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MENSCH - NATUR - TECHNIK

Technik als Heilsbringer?


Was ist Natur? · Technik als Heilsbringer? · Wissen(schaft) & Fortschritt

Ohne Technik könnten menschliche Lebewesen nicht als Menschen leben. Menschen nutzen natürliche Gegebenheiten nicht nur für das biotische Überleben, sondern gestalten sie aktiv um. Dazu schaffen sie Werkzeuge, die gegenständlich oder in Form ideeller Sachverhalte (Wissen, Software, “Denkwerkzeuge”) eine wichtige Grundlage aktiver Tätigkeit sind. Obgleich Technik schon immer als etwas “Widernatürliches” gekennzeichnet wurde, ist die “menschliche Natur” in Wirklichkeit selbst dadurch bestimmt, mittels geeigneter, selbst hergestellter Instrumente und Verfahren gesetzte Zwecke zu erreichen. Als Technik sind nicht nur die verwendeten Werkzeuge und Instrumente zu betrachten, sondern sie ist jede Handlungsform, mit der “einheitlich die Beziehungen des Menschen zu sich selbst, zu anderen und zur Umwelt in seinen wichtigsten Handlungszusammenhängen reguliert” werden (Krohn 1976, 43).
Das gilt jedenfalls für Technik als Mittel zur Erfüllung menschlicher Bedürfnisse. Zwecke können jedoch innerhalb der gesellschaftlichen Organisation der Menschen auch weitab von konkreten Bedürfnislagen liegen und sich verselbständigen.

Marx, Karl (MEW 1967, S. 391)
J. S. Mill:
Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die Tagesmühe irgendeines menschlichen Wesens erleichtert haben.
K. Marx:
Solches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapitalistisch verwandten Maschinerie. Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit soll sie die Waren verwohlfeilern und den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen, um den andren Teil seines Arbeitstags, den er dem Kapitalisten umsonst gibt, verlängert. Sie ist Mittel zur Produktion von Mehrwert.


In der kapitalistischen Ökonomie, in der das menschliche Handeln dem Prinzip “Aus Geld mache mehr Geld” unterworfen wird, ist auch die Technik diesem Zweck unterworfen. Nur insoweit sie diesen Zweck unterstützt, wird sie genutzt und weiter entwickelt. Sie verstärkt deshalb die Kraft der herrschenden Prinzipien der Geldvermehrung als Selbstzweck und erscheint selbst als herrschende Macht. Rücksichtlos wirkt sie sich gegenüber Mensch und Natur aus. Das hat Folgen - und die Antwort auf diese heißt wieder: Technik. Mit Technik löst man die Probleme, die man ohne Technik nicht hätte. Oder versucht es zumindest, wobei unter den herrschenden Bedingungen als zentraler Ansporn dominiert, Mensch und Natur nutz- und ausbeutbar zu halten oder neu zu machen (z.B. bislang nicht verwertete Teile der Natur oder menschlichen Schaffenskraft). Technik folgt diesem Paradigma - und zwar als Kette von Anwendungen, deren Folgen die nächste Anwendung bedingen. Das führt zu einer Verselbständigung des Technikentwicklungsprozesses, der folglich zu einem Grundpfeiler der Herrschaftsanwendung, -sicherung und -ausdehnung mutiert.

Allerdings wäre es trotzdem falsch, der Technikverdammnis das Wort zu reden, denn die menschen- und naturfeindliche Orientierung ist kein immanenter, d.h. untrennbarer Anteil an Technik selbst, sondern auf grundlegendere Ursache zurückzuführen, denen sich die Technik fügt. Aber es gilt zu verstehen, wie das Verhältnis von Ökonomie und Technik beschaffen ist, um zielgenaue Kritik zu leisten, um eine Vision zu entwickeln, um realpolitische Konzepte zu diskutieren und Experimente auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen. Denn Technik ist nicht die Ursache, sondern ein sinnvoller Umgang mit Technik ist daran gebunden, dass gleichzeitig andere gesellschaftliche Verhältnisse hergestellt werden.

