Ende Gelände

DEBATTEN ZUM ÖKOSTROM

Grünen Strom lieber verbrauchen oder produzieren?


1. Erzeugen statt beziehen! Einspeisen statt kaufen!
2. Regenerative Energieanlagen aufbauen!
3. Kurzkonzept für Ökostrom von unten in Stadtwerken
4. Einzeltexte
5. Grünen Strom lieber verbrauchen oder produzieren?
6. Welcher Ökostrom? Welche Firma? Es kommt auf den Blickwinkel an ...
7. Die Stromqualität
8. Die Stromtarife
9. A. Ökostrom pur: 100% regenerativ & neu (Wind, Wasser, Sonne, z.T. Biomasse)
10. B. Ökostrom pur: 100% regenerativ, auch alt (Wind, Wasser, Sonne, z.T. Biomasse)
11. C. Ökostrom light: mind. 50% regenerativ & neu (Wind, Wasser, Sonne, z.T. Biomasse), höchstens 50% aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)
12. Gemeinsame Grundpositionen von Grüner Strom Label e.V. und EnergieVision e.V.
13. Kritik an der Praxis der Ökostromfirmen und -angebote
14. Offener Brief der Naturstrom-AG an Wolf von Fabeck, Solar-Förderverein
15. Einzelnachrichten

Hinweise auf weitere Debatten:
  • Zusammenfassender Text zur Qualität von Fördermaßnahmen (von Wolf Fabeck ... Hinweis: In diesem Text wird ein "Entweder - oder" (Verbrauchs- oder Einspeiseförderung) konstruiert. "Ökostrom von unten" will ein "Sowohl - als auch", und zwar durch dieselben Menschen, selbstbestimmt in ihrem Umfeld!
  • Streitdebatte vor allem zwischen Ökostromanbietern um verschiedene Modelle auf www.politikforum.de
  • Stellungnahmen zur Ökostrom-Debatte auf der Internetseite des Solar-Fördervereins

Weitere Debattentexten auf anderen Internetseiten:

Nachfolgend dokumentiert sind vier Texte für und gegen Ökostrom im allgemeinen bzw. die aktuellen Ökostromkampagnen. Sie zeigen: Nichts ist selbstverständlich - die Entscheidung um Ökostrom ist genau so wichtig wie das Ringen um die Form der Ökostromarbeit.

Ökostromkunden werden getäuscht
Am Anfang war die gute Absicht. Viele Menschen sind bedrückt von der Vorstellung, daß ihr Stromverbrauch zur Belastung der Umwelt, zum Waldsterben und zur Klimakatastrophe beiträgt. Sie möchten deshalb nur Strom verbrauchen, der diese Nebenwirkungen nicht hervorruft. Zu diesem Zweck sind sie bereit, "Grünen Strom" zu kaufen und dafür einige Pfennige mehr zu bezahlen.

Das Gegenteil wird erreicht
Doch diese gutwilligen Menschen geben ihr Geld zumeist vergeblich aus. Schlimmer noch, sie erreichen durch ihr Opfer sogar das Gegenteil von dem, was sie zu erreichen hoffen. Sie werden somit getäuscht. Bedauerlicherweise ist diese Täuschung nicht etwa die Ausnahme, sondern die Regel und sie ist durch die gültigen Gesetze gedeckt. Es gibt überhaupt nur eine kleine Handvoll Ökostromhändler, die an der grandiosen Täuschung nicht beteiligt sind (deren Angebote werden hier nicht beurteilt).

