Ende Gelände

Ö-PUNKTE 1/1998

"So wird's gemacht!" Chronologie des Agenda-Dialogs in Niedersachsen


1. "So wird's gemacht!" Chronologie des Agenda-Dialogs in Niedersachsen
2. Fazit

Autorin
Maria Gemind, Hannover

Wer sich für nähere Einzelheiten interessiert, insbesondere aus der Warte des Runden Tisches der Jugendlichen, kann dies in der "Dokumentation des Dialogprozesses Agenda 21 in Niedersachsen" nachlesen.

Zu beziehen gegen 3,- DM in Briefmarken über:
Jugendumweltnetzwerk
Goebenstr. 3a
30161 Hannover
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Die niedersächsische SPD-Landesregierung beginnt am 5. Dezember 1996 mit dem "Runden Tisch Agenda 21 in Niedersachsen". Interessant ist in diesem Zusammenhang die offizielle Initialzündung für den Beginn, nämlich die Präsentation der BUND- und Misereor-Studie zur gezielteren Lobbyarbeit "Zukunftsfähiges Deutschland" Anfang des Jahres in Hannover. Umweltministerin Monika Griefahn, ehemalige Greenpeace-Aktivistin und -Funktionärin, zeigt sich begeistert und mahnt die Erstellung einer Agenda 21 von der Verwaltung unter Einbeziehung der gesellschaftlich wichtigen Gruppen an.

Natürlich fängt alles schon viel früher an: Vom 6. Januar 1994 datiert ein sehr frühes Dokument der Agenda-Aktivitäten des Umweltministeriums (MU), mit dem Titel "Lösungen der Agenda 21 - Rio, 1992". Es stammt aus der Feder eines Herrn Meyer aus dem Referat 105 - EXPO, der hier eben die einschlägigen Lösungen der Agenda 21 herausgearbeitet hat. Eigentlich nicht nötig zu erwähnen, daß die konkrete Arbeit an diesem Papier am Runden Tisch zur Agenda 21 in Niedersachsen (nachfolgend mit RT abgekürzt) ausblieb. Denn die plakative Forderung an die Länder, sie "(...) müssen Wege finden, ihre Wirtschaft anzukurbeln (...)." oder an die Industrie "(...), daß der Umgang mit giftigen Chemikalien in allen Ländern standardisiert wird" hätte soviele AnhängerInnen nicht gefunden - sondern eher zu einem Schmunzeln veranlaßt. Dennoch finden sich auch Definitionen, die sich später nirgends mehr aufspüren lassen: Zum Beispiel die Informationspflicht des Staates und der Länder gegenüber den BürgerInnen und der Informationspflicht zur Entscheidungsfindung über Zustand und Entwicklung der Bevölkerung, der Verstädterung, Armut, Gesundheit und Nutzungsrechte der Ressourcen sowie der Beziehungen von Gruppen in Bezug auf Umweltprobleme und einiges mehr.

Schnell gewinnt die Agenda 21 in der Verwaltung an Bedeutung. Ein interministerieller Arbeitskreis (IMA) wird einberufen, der am 16.04.1996 seine 1. Sitzung abhält. Ein Protokoll liegt uns leider nicht vor. Zugleich beginnen Gespräche des MU mit den "wichtigen Gruppen", also Umweltverbänden, Gewerkschaft u.a. Auch hier gibt es keine Protokolle oder Gesprächsnotizen, die uns vorgelegt werden können, geschweige denn eine nachvollziehbare Auswahl oder Bestimmung der "wichtigen" Gruppen. Die Bedeutung der Vorgespräche sowie des IMA selbst bleibt vorerst unklar.

Am 28. Mai 1996 tagt die IMA ein zweites Mal. Wir haben mehr Glück. Das Protokoll beschreibt präzise die Gestaltung, den Ablauf, die Akteure und geplanten Vorhaben zur Erstellung einer Agenda 21. Die Rolle der wichtigen Gruppen ist minutiös beschrieben, Handlungsspielraum ist nicht erkennbar. Die IMA weiß eben schon im voraus, was der RT als Ergebnis im Dialogprozeß und mit Hilfe des Konsensverfahrens beschließen wird (sind Dialoge nicht immer ergebnisoffen?). Es ist besonders beachtenswert, daß die TeilnehmerInnen des RT, scheinbar selbstbestimmt, ein Jahr später genauso handeln , wie es in diesem Protokoll beschrieben ist. Prädikat: besonders lesenswert!

