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POLITIK IN GIESSEN: SCHÖNE WORTE, ABER TATEN GEGEN MENSCH UND UMWELT

2035null: Gießen klimaneutral


Landschaft und Stadtstruktur · 2035null: Gießen klimaneutral · Versprochen - gebrochen

Im September 2019 hat die Stadtverordnetenversammlung Gießen beschlossen, die Stadt bis 2035 CO2-neutral zu machen. Dass hatte das Bündnis "2035null" als Bürger*innenantrag eingebracht. Seitdem rudert die Politik Stück für Stück zurück. Die Oberbürgermeisterin sagte im Frühjahr 2020, dass sie den Beschluss gut fände, weil nur wer sich utopische Ziele setzt, die realen Schritte hinbekommt. Da steckte schon mal die Ansage drin: Wir machen das nicht.
Im September 2020 erschien der Klimabericht für Gießen, ein Konzept, die "2035null" erreicht werden könnte. Die Stadtverordneten zeigten dann abergleich, dass es ihnen damit nicht wirklich ernst ist

Aus dem Bericht "Absage an Null-Wachstum in Gießen", in: Gießener Allgemeine, 15.9.2020
Am Montagabend scheiterte der Magistrat an einer vergleichsweise winzigen Vorgabe. Innerhalb von 45 Minuten sollte bei der Informationsveranstaltung im Atrium des Rathauses der Bericht "Klimaneutrales Gießen" vorgestelllt werden, danach sollte sich eine 75-minütige Diskussion mit den gut 100 Bürgerinnen und Bürgern anschließen, die sich wegen Corona zu der Veranstaltung hatten anmelden müssen. Am Ende blieben kaum 30 Minuten Zeit für Fragen und Argumente aus dem Publikum. ...
Aber nicht nur der Ablauf der Bürgerinformationsveranstaltung sorgte für Kritik, sondern auch die Gewichtung des Klimaberichts. Zu viel Rückblick, zu viel Selbstlob, zu wenig Perspektive, lautete nicht nur das Urteil von Lutz Hiestermann (Lebenswertes Gießen e.V.), der im vergangenen Sommer den Anstoß für den Bürgerantrag Gießen 2035Null gegeben hatte. Auch andere Zuhörer vermissten in dem Bericht und dem, was von den Vortragenden am Montagabend zu hören war, "definitive Maßnahmen" und einen "Aktionsplan", wie man es schaffen will, dass bis 2035 auf dem Territorium der Stadt keine Treibhausgase mehr produziert werden.

Dabei wären entschlossene und sehr weitreichende Maßnahmen nötig.

Umweltverschmutzung: Gießen hat die höchstens Belastungen in Deutschland
Aus "Das sind die 10 dreckigsten Städte Deutschlands", auf www.ingenieur.de am 23.10.2020
Den 1. Platz der dreckigsten Städte Deutschlands belegt Gießen. Die Universitätsstadt weist mit etwa 37.000 Studierenden nicht nur die höchste Studierendendichte Deutschlands auf, sondern im Jahr 2019 auch die höchste durchschnittliche Feinstaubbelastung von 14,9 µg/m³. Aufgrund zahlreicher Altlasten war es notwendig, verschmutzte Böden zu säubern oder soweit abzusichern, dass keine Gefahr mehr besteht.

Doch in Gießen wird lieber schöngerechnet, zum Beispiel durch Wertung einer Müllverbrennungsanlage als klimaneutral (dabei vernichtet die aufwändig hergestellte Produkte, für die folglich wieder neu Rohstoffe verwendet und Energie eingesetzt werden müssen. Und dann halten sie die Grenzwerte noch nicht einmal ein.