Im Laufe der Produktivkraftentwicklung wurde die enge und durchschaubare Bindung von eingesetzten technischen Mitteln und unmittelbaren Produktionszwecken in Landwirtschaft und Handwerk aufgehoben. Die Mittelnutzung wurde entsubjektiviert und einer eigenständigen wissenschaftlichen Bearbeitung unterworfen. Gleichzeitig wurde der ökonomische Produktionsprozeß vollkommen umgestülpt und von den unmittelbaren Produzenten entfremdet. Produziert wurde nicht mehr für konkrete Bedürfnisse, sondern auf “Verdacht” für einen anonymen Markt, auf dem Güter über das universelle Schmiermittel “Geld” getauscht werden konnten. Beide Prozesse, der ökonomische Produktionsprozeß und darin die Technikentwicklung verselbständigten sich gegenüber den Menschen. Folge: Nicht die menschlichen Bedürfnisse zählen, sondern nur die kaufkräftige Nachfrage. Das Wertgesetz, aus Geld mehr Geld zu machen, ist unterschiedslos unerbittlich: Ob Kapital sich verwertet durch den Bau eines Staudamms oder durch Kaschierung ökologischer Schäden aufgrund des Staudammbaus ist gleichgültig. Nur eines kann der verselbständigte Prozess nicht: stillstehen.

Im Original: Der Text in der ersten Auflage
Aus Gruppe Gegenbilder (1. Auflage 2000): "Freie Menschen in Freien Vereinbarungen", SeitenHieb-Verlag in Reiskirchen (S. 25)
Ohne Technik könnten menschliche Lebewesen nicht als Menschen leben. Menschen nutzen natürliche Gegebenheiten nicht nur für das biotische Überleben, sondern gestalten sie aktiv um. Dazu schaffen sie Werkzeuge, die gegenständlich oder in Form ideeller Sachverhalte (Wissen, Software, “Denkwerkzeuge”) eine wichtige Grundlage aktiver Tätigkeit sind. Obgleich Technik schon immer als etwas “Widernatürliches” gekennzeichnet wurde, ist die “menschliche Natur” in Wirklichkeit selbst dadurch bestimmt, mittels geeigneter, selbst hergestellter Instrumente und Verfahren gesetzte Zwecke zu erreichen. Als Technik sind nicht nur die verwendeten Werkzeuge und Instrumente zu betrachten, sondern sie ist jene Handlungsform, mit der “einheitlich die Beziehungen des Menschen zu sich selbst, zu anderen und zur Umwelt in seinen wichtigsten Handlungszusammenhängen reguliert” werden (Krohn 1976, 43).
Wir sprachen bisher nur von Technik als Mittel zur Erfüllung menschlicher Zwecke. Zwecke können jedoch innerhalb der gesellschaftlichen Organisation der Menschen weitab von konkreten Bedürfnislagen liegen und sich stark verschieben und verselbständigen.
J.S.Mill: “Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die Tagesmühe irgendeines menschlichen Wesens erleichtert haben.”
K. Marx: “Solches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapitalistisch verwandten Maschinerie. Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit soll sie die Waren verwohlfeilern und den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen, um den andren Teil seines Arbeitstags, den er dem Kapitalisten umsonst gibt, verlängert. Sie ist Mittel zur Produktion von Mehrwert.” (Marx 1967, 391)
In der kapitalistischen Ökonomie, in der das menschliche Handeln dem Prinzip “Aus Geld mache mehr Geld” unterworfen wird, ist auch die Technik diesem Zweck unterworfen. Nur insoweit sie diesen Zweck unterstützt, wird sie genutzt und weiter entwickelt. Sie verstärkt deshalb die Kraft der herrschenden Prinzipien der Geldvermehrung als Selbstzweck und erscheint selbst als herrschende Macht. Also ist ein sinnvoller Umgang mit Technik daran gebunden, dass gleichzeitig andere gesellschaftliche Verhältnisse hergestellt werden.
Die Technik, für deren Akzeptanz auf der EXPO geworben werden soll, liegt voll im Trend technokratisch-neoliberaler Zukunftsplanung. Typisch dafür ist, dass die technische Entwicklung als Selbstzweck betrachtet wird und die berechtigte Frage entsteht:
Technik ist die Antwort.
Aber was war die Frage?
Es bedarf jedoch weder einer Frage noch einer Antwort, denn die Technik ist unter den aktuellen Bedingungen alleinig Zweck in einer selbstgenügsamen ökonomischen Verwertungsmaschine. Technik ist das Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen, und Technik ist das Mittel, die dabei angerichteten Zerstörungen wieder zu reparieren. Das Motto der EXPO könnte also auch sein:
Mit Technik löst man die Probleme, die man ohne Technik nicht hätte.
Falsch wäre allerdings, der Technikverdammnis das Wort reden. Aber es gilt zu verstehen, wie das Verhältnis von Ökonomie und Technik beschaffen ist, um zielgenaue Kritik zu leisten, um eine Vision zu entwickeln, um realpolitische Konzepte zu diskutieren und Experimente auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen.
Erinnern wir uns an die Darstellung im zweiten Kapitel. Mit dem Eintritt in die “Mittel-Epoche” (siehe zu den Epochen der Produktivkraftentwicklung) wird die enge und durchschaubare Bindung von eingesetzten technischen Mitteln und unmittelbaren Produktionszwecken in Landwirtschaft und Handwerk aufgehoben. Die Mittelnutzung wird entsubjektiviert und einer eigenständigen wissenschaftlichen Bearbeitung unterworfen. Gleichzeitig wird der ökonomische Produktionsprozeß vollkommen umgestülpt, er wird den unmittelbaren Produzenten entfremdet. Nicht mehr für konkrete Bedürfnisse wird produziert, sondern gleichsam nurmehr auf “Verdacht” für einen anonymen Markt, auf dem Güter über das universelle Schmiermittel “Geld” getauscht werden können. Beide Prozesse, der ökonomische Produktionsprozeß und darin die Technikentwicklung verselbständigen sich gegenüber den Menschen. Nicht die menschlichen Bedürfnisse zählen, sondern nur die kaufkräftige Nachfrage. Das Wertgesetz, aus Geld mehr Geld zu machen, ist unterschiedslos unerbittlich: Ob Kapital sich verwertet durch den Bau eines Staudamms oder durch Kaschierung ökologischer Schäden aufgrund des Staudammbaus ist gleichgültig. Nur eines kann der verselb-ständigte Prozeß nicht: stillstehen.
Von Technik und Umwelt als scheinbar ökonomisch unabhängigen Prozessen zu sprechen, macht keinen Sinn. Mensch, Natur und Technik müssen zusammen gedacht werden – aber nicht, wie die EXPO suggeriert, als unabänderliche, quasi-natürliche, zwangsläufige Abfolge technischer Entwicklungen, die über uns kommen und denen wir uns unterzuordnen haben. Es gibt nicht die eine, unumgängliche Zukunft, wie sie uns die EXPO präsentiert, sondern die Zukunft ist offen und gestaltbar.