Da laut Rio-Agenda die Unterzeichnerstaaten bis Mitte 1996 die Lokalen Agenda-Prozesse auf den Weg gebracht haben sollen, dies aber bei weitem nicht der Fall ist, kommt es zu folgender Reaktion. Am 12./13. Juni 1996 findet die bundesweite Umweltministerkonferenz statt, die dementsprechend durch Beschluß

Bund und Länder auffordert, über ihre Aktivitäten zur Umsetzung der Agenda 21 bzw. die Erarbeitung eigener Agenden zu berichten. Dies wirft einen anderen Blick auf die Agenda-Aktivitäten des Landes Niedersachsen, der sich allerdings mit Imageverlusten im eigenen Land (Castor und Gipsabbau) sowie mit den bevorstehehnden Wahlkampfaktivitäten in Niedersachsen (Land- und Bundestagswahl '98) vermischt.

Das nächste wichtige Datum ist der 25. Juni 1996, an dem die Vorbereitungen zum RT offiziell stattfinden. Die VertreterInnen der wichtigen Gruppen begrüßen an diesem Tag den von der Landesregierung initiierten Dialogprozeß und sagen ihre Teilnahme zu. Schon hier kristallisiert sich anhand einer vorgelegten Grafik heraus, welche Rolle die sogenannten gesellschaftlich wichtigen Gruppen spielen. Die Agenda 21 wird von der Verwaltung unter Federführung des MU verfaßt, die wichtigen Gruppen erarbeiten derweil ein Positionspapier - zu was eigentlich, wenn sie die Agenda erst zu Gesicht bekommen, als diese schon verabschiedet ist?

Bereits am 26. März 1996 ist das niedersächsische Kabinett davon unterrichtet worden, daß das MU den Umsetzungsprozeß Agenda 21 einzuleiten gedenkt. Abermals wird der Ablauf des Dialogprozesses festgeschrieben. In der Kabinettsvorlage vom 26. September 1996 "Umsetzung der Agenda 21 in Niedersachsen" ist zu lesen: "Das Programm der Landesregierung wird bedeutsame Aktivitäten des Landes beschreiben. Außerdem wird festgestellt, daß das Land bereits viele Vorhaben realisiert hat bzw. an vielen Projekten gearbeitet hat, die weitgehend den Anforderungen der Agenda 21 entsprechen." Und dann folgt der Satz: "Der Bedeutung des Rio-Prozeßes entsprechend sollen einmalig die Aktivitäten und Planungen des Landes gemeinsam beschrieben werden. Es ist nicht beabsichtigt, das Programm als dauerhaftes Instrument zu installieren." In der Rückschau ist zu fragen, was der Runde Tisch eigentlich noch soll! Staffage für die unverpflichtende Selbstbeweihräucherung der Landesregierung mit Hinblick auf die Landtagswahl '98? Die Agenda-Tauglichkeit von solcherart Vorhaben ist zweifelhaft!

Von den nun folgenden Sitzungsterminen des "Runden Tisches Agenda 21 in Niedersachsen" ist der zweite besonders hervorzuheben, denn hier dämmert es den wichtigen Gruppen zum ersten Mal, daß da etwas nicht stimmt mit der gleichberechtigten Teilhabe (1. Runder Tisch: 26.02.1997). Auf dieser Sitzung am 12.06.1997 wird in einer kurzen und heftigen Diskussion eingefordert, daß die Verwaltung im Schulterschluß mit den wichtigen Gruppen eine Agenda 21 verfaßt. Die Erstellung eines Positionspapieres lehnen die Gruppen ab. Da den TeilnehmerInnen der Zeitraum von einigen Monaten zur Erstellung einer Agenda bei weitem nicht ausreichend erscheint, wird die Erstellung eines Zwischenberichts festgelegt, der dann von der eigentlichen Agenda 21 frühestens in '98 abgelöst werden soll. In dem Protokoll dieser Sitzung steht aber : "Den Berichterstattungen folgt eine ausführliche und lebhafte Diskussion über die Dauer des Dialogprozesses, (. . .). Das Positionspapier wird künftig als Zwischenbericht bezeichnet. Damit wird die Absicht des Runden Tisches bekundet, den Dialog auch in 1998 fortzusetzen."