Aus "Kohlenmonoxid-Werte von Gießener Müllverbrennungsanlage zu hoch", in: Gießener Allgemeine am 18.9.2021
Infos für das Jahr 2020 war zu entnehmen, dass der in der Bundes-Immissionsschutzverordnung festgelegte Grenzwert beim Kohlenmonoxid-Ausstoß (CO) bei halbstündigen Messungen 149 Mal überschritten wurde. Der Grenzwert liegt für CO bei 100 mg/m3. Kohlenmonoxid ist ein gefährliches Atemgift, das unbemerkt über die Lunge eingeatmet wird, weil es farb-, geruch- und geschmacklos ist. Auch bei Schwefeldioxid (8-mal) und Ammoniak (2-mal) wurden die Grenzwerte in der »Thermischen Reststoffbehandlungs- und Energieverwertungsanlage« (TREA) in Gießen überschritten. Bei Schwermetallen wie Blei oder Arsen gab es aus Laiensicht dichte Annäherungen an die Grenzwerte ...
Es wird ein Ersatzbrennstoff eingesetzt, der energiereiche Abfälle aus Gewerbe-, Handels- und Industriebetrieben enthält - etwa Kunststoff-, Papier- und Holzreste.

Schon aufgegeben? Stadtpolitik glaubt selbst nicht mehr an 2035null
Aus dem Entwurf zum Verkehrsentwicklungsplan (S. 150)
Dennoch muss festgestellt werden, dass das Ziel der Kli maneutralität bis zum Jahr 2035 von der Stadt Gießen unter den absehbaren Rahmenbedingun gen und innerhalb ihrer derzeitigen Gestaltungsmöglichkeiten nicht allein mit eigenen Maßnah men erreicht werden kann. Gleichwohl gilt es, dass die Stadt ihre Handlungsspielräume bestmög lich und konsequent nutzt, um dem gesetzten Ziel möglichst nahe zu kommen.


Irgendwie kommt einem das Treiben mit hehren Worten und fehlenden Taten bekannt vor ...
Die CDU Gießen war dann die erste, die den Klmaschutz für beendet erklärte. Sie hatte 2019 noch für das Ziel der Klimaneutralität gestimmt. Im Sommer 2024 nahm sie ihre Zustimmung zurück. Sie würde nie wieder so etwas wollen ...
Aus "Nicht noch mal mit der CDU", in: Gießener Anzeiger am 21.6.2024
Wir gehen im Bereich der Klimaneutralität ambitionierte Ziele mit. Aber sie müssen realistisch sein. ...
Dem Klima wird vor allem geholfen, wenn wir die Dinge in einem größeren Rahmen betrachten. Es macht keinen Sinn, wenn jede Kommune eigene Zeiträume festlegt. Vor allem wenn das in der konkreten Kommune dazu führt, dass man potenziell die Wirtschaft abschreckt, die Arbeitsplätze
schafft und erhält. ...
Wir wissen, dass Bäume eine sehr große Wirkung und Bedeutung für die Reduzierung des CO2 in einer Stadt haben. Gleichzeitig ist es in der bebauten Innenstadt schwierig ist, viele neue Bäume zu pflanzen. Aber es gibt Technologien wie Algenbäume. Mit einem davon kann man bis zu 300 natürliche Bäume ersetzen. Das ist für die Innenstadt tatsächlich eine konkrete Maßnahme, um CO2 zu reduzieren.

Verpflichtung und Ankündigung: 50% weniger CO2 bis 2010. Realität: Heiße Luft ...
In einem Flyer hat die Stadt Gießen vor Jahren mal versprochen, die CO2-Emissionen bis 2010 (!) um 50 Prozent zu verringern. Sie ist Mitglied in einem Bündnis, für das sich die Stadt dazu auch verpflichten muss. Doch Ankündigung und Verpflichtung interessieren kein Stück.
Aus dem Flyer der Stadt Gießen
Über alle kulturellen Unterschiede und Kontinente hinweg wurde ein Bündnis zum Schutz des Weltklimas ins Leben gerufen: Das "Klima-Bündnis europäischer Städte mit den indigenen Völkern der Regenwälder zum Erhalt der Erdatmosphäre".
Innerhalb von vier Jahren machen sich über 380 Kommunen aus zehn europäischen Ländern die Zielsetzung des Klima-Bündnisses zu eigen und engagieren sich auf kommunaler Ebene für den Klimaschutz. Wir zählen auch dazu. Mit dem Beitritt verpflichten wir uns zur Reduzierung der CO2-Emission um 50 Prozent bis zum Jahr 2010.

