsel als glaubwürdig eingestuft. Der Zeuge hatte berichtet, dass ein Angeklagter einen Pinsel und ein Glas in einen Baucontainer geworfen hatte. Im Urteil wird diese Version übernommen mit der Abweichung, dass der Angeklagte "verschiedene Dinge" in einen Container geworfen haben solle (Urteil, S. 7). Für diesen Vorgang gibt es ausschließlich den Augenzeugenbericht eines Polizisten. Dieser verwickelte sich im Laufe der Vernehmung in Widersprüche, u.a. hinsichtlich dessen Pinsels, von dem er zugegeben musste, ihn nie gesehen zu haben, sondern nur hinterher geschlossen zu haben, dass es wohl ein Pinsel war. Hinsichtlich der Frage, wann der Baucontainer untersucht wurde, schilderte der Zeuge ebenfalls etwas gänzlich anderes als in den Vermerken in der Akte.
Gar nicht würdigte das Gericht die Art der Beweissicherung durch die Polizei. Unstrittig ist, dass die vermeintlichen Tatwerkzeuge nicht gefunden wurden, obwohl die Polizei nach eigener Aussage genau wusste, wo sie zu finden gewesen wären (wenn es sie gegeben hätte). Es erscheint offensichtlich unglaubwürdig, dass die Polizei in einem Baucontainer einen Pinsel und ein Glas nicht finden würde, wenn diese dort sein würden. So gibt es als einzigen Hinweis die Aussage eines Polizisten, eine feuchte Stelle hätte sich wie Kleister angefühlt: "Bei der Absuche des Bauschuttcontainers konnten keine den Angeklagten zurechenbaren Gegenstände festgestellt werden, sondern nur noch ein feuchter Fleck und eine geringe Anhaftung, die sich ähnlich wie Tapetenkleister anfühlte." Das jedoch ist kein Beweis, der ausreicht, um etwas als erwiesen zu betrachten.
Im Fall der Frage, ob die tatsächliche "verschiedene Dinge" bzw. gar ein Glas oder ein Pinsel in einen Baucontainer geworfen wurden oder nicht, stehen die Aussagen beider Angeklagten gegen die eines Polizeizeugen. Steht aber Aussage gegen Aussage und hängt die Entscheidung ausschließlich davon ab, welcher Person (Geschädigter oder Angeklagter) Glauben zu schenken ist, ist eine umfassende Darstellung der relevanten Aussagen und des Aussageverhaltens im Laufe des Verfahrens erforderlich. Bei einer solchen Beweislage muss der Tatrichter ferner erkennen lassen, dass er alle Umstände, die seine Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. (BGH NStZ-RR 2002, 174/176).
Diesem Anspruch ist das Gericht nicht nachgekommen. Zum einen hat es die Aussagen der Angeklagten gar nicht beachtet und im Urteil auch nicht gewürdigt. Zum anderen hat es nicht gewürdigt, dass der zweite Polizeizeuge sogar bestritt, dass überhaupt im Container nach Spuren gesucht würde. Insofern steht nicht nur Aussage gegen Aussage, sondern der zweite Polizeizeuge stützte mehr die Aussage der Angeklagten. Dass das Gericht trotzdem dem einen Zeugen glaube, ist im Urteil nicht besonders begründet, obwohl dieses hätte angesichts der beschriebenen Situation sein müssen.

zu b.)
Wie in allen anderen Anklagepunkten auch, sind dem Gericht die umfangreichen Widersprüche in den Schilderungen aufgefallen. Statt nun den naheliegenden Schluss zu ziehen und aus erwiesenen Falschdarstellungen auch Zweifel für die Kernaussagen zu ziehen, hat das Gericht genau umgekehrt gewertet. Das tat es allerdings nur bei den Belastungszeugen. Der Zeuge Gontrum, dessen Aussage als entlastend für die Angeklagten gewertet werden muss, weil er bestritt, dass überhaupt im Baucontainer gesucht wurde, wurde im Urteil gar nicht mehr erwähnt.
Zum Zeugen Haberkorn und seinen Widersprüchen sagt das Urteil: "Die Kammer glaubte dem Zeugen Haberkorn. Gegen das Vorliegen von Falschbelastungsmotiven und einer Falschbelastung sprach, dass beide Zeugen auch Entlastendes aussagten, und der Zeuge Haberkorn auf Vorhalt seine in einem Aktenvermerk niedergelegte Beschreibung der von Bergstedt weggeworfenen Gegenstände ohne Umschweife relativierte, indem er erklärte, er habe eigentlich nur "etwas Längliches (in den Container) fliegen" sehen, erst nachdem er die Zusammenhänge gekannt habe, habe er an einen Pinsel gedacht. Wahrscheinlich habe er gegenüber dem Zeugen Gontrum anschließend auch von einem Pinsel gesprochen. So sei zu erklären, dass dieser in seinem Aktenvermerk aufnahm, der Angeklagte habe einen Pinsel in den Container geworfen. Da der Container nach Aussage des Zeugen Haberkorn nicht genau durchsucht worden war und somit aus dem Nichtauffinden eines Pinsels ohnehin keine Schlüsse gezogen werden konnten, sprach die vor diesem Hintergrund unnötige Korrektur der Aussage dafür, dass der Zeuge den Angeklagten nicht zu Unrecht belasten wollte und dies auch nicht tat.
Wäre ein Belastungsmotiv vorhanden gewesen, wäre es ein Leichtes gewesen zu behaupten, der Angeklagte habe einen Pinsel und ein Glas mit Tapetenkleister in den Container geworfen." (Urteil, S. 14/15).
Hier werden Widersprüche, die erst auf hartnäckiges Befragen ans Tageslicht kamen, umgedeutet zu angeblichen Belegen der Glaubwürdigkeit des Zeugen.

