Stiftung Freiräume

FREIE MENSCHEN IN FREIEN VEREINBARUNGEN
THEORIE & PRAXIS DER HERRSCHAFTSFREIHEIT

Viele, viele Ideen, Texte und Internetseiten


1. Worum geht es?
2. Buch und Textsammlung (Gruppe Gegenbilder)
3. Herrschaftsfreiheit, Sozialdemokratie & (Neo)Liberalismus
4. Hirnstupser zum Thema
5. Viele, viele Ideen, Texte und Internetseiten
6. Materialien zum Thema

Aus Niels Boeing (2015), „Von Wegen“ (S. 30f)
Erstens: Wer soll entscheiden? Eine auf Zeit gewählte Elite in der parlamentarischen »Demokratie« - oder alle Menschen, die in der Stadt leben? Der Parlamentarismus hat sich als Herrschaftsform mit dem Kapitalismus verbreitet. Das Bürgertum hat ihn dem Feudalismus abgetrotzt. Das war historisch eine außerordentliche Leistung. Doch erst in der allgemeinen Selbstverwaltung - der autogestion generalisée -, die das ganz Alltagsleben umfasst, lässt sich die Freiheit umfassend verwirklichen.
Zweitens: Wem sollen die Voraussetzungen des Alltagslebens gehören? Denjenigen, die mittels Kapital Eigentumsrechte erwerben können, und nur ihnen - oder einer Gesellschaft aus freien Menschen? Das bürgerliche Privateigentum an Grund und Boden sowie an Produktionsmitteln macht die Voraussetzungen des Alltagslebens, vor allem den Wohnraum, zu Waren auf dem Markt. Wer zahlt, kann sie besitzen. Wer nicht zahlen kann, hat bei ihrer Verwendung nichts mitzureden. Diese Trennung bringt fortwährend Ausschlüsse hervor und führt zu einer ersten Segregation in der verstädterten Gesellschaft nach wirtschaftlichen Kriterien. Das Recht auf Aneignung und das Recht auf Wohnraum brechen mit dieser ökonomischen Segregation, indem das Eigentum vergesellschaftet wird. Vergesellschaftung ist wiederum nicht gleichbedeutend mit Verstaatlichung.
Drittens: Wie soll produziert werden? Indem Produktionsmittel zur Vermehrung von Kapital eingesetzt werden und Waren ausspucken, die Konsumenten verbrauchen - oder indem die Menschen in der Stadt die Produktionsmittel selbst in die Hand nehmen, um Dinge herzustellen, die sie brauchen? Im Kapitalismus darf der Verbrauch von Waren in der städtischen Konsumzone nicht stagnieren. Diese Waren stammen selten aus der Stadt selbst. Sie wird heute in erster Linie als Absatzmarkt benötigt. Damit hat sie sich ohne Not Fähigkeiten genommen, materielle Bedürfnisse zu befriedigen. Das Recht auf das Werk als einer »teilhabenden Aktivität« folgt einer anderen, älteren Logik, die lange als überholt galt: Dinge gemeinsam herzustellen, über deren Notwendigkeit und Qualität man sich verständigt hat.
Viertens: Wer soll zur Stadt gehören? Diejenigen mit Bürgerrechten, oder gar nur die diejenigen mit einem Minimum an Kapital - oder alle, die in die Stadt kommen, ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Mittel, der Jahre, die sie bereits da sind? Die bürgerliche Stadt hat sich aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus als Insel in der agrarischen Zivilisation, als closed shop verstanden. Ihre einstigen Festungsanlagen waren durchaus auch Bollwerke der Freiheit und eines freieren Geistes. Und doch bringt dieses Erbe eine zweite Segregation nach Herkunft hervor: Die Bürger der Stadt entscheiden, wer die Grenze passieren darf und wer nicht. Das geht auch ohne echte Stadttore - das Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge beispielsweise hat virtuelle Stadttore errichtet. Das Recht auf Zentralität und das Recht auf Straße hingegen geben allen die Freiheit, sich durch den gesamten städtischen Raum zu bewegen und sich da niederzulassen, wo es ihnen gefällt. Das Zentrum einer Stadt ist nicht länger ein Machtzentrum, sondern ein Ort »der Begegnung und des Austauschs« (Lefebvre), an dem die Menschen ihr Bedürfnis nach städtischem Leben erfüllen können.