Technik und Ressourcennutzung sind Teil des sozialen Gestaltungsprozesses zwischen den Menschen. Ihre Entwicklung und Anwendung folgt den in der Menschheit als dominanter Diskurs bestehenden Prinzipien. Jedoch ist das kein Naturgesetz, sondern menschengemacht und daher keine unabänderliche, quasi-natürliche oder zwangsläufige Abfolge technischer Innovationen, die über uns kommen und denen wir uns unterzuordnen haben. Die Zukunft und damit auch die technische Entwicklung sind offen und gestaltbar.

Im Original: Kritische Blicke
Marx 1856, MEW 12/3-4
In unseren Tagen scheint jedes Ding mit seinem Gegenteil schwanger zu gehen. Wir sehen, dass die Maschinerie, die mit der wundervollen Kraft begabt ist, die menschliche Arbeit zu verringern und fruchtbarer zu machen, sie verkümmern läßt und bis zur Erschöpfung auszehrt. Die neuen Quellen des Reichtums verwandeln sich durch einen seltsamen Zauberbann zu Quellen der Not. Die Siege der Wissenschaft scheinen erkauft durch Verlust an Charakter. In dem Maße, wie die Menschheit die Natur bezwingt, scheint der Mensch durch andere Menschen oder durch seine eigne Niedertracht unterjocht zu werden.

Aus Wicht, Cornelia (1980): "Der Ökologische Anarchismus Murray Bookchins", Verlag Freie Gesellschaft in Frankfurt
Jeder Versuch, auf niedrigem technologischen Niveau den Reichtum der Gesellschaft zu nivellieren, hätte die Not nicht abgeschafft, sondern sie nur verallgemeinert und damit alle Bedingungen für einen neuen Kampf um die materiellen Grundlagen, um neue Eigentumsformen und letztlich um ein neues System der Klassenherrschaft geschaffen. ... (S. 29)
Die zwei wichtigsten Charakteristika der "zweiten" industriellen Revolution sind die enormen Entwicklungsmöglichkeiten und die kostenorientierten, antimenschlichen Beschränkungen, die ihr auferlegt werden. ... (S. 32)