Für das Jahr 2010 haben wir keine genaue Berechnung gefunden. Die Stadt hatte ihre Verpflichtung vermutlich schlicht vergessen. Schöne Worte werden gemacht, um die Menschen einzulullen, nicht um sie zu beachten. Es gibt aber Zahlen für 2015 und 2017. Und auch 5 Jahre später reicht es bei weitem nicht zur Erfüllung der Verpflichtung. 2017 ist es sogar schlimmer geworden! Sieben Jahre nach der Verpflichtung zu 50 Prozent sind es gerade mal 15 Prozent!

Aus dem ganz offiziellen Energiebericht 2017 für die Stadt Gießen

Aus dem "Energiebericht 2015 für die Stadt Gießen"
Abbildung 20 zeigt, dass die THG-Emissionen 1990 bei 755.504 Tonnen CO2-Äquivalent lagen. 2015 wurden 605.336 Tonnen emittiert. Dies ist eine Verminderung der THG-Emissionen um ca. 20 % im Stadtgebiet Gießens.
Es folgen: Neue Ankündigungen - wie immer
Bis 2020 müssen weitere 20 % eingespart werden, um den Zielwert von 460.000 Tonnen zu erreichen.
Pro Kopf sieht es etwas besser aus, aber reicht auch 2015 noch lange nicht an die 50 Prozent heran.
1990 emittierte jeder Bewohner Gießens pro Jahr ca. 10,3 Tonnen klimaschädliche Treibhausgase in CO2-Äquivalenten. 2015 sind dies nur noch 7,2 Tonnen pro Kopf. Dies entspricht einer rechnerischen Einsparung von ca. 30 % pro Gießener Bürger.

Zu beachten ist, dass es sich um Zahlen de Stadtwerke Gießen handelt, die ein Interesse an einem guten Umweltimage haben. Große Bereiche, die CO2-Ausstoß bedeuten, sind auch nicht erfasst. Unter anderem:
  • Rohstoff- und Produktverbrauch
  • Landwirtschaft und Lebensmittelvertrieb
  • Bau von Straßen und Gebäuden
  • Emissionen durch Gießener Aktivitäten, Beschlüsse, Firmen ... außerhalb der Stadt

Außerdem: Laut Energiebericht 2017 hat sich die Lage in den letzten zwei Jahren deutlich verschlechtert. Jetzt sind gegenüber 1990 nur noch 15% eingespart worden.
Aus dem "Energiebericht 2017 für die Stadt Gießen"
Abbildung 20 zeigt, dass die THG-Emissionen 1990 bei rd. 754.000 Tonnen CO2-Äquivalent lagen. 2017 wurden fast 643.000 Tonnen emittiert. Dies ist eine Verminderung der THG-Emissionen um ca. 15 % im Stadtgebiet Gießens. Bis 2020 müssen weitere 25 % eingespart werden, um den Zielwert zu erreichen.


