Ende Gelände

IWF/WELTBANK IN PRAG 2001

Bericht aus der Aktionswoche


1. Einleitung
2. Prag – ein Resümee
3. Prag ist vorbei, seit einem Monat
4. S26 in Prag war ein voller Erfolg: Die Straßen von Prag gehörten uns!!
5. Bericht aus der Aktionswoche
6. Der Sturm nach dem Sturm
7. Soli-Arbeit danach 
8. Links

(von der Gruppe PAKT, Erfurt)

Samstag, 23.9.2000
Angemeldet war eine Nazi-Demo, gleichzeitig eine Antifa-Demo und die Demo der kommunistischen Organisationen gegen den IWF. Auf der Nazidemo waren wohl nur 50 KameradInnen, wohingegen 1000 Menschen gegen die NeofaschistInnen demonstrierten. Die Schätzungen für die Kommie-Demo bewegen sich zwischen 700 und 1500 Teilnehmenden.

Sonntag, 24.9.2000
16.00 Uhr, Letna-Park:Abschlussdemo des Gegengipfels.
Ca. 2000-3000 Menschen demonstrieren bei der von INPEG, einer lokalen Initiative, organisierten Demo gegen IWF und WB, ohne dass es zu Ausschreitungen kommt. Linksruch und andere linke Sekten verteilen Ihre Schilder, wie üblich ruft einE CheckerIn eine Parole durchs Mega vor und die anderen plappern's nach.. Die Polizei tritt betont friedlich auf, keine Helme, kein Spalier, keine aggressiven Sprüche. Ein deutschsprachiger Block zieht die üblichen deutschen Sprüche skandierend in der Demo mit, was später von vielen GenossInnen massiv kritisiert wird. Die Spitze der Demo bildet ein internationaler Block und INPEG, hier ist es bunter und die Menschen bringen sich gegenseitig Parolen bei. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, ob “Fuck the police” OK ist. (INPEG spricht sich deutlich gegen Gewalt gegen Personen, Tiere oder Eigentum aus.) Abends gibt’s Party mit Kunst und Musik, “Art of Resistance”. Im Konvergenz-Zentrum, dem zentralen Ort der Gegenbewegung finden Vorbereitungsplena statt. Während dessen wird der Zug aus Italien mit 1000 AktivistInnen an der Grenze festgehalten, woraufhin einige Menschen die Karlsbrücke blockieren, um Druck für die Einreise zu machen, was auch gelingt.

Montag, 25.9.2000
Der gesamte Montag ist der Vorbereitung des Global Action Day am Dienstag gewidmet. Im Konvergenz-Zentrum finden vieeeele Plena statt. Wir versuchen, den Informationsfluss und die Entscheidungsfindung möglichst so zu gestalten, dass alle Menschen sich einbringen können, was auch recht gut funktioniert. Nur der Linksruck und seine Partnerorganisationen haben das Konzept nicht so recht verstanden und führt während der Plena Teach-Ins durch, bei denen wir erfahren, warum wir alle in Prag sind und was wir danach machen müssen. Neben den Demo-Plena gibt es Trainings in medizinischer Versorgung, Selbstverteidigung, gewaltfreier Direkter Aktion, rechtlichen Fragen und Kommunikationsstruktur. Am Nachmittag wird das Demo-Konzept zur Diskussion gestellt: Vom Ort der Auftaktkundgebung soll ein grosser Demo-Zug losgehen, der sich mit der Zeit in drei Teile spaltet, die für sich versuchen, die Zufahrten zum Kulturpalast, wo der IWF tagt, zu blockieren. Zusätzlich bilden sich weitere autonome Kleingruppen, die Hotels oder den Kulturpalast blockieren wollen und eine Samba-Band, die zwischen den Blockaden herziehen und gute Laune verbreiten will. Die drei Hauptzüge nennen sich gelber, pinker und blauer Block ,wobei die autonomen Gruppen die blaue Route favorisieren. (Die meisten Deutschen und viele SpanierInnen gehen hier wohl mit) . Die Gewerkschaften und Parteien laufen eher im Pinken. (Später sehen wir eine Gruppe, die Fahnen vom DGB, der DPG und der NGG mit sich führt!!!) Der Gelbe Block organisierte sich so, dass am Anfang eine Gruppe der Tutti Bianci läuft, die mit Autoreifen und Schaumgummi gepolstert die Polizei wegzurücken will und sich mit INPEG geeinigt hat, keine Offensivwaffen zu nutzen. Die GenossInnen von Ya Basta (von den centri sociali, besetzte Zentren in Italien) stellen die meisten Tutti Bianci, jedoch kann jedeR, der/die will mitmachen. Viele Menschen besorgen sich Zubehör, um sich vor den zu erwartenden Gas - und Knüppelangriffen zu schützen. Die einzelnen Blöcke bestehen aus sogenannte Clusters, welche ca. 10 bis 15 Kleingruppen beinhalten.