Vergleich der Verhältnisse ohne und mit Ökostromhandel
Um den Täuschungsvorwurf verstehen zu können, vergleichen wir am besten die Verhältnisse im Strommarkt miteinander, einmal als Variante 1 ohne Ökostromhandel und einmal als Variante 2 mit Ökostromhandel.
Variante 1: Was würde geschehen, wenn es keinen Ökostromhandel gäbe? Der bundesdeutsche Strom-Mix enthält schon seit einiger Zeit (neben dem Hauptanteil von Braunkohle und Atom) auch etwa 4 % Anteile aus alten Wasserkraftwerken, die im Eigentum der großen Stromversorger stehen, sowie einen zunehmenden Anteil (zur Zeit etwa 2 %) aus privaten Wind-, Biomasse- und Solaranlagen, die ins öffentliche Netz einspeisen. Bis vor kurzem wurde dieser Strom-Mix ohne Rücksicht auf seine Bestandteile verkauft. Dabei wurde ein Mischpreis aus den Gestehungskosten für Atomstrom, Braunkohlestrom, Wasserkraftstrom und sonstigem Ökostrom gebildet und in Rechnung gestellt.
Variante 2: Was geschieht, wenn es Ökostromhandel gibt? Hier wird den gutwilligen Ökostromkunden versprochen, sie würden zukünftig nur umweltfreundlichen Wasserkraftstrom oder anderen Ökostrom erhalten, wenn sie dafür freiwillig ein paar Pfennige Zuschlag zahlen. Der Stromverkäufer kassiert sodann von den Ökostromkunden einen höheren Strompreis als den bisherigen Mischpreis. Den übrigen Kunden (denen egal ist, wie ihr Strom erzeugt wurde), kann der Stromverkäufer zum Ausgleich einen niedrigeren Strompreis für ihren "Egalstrom" berechnen.

Hat der gutwillige Ökostromkunde diesen Effekt wirklich gewollt?
Möchte er wirklich, daß seine Mehrzahlung den Strom für die Stromverschwender noch billiger macht? Möchte er anderen die Möglichkeit geben, billiger werdenden Strom noch bedenkenloser zu verschwenden? Dies war mit Sicherheit nicht seine Absicht! Bis hierher also der desillusionierende Vergleich zwischen einem Strommarkt ohne Ökostromhandel und einem Strommarkt mit Ökostromhandel.
Welche theoretische Erwägung steht hinter der Idee des Ökostromhandels, und worin liegt ihr logischer Fehler? Warum aber, wenn die Nachteile des Ökostromhandels doch so offensichtlich sind, vertreten manche Menschen die Idee, durch Ökostromhandel die Energiewende erreichen - zumindest aber unterstützen - zu können? Die theoretische Überlegung der Ökostrombefürworter geht dahin, daß durch eine hohe Nachfrage nach Ökostrom die Produktion von Ökostrom (der Bau neuer Anlagen, die Ökostrom erzeugen) in Gang kommen soll. Dieses Prinzip kann jedoch nur funktionieren, wenn die Nachfrage nach Ökostrom das Angebot übersteigen würde. Erst wenn mehr Wasserkraftstrom (oder Windstrom oder Solarstrom) verlangt würde, als vorhanden ist, wäre der Stromhändler gezwungen, sich um NEUE Wasserkraft-, Windkraft- oder Solaranlagen ernsthaft zu bemühen. Doch in diese "Gefahr" gerät er nicht, weil nämlich (durch den Anreiz des Erneuerbare Energien Gesetzes, EEG) der Anteil des Ökostromes an der Gesamtstromproduktion weit schneller anwächst als die Zahl der Ökostromkunden. Bis zum Jahr 2010 soll der Anteil an Ökostrom bereits auf 12% am Strommix angewachsen sein, fordert z.B. die Europäische Union. Soviel Menschen, die FREIWILLIG mehr Geld für Ökostrom ausgeben, wird es wohl kaum geben. Insbesondere ist zu bedenken, daß die Wirtschaft, die etwa 2/3 des erzeugten Stroms verbraucht, zu freiwilligen Mehrzahlungen wohl kaum bereit sein wird.