Greenwashing - die einzige Chance, das Versagen unsichtbar zu machen
16 Jahre Zeit hatte Gießen, den Beschluss zur Klimaneutralität umzusetzen. Einige davon sind bereits vorbei - und es sieht nich danach aus, als wenn noch irgendjemensch das Ziel überhaupt verfolgt. Das passt zum Totalversagen auf allen politischen Ebenen und der Kraftmeierei aus den Konzernetagen, die ganz offen das Ende von Klima- und Umweltschutz einfordern, weil einziges Ziel das noch schnellere Anhäufen von Profiten sein darf.
Der auffälligste Wandel von kleinen Versuchen zum totalen Rollback unter Aufgabe des Ziels der Klimaneutralität fand 2023 in der Verkehrspolitik Gießens statt. Trotz durchaus ambitionierter Vorgaben in den beiden neu gefassten Nahverkehrs- und Verkehrsentwicklungsplänen baute Gießen seine zentrale Fahrradstraße zurück, um wieder eine mehrspurige Autostraße mitten in der Stadt zu schaffen - verbunden mit einer PR-Kampagne, in Zukunft für Fahrten nach Gießen das Auto zu benutzen. Das klappte im Weihnachtsgeschäft 2023 auch. Die Straßen waren verstopft - und nicht einmal der Verzicht auf Fahrpreise in Bussen änderte etwas daran, dass die (wieder) autogerechte Stadt dann auch die Autos anzog. Die Macher*innen dieser fatalen Anti-Klimaschutzpolitik sind übrigens Grüne und Rote, der schwarz-blaue Block fordert noch viel krassere Maßnahmen gegen Fuß, Fahrrad und Busverkehr.
Angesichts dessen bleibt die einzige Chance für Grün-Rot, um ihren Ruf zu retten: Sie müssen die Klimaneutralität per Rechentrick und Manipulationen in den Bilanzen erreichen oder wenigstens zu tun, als würden sie sich dem annähern. Das geschieht auf vielerlei Weise.

Bewerten des Verbrennens von Müll als CO2-neutral
In Gießen werden Heizungen zu großen Teilen über Fernwärme bedient. Das ist erstmal gut so, denn so ließe sich zentral steuern, welche Techniken zum Einsatz kommen. Gießen nutzt das aber vor allem, um durch manipulative Darstellung nur den Eindruck zu erwecken, C02-neutrale Wärme zu liefern. Wie geht das? Die Stadtwerke schreiben es selbst:
Aus der Internetseite der Stadtwerke Gießen (SWG)
Zusätzlich steigert unser Unternehmen den Anteil der Stromerzeugung aus Anlagen, die erneuerbare Energien nutzen. Beispiele für solche innovativen Wege der Energieerzeugung sind die Biogasanlagen in Großen-Buseck und Heuchelheim, die Holzhackschnitzel-Heizwerke der SWG sowie die TREA I und TREA II.

Klingt gut. Ist es aber nicht. Die Biogasanlage in Großen Buseck wird zu 60 %, die in Heuchelheim zu rund 40 % mit Gras- und Maissilage betrieben - also mit Produkten von Flächen, die dann bei der Lebens- und Futtermittelversorgung fehlen. Noch schlimmer aber ist die Lüge bei den angegebenen TREA-Anlagen. Die Abkürzung steht für "Thermische Reststoffbehandlungs-und Energieverwertungsanlage" - und in dem Namen steckt schon das Drama: Verbrannt wird Müll. Und der sei ja nachwachsend, finden die Stadtwerke Gießen. Zitat von ihrer Internetseite: "Den Brennstoff für die TREA I und TREA II liefern Brennstoffaufbereitungsanlagen aus der Region Mittelhessen, welche energiereiche Abfälle aus Gewerbe-, Handels- und Industriebetrieben verarbeiten." Dass die ständige Neuproduktion der Stoffe, die in Gießen einfach abgefackelt werden, dann aber große Mengen Energien brauchen, fließt nicht in die Rechnung ein. Früher war Kreislaufwirtschaft mal ein PR-Begriff. Heute ist das Gegenteil der letzte Schrei. "Dieser aufbereitete Brennstoff besteht bis zu 50 % aus biogenen Stoffen wie Holz, Pappe, Papier und Zellstoff", ist weiter zu lesen. Es müssen also Bäume abgehackt werden, weil in Gießen Papierfasern verheizt werden. Großes Kino, dass auch noch als praktizierten Umweltschutz zu verkaufen und sich dafür selbst zu bejubeln: "Mit der TREA II erhöhen wir unsere Strom-Eigenerzeugung von CO2-neutralem Strom auf jährlich 180.000 Megawattstunden. Darüber hinaus wird TREA II künftig bis zu 9 % des Jahresbedarfs der Gießener Fernwärmekunden decken. Das hat einen positiven Einfluss auf die ohnehin schon hervorragende Umweltbilanz unserer Fernwärme."