Dienstag, 26.9.2000
9.00 Uhr Genehmigte Auftaktkundgebung der Gegendemo auf dem Namesti Miru, dem Platz des Friedens. Dort haben sich schon ca. 5000 Menschen eingefunden haben und stetig mehr werden. Unter den Demonstrierenden sind wieder zahlreiche Sekten, auch seltsame LebensschützerInnen, Silvio-Gesell-AnhängerInnen, baskische NationalistInnen, Leute mit bescheuerten Plakaten, die den IWF als finstere Gestalt, die nach der Welt greift, darstellt, Kommies mit rotem Stern mit Hammer, Sichel und Kalashnikov, Anarchos verteilen Flugis, die zum Strassenkampf aufrufen und so weiter. Wir haben uns für den gelben Block entschieden. Um 11 Uhr ziehen wir los. Es ist weit und breit keine Polizei zu sehen, obwohl die Demo nicht genehmigt ist. Nachdem sich blau und pink abgespalten hat, sind wir noch ca. 3000-4000 Leute. Recht schnell kommen wir zur Haupzufahrt des Kulturpalastes, einer Brücke, die über ein Tal mit Eisenbahnlinien führt. Dort sehen wir auch, wo die ganze Polizei ist: Die Brücke ist mit Polizei in voller Kampfmontur mit Gasmasken und Barrikaden, Wasserwerfern und sogar mit Militär-Panzern blockiert. Die Tutti Bianci drängen die Polizei bis direkt vor die Panzer zurück, dabei wird, wie wir später erfahren massiv geknüppelt und auch Pfefferspray eingesetzt, aber die GenossInnen sind gut gepolstert und auch gegen Gas geschützt, trotzdem gab es einige Verletzte. Wir stehen in der Mitte der Demo, zwischen uns und den Tutti Bianci ist eine Lücke, weil diese sich Platz zum Rückzug ausgebeten haben. Die Leute von Linksruck finden das blöd und fangen an, mit Megas die Leute zum Drücken aufzufordern, damit wir eine Massendemonstration sind und nicht StellvertreterInnen für uns kämpfen. Dieses Konzept war zwar abgesprochen, aber der Linksruck war ja wie gesagt während der Plena damit beschäftigt, Teach-Ins zu veranstalten. Die Spannungen zwischen den Linksrucklern und eher anarchistisch oder autonom orientierten GenossInnen wachsen, vereinzelt wird sich angeschrien.
16.30 Uhr Nach zwei Stunden Blockade ziehen sich die Tutti Bianci zurück, weil sie infolge zahlreicher Polizeieinsätze und der Hitze keine Kraft mehr haben. Eigentlich sollte es noch ein Delegierten-Plenum geben, auf dem das weitere Vorgehen abgesprochen wird, aber nachdem die Tutti Bianci erklären, dass sie auf jeden Fall gehen, wird über den Lauti verbreitet, dass wir jetzt alle gehen sollen, um in der Stadt die blaue Gruppe suchen sollen. Linksruck-CheckerInnen agitieren mit ihren Megas dagegen. Wir können uns nur entscheiden, welcher von oben getroffenen Anordnung wir uns unterwerfen. Schöne Scheisse!!! Deswegen machen wir erst mal gar nichts von beidem, sondern setzen uns an den Rand und machen Bezugsgruppenplenum. Weil um 17.00 Uhr auf dem Namesti Miru Treffen für versprengte Gruppen ist und wir auch einige GenosInnen verloren haben, entscheiden wir uns, dort hin aufzubrechen. Von weitem sehen und hören wir, dass es im Tal Riots zu geben scheint. Später erfahren wir, dass Teile der blauen Gruppe durch das Tal zum Kultutpalast gekommen sind und dort fast zwei Stunden blockiert haben und den Palast besprüht haben, wobei die Polizei mit unverhältnismässiger Härte vorgegangen ist. Es gab viele Verletzte, einige davon wirklich schwerst und viele Verhaftungen. Auf dem Weg zurück sehen wir, dass viele Häuser und Verkehrsschilder am der Demo-Route neu dekoriert sind. Der Informationsfluss ist zu dieser Zeit sehr mangelhaft. Die Infos widersprechen sich und wir haben eigentlich keine Ahnung, was blau und pink und die anderen gerade machen. Weil die IWF-Leute um 20.00 in die Oper gehen wollen, ziehen wir nach einigem Hin und Her zur Oper, wo sich eine positive Überraschung darbietet. Die Oper ist vollkommen blockiert, der Hintereingang mit Barrikaden und Demonstrierenden, der Vordereingang mit einem riesigen Mob von Demonstrierenden. Vereinzelte StreifenpolizistInnen ignorieren all dies. Wir setzen uns an den Hintereingang, dann ruft uns jemensch zum Plenum. Dort gibt es neben dem obligatorischen Megafon-Duell zwischen Linksruck und AnarchistInnen die Info, die Brücke, an der wir gewesen sind, sei nun die einzige freie Strecke vom Kulturpalast zur Oper. Wieder rennen wir hierhin und dorthin. Irgendwann kommt die Info, dass der Opernbesuch geplatzt ist und die IWF-Leute auf dem Weg zum Bankett irgendwo in der Nähe des Konvergenz-Zentrums sind, dass aufgrund polizeilichen Drucks geschlossen wurde. Wir wollen zur Karlsbrücke, wo angeblich eine Aktion für die inhaftierten GenossInnen stattfinden soll. Auf dem Weg sehen wir eingeschlagene Scheiben, KampfpolizistInnen, rennende GenossInnen. Immer wieder hören und sehen wir das Knallen von Blendschock-Granaten und merken, dass irgendwo in der Innenstadt auch CS-Gas im Einsatz ist. Auf der Karlsbrücke machen wir dann mit 30 Leuten einen kurzen Protestmarsch. Um unsere verloren gegangenen GenossInnen wieder zu finden, machen wir uns zum Treffpunkt auf, um dort festzustellen, dass es gerade da besonders massiv kracht. Die ganze Polizei, die bis zum späten Nachmittag den Kulturpalast geschützt hat, marschiert jetzt in der Stadt auf, die Lage scheint sich zuzuspitzen. Da wir alle ziemlich erschöpft sind, machen wir uns zu unserem Schlafplatz auf. Aus der Strassenbahn sehen wir immer wieder Polizei und Demonstrierende in ständiger Bewegung.