Fazit: Ökostrom produzieren - nicht verbrauchen!
Wer also dafür sorgen will, daß die Belastung der Umwelt durch Stromerzeugung zurückgeht, der sollte sich nicht als Verbraucher von Ökostrom, sondern als Produzent von Ökostrom engagieren. Eine eigene
Solaranlage oder die Beteiligung an einer Gemeinschaftsanlage (Solar, Wind, Biogas) bringt ihm die Gewißheit, daß sein Geld nicht zur Entlastung der Egalstromkunden, sondern tatsächlich zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien eingesetzt wird. Eine Solarstromanlage auf dem eigenen Dach ist nicht mehr unerschwinglich und erzielt - Dank des neuen EEG - eine Einspeisevergütung von 99 Pf/kWh. Info: Solarenergie-Förderverein, kontakt@sfv.de.
Autor: Wolf von Fabeck. Quelle: Solar-Rundbrief 3/00


Eine Antwort auf Wolf von Fabecks Kritik am Ökostrom
Ökostrom verbrauchen und produzieren!
Es ist keine Frage: Die aktuellen Kampagnen für Ökostrom bergen kaum einen politischen Anspruch. An vielen Orten wird der liberalisierte Markt hochgejubelt - und die VerbraucherInnen werden wieder einmal zu den Verantwortlichen für die Rettung der Umwelt gemacht, während die Konzerne weiter per Atom- und Kohletechnik selbige ruinieren dürfen.
Ein solcher Blickwinkel erinnert frappierend an die Mülltrenn-Kampagnen ("Joghurtdeckel abwaschen und zur Alusammelstelle bringen rettet die Umwelt") vor zehn oder 20 Jahren. Falsch waren die auch damals. Denn Umweltschutz kann nicht losgelöst von den realen Machtverhältnissen und von der Analyse der Zerstörungsursachen und -verursacher umgesetzt werden. Doch die Hoffnung, daß diese Fehler endlich einmal überwunden werden, scheint durch die aktuelle Ökostromwerbung leider eher enttäuscht zu werden. Die von Ökostromanbietern bis zu Anti-Atom-Gruppen suggerierte Möglichkeiten, durch das Umstellen auf Ökostrom im eigenen Haus könne der Atomausstieg erreicht werden, ist unverständlich, falsch und insofern schädlich, weil sie irreführend vielen Menschen genau dieses als entscheidende Maßnahme gegen Atomstrom und Klimazerstörung nahelegt. Das kann andere Aktivitäten verhindern! Noch schlimmer sind die Ökostromangebote von Stromkonzernen, die ihren ohnehin vorhandenen Ökostromanteil im Mischstrom nur "abspalten", um ihn dann als Ökostrom teurer zu verkaufen. Das bringt gar nicht, weil der übrigbleibende Strom nur noch dreckiger wird, aber insgesamt keine Kilowattstunde Atomstrom verdrängt wird.
Aber dennoch: Die generelle Kritik am Ökostrom ist falsch. Denn es gibt nicht "den" Ökostrom, sondern inzwischen viele verschiedene. Zudem sind Veränderungen möglich - und nötig. Meines Erachtens geht es nicht darum, zum Ökostrom "Ja" oder "Nein" zu sagen bzw. ihn als entscheidende Anti-Atom-Aktion hochzujubeln, sondern es geht darum, eine Form des Ökostroms zu finden, die den ökologischen und gesellschaftlichen Zielen, die damit verbunden sind, nahekommt - und gleichzeitig die Werbung für den Ökostrom zu verbinden mit den weiterhin nötigen Aktivitäten für den Schutz der Umwelt, die Selbstbestimmung der Menschen und das Ende der Atomenergie. Daran mangelt es bei den bestehenden Ökostromkampagnen - aber das ist kein Beweis dafür, daß es nicht ginge.
Ganz im Gegenteil:
  • Die Umstellung auf Ökostrom kann erhebliche Finanzmittel für neue regenerative Energieanlagen (Wind, Wasser, Sonne, Biomasse) freisetzen. Insofern stimmt das Argument "Entweder Geld für neue Anlagen oder für Ökostrom" nicht. Nötig dafür ist aber, daß die Einnahmen für den Ökostrom für neue Energieanlagen ausgegeben werden.
  • Ökostrom kann, statt den liberalisierten Markt zu beschwören, ein kleines Stück der notwendigen Veränderung von Machtverhältnissen sein - nämlich dann, wenn Produktion und Verbrauch von Strom dezentral entschieden werden.
  • Insofern enthält auch der Ruf nach mehr Neuanlagen und der Jubel über das Energieeinspeisegesetz viele Verkürzungen, verläßt er sich doch ausschließlich auf politische Rahmenbedingungen und das Gute in herrschenden PolitikerInnen. Das aber ist, so lehrt die Geschichte, noch nie gut gegangen. Deshalb muß mit dem Neubau von regenerativen Energieanlagen auch die Machtfrage gestellt werden: Nicht nur "Wie wird der Strom erzeugt?", sondern auch "Wer erzeugt ihn?". Gefragt sind BürgerInnen-Energieanlagen, Versorgungsnetze, die den Menschen selbst gehören und von ihnen verwaltet werden, sowie VerbraucherInnengemeinschaften, die den Bezug von Ökostrom gemeinsam und selbst organisieren.