Aus Cantzen, Rolf (1995): "Weniger Staat - mehr Gesellschaft", Trotzdem-Verlag in Grafenau
In dem heute noch dominierenden technisch-ökonomisch reduzierten Fortschrittsbegriff verselbständigt sich das technisch Machbare zum Fortschritt schlechthin. Ein Maßstab oder eine Zielsetzung, an dem dieser vermeintliche Fortschritt gemessen wird, fehlt oder kann als Korrektiv des "Machbaren" nicht wirksam gemacht werden. So wird in der Produktivkraftentwicklung selbst, im Wirtschaftswachstum selbst, ein Wert gesehen, unabhängig von den konkreten politisch-sozialen Folgen. ... (S. 44)
"Der einzige Beruf der Wissenschaft ist, den Weg zu beleuchten; schaffen aber kann nur allein das Leben in seiner vollen Wirksamkeit, wenn es von allen Fesseln der Herrschaft und Doctrin befreit ist." (Bakunin zitiert nach Zenker, 1979, 106) ...
(S. 47)
Wie eine "libertäre Technik", oder besser: eine Technik, die mit den Prinzipien einer libertären Gesellschaftsordnung in Einklang steht, aussehen kann, deutet sich bereits in der Kritik an der kapitalistischen Technik und Industrie an: Sie darf einer vollständigen Aneignung nicht im Wege stehen, muss den kreativen Möglichkeiten der Menschen entgegenkommen und eine gesellschaftsorganisatorische, ökonomische und soziale Emanzipation gewährleisten. Das bedeutet vor allem, dass einer libertären Technik nicht sämtliche Lebensbereiche untergeordnet werden, dass vielmehr die Technik den ökonomischen und vor allem den gesellschaftlich-sozialen Interessen und Bedürfnissen der Menschen angepaßt werden muss. Anarchisten wenden sich lediglich gegen eine Verselbständigung des technischen Fortschritts zu einem Wert an sich und gegen die Vorstellung, der technische Fortschritt stehe in einer proportionalen Beziehung zum gesellschaftlich-sozialen Fortschritt. Die Anarchisten sind keineswegs die atavistischen Technikfeinde, als die sie ihre wissenschaftlich-sozialistischen Gegner verspotten. ... (S. 208)

Aus "Scheinsubjekt Digitalisierung", in: Junge Welt am 11.6.2020
Nicht die neue Technik an sich flexibilisiert die Arbeit und vernichtet Arbeitsplätze. Es ist das Kapital, das sie zu diesem Zweck entwickelt und durchsetzt ...
»Die Digitalisierung« tut gar nichts. Wer im Besitz eines Smartphones ist, kann sich zwar neuerdings auch von unterwegs an diversen Arbeitsprozessen beteiligen. Wenn er es auch muss, dann aufgrund des ökonomisches Zwecks und Zwangs seines Unternehmens. Der Fortschritt, der hier zu bewundern ist, ist keiner der Reduktion von notwendiger Arbeit zugunsten allerlei nützlicher Dinge. Vielmehr wird der Einsatz von Geld für die Arbeitskraft verringert und werden Lohnkosten für den Lebensunterhalt der Beschäftigten gespart, die nicht mehr gebraucht werden. Das ist dann der »Fortschritt«, um den es in dieser besten aller Welten geht: das Effektivieren der Arbeit rein nach dem Verhältnis Vor- zu Überschuss des Kapitals.
»Die Digitalisierung« übernimmt in Zeitungsartikeln, wissenschaftlichen Studien und Hochglanzbroschüren gerne die Funktion eines Scheinsubjekts. Das heißt auf lateinisch Expletivum und ist den Deutschlehrern unter den Leserinnen und Lesern aus Sätzen bekannt, wo etwas passiert, das niemandem zugeordnet werden kann. Das klassische Beispiel: »Es« regnet. Hier ist »Es« das Expletivum, das Scheinsubjekt. Genau darum handelt es sich auch bei »der Digitalisierung«. So wird das Kapital mit seinem inhärenten Vermehrungstrieb als wirkliches Subjekt der Entwicklung mit der Technik in eins gesetzt. ...
Die Phrase von den »Chancen und Risiken« ist keine Hilfe zum Verständnis dieses Widerspruchs, weil es sich bei den Risiken nicht etwa um vermeidbare »Fehler« bei der Umsetzung neuer Techniken handelt, sondern um den ganzen Zweck der neuen industriellen Revolution. Wenn Unternehmen von der neuen Produktivkraft schwärmen und Crowdwork, also gemeinsames Arbeiten vereinzelter Mitarbeiter über das Internet, es erlaubt, auf Arbeitskräfte in aller Welt zuzugreifen und diese als quasi Selbständige unter Absehen aller Sozialabgaben und Tarifverträge zu benutzen, dann ist das mit der Einführung dieser Technik auch genau so gewollt.