Weglassen aller Fernwirkungen
Ein weiterer Trick ist das Weglassen der Fernwirkungen durch Konsum, staatliches Handeln, Bauen, Energieversorgungen usw., wenn die CO2-Emissionen außerhalb von Gießen entstehen (z.B. durch Produktion oder Energiegewinnung in der Peripherie oder sogar im globalen Süden). Da Gießen eine Regierungs-, Dienstleistungs- und Bildungsstadt ist, fallen relativ wenig Emissionen aus industrieller Produktion an. Dennoch entstehen diese natürlich für den Verbrauch in Gießen - nur eben woanders. Gießen rechnet sich schön.

Einkaufen von Klimazertifikaten ferner Länder
Die Kommerzialisierung des Umweltschutzes ist in den 90er Jahren stark vorangetrieben worden. Inzwischen dominieren marktwirtschaftliche Methoden - mit all ihren Problemen wirtschaftlicher Abhängigkeiten, Kapitalakkumulation und Monopolisierung (Klimaschutz und Kapitalismus). Zentraler Mechanismus ist die Monetarisierung der Umweltzerstörung und des Verbrauchs von Ressourcen. Wer viel Geld hat, kann weiter Umwelt zerstören - oder sich sogar die Dauerrechte zusammenkaufen, das zu tun (während andere es dann nicht mehr können). Diese sogenannten Klimazertifikate erlauben dann, ordentlich Schadstoffe auszustoßen, aber trotzdem zu sagen, dass alles klimaneutral ist, weil rechnerisch der Dreck aus Gießen woanders angerechnet wird, während der in der Ferne produzierte Ökostrom hier berechnet wird. Im Fall von Gießen ist es vor allem Wasserstrom - und ob die dahinterstehenden Staudämme wirklich so umweltfreundlich sind, ist genauso unklar wie die Zahl der Menschen, die dafür vertrieben wurden. Für die Stadt Gießen ist das egal - Hauptsache, es fühlt sich gut an, die Heizung aufzudrehen und mit dem Auto durch die völlig überdimensionierten Straßen donnert. "Wir kompensieren die Emissionen über den Kauf von sogenannten Verified-Emission-Reduction-Zertifikaten bei Deutschlands Top-Anbieter in diesem Segment – der First Climate AG", sagen die Stadtwerke Gießen (SWG) ganz offen auf ihrer Internetseite unter der Überschrift "C02-neutrale Energie".

Aus "Wer zahlt für den grünen Strom?", in: Gießener Allgemeine am 4.4.2023
Zertifikate eines Wasserkraftwerkes in Indien sollen den in Gießen teilweise durch das Verbrennen von Gas in Blockheizkraftwerken hergestellten Strom CO2-neutral machen. Für die einen ist das Greenwashing, für Jens Schmidt, Vorstand der Stadtwerke, sinnvolle Investition in den Ausbau erneuerbarer Energien. ...
Was die Stadtwerke jedoch machen: Sie kompensieren die ausgestoßenen CO2-Mengen mit TÜV-geprüften Zertifikaten von einem Wasserkraftwerk in Indien. Doch durch den Kauf dieser Zertifikate ändert sich am Strom, den die Menschen in Gießen benutzen, erst einmal nichts. Der kommt weiter zu Teilen aus der Verbrennung von Gas und nicht aus einem Wasserkraftwerk. Doch Boos sagt, man müsse zwischen der physischen Belieferung und der bilanziellen Kompensation unterscheiden. Der »Gießener Grünstrom« sei in der Bilanz CO2-neutral. Die Menschen in Indien, die vielleicht direkt neben dem Kraftwerk wohnen, aber keinen Ökostrom-Tarif beziehen, kaufen eventuell dafür konventionellen Strom. ...
Das klingt nach Greenwashing, aber Schmidt sagt: »Das System funktioniert.« Am Zertifikatehandel sei sicher nicht alles perfekt, aber Schmidt glaubt an die Fähigkeiten des Marktes.