Mittwoch, 27.9.2000 (heute)
Am Morgen gibt es neue Gerüchte über die Bilanz des S26: 600 Verhaftungen die Armee steht in den Startlöchern, für den Fall dass der Ausnahmezustand ausgerufen wird das tschechische Pendant zur Bildzeitung titelte “Krieg in Prag” die Deutsche Botschaft will, dass die inhaftierten Deutschen abgeschoben werden Um 14.00 Uhr gibt es neue Infos: Angeblich hat die Polizei ihre friedliche Taktik geändert und greift in der ganzen Stadt Leute auf, die irgendwie so aussehen, als ob sie GegnerInnen des Gipfels seien. An unserer Strassenbahnstation wurden 30 Leute, die auf dem Weg zum Bahnhof waren und nach Hause fahren wollten, eingekesselt und mitgenommen. Unsere gesamte Infrastruktur ist durch polizeiliche Repression zusammengebrochen, es gibt nur noch eine Info- und EA- Nummer. Neben dem Konvergenz-Zentrum ist auch das Infozentrum und das Medical-Center geschlossen, gerüchteweise wurde das Stadion, in dem die meisten GenossInnen übernachten durchsucht. 18:00 Uhr: Ca. 300 Leute protestieren auf dem zentral gelegenen Altstadtplatz gegen die Repression seitens der Polizei. Sie tragen Schilder mit der Aufschrift: "Ich bin auch einE AktivistIn gegen WB/IWF - Warum verhaftet Ihr nicht mich?". Wie wir erfahren wurden Leute in der Haft an den Armen aufgehangen, die ganze Nacht gefesselt, ausgezogen, es wurde Pfefferspray in die Zellen gesprüht und die Leute geschlagen. Am Abend an unserem Schlafplatz häufen sich die Berichte über Polizeiübergriffe. Drei Leute aus Polen berichten, daß sie beim Einkaufen kontrolliert und festgenommen wurden. Sie wurden drei Stunden festgehalten und dabei immer wieder geschlagen. Wir versuchen, sie so gut es geht zu versorgen und telefonieren wie wild, um Öffentlichkeit zu schaffen. Mitten in der Nacht dann ein irres Gerücht: Angeblich wurde die IWF/WB-Tagung für Donnerstag abgesagt, und zwar wegen der Proteste. Später hören wir von einer Genossin aus der BRD per Handy, daß laut ZDF die offizielle Begründung sowohl "Sicherheitsmängel" als auch der Abschluss der Tagesordnung gewesen sei.