zu c.)
Die unter a.) beschriebenene Schilderung des Zeugen Haberkorn wurde als glaubwürdig übernommen, obwohl sein Polizeikollege dem widersprach. Der Zeuge Gontrum sagte vor Gericht aus, dass es keine anschließend Durchsuchung eines Baucontainers gegeben habe. Diese hat das Gericht im Urteil gar nicht mehr erwähnt. Es wird den deutlichen Verdacht auf, dass es den Vorgang mit Glas und Pinsel nie gegeben hat, zumindest ist es eine rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung, wenn das Gericht etwas als erwiesen darstellt, dem beide Angeklagten und ein Polizeizeuge widersprechen, während als einziger Zeuge für die Version, die das Gericht für erwiesen sieht, ein Polizeizeuge widersprüchliche Angaben macht.

zu d.)
Die Verurteilung zu gemeinschaftlicher Tat erfolgte ohne jegliche Beweisaufnahme zu dieser Frage. Es sind keine TäterInnen erkennbar und auch in der Verhandlung nie von irgendjemandem benannt worden. Die Ausführungen im Urteil, wann welche Absprachen getätigt oder bestanden haben könnten, sind freie Spekulation des Gerichts ohne jegliche Beweiserhebung. Zwei denkbar in Frage kommende Personen wurden trotz Wunsch der Angeklagten nicht als Zeugen geladen. Nach dem Urteil kommen sie als Täter auch nicht in Frage: "Wie die Polizeibeamten erklärten, schieden die von ihnen oder anderen Polizeibeamten in der Tatnacht später noch in Tatortnähe angetroffenen Personen unzweifelhaft als Täter aus." Trotzdem wird eine gemeinschaftliche Tat als erwiesen angesehen. Das ist umso bemerkenswerter, weil das Gericht selbst die Aufklärung zu diesem Punkt bewusst unterlassen hat. Die Angeklagten hatten nämlich beantragt, die weiteren von der Polizei kontrollierten Personen als Zeugen zu vernehmen (Bl. 135, Band V). Das lehnte das Gericht ab (siehe den folgenden Punkt D.e). Selbst die Staatsanwaltschaft schloss im Plädoyer eine gemeinschaftliche Tat aus und ging von den Angeklagten als Täter aus. Das Gericht beschrieb den Ablauf dann so, dass die Angeklagten als Täter selbst sogar ausscheiden, aber konstruierte ohne jegliche Beweisführung, wie gezeigt sogar unter Ablehnung dafür hilfreicher Beweisanträge und Zeugenvernehmungen einen Absprache mit vermeintlichen Tätern. Die Täter konnte das Gericht aber nicht selbst benennen und auch keine Belege benennen, wer das warum sein sollte.

Sachrüge: Hinsichtlich der Frage, ob und wie es eine Absprache zwischen den Angeklagten und eventuellen Tätern der Sachbeschädigungen an Wahlplakaten gegeben hätte, hat das Gericht keinerlei Beweiserhebung durchgeführt. Es hat sogar einen diesbezüglichen Beweisantrag mit Zeugenvernehmung der Angeklagten abgelehnt. Die Ausführungen im Urteil sind bloße Vermutungen. Im Kommentar zur Strafprozeßordnung von L. Meyer-Goßner heißt es zum § 260, Randnr. 38: "Mit der Sachrüge kann geltend gemacht werden, der Tatrichter habe seine Befugnis willkürlich ausgeübt. Das ist zB der Fall, wenn sich die Schlussfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind (BGH NStZ 81, 33; 86, 373)." Dieses ist vorliegend offensichtlich der Fall.