Es folgen weitere mühsame Sitzungen der mittlerweile eingerichteten Arbeitskreise "Wohnen, Siedlungswesen, Verkehr", "Produkte, Produktion, Konsum, Lebensstile", "Globalisierung und globale Verantwortung", "Bildung und Medien". Zum Thema Klima wird auf eine bereits bestehenden Arbeitsgruppe zurückgegriffen, die nun ihre Aktivitäten unter dem Agenda-Banner zusammenfaßt.

Mit sieben Unterarbeitskreisen und einem über 300seitigen Abschlußbericht vom November 1997 ist der RT überfordert, die Arbeit nachvollziehen zu können, gibt trotzdem in einer kurzen Abstimmung das O.K. Der RT selbst tagt noch zu folgenden Terminen: 3. Runder Tisch: 01.09.1997, 4. Runder Tisch 5.11.1997 und 5. Runder Tisch am 27.11.1997. Während der ganzen Zeit wird die Agenda 21 kein einziges Mal zitiert oder ihrer Logik entsprechend bearbeitet. Immerhin gibt es Bemühungen, eine eigene Definition von "Nachhaltigkeit" vorzulegen, die dann allerdings dem Wortlaut des Zwischenberichts der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode "Schutz des Menschen und der Umwelt", entnommen ist. Der einzige Neuentwurf wird vom Jugendumweltnetzwerk Niedersachsen, JANUN, vorgelegt und lediglich zur Kenntnis genommen, da die Frist für eine Weiterbearbeitung der Definition bereits abgelaufen ist.

In der Zwischenzeit tut sich auch im Landesparlament einiges zur Agenda 21, das allerdings mit den Aktivitäten des RT in seiner Offenheit der Auseinandersetzung (leider) nicht korrespondiert. In der Drucksache 13/2154 "Umsetzung der Agenda 21 in Niedersachsen" läßt sich aus dem Änderungsantrag Oktober '97 ablesen, wie Formulierungen entstehen, Absichten umgemünzt und "Nachhaltigkeit" weiter verwässert wird. Kleine Kostprobe: Der folgende Absatz entfällt aus dem Antrag: "Die niedersächsischen Kommunen werden gebeten, in einen Dialog mit den Bürgern, örtlichen Organisationen und Privatwirtschaft einzutreten und eine kommunale Agenda 21 aufzustellen und zu beschließen, Programme durchzuführen und zu überwachen, deren Ziel die Beteiligung von Frauen und Jugendlichen an Entscheidungs-, Planungs- und Umsetzungsprozessen ist;". Stattdessen wird laut Änderungsantrag eingefügt: "Der Landtag begrüßt die vorbildlichen Aktivitäten zur Umsetzung der Agenda 21 in vielen niedersächsischen Kommunen. Er fordert die Landesregierung auf, gemeinsam mit den Kommunen und ihren Verbänden unter finanzieller Beteiligung des Landes Möglichkeiten der Koordinierung zu finden und entsprechende Angebote zu schaffen. Die bereits gewonnenen Erfahrungen bei der Umsetzung der Agenda 21 (Haben wir da was verpaßt? Anm. d. Verf.) sollen so allen Kommunen zugänglich gemacht werden." Und selbst diese Formulierung findet keinen Konsens, die SPD erhebt Einspruch!

Es kommt wie es kommen mußte: Das Kabinett verabschiedet im Alleingang ein Landesprogramm "Agenda 21 in Niedersachsen", Bündnis 90/Die Grünen verlangen die sofortige Zurücknahme dieser "Karikatur eines Programms für eine nachhaltige Entwicklung" ? umsonst. Auch dem RT wird auf seiner vierten Sitzung am 5. November das Landesprogramm unangekündigt vorgelegt. Die Reaktionen bleiben vorerst aus. Die einzige offizielle Stellungnahme kommt abermals vom Jugendumweltnetzwerk, das sowohl den Inhalt als auch die Vorgehensweise scharf kritisiert.

Am 15. Dezember '97 wird dann in einer großen Veranstaltung mit 500 geladenen und 300 erscheinenden Gästen der Zwischenbericht des RT im Kongreßzentrum Hannover der Öffentlichkeit präsentiert. Auch hier lassen es sich die Jugendlichen nicht nehmen, aus dem Landesprogramm zu zitieren, bzw. die Aussagen an der Realität zu spiegeln. Die anderen wichtigen Gruppen schweigen. Schade!

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