Aus Gordon, Uri (2010): "Hier und jetzt", Nautilus in Hamburg
Wie Langdon Winner in The Whale and the Reactor darlegt, „sind Technologien nicht nur Hilfsmittel bei menschlichen Tätigkeiten, sondern auch wirkmächtig darin, diese und ihre Bedeutung zu formen und zu verändern“: "Bereits während eine Technologie entwickelt und zum Einsatz gebracht wird, finden bedeutende Veränderungen in den menschlichen Verhaltensmustern und Institutionen statt ... der Aufbau eines technischen Systems, das Menschen als Teil seines Betriebs einbezieht, bringt die Umstrukturierung gesellschaftlicher Rollen und Beziehungen mit sich. Oft ergibt sich dies aus den Bedienungs- oder Nutzungsbedingungen des neuen Systems: Es lässt sich nicht anwenden, ohne dass menschliches Verhalten sich seiner Form und seinem Prozess anpasst. Daher entwickelt allein schon die Nutzung der Maschinen, der Techniken und Systeme, die uns zur Verfügung stehen, bestimmte Formen von Aktivitäten und Erwartungen, die bald zu unserer ‚zweiten Natur’ werden." ... (S. 169 f.)
Technologie steht in besonderem Maße für den Wert, den Menschen der ausgesprochen menschlichen Art und Weise beimessen, die materielle Welt zu beeinflussen, die natürliche Umgebung zu verstehen und sie den menschlichen Wünschen anzupassen. Der Wert dieser Fähigkeit, durch die Menschen einen Sinn für ihr Können entwickeln (...), lässt sich kaum infrage stellen. Das Problem ist jedoch, dass die Faszination angesichts der menschlichen Kreativität zunehmend mit dem kulturellen Ideal der Technologie in eins gesetzt wird, während sich diese nahtlos in ein Aufklärungs-Narrativ vom Fortschritt einfügt. Die Quelle der Faszination ist eigentlich technique, wie sie oben definiert wurde. Doch Technologie als kulturelles Ideal verstellt den Blick auf diese Quelle, genau wie sich technique in ein gesellschaftliches Projekt zum durchrationalisierten Aufbau von Überschüssen und Kapazitäten entwickelt. Eine "positive" anarchistische Technologiepolitik würde nun gerade da ansetzen und versuchen, technique aus diesem Prozess ihrer zunehmenden Vereinnahmung herauszulösen und sie als Erfahrung zu werten, weniger als Grundlage für eine nicht gewählte, sich endlos wiederholende gesellschaftliche Anwendung.

Zur Ablehnung technischer Neuerungen (S. 188)
Ebensowenig ist der zeitgenössische Luddismus als reine Maschinenstürmerei zu verstehen. Er versucht vielmehr, auf alle mögliche Arten neuen technologischen Wellen einen Widerstand entgegenzusetzen, wenn sie darauf ausgerichtet sind, Machtkonzentration und soziale Kontrolle, Ungleichheit und Umweltzerstörung zu verstärken.