Daher erfolgt Antrag auf Sachentscheidung: Die Feststellungen des Urteils zur gemeinschaftlichen Tat und einem gemeinsamen Tatplan basieren ausschließlich auf bloßen Vermutungen. Da zu erwarten ist, dass in einem neuen Verfahren keine weiteren Erkenntnisse zu diesem Punkt gewonnen werden können, wird als Sachentscheidung beantragt, das Urteil aufzuheben und den Angeklagten freizusprechen. Vorsorglich bleibt aber auch für diesen Punkt der Antrag bestehen, das Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen.

zu e.)
Das Gericht nahm zwei der acht veränderten Wahlplakate von der Schuld der Angeklagten aus: "Zur Verurteilung kamen allerdings nur 6 Taten (statt 8) der Sachbeschädigung, da die Kammer nur solche Veränderungen den Angeklagten zurechnete, die augenscheinlich mit Papierausschnitten vorgenommen worden waren, wie sie Neuhaus bei seiner Festnahme dabei hatte. Weitere Plakate wiesen Obermalungen z.B. mit einer Brille oder einem (Hitler)Bart auf. Davon distanzierten sich die Angeklagten inhaltlich, was der Angeklagte Bergstedt überzeugend darlegen konnte, und es wurden auch keine Utensilien gefunden, die auf die Angeklagten insoweit als Täter hinwiesen. Die Angeklagten waren daher insoweit aus tatsächlichen Gründen freizusprechen." (Urteil, S. 16). Das würde bedeuten, dass das Gericht sogar zwei andere Täter(gruppen) als gegeben voraussetzte, von der eine mit den Angeklagten eine gemeinschaftliche Tat beging, während die andere mit den Angeklagten nichts derartiges zu tun hatte. Für diese Annahmen hatte es im Prozessverlauf keinerlei Hinweise oder Beweisführungen gegeben.

zu f.)
Als Beweis bewertete das Gericht auch die politische Überzeugung oder spontane Äußerungen der Belustigung seitens der Angeklagten. Das ist als Beweisführung untauglich und zeigt eher, dass der Verdacht der Befangenheit gerade bei den mehrheitlich parteipolitisch gebundenen Personen in der Strafkammer berechtigt war. Im Urteil findet sich die Passage: "Dass die Angeklagten dann auch ein eigenes Interesse am vorliegend festgestellten Taterfolg hatten, war nach Überzeugung der Kammer aufgrund ihres (von sich aus dargestellten) außerordentlich starken politischen Engagements nahe liegend. Wie sie im Zusammenhang mit dem "Wahl?Mobil" anschaulich erläuterten, war ihr Streben zum Tatzeitpunkt darauf focusiert, die Wahlkandidaten lächerlich und die bevorstehenden Wahlen verächtlich zu machen. Das bekräftigte der Angeklagte Bergstedt in der Berufungshauptverhandlung im Zusammenhang mit einem mitgebrachten Plakat, das er als Beispiel für die Art der beabsichtigten Demonstration mit dem "Wahl?Mobil" vorstellte, und der Angeklagte Neuhaus indirekt, indem er mit offensichtlichem Vergnügen die vorliegenden Oberklebungen interpretierte." (Urteil, S. 16)

zu g.)
Das Gericht muss nicht nur die Aussagen der ZeugInnen würdigen, sondern auch die der Angeklagten. Vorsitzende Richterin Brühl hatte am 21.4.2005 während des Verhandlungsverlaufs dieses selbst mit folgenden Worten ausgedrückt: "Alles was plausibel vorgetragen wird von den Angeklagten, muss widerlegt werden". Die Abläufe sind von den Angeklagten weitgehend identisch mit den Beschreibungen der Polizeizeugen dargestellt worden. Von einem Widerlegen ihrer Schilderung zum Ablauf des Geschehens kann an keinem Punkt die Rede sein. Im Urteil werden die Schilderungen der Angeklagten kaum oder gar nicht erwähnt. Sie sind folglich auch nicht widerlegt oder auch nur angemessen gewürdigt worden.

Im Kommentar zur Strafprozeßordnung von L. Meyer-Goßner heißt es zum § 260, Randnr. 2: "Der Richter muss sich mit allen wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umständen auseinandersetzen" sowie Randnr. 6: "... verpflichtet § 261, alle in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zu würdigen und dem Urteil zugrunde zu legen, sofern nicht im Einzelfall ausnahmsweise ein Beweisverwertungsverbot entgegensteht (BGH 29, 109, 110; MDR 88, 101 [H]; Einl 55; 12, 33 zu § 267). Auch die Äußerungen des Angeklagten sind zu würdigen". Dieses ist vorliegend nicht geschehen.

Formale Rüge: Die Nichtbeachtung der Äußerungen des Angeklagten im Urteil beeinträchtigen die Beweiswürdigung (Verstoß gegen § 261, Abs. 1 StPO).

Daher erfolgt der Antrag, das Urteil aufzuheben und an eine andere Kammer zurückzuverweisen.

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