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Diskussion
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Die Debatte war lang (Herbst/Winter 2001) und (vor allem zum Ende) recht unversöhnlich. Aber sie war klärend und teilweise produktiv. Auslöser waren zunächst Zweifel am Konzept der "Freien Vereinbarungen" - jenseits jeglicher Herrschaftsstrukturen. Geht das? Welche Gefahren hat das? Aus dieser Debatte finden sich hier.
Erst später kam dann das Gegenmodell der radikaldemokratischen Herrschaftsstrukturen hinzu - und auch hier gab es Fragen, Kritiken usw. - näheres hier.

Weitere Fragestellungen im Laufe der Debatte:
  • Welche "Rechte" haben Menschen bzw. was ersetzt diese Grundlage bei den "Freien Vereinbarungen"?
  • Beispiel: Kinder, Autos, Polizei oder Faustrecht auf der Strasse?

Lang, lang ist's her ... Ausgangstext auf der Mailingliste "Hoppetosse", mit der die Debatte entstand:
Fragestellung ist nicht: Welche Gesellschaftsform schließt Ausbeutung, Unterdrückung und alles schlechte zwischen den Menschen bzw. im Umgang mit ihrer Umwelt im weitesten Sinne aus?
Sondern Fragestellung ist: Unter welchen Rahmenbedingungen (Verhältnissen) ist der Anteil kooperativer Verhaltensweisen und Organisierungsformen am höchsten und der konkurrierender bis dominierender am geringsten?
Hier stehen sich verschiedene Modelle gegenüber, die nach aktuellem Diskussionsstand unvereinbar scheinen. Allerdings ist die Debatte nicht beendet, sondern hat an dieser Stelle (Hoppetosse-Mailingliste) den Punkt der Nicht-mehr-Weiterführbarkeit (warum auch immer) erreicht. Als offene Fragen bleiben mindestens:

  • Welchen möglichsten verläßlichen Schutz für das Selbstbestimmungsrecht der Menschen kann es geben?
  • Was geschieht in herrschaftsfreien Räumen bzw. welche Gefahren nicht-kooperativer Verhaltensformen ergeben sich, wenn es keinerlei institutionelle Entscheidungsfindung und Kontrolle mehr gibt? Als Beispiele für Gefahren wurden genannt: Faustrecht, Individualisierung, fortschrittsfeindliche Endlosdebatten und gegenseitiges Blockieren ...
  • Was geschieht in Herrschaftsstrukturen – auch dann, wenn sie maximal kontrolliert und direktdemokratische bestimmt werden? Genannt wurden als Beispiele: Bildung von Seilschaften, manipulative Informationspolitik gegenüber der abwählbereiten „Basis“, Dominanz der Politprofis (mit viel Zeit und Kraft), Machtkämpfe zwischen den Ebenen, Mißbrauch von Macht (Mehrheit gegen Minderheit, Kollektiv gegen Freiraum, mainstream gegen Experiment, Einsatz und Nichteinsatz von Durchsetzungsmitteln).
  • Wie sind die Entscheidungsfindungsverfahren (Mehrheit, Konsens, Autonomie, Vereinbarung ...) in welchem Modell?
  • Gibt es eine Vision einer radikaldemokratischen Herrschaftsstruktur, in der herrschaftsfreie Räume akzeptiert werden und in denen die Überstruktur keine Herrschaft mehr ausüben kann? Autonomie als Teil des Ganzen? Wie kann das aber gesichert werden, wo doch der Freiraum keine Durchsetzungsmittel hat, d.h. die Herrschaftsstruktur ja nicht nur die Entscheidungen trifft, sondern auch die Bedingungen für die Entscheidungsfindung ändern kann? Hinter dieser Frage versteckt sich ein möglicher Kompromißvorschlag, der wichtig sein könnte, um als gesellschaftsverändernde Bewegung weiter gemeinsam handeln zu können. Dahinter stehen die Ängste der einen Seite, die Freiräume könnten Kollektivität blockieren (Kleinstaaterei?), und der anderen, dass die neue Herrschaftsstruktur früher oder später die Freiräume nicht mehr anerkennt und plattmacht bzw. integriert.
    Sind die ökonomischen Verhältnisse der entscheidende Punkt (also kann z.B. Herrschaft „steuerbar“ sein, wenn die ökonomischen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse abgebaut sind)? Oder ist eher die Frage von Herrschaft zentral – und die ökonomischen Verhältnisse „nur“ eine Form, wie sich Herrschaft ausprägt?

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