In einem Artikel in der eigenen Zeitung eLahn lobten sich die Stadtwerke für den Schwindel mit den Klimazertifikaten. Dabei räumten sie ein, dass fiktive, nie existierende Kohlekraftwerke als Berechnungsbasis dienten, damit ihre Gaskraftwerke als klimapositiv (CO2-Einsparung) bewertet werden konnten. Das ist so, als würde Mensch als Held gelten, wenn mensch vier Menschen ermordet, aber eigentlich die Ermordung von fünf geplant hatte. Das ist dann nicht der Mord an vier, sondern die Lebensrettung von einem. Überzeugt?
Aus "nur noch CO2-neutral", in: eLahn 3/2020 (Werbeheft der Stadtwerke Gießen)
Ab 2021 liefern die SWG Privathaushalten und kleineren Gewerbebetrieben nur noch C02-
neutralisierte Energie. Das gilt für Strom, Erdgas, und Fernwärme gleichermaßen. ...
Ohne das Geld aus den Zertifikaten würden sie nicht gebaut oder könnten sie nicht wirtschaftlich betrieben werden. Ebendies ist der Grund für ihre neutralisierende Wirkung: Sie ersetzen alte Erzeugungsanlagen, die viel C02 emittieren, oder werden statt viel billigerer Kohlekraftwerke errichtet. Genau deshalb kommt es zu einer tatsächlichen C02-Einsparung.
Dass die Reduktion der Treibhausgasemissionen Tausende Kilometer entfernt von Gießen passiert, macht für das Klima keinen Unterschied. ...
Das Geld aus den Zertifikaten, die die SWG erwerben, sorgt dafür, dass eine Wasserkraftanlage in lndien kostendeckend CO-neutralen Strom produziert. Ganz abgesehen davon verbessert sie die Lebenssituation der Menschen vor Ort spürbar. Auch das ist ein Prinzip. das für fast alle First-Climate-Projekte gilt.

Im April 2024 wurde dann klar, dass es noch schlimmer ist. Sind Klimazertifikate schon als solches eine Form des Öko-Kolonialismus, so waren wohl zusätzlich auch noch reine Schummelzertifikate dabei - schrieb die Gießener Allgemeine am 23.4.2024.

Weitere Tricks
Das Land Hessen hat seine Einrichtungen angewiesen, die Emissionen aus dem Pendler*innenverkehr bei der CO2-Bilanz nicht mitzurechnen. In Gießen gilt das folglich für die großen Landesdienststellen (Polizei und Bezirksregierung mit all ihren Teilen) und für die beiden großen Hochschulen. Die Stadt Gießen wird's freuen - wieder einiges CO2 weggerechnet, ohne etwas dafür verändert zu haben.

Und versagt auch in anderen Bereichen ...

Desaster Autoverkehr - 2035 selbst mit dreckigen Tricks kaum zu schaffen
Gießen ist eine Autostadt. Der Versuch, das durch mutige Einrichtung von Fahrradstraßen zu ändern, scheiterte 2023 krachend - seitdem werden Fahrradstraßen sogar wieder abgerissen, um alles für die Autos zu tun.
In einer Veranstaltung der Uni wurde berichtet, dass die Landesregierung die Hochschulen angewiesen hätte, den Pendler*innenverkehr von Studierenden und Angestellten nicht in die CO2-Bilanzen einzuberechnen. So geht es natürlich auch ...

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