Weder die platte Formel "Ökostrom macht den Atomausstieg" noch die ebenso platte Losung "Mehr regenerative Energieanlagen - egal wo und von wem" halten einer Analyse der Gründe von Umweltzerstörung und Ausbeutung stand. Atomenergie ist nicht nur die Folge des Wunsches nach billigem Strom, sondern von Machtstrukturen, die die Durchsetzung von Großkraftwerken ebenso erst ermöglichen wie von Gentechnik, Flughäfen, Autobahnen oder weltweiten Ausbeutungsstrukturen. Sie zu knacken, ist schwer genug. Aber so zu tun, als wären diese Gründe nicht vorhanden, ist blauäugig. Für die Durchsetzung der Gentechnik ist z.B. völlig uninteressant, ob die Mehrheit der Menschen das überhaupt will oder ob sich viele für bewußte, gentechnikfreie Ernährung entscheiden.

Mit der Idee "Ökostrom von unten" soll daher ein Weg gefunden werden, der die Ziele vereinbart:
  • Umstellung des Stromverbrauchs auf Ökostrom, um die Atomstromversorger zu schwächen und Atomstrom aus dem Markt zu drängen.
  • Keine Umstellung auf solche Ökostromanbieter, die den Ökostrom nur aus dem bisherigen Mischstrom abzweigen und dann für mehr Geld verkaufen.
  • Garantie, daß die Einnahmen aus dem Ökostrom in Neuanlagen für regenerative Energie fließen, damit jede Mark doppelt wirkt.
  • Demokratisierung von Stromnetzen bzw. Netzbetreibern, z.B. der Stadtwerke (auch hier wird viel Unsinn erzählt: Stadtwerke sind nicht "dezentral" oder "demokratisch", sondern meist Hochburgen von Parteienfilz und Bürokratie - als politische Forderung sollte mit der Einführung bzw. Bewerbung von Ökostrom auch die Demokratisierung der Stadtwerke gefordert werden).
  • Demokratisierung von Energiegewinnungsanlagen, d.h. Wind-, Solar-, Biomasse- oder Wasserkraftanlagen im Gemeinschaftsbesitz der Menschen aus der Region.
  • Demokratisierung aller Planungsverfahren für Energieanlagen.
  • Widerstand und direkte Aktionen gegen Atom- und alle entdemokratisierten Großkraftwerke.

Autor: Jörg Bergstedt, aus "Ö-Punkte" Herbst 2000

Argumente gegen die Kampagne für "Grünen Strom": Stromwechsel - nur mit uns
?
"Mama, welche Farbe hat eigentlich unser Strrrrrr..." waren die letzten Worte der aufgeklärten Ökoverbraucherin Natascha (4), als sie an der Steckdose das Umweltbewusstsein ihrer Wohngemeinschaft überprüfte.
Nach NABU, BUND und Greenpeace macht jetzt auch unser Landesverband Werbung für farbigen Strom. Wurden die BerlinerInnen vor zwei Jahren aufgefordert, den Atomausstieg ("nur mit uns") per Stimmzettel einzuleiten, so soll es heute das Antragsformular eines alternativen Stromanbieters sein. Vermutlich aber wird auch dieses Kreuzchen keinen Politikwechsel in der Atompolitik einleiten: Sechs Einwände gegen die Kampagne und ein Alternativvorschlag.