Donnerstag, 28.9.2000
In einer Prager Zeitung wird berichtet, daß ein Bus mit Delegierten angegriffen wurde, wobei der russische Finanzminister leicht verletzt wurde und daraufhin mit der Abreise drohte. Später gehen wir ins Infocenter, wo es neue Nachrichten über Mißhandlungen im Knast gibt. Es gibt Berichte über sexuelle Gewalt gegen Frauen und Männer, mehrere Gefangene wurden schwer verletzt, ihnen wurde medizinische Hilfe versagt. Eine C. aus Österreich ist nach offiziellen Angeben beim Verhör aus dem Fenster gesprungen und liegt mit gebrochener Wirbelsäule im Krankenhaus. Spätere Berichte sprechen nicht mehr von der Wirbelsäule, sondern vom Bein und vom Hüftgelenk. Auch Ihr wurde lange Zeit medizinische Hilfe verweigert und über Ihren Fall wurde eine Nachrichtensperre verhängt.
Um 16 Uhr findet eine legale Demonstration gegen Polizeigewalt durch die Innenstadt statt. Viele Demonstrierende laufen mit nackten Oberkörpern, auf denen Sie Parolen gegen IWF, Kapitalismus, Polizei, Arbeit und Gewalt gemalt haben. Jede Menge Presse begleitet uns. Auf halbem Weg machen wir eine Zwischenkundgebung in der Nähe der Prager Polizeihauptwache. Dort werden auf drei Sprachen Berichte über Misshandlungen durch die Polizei verlesen. Ein junger, blumengeschmückter Mann weist darauf hin, daß sich auch unter den Demonstrierenden Leute befunden haben, die "dumme Sachen" gemacht haben, ihm wird mit dem Hinweis, daß das NICHTS entschuldigt begegnet. Ein anderer Mensch ruft dazu auf, tschechische Waren zu boykottieren und vergleicht die tschechische Republik mit "Schurkenstaaten" ohne Menschenrechte wie Burma, usw. Er wird aus der Menge berichtigt oder ergänzt (hier widersprechen sich unsere Interpretationen): like USA, like European Community, like Germany, like IMF, ... . Nach langer Diskussion ziehen wir abweichend von der angemeldeten Route wir noch einmal vor die Polizeihauptwache, wo schon zwei Hundertschaften Polizei in Kampfpanzerungen uns erwarten. Nach ein bisschen Geschubse geht die Demo wieder zurück auf die angemeldete Route und unbehelligt bis zur Abschlusskundgebung, wo eine Frau berichtet, daß in Spanien die tschechische Botschaft besetzt wurde und Menschen in der Slovakei ähnliches planen. Als die Demo dem Ende entgegen geht, weist noch jemand darauf hin, daß sich in der Stadt viele Faschos aufhalten, sich mit den PolizistInnen die Hände schütteln und besser niemensch allein nach Hause gehen sollte. Wir gehen dann bald zurück zum Schlafplatz, wo es nachts noch einmal leichte Panik gibt, weil eine Blendgranate über den Zaun geworfen wird. Sie raucht allerdings nur ein wenig und es ist weit und breit niemensch zu sehen. Der erwartete Polizei - oder Faschoübergriff bleibt zum Glück aus. Als wir am nächsten morgen mit dem Zug nach Hause fahren, sind die tschechischen Zeitungen am Bahnhof voll mit Bildern von den Demonstrationen. Hoffentlich auch anderswo.

Wie in vielen Regionen der Welt hat das System auch in Prag gezeigt, daß es seine Interessen notfalls auch mit brutaler Gewalt durch zu setzen bereit ist. Aber:
DER KAMPF GEHT WEITER !!!

Kontakt zu PAKT: pakt@stud.fh-erfurt.de
homepage: talk.to/pakt

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