Herrschaft und Technik
Technikentwicklung und Projektrealisierung finden auch in herrschaftsfreien Zeiten statt. Sie nehmen aber eine andere Richtung, weil sie auf anderen Logiken basieren. Realisiert wird, an was Menschen interessiert sind - und zwar von sich aus, nicht aus dem Zwang zur Verwertung oder dem Willen zur Beherrschung anderer. Weil sie ihr Wissen nicht vor Anderen abschotten können, ist jede Erfindung oder Entwicklung potentiell für alle gut. Und weil das unmittelbar einleuchtend ist, wird auch das Interesse steigen, dass Wissen sich austauscht und verbreitet - was wiederum fördert, dass horizontale Kommunikationssysteme entstehen. Denn: Nur unter Profit- und Machtgesichtspunkten ist es vorteilhaft, wenn Wissen gehortet, patentiert oder geheimgehalten wird. Das steigert den Preis oder Herrschaftsnutzen. Ist das Wissen aber frei, wird jedeR ErfinderIn schnell Verbesserungsvorschläge erfahren und wiederum bei anderen abgucken können. Es ist besser für jedeN, wenn sich jede andere Person auch voll entfalten und maximal viele gute eigene Gedanken entwickeln kann.
Was herauskäme, wäre ein grandioser Schub an Technikentwicklung für ein besseres Leben und das schnelle Ende der Entwicklung von Technik für mehr Profite. Statt Kraftwerken oder Windparks, die ja wegen des dann erzwungenen Stromvertriebs über den Markt vor allem aus Profitinteressen groß und zentral entstehen, wird es viele kleine, aber technisch sehr fortschrittliche Lösungen geben, deren Ziel es ist, dass die Menschen es gut haben: Warm in den Räumen, schlaue Geräte am Stromnetz, arbeitssparende und hoch-effiziente Verwertung von Fäkalien und Abfällen usw. Um Totalausfälle zu vermeiden, lohnt sich ein Verbund zwischen den verschiedenen Organisationseinheiten, deren Grenzen ohnehin nicht scharf gezogen sind - warum sollte daran jemand Interesse haben?
Alles basiert in einer herrschaftsfreien Welt auf Interessen der Menschen selbst. Sie werden eine Mobilität entwickeln, die ihren Wünschen entspricht: Reisen zu können (viele Menschen haben Lust auf Mobilität, daher werden Methoden des Vorankommens entstehen), ohne Lebensqualität zu verlieren (viele Menschen werden Lust auf lärm- und gestankarmes Leben haben, Kinder und Erwachsene wollen vor der Haustür spielen, daher wird die heutige Form der mit Zwang durchgesetzten Auto-Mobilität keine Chance haben). Was wird entstehen? Schwebebahnen wie in Wuppertal? Das ist schwer vorherzusagen. Wir sind von dieser Welt weit entfernt. Nur eines dürfte klar sein: Eine herrschaftsfreie Welt ist keine anti-technische Welt. Ganz im Gegenteil: Die Produktivkraft wird steigen, wenn die Menschen für ein besseres Leben tätig werden. Auch wenn sie (was zu erwarten ist) viel mehr das bessere Leben genießen wollen - sie werden viel produktiver, einfallsreicher und kommunikativer agieren. Weil es ihnen hilft! Der Egoismus in Form des Willens zu einem besseren Leben treibt die Produktivität und den Erfindungsreichtum der Einzelnen an, führt aber ebenso zu Kooperation und zum Wunsch, dass sich andere auch entfalten, weil das von ihnen Erschaffene genutzt, kopiert und weiterentwickelt werden kann.


Im Original: Markt, Macht, Wissenschaft
Aus Bookchin, Murray (1992): "Die Neugestaltung der Gesellschaft", Trotzdem-Verlag in Grafenau (mehr Auszüge)
Es ist wichtig, die Entwicklung einer Technik, die die moderne Angst vor dem Mangel beseitigen kann, eine Nach-Knappheits-Technik sozusagen, zum Bestandteil des revolutionären Projektes zu machen. Eine solche Technologie muss jedoch in den Kontext einer sozialen Entwicklung gestellt werden und darf nicht als "Vorbedingung" menschlicher Emanzipation unter allen Bedingungen und für alle Zeiten aufgefaßt werden. (S. 134 f.) ...
Soll die Technik natürliche Zyklen ablösen, die das Verhältnis von atmosphärischem Kohlendioxyd und Sauerstoff regeln, soll sie einen Ersatz für die sich zersetzende, das Leben vor tödlicher Sonnenstrahlung schützende Ozonschicht bieten; soll sie den Boden durch hydroponische Lösungen ersetzen? Alles dies, wenn es denn möglich wäre, würde ein hoch diszipliniertes System gesellschaftlichen Managements erfordern, das mit Demokratie und politischer Mitwirkung des Volkes völlig unvereinbar wäre. (S. 169 f.)

Aus Niels Boeing, "Rip, Mix & Fabricate" in: "Anarchistische Welten" (2012, Nautilus in Hamburg)
Die geschlossene Technosphäre ist eine wachsende Ansammlung von Blackboxes, die wir nicht durchschauen sollen. ...
Wir müssen uns die Technik, auch in ihrer Gestalt als Technosphäre, aneignen und vom Kapitalismus ablösen und können umgekehrt durch ihre Aneignung sogar dazu beitragen, den Kapitalismus auszuhöhlen. Wir können diese Aneignung forcieren, wenn wir ein analytisches Werkzeug finden, das uns den systematischen Zugang zur Technik so erweitert, dass sich daraus neue, konkrete Handlungsmöglichkeiten ergeben. ... (S. 191f.)
Hingegen Technik als Verschwörung des Kapitals oder Ausgeburt menschlicher Gewalttätigkeit zu begreifen und deshalb abzublocken, überlässt die Umgestaltung der Welt weiterhin den Technokraten. Die übernehmen wir besser selbst. (S. 197f.)

