Ende Gelände

IMPRESSIONEN GEGEN DEN KNAST

Teil 1: Knastanfang und -alltag


1. Teil 1: Knastanfang und -alltag
2. Teil 2: Zahlen
3. Teil 3: Die Regeln des Gefängnisses
4. Teil 4: Knast-Logiken
5. Teil 5: Innere Disziplinierung
6. Teil 6: Steigerungen
7. Teil 7: Wem dienen Knast und Strafe?
8. Teil 8: Die Folgen des Strafvollzugs

Aus Eppendorfer, Hans (1981): "Barmbeker Kuß ", Rororo in Reinbek (S. 5 und 8)
Wenn du als Besucher in den Knast kommst, siehst du das Geländer, du siehst die Gänge, du siehst die metallenen Türen, du siehst die Spione in der Tür, du siehst die Flaggen, du siehst die Etagenbetten. Toilette und Schemel und Tisch. Du siehst das mit dem herrlichen Gefühl: ich kann ja wieder raus. Eine Art Museum für dich. Da ist keine Metalltür, da ist kein Gitter davor, das dich hindert, wieder zurück an diese Sonne zu kommen, zurück in diesen Regentag oder was auch immer. Deine Freiheit ist hinter dir nicht zugeschlagen.
Wenn du da reinkommst als Gefangener, wie ich für zehn Jahre, gibst du deine Persönlichkeit stückweise ab. Unten in der Kammer.
Erst gehst du durch die Gänge, da schlagen schon die Türen hinter dir zu. Riesige Schlüssel bewegen sich in den Schlössern. Dieses fürchterliche Schlüsselgeräusch. Du hast vielleicht einen kleinen Sicherheitsschlüssel von deiner Wohnung in der Tasche. Aber das da sind alles gigantische, monumentale Schlüssel. Und dann kommst du die Stufen hoch, die Flure entlang. Von Gang zu Gang. Gittertür dazwischen. Aufschließen. Zuschluß. Dabei wirst du von einem Beamten zum nächsten weitergereicht. Bist nicht im Museum - das ist deine neue Wirklichkeit. Du kommst unten in der Kammer an - als Paket, und wirst ausgepackt und dann wieder neu eingepackt. Umfrisiert, umgestellt.
Deine Weichen werden gegen deinen Willen eingestellt. Das merkst du mit jedem Wäschestück, das du dem Kammerbullen gibst, eines nach dem anderen, bis du ganz nackt dastehst und überhaupt nichts mehr hast außer deinem Körper, deiner Haut und deiner Angst.
Du mußt dich auf eine Decke stellen, Wolldecke zwei mal zwei Meter. Du hast nun deine Privatkleidung auf dieser Decke abzulegen. Dann von dieser Decke auf eine zweite Decke, die etwas kleiner ist.
Deine Zivil-, deine Privatklamotten, die du aus der Freiheit mitgebracht hast, werden nun zusammengerafft zu einem Bündel und weggetragen. Du stehst nun auf der zweiten Decke, vor diesen fürchterlichen Anstaltsklamotten, nackt und ungeheuer allein. In diesem Moment hast du im Grunde genommen deine ganze Eigenständigkeit, dein Privatleben abgegeben. Total abgegeben. Es ist nur noch die Hülle da. Dieses Gefühl ist irritierend. Wie eine Languste, die aus ihrer Haut rauskriecht und in eine neue hineinschlüpft. Reinschlüpfen muß. Bist benommen von dieser Entstofflichung, daß dir eigentlich überhaupt nichts mehr bleibt. Nicht einmal eine Nagelfeile, nicht einmal der altvertraute Kugelschreiber. Nichts. Nichts. Einfach nichts.
Alles, was du besitzt, bist du selbst.


Alternative oder zweiter Text:
Aus "Etwas läuft grundsätzlich schief", in: FR, 21.11.2006 (S. 10)
Die Besucher hatten nichts Gutes im Sinn. Drei schwere Jungs nutzten den Umschluss und begaben sich im Jugendhaus des Kölner Gefängnisses auf die Zelle eines Mithäftlings. Zwei der ungebetenen Gästen standen Schmiere, der Dritte nahm sich den Zellenbewohner vor und vergewaltigte ihn. Die Szene wiederholte sich - an drei verschiedenen Tagen. Erst dann traute sich das eingeschüchterte Opfer einer Beamtin zu melden, was ihm da angetan worden war. Ähnliches geschah vor wenigen Tagen in der Düsseldorfer Justizvollzugsanstalt. Ein junger Straftäter missbrauchte dort seinen 19-jährigen Zellennachbarn. Im Klever Gefängnis wurde kürzlich erst eine Aufseherin mit dem Messer bedroht und stundenlang als Geisel festgehalten. Zwei Jugendliche schlugen vor noch gar nicht langer Zeit im Knast von Hövelhof einen Aufseher nieder. Während sich in der Haftanstalt von Werl vor einer Woche ein Häftling umbrachte - der zwölfte Selbstmord seit Anfang des Jahres in einem nordrhein-westfälischen Gefängnis.
Alltag hinter Gittern. Klaus Jünschke kennt viele solcher schlimmen Geschichten. ... Der Mord an einem 20-Jährigen im Siegbürger Gefängnis, den drei Mithäftlinge zwölf Stunden unbemerkt vom Personal misshandelten und anschließend töteten, hat ihn nicht überrascht. "Für alle, die mit wachen Augen beobachten, was im Strafvollzug läuft, lag eine solche Tat sozusagen in der Luft." Denn Vergewaltigungen, schwerste Schlägereien, Abzockerei, dies alles gehört zum Haftalltag. ...
Von den 7000 jungen Menschen, die bundesweit einsitzen, sind 95 Prozent junge Männer. "Das heißt, Kriminalität ist ein Männerphänomen. Es gibt aber so gut wie keine jungenorienteirte Pädadogik hinter Gefängnismauern, die sich mit den Männlichkeitsentwürfen dieser Jugendlichen befasst", sagt Jünschke. stattdessen werden die Jugendlichen, wie in Siegburg, in Haftanstalten verwahrt, die noch im Kaiserreich erbaut wurden. ...
Aber auch andere Vorwürfe werden seither laut. So von dem Siegburger Gefängnispfarrer Rudolf Hebeler, der kritisiert, dass die Jugendlichen an Wochenenden "in ihren Subkulturen allein gelassen" würden. Es reiche nicht, sie "wie Zootiere zu verwahren". ...
Rassismus und Sexismus, das erlebt Jünschke tagtäglich, nimmt in den Haftanstalten zu. ...
... Umfrage von Joachim Walter ... Leiter der Vollzugsanstalt Adelsheim. Der hatte kürzlich in einer Erhebung nachgewiesen, dass nur jeder vierte der in seinem Baden-Württembergischen Gefängnis einsitzenden Jugendlichen ein Tötungsdelikt, eine schwere Körperverletzung oder eine Straftat begangen hatte, bei der ein Schaden von über 2500 Euro angerichtet wurde. ...
... in Siegburg wird den Insassen am Wochenende morgens mit dem Frühstück das Abendessen in Plastiktüten gleich mitgereicht. Danach ist Zapfenstreich. Für 18 lange, lange Stunden. "Da sitzen die dann, nicht mal jeder hat einen Fernsehapparat oder ein Radio", weiß Jünschke. "Wir kacken ab", beschreiben die Jugendlichen den Zustand. Was dazu führt, dass Jünschke, wenn er denn den persönlichen Zustand zu einem Jugendlichen findet, "nicht mehr mit Gefährlichkeit im Knast konfrontiert ist, sondern mit Elend hinter Gittern".


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