  1. Die Aussage, KundInnen von Ökostromanbietern würden keinen Atomstrom verbrauchen, ist falsch und zwischenzeitlich mindestens einem Anbieter auch gerichtlich verboten worden. Durch die Steckdose fließt genau der gleiche Strom wie vorher. Irgendwann innerhalb eines Jahres wird ein Ökostromproduzent in das Stromnetz, das man sich als "Stromsee" vorstellen kann, lediglich ökologisch erzeugten Strom einspeisen.
  2. Dieser in den "Stromsee" eingespeiste ökologische Strom würde ohnehin eingespeist werden, da aufgrund der Einspeisevergütung Ökostrom bereits rentabel produziert werden kann. Realistischerweise wird der Anteil von bestelltem Ökostrom den Anteil, den die regionalen Produzenten ohnehin kostendeckend vergüten müssen, nicht übersteigen.
  3. Wirklich regenerative Elektronen kommen nur durch eine dezentrale selbstorganisierte Stromversorgung in die Steckdose, also zum Beispiel vom eigenen Solardach. Dezentralität ist ein Vorteil regenerativer Energien (kein Transportverlust!). Wer in Berlin für den Verbrauch von Nordsee-Windkraft-Strom wirbt, vermindert gleichzeitig das Interesse für die wirklich ökologische Art der Energieversorgung.
  4. Allen Stromwechselkampagnen fehlt eine kritische Distanz zum Konzept der Liberalisierung des Strommarktes. Die nationale Umsetzung der europäischen Binnenmarktrichtlinie Elektrizität ist das deutsche Energiewirtschaftsgesetz aus Kohl¦schen Zeiten: Ziel der EU-Richtlinie ist unter anderem die "Stärkung der Versorgungssicherheit und der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft". Wie immer, wenn ein Standort gesichert werden soll, wird ein weiterer Bereich der Gesellschaft dem Markt unterworfen. Durch Konkurrenz soll Strom billiger werden. Wer durch die Ökosteuer Energie verteuern will, wird unglaubwürdig, wenn er sich nicht gegen sinkende Strompreise durch liberalisierte Energiemärkte ausspricht. Die Einspeisevergütung als derzeit wirkungsvollere - aber ordnungspolitische - Maßnahme für grünen Strom wird durch Lobhudelei auf den liberalisierten Energiemarkt ebenfalls in Frage gestellt.
  5. Stromwechselkampagnen entpolitisieren die Energiepolitik. Verbraucherinnen und Verbrauchern wird die Verantwortung zurückgegeben: "Das Private ist politisch". Die radioaktive Strahlung nach einem GAU oder aus einem Atommüllager macht aber keine Biegung um Haushalte, die sich mit grünem Strom versorgen. Im Kampf um den Atomausstieg geht es um politische Macht und Billionen DM. Im Zusammenhang mit der unglücklichen rot-grünen Kampagne "Der schnelle Atomausstieg ist juristisch nicht möglich" wird vermittelt, die Politik habe keine Handhabe gegen die Atomkraft. Das mag im Sinne eines Bremsens der Enttäuschung über die grüne Regierungsbeteiligung angebracht sein - für einen schnellen Atomausstieg ist es schädlich.
  6. Der Marktanteil für grünen Strom wird auch bei großen Anstrengungen extrem niedrig bleiben. Mit der Wechselkampagne wollen die InitiatorInnen "die Berliner VerbraucherInnen zu einer VerbraucherInnenabstimmung über den Atomausstieg aufrufen" , diese Abstimmung soll "mit der ganz privaten Stromrechnung" stattfinden (aus einer Mobilisierungs-eMail des Landesvorstandes). Damit wird einmal mehr in unseren Kreisen mit Meinungsumfragen realitätsfern umgegangen. Auch wenn sich zwei von drei VerbraucherInnen laut INFAS vorstellen können, für Ökostrom mehr zu zahlen, so sieht es in der Praxis ganz anders aus: Der Anteil der Haushalte, die Ökostrom bestellen, wird sich in dem Rahmen einpendeln, den Bioläden oder Dritte-Welt-Shops haben. Wer eine Abstimmung mit dem Stromzähler ausruft, muss auch das Ergebnis verkünden: In Berlin haben sich bis Mitte März 0,3 Prozent der PrivatverbraucherInnen für den BEWAG-Ökostrom entschieden, 2 Prozent für den Bewag-Mischatomstrom "Multiconnect", weitere zwei Prozent haben die Bewag verlassen - der geringste Teil davon zu ÖkostromanbieterInnen. Für die Abstimmung mit dem Stromzähler bedeutet das: Einer schweigenden Mehrheit von 95 Prozent ist der Atomausstieg egal. Unter der verschwindenden Minderheit, der es nicht egal ist, hat die Gruppe der ausdrücklichen AtombefürworterInnen wiederum die Mehrheit. Unsere Kampagne "Mitmischen auf dem Strommarkt" bindet wertvolle Arbeitskraft, die anderweitig energiepolitisch sinnvoller eingesetzt werden könnte.