Aus Thilo Bode (2003): "Die Demokratie verrät ihre Kinder" (S. 146 ff.)
Es wird entscheidend für die Zukunft der Menschheit sein, ob Konzerne Technologien entwickeln, die zur Lösung der großen globalen Probleme beitragen. Die aktuell entwickelten und vorangetriebenen Technologien sind jedoch nicht problemorientiert, sondern profitorientiert. Technischer Fortschritt ist kein autonomer Prozeß, er ist ein Resultat von Marktanreizen und politischen Entscheidungen. Welches Risiko einer neuen Technologie dabei eine Gesellschaft zu tragen bereit ist, kann nicht wissenschaftlich, sondern muß politisch entschieden werden.
Unternehmen entwickeln neue Technologien und Produkte, die mit kaufkräftiger Nachfrage auf entsprechenden Märkten rechnen können. Andernfalls lohnen sich die Entwicklungs und Investitionskosten nicht. Deshalb entwickeln die bedeutenden Pharmakonzerne keinen Impfstoff gegen Malaria, obwohl diese Impfung Hunderten Millionen von Menschen in tropischen Ländern das Leben retten würde, sondern erforschen bevorzugt neue Potenzmittel für Kundschaft in den Industrieländern. Dort ist Kaufkraft, in Malariagebieten nicht. Anders bei Alds. Obwohl sich über 30 Mil110nen HIV Infizierte in der Dritten Welt teure Medikamente zur Behandlung der Infektion nicht leisten können, reicht die kaufkräftige Nachfrage in der Ersten Welt aus, um die Entwicklungskosten zu decken.
Die Marktlogik fördert Technologien, die sich in der Gestalt von Produkten, Waren oder handelbaren Dienstleistungen niederschlagen, also verkauft werden können. Kostengünstige Alternativen, etwa Prozesse, die sich aus bereits bekannten, nicht patentierbaren Verfahren zusammensetzen und nicht "verkauft" werden können, also nicht marktfähig sind, kommen dadurch nicht zur Anwendung. Biologische Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft kann als Alternative zu schädlingsresistentem, gentechnologisch manipuliertem Saatgut ebenso wirkungsvoll sein, zugleich ohne die schädlichen Umweltbelastungen und zu geringeren Kosten für die Landwirte. Derartige Methoden sind für Konzerne Jedoch nicht attraktiv sie versprechen keinen Markt. Gemäß dieser Logik versuchen die Saatgutkonzerne mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, die sogenannte Grüne Gentechnologie in der Landwirtschaft der Dritten Welt durchzusetzen.
Die Produkte der Grünen Gentechnologie bestehen aus transgenem, patentiertem Saatgut, das entweder durch ein in die Erbanlagen eingebautes Bakterium gegen Schädlinge resistent ist oder durch Erbgutveränderung unempfindlich gegen bestimmte chemische Unkrautvernichtungsmittel gemacht wurde. Ein derartiges Saatgut ist zwar marktfähig, weil es sich als "Produkt" verkaufen läßt, ist jedoch mitnichten das beste Mittel, die Landwirtschaft in der Dritten Welt zu entwickeln. Diese Technologie setzt nicht am Kernproblem der bäuerlichen Landwirtschaft in armen Ländern an. Diese hat keinen Mangel an geeignetem Saatgut; im Gegenteil, Bauern in der Dritten Welt haben über Jahrhunderte besonders gut angepaßte Sorten entwickelt. Die Hindernisse für eine Entwicklung der Landwirtschaft liegen in zu niedrigen Erzeugerpreisen, den Bodenbesitzverhältnissen, mangelnder Infrastruktur und auch mangelndem Know how. Diese Ursache anzugehen wäre die richtige Strategie. Doch den Saatgutkonzernen gelingt es, mehr und mehr EU Gelder, die zur Förderung der Landwirtschaft in der Dritten Welt bestimmt sind, für Grüne Gentechnologie abzuzweigen. Die hervorragenden Methoden der Schädlingsbekämpfung in der organisch biologischen Landwirtschaft, die darüber hinaus die Bodenfruchtbarkeit steigern und die Sortenvielfalt erhalten, sind aber für das Agro Business nicht rentabel. Mit der unseriösen Behauptung von der Notwendigkeit der Grünen Gentechnologie im Kampf gegen den Welthunger ködert die Industrie lokale Politiker und die Entwicklungshilfeinstitutionen der Industrieländer. Die Finanzstärke der Konzerne und die Anfälligkeit lokaler und nationaler Administrationen für Geldzuwendungen tun das ihrige, um traditionellen und mindestens ebenbürtigen Technologien wenig Durchsetzungschancen zu lassen.
Die Grüne Gentechnologie ist in Industrieländern attraktiv, weil sie die Kosten der Schädlings und Unkrautbekämpfung reduziert. Sie ist jedoch keine zukunftsfähige Technologie, weil sie die Probleme der hochindustrialisierten Landwirtschaft eskaliert: den hohen Energieverbrauch und damit die Emission von Treibhausgasen, die um 50 Prozent höher als in der ökologischen Landwirtschaft liegen, die Verarmung der Arten und Sortenvielfalt, die Verschmutzung des Grundwassers mit Pestiziden und die Oberdüngung von Ober-flächengewässern durch Phosphateinträge. Ein Patentrecht, das die Patentierung von Gensequenzen untersagt, Energiepreise, die die Kosten der globalen Erwärmung reflektieren, das Verbot von Massentierhaltung, die Reinhaltung des Grundwassers, und ein den Regenwald nicht zerstörender Futtermittelanbau würden ein unterschiedliches Modell der Landwirtschaft hervorbringen. Die grüne Gentechnologie bräuchte man unter diesen Voraussetzungen nicht.
Ihre Existenz zeigt kraß, daß der Markt nicht die für die Problemlösung besten Technologien hervorbringt, sondern diejenigen, die den Rahmenbedingungen am besten entsprechen. Und das sind meistens nur die zweit oder drittbesten Lösungen. Besonders schlimm ist, daß der Staat, der nicht der Marktlogik gehorchen müßte, keine anderen Anreize setzt. Anstelle Forschung und Entwicklung nicht unmittelbar marktfähiger, aber besserer Alternativen zu fördern, belohnt er auch noch die Konzerne. Der Bund fördert wissenschaftliche Forschungsvorhaben mit rund zwei Milliarden Euro pro Jahr. Davon gehen 750 Millionen in den Bereich "Lebenswissenschaften". Ein Drittel davon ist der grünen Gentechnologie gewidmet. Auf Forschungsvorhaben der ökologischen Landwirtschaft entfallen nur 0,5 Prozent des Budgets, etwa vier Millionen Euro.



