Hierarchnie

ANARCHIE UND MORAL: DAS GUTE AUS DEM TRANSZENDENTEN "OFF"

Libertär und brav: Der anarchistischer Knigge


1. Was ist Moral und wozu dient sie?
2. Die Moralen der AnarchistInnen und Gutmenschen
3. Libertär und brav: Der anarchistischer Knigge
4. Anarchistischer Gedankenbrei: Religion - nein! Höhere Werte - ja, doch ...?
5. Links

Aus Darwin Dante (1993): "5-Stunden sind genug", Manneck Mainhatten Verlag in Frankfurt
Der friedliche Weg zur Kooperation zum wechselseitigen Vorteil aller Beteiligten, den wir auch den neuen synthetischen Intelligenzen weisen können, kann also nur über die Treue, Hilfsbereitschaft und Liebe der Menschen zueinander führen.

Von der Akzeptanz höherer Werte und Moral zum Verhaltenskodex im Anarchismus ist es nicht weit. In beiden Fällen stehen nicht die Menschen und ihre freien Vereinbarungen im Mittelpunkt, sondern externe Quellen, aus denen sich Vorgaben für das Leben der Einzelnen und die gesellschaftliche Organisierung speisen.

Im Original: Verhaltensregeln für Anarch@s
Wie Menschen leben müssen
Kritik am Menschenbild vieler Anarch@s in: Stowasser, Horst (2007): "Anarchie!", Nautilus in Hamburg (S. 483 ff., gesamtes Kapitel als .rtf)
Wer Anarchie daher als eine ethische Glaubensgemeinschaft versteht, verwechselt ganz einfach die Mosaiksteinchen, aus denen sich eine anarchische Gesellschaft zusammensetzt, mit dem Gesamtmosaik. In jedem 'Steinchen' schließen sich Menschen nach ihren Neigungen und Bedürfnissen zusammen. Dabei dürfen sie so anspruchsvoll oder anspruchslos sein, wie ihnen beliebt: die saft- und kraftlose Zweckgruppe oder die hoch motivierte Glaubensgemeinschaft nichtrauchender, friedensbewegter, antipatriarchaler und sitzpinkelnder VeganerInnen - alles ist denkbar. Die Interaktion zwischen den Mosaiksteinchen geschieht durch Beispiel, Erfahrung und Überzeugungskraft, nicht durch Zwang. Sobald aber rauchende und nichtrauchende, stehpinkelnde und sitzpinkelnde, fleischessende und pflanzenessende, schrille und fade, aggressive und pazifistische, rationale und esoterische, laute und leise, epikuräische und asketische, individualistische und kollektivistische Menschen gegenseitig voneinander verlangen, so und nicht anders zu leben, weil es so und nicht anders 'richtig' sei, kann eine anarchische Gesellschaft nicht funktionieren. Solche Menschen haben das Wesen der Anarchie nicht begriffen, und selbstverständlich brauchten sie überhaupt keine libertäre Struktur. Zur Durchsetzung einer kollektiven Ethik sind Philosophie und Struktur des Staates viel besser geeignet. ...
Der Disput um das richtige, konsequente und ultimativ-korrekte Verhalten scheint manche Anarchas und Anarchos pausenlos zu beschäftigen; es beherrscht überregionale Treffen und füllt die Spalten vieler Szeneblätter und Chatrooms. Das geht von Ernährungsgewohnheiten über Sexualpräferenzen, Kosmetika, Urinierverhalten und Kleiderordnung bis zur jeweils gängigen Szene-Sprache. Die völlig legitime Suche nach einer eigenen Identität verselbstständigt sich dabei bisweilen und gerät leider nur allzuoft zu einem Spießertum mit umgekehrtem Vorzeichen, das von außen betrachtet befremdend wirkt, wenn nicht lächerlich. Auch in der Anarchoszene gibt es ein ritualisiertes "Das tut man aber nicht!" - nur wird es anders ausgedrückt ...


Spießigen Verhaltensvorschriften steht in anderen, mitunter sogar gleichen Kreisen eine bemerkenswerte Ignoranz für die Folgen des eigenen Verhaltens gegenüber.

Aus Bookchin, Murray (1992): "Die Neugestaltung der Gesellschaft", Trotzdem-Verlag in Grafenau (S. 138, mehr Auszüge)
Dieses Gefühl der Verheißung war rein materialistisch. Die Ablehnung materieller Güter durch die Gegenkultur stand nicht im Widerspruch zum eigenen Besitz von Stereoanlagen, Schallplatten, Fernsehgeräten, "bewußtseinserweiternden" pharmazeutischen Produkten, exotischen Kleidern und gleichermaßen exotischer Nahrung.