Ein konstruktiver Vorschlag: Wie wäre es mit einer Negativ-Imagekampagne gegen Atomkonzerne, gegen deren institutionelle EigentümerInnen und private AktieninhaberInnen? Ihre Profite wurden bereits durch zweistellige Milliardensummen vom Staat gefördert, ihre Aktienkurse sind seit Tschernobyl explodiert, ihre Reaktoren sind schlechter versichert als die Autos auf dem Kraftwerksparkplatz, ihre Brennelemente oder Castoren haben gefälschte Papiere, ihre Putzkräfte und die Kinder in der Umgebung sterben ohne großes Aufsehen. Es ist den Atomprofiteuren egal, was in den nächsten hundertausend Jahren mit ihrem Müll passiert. Für dieses Handeln bekommen sie Millionengehälter und astronomische Aktiengewinne. Trotz dieser Maschenschaften erwarten sie, daß sich eine rot-grüne Regierung mit ihnen an einen Tisch setzt. Nein! Das Handeln der Bosse und der EigentümerInnen der Atomkonzerne ist zutiefst menschenverachtend. Mit solchen Menschen darf es nie einen Konsens geben. Mit einem Ökostromabo befriedigen wir die gesellschaftliche Stimmung gegen Atomkraft, die wir durch eine solche Kampagne noch richtig anheizen müssten.
Autorin: Ilka Schröder, grüne MdEP