Leseempfehlung 1: Gentechnik und Macht
Ein kleines Büchlein mit Texten und Zitaten zum Zusammenhang von Herrschaft und gentechnischer Manipulation an Nutztieren und -pflanzen. Im Mittelpunkt steht die Kritik an Saatgutkontrolle, Patenten und Ingenieursmethoden im Sozialen. Ebenso beleuchtet werden die spendenorientierten Strategien von Umweltverbänden, Grünen und anderen, die auf Herrschaftsanalyse und deshalb in gefährliche Argumentationen abrutschen. 64 S., quadratisch, 3 Euro, ISBN 978-3-86747-065-0 ++ bestellen!

Leseempfehlung 2: Macht und Umwelt
Das kleine Theoriebuch über den Zusammenhang von Herrschaft und Umweltzerstörung
Texte und Thesen zur Verknüpfung von Herrschaft und Umweltzerstörung. Es zeigt sich, dass machtförmige Verhältnisse gleichzeitig die Voraussetzung wie auch das Mittel der rücksichtslosen Aneignung von Rohstoffen, Land und allen anderen Lebensgrundlagen ist. Natur und Mensch sind die Faktoren, die zum Zwecke von Herrschaftsausbau und -sicherung sowie ständigem Profit ausgebeutet werden. ... Info- und Bestellseite

Vortrag "Technik und Herrschaftsfreiheit"
Ankündigungstext war: Im Kapitalismus, in der das menschliche Handeln dem Prinzip “Aus Geld mache mehr Geld” unterworfen wird, ist auch die Technik diesem Zweck unterworfen. Nur insoweit sie diesen Zweck unterstützt, wird sie genutzt und weiter entwickelt. Allerdings ist diese menschen- und naturfeindliche Orientierung kein untrennbarer Anteil der Technik selbst, sondern eine Folge der Bedingungen, unter denen sie entwickelt wird. Technikentwicklung nähme in herrschaftsfreien Zeiten eine andere Richtung, weil sie auf anderen Logiken basiert. Realisiert wird, an was Menschen interessiert sind – und zwar von sich aus, nicht aus dem Zwang zur Verwertung oder dem Willen zur Beherrschung anderer. Weil sie ihr Wissen nicht vor Anderen abschotten können, ist jede Erfindung potentiell für alle gut. Und weil das unmittelbar einleuchtend ist, wird auch das Interesse steigen, dass Wissen sich austauscht und verbreitet. Nur unter Profit- und Machtgesichtspunkten ist es vorteilhaft, wenn Wissen gehortet, patentiert oder geheim gehalten wird.
Videomitschnitt des Vortrags "Technik & Herrschaftsfreiheit" (Referent: Jörg Bergstedt) am Dienstag, 14.5.2019 ab 20 c.t. an der Uni Tübingen ++ auf Youtube

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