Bei näherer Betrachtung ähneln sich die beiden, in der Alltagspraxis so unterschiedlichen Ansätze. Sie verzichten nämlich auf eine politische, hinterfragende, permanent skeptische und abwägende Orientierung des eigenen Verhaltens. Die einen propagieren Moral und political correctness als Leitkultur des Handelns, die anderen sehen gar keinen Anlass, das eigene Verhalten kritisch zu durchleuchten. Beide entlasten vor allem ihren Kopf. Wer unkritisch durchs Leben tingelt, wie andere sich durch Internet klicken oder durch Fernsehprogramm zappen, ist ebenso weit entfernt von jeder Idee der Selbstbestimmung wie diejenigen, die sich einer einfachen, aber identitätsstiftenden Ideologie unterwerfen - und dabei, zwecks Wohlfühlens, tunlichst einen kritischen Blick auf das Konkrete und die Hintergründe vermeiden. So lassen sich die AnhängerInnen einfacher Lebensführungsideologien auch schnell irritieren. Erzählen Sie mal einem/r einge"fleisch"ten VeganerIn (blödes Wortspiel), dass ein containertes Würstchen keine Tiere tötet, die beim Discounter gekauften Erbsen aber schon. Warum? So absurd, wie es sich anhört, ist das gar nicht. Denn es kommt auf die Erzeugung von Nachfrage an. Ein Glas Würstchen, welches aus dem Müll gesammelt wird, erzeugt genau keine zusätzliche Nachfrage, während die Sache mit den Erbsen komplizierter ist. Erstens ist jeder Anbau auch von Pflanzen ein ständiger Verdrängungskampf gegen Tiere. Im konventionellen Landbau geschieht das mit Spritzmitteln, die Mäuse, Heuschrecken, Schmetterlings- und Käferlarven oder was auch immer auf unvorstellbar grausame Weise töten - und zwar massenweise. Aber auch im ökologischen Landbau gibt es Spritzmittel, mechanische Tötungsmethoden und vor allem die schlichte Tatsache, dass ein Erbsenfeld vielen Lebewesen den sonst möglichen Lebensraum nimmt. Zweitens stärkt jeder Einkauf die Wirtschaftskraft des Ladens und der gesamten Produktion zumindest dieser Ware. Laden und Produktionsabläufe dienen aber meist auch dem Absatz von Fleischwaren - und so kann der Kauf von Erbsen z.B. die Werbung für Tierprodukten finanzieren.
Das zu durchdenken, ist die Kunst des Reflektierens, Hinterfragens und skeptischen Beäugens dessen, was uns als einfache Welt so vorgegaukelt wird. Die wegen ihrer Einfachheit so attraktiven Denkvorgaben zu zerlegen und sich selbst zu üben sowie andere zu motivieren, Herrschaftsförmigkeiten zu durchschauen, wäre ein emanzipatorischer Anspruch - und nicht, mit eigenen Vereinfachungen um die denkfaulen Köpfe zu konkurrieren.

Der Kampf gegen den Egoismus
Viele AnarchistInnen bezeichnen, bürgerlichen Moralvorstellungen folgenden, den Egoismus als Quelle von Konkurrenz und Machtkämpfen.

Im Original: Hetze gegen Egoismus
Aus Fuchs, Christian (2001): „Soziale Selbstorganisation im informationsgesellschaftlichen Kapitalismus“, Selbstverlag (S. 207)
Der Anarchismus geht davon aus, daß diese Normen und Werte darin bestehen, daß die Menschen in einer anarchistischen Gesellschaft verantwortungsvoll, solidarisch und altruistisch handeln und daß sie die Eigennutzenmaximierung zu Gunsten der Berücksichtigung allgemeiner Interessen aufgeben. Durch eine Sozialisierung in einem gesellschaftlichen System, das auf Werten wie Kooperation, Solidarität und Altruismus an Stelle von Konkurrenz, Eigennutzenmaximierung und Egoismus basiert, sei dies sehr wohl möglich.

Aus Bookchin, Murray (1992): "Die Neugestaltung der Gesellschaft", Trotzdem-Verlag in Grafenau (S. 144, mehr Auszüge)
Für die anarchistischen Theoretiker sollte das Individuum die Freiheit haben, sich als ethisches Wesen - und nicht als engstirniger Egoist - zu betätigen, um eine rationale, hoffentlich uneigennützige Wahl zwischen rationalen und irrationalen Alternativen in der Geschichte zu treffen.

Kritik an dieser Konstruktion vermeintlich höherer Werte, dem Gegensatz von Eigennutz und Gemeinnutz und moralischer Vorgaben für das eigene Verhalten ist selten. Kommt sie aus der Ecke reiner IndividualanarchistInnen, so ist sie oftmals nicht mit einer Antwort auf die Frage verbunden, wie sich die voneinander losgelöst gedachten Individuen denn ohne verhaltensleitende Moral verständigen, wie sie Kooperationen finden, gesellschaftlichen Ressourcen nutzen, erneuern und erweitern. Der wichtige Hinweis, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen darüber entscheiden, wie sich Egoismus auf andere Menschen auswirkt - konkurrierend oder fördernd -, ist nur selten zu finden. Aber es gibt ihn.

Im Original: Keine Moral über den Menschen
Aus Mühsam, Erich (1933): "Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat", Nachdruck bei Syndikat A und im Internet
Sicher ist indessen, daß von allen auf gesellschaftliches Zusammenwirken angewiesenen Geschöpfen allein der Mensch den Kampf planvoll auf die eigene Art ausgedehnt hat, und zwar nicht, wie das bei manchen Tieren und bei den Kannibalen geschieht, um Ernährungsschwierigkeiten zu beheben, sondern um ungleiches Recht in derselben Gattung zu schaffen und dadurch Machtgelüste zu befriedigen. Gegenseitige Hilfe ist ebenso Bestandteil der Gleichberechtigung, wie soziale Ungleichheit jede Gegenseitigkeitsbeziehung unmöglich macht.


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