Zum Beitrag in Heft 2/2000: Ilka Schröders Argumente
Falsch ist in Ilkas erstem Gegenargument: "Irgendwann innerhalb eines Jahres wird ein Ökostromproduzent in das Stromnetz, das man sich als "Stromsee" vorstellen kann, lediglich ökologisch erzeugten Strom einspeisen." Richtig ist, dass die verschiedenen Ökostromanbieter nach verschiedenen Modellen einspeisen. Greenpeace energy und Lichtblick beispielsweise in Annäherung an den täglichen Verbrauch ihrer Kunden. Dazu wird mit einem Regellastprofil gearbeitet. Und wenn man nicht nachts um 1.00 Uhr mit der Kreissäge im Wohnzimmer arbeitet, liegt man da drin. Es gibt andere, die nicht zeitgleich zum Verbrauch einspeisen, das sind aber eben nicht alle. Das zweite Gegenargument ist eine Glaubensfrage.
Ich glaube im Gegensatz zu Ilka, dass Ökostrom eine relativ hohe Akzeptanz in der Bevölkerung hat und steigende Marktanteile erlangen wird. Jeder Stromwechsler entzieht den großen (Atom) Stromproduzenten das Geld. Anfangs wenig, aber immer mehr! Die Naturstrom AG legt besonderen Wert auf den Bau von neuen Anlagen. Der Anteil von umweltverträglich produziertem Strom wird durch die neuen Anbieter ausgebaut!
3. Gegenargument: "Wirklich regenerative Elektronen kommen nur durch eine dezentrale selbstorganisierte Stromversorgung in die Steckdose, also zum Beispiel vom eigenen Solardach." "Solarstrom" ist die teuerste regenerative Energie. Zuvor bezweifelte Ilka, dass es überhaupt genug Interessenten für Ökostrom gibt. Wer glaubt ernsthaft, dass es mehr Interessenten für die eigene teure Solaranlage gibt als für den von anderen billiger produzierten Mischökostrom? Projekte wie Volcksstrom im Friedrichshain sind für eine selbstorganisierte Stromversorgung wichtig. Für einen möglichst schnellen Versuch eines Ausstiegs aus dem Klimawandel jedoch nicht ausreichend. Es gibt hier kein Entweder oder, sondern nur ein sowohl als auch für lokale Projekte und größere überregionale Ökostromanbieter. Es wurde auch nicht ausdrücklich für Nordsee-Windkraft-Strom geworben, wie unterstellt. Richtig ist, dass die 25 % Windkraft im BEWAG-ÖKOPUR-Tarif von der Nordsee stammen. Übersehen wird von der Autorin, dass die Wasserkraft und die Biomasseanteile (74 %) aus Ostdeutschland stammen. Der Solarenergieanteil kommt aus Berlin (1 %).
4. Gegenargument: Gefordert wird eine kritische Distanz zur Strommarktliberalisierung. Wären so viele Atomkraftwerke unter dem Kostendruck ohne staatliche Förderung möglich gewesen? Ilkas Gegenargument 5: "Das Private ist politisch" wird bezweifelt. Jede gesellschaftliche Veränderung begann mit einzelnen Suchern nach neuen Wegen. Entscheidend ist immer auch der Einzelne. Man kann natürlich super grün sein und den billigsten Atomstrom beziehen, dann hat man etwas Geld gespart und spendet Greenpeace oder sonst wem für den Kampf gegen die Atomkraft. Man kann natürlich mit dem Flugticket in der Hand gegen den Ausbau von Startbahnen demonstrieren. Persönlich finde ich das lächerlich. Grüne Unglaubwürdigkeit wird in diesen Fällen auch von weiten Teilen der Bevölkerung deutlich wahrgenommen und gar nicht geschätzt. Das sechste Argument ist eine Vermutung, die man haben kann, die auch schlecht zu widerlegen ist. "Der Anteil der Haushalte die Ökostrom bestellen, wird sich in dem Rahmen einpendeln, den Bioläden oder Dritte-Welt-Shops haben." Meine Erfahrung ist: eine andere. Persönlich habe ich noch nie etwas in einem dieser Läden gekauft. Ich greife öfter mal auf Ökoprodukte der Supermarktketten zurück. Ein Freund von mir, ein CDU- oder PDS-Wähler, hatte sich lange vor mir für Ökostrom entschieden, was mir persönlich peinlich war. Ziehen wir eine erste Bilanz in 18 Monaten: Der Stromwechsel braucht viel Zeit!
Der konstruktive Vorschlag am Ende des Textes ist so sinnvoll wie eine "Kampagne gegen Bewölkung über Solaranlagen". Die Aktionäre von Atomkraftanlagen wissen genau, womit sie ihr Geld verdienen und sie haben Spaß dabei. Eine Kampagne Sonnabend vormittags gegen AKW-Aktionäre vor dem Bäcker von nebenan wäre sicherlich sehr unterhaltsam, auf jeden Fall für die Aktionäre. Was sie gar nicht lustig finden, sind fallende Kurse und fallende Gewinne. Mit jedem, der wechselt, graben wir ihnen ein Stück des Marktes ab. Darum: Weiter mit der Kampagne für "Grünen Strom"! Wer errechnen möchte, wie viel Ökostrom bei seinem Jahresverbrauch kostet , kann dies unter www.energiekampagne.de/rechner.html nachsehen.
Autor: Detlef Gebauer

Zusammenfassend: Ökostrom klingt toll, hilft aber oft gar nichts, weil Strommengen nur buchhalterisch umhergebucht werden. In der Sache verändert sich dann gar nichts.


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