Ende Gelände

VERTEIDIGUNG: ANWÄLT*NNEN, SELBSTVERTEIDIGUNG ODER LAIE ALS RECHTSBEISTAND

Pflichtverteidigung


1. Wann sind Anwält*innen sinnvoll, nötig, möglich?
2. Das Problem mit den Gerichtsnormen
3. Vertraulichkeit
4. Pflichtverteidigung
5. Laienverteidigung: Ohne Anwaltszulassung im Prozess
6. Links

StPO § 140
(1) Die Mitwirkung eines Verteidigers ist notwendig, wenn
1. die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet;
2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
3. das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
4. (weggefallen)
5. der Beschuldigte sich mindestens drei Monate auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird;
6. zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
7. ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
8. der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist.
(2) In anderen Fällen bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, daß sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann - namentlich, weil dem Verletzten nach den §§ 397a und 406g Abs. 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Dem Antrag eines hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten ist zu entsprechen.
(3) Die Bestellung eines Verteidigers nach Absatz 1 Nr. 5 kann aufgehoben werden, wenn der Beschuldigte mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung aus der Anstalt entlassen wird. Die Bestellung des Verteidigers nach § 117 Abs. 4 bleibt unter den in Absatz 1 Nr. 5 bezeichneten Voraussetzungen für das weitere Verfahren wirksam, wenn nicht ein anderer Verteidiger bestellt wird.

Irrtum: Wer sich keinen Strafverteidiger leisten kann, bekommt, einen Pflichtverteidiger.
Richtig ist: Ob einem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger gestellt wird oder nicht, hängt nicht davon ab, ob er sich einen Wahlverteidiger leisten könnte.

Vielfach wird angenommen, dass jeder Beschuldigte in einem Strafverfahren einen Pflichtverteidiger gestellt bekommt, wenn er kein Geld für einen eigenen Anwalt hat. Diese Vermutung ist gleich in zweierlei Hinsicht falsch:
Zum Ersten ist es völlig gleichgültig, ob ein Beschuldigter sich einen Verteidiger leisten kann oder nicht. Auch Multimillionäre erhalten einen Pflichtverteidiger, wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - selbst keinen Anwalt beauftragen und ein Fall der so genannten notwendigen Verteidigung vorliegt.
Umgekehrt haben selbst vollkommen mittellose Beschuldigte nur dann Anspruch auf einen Pflichtverteidiger, wenn ein Fall der „notwendigen Verteidigung“ gegeben ist.
Eine "notwendige Verteidigung" liegt zum Beispiel vor, wenn dem Beschuldigten nicht nur ein Vergehen, sondern ein härter zu bestrafendes Verbrechen vorgeworfen wird. Auch wenn wegen der Tat ein Berufsverbot auf dem Spiel steht oder der Beschuldigte zur Begutachtung in der Psychiatrie untergebracht werden soll, muss ein Pflichtverteidiger bestellt werden. ln anderen Fällen, in denen der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann, steht es im Ermessen des Gerichts, ob ein Pflichtverteidiger bestellt wird oder nicht.
Einen Pflichtverteidiger bekommt also nicht derjenige, der sich keinen Verteidiger nach seiner Wahl leisten kann, sondern derjenige, der ihn wirklich braucht, weil für ihn im Strafverfahren eine Menge auf dem Spiel steht. Wer zum ersten Mal in seinem Leben wegen wiederholter Beförderungserschleichung angeklagt wird, braucht sich deshalb in aller Regel keine Hoffnung auf einen kostenlosen Pflichtverteidiger machen - auch wenn er noch so verarmt ist.

Bei Interesse siehe hierzu:
  • § 140 StPO (Strafprozessordnung), "Notwendige Verteidigung"
  • § 141 StPO, "Bestellung eines Verteidigers“

Beispiel eines Antrages auf Beiordnung
Gestellt im Strafprozess wegen der Feldbefreiung 2006 beim Versuch mit transgener Gerste in Gießen:

Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers

Sehr geehrte Damen und Herren,
für den bevorstehenden Prozess beantrage ich die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Ich beziehe mich dabei auf den § 140, Abs. 2 der StPO, in der es heißt, dass ein Verteidiger zu beizuordnen und zu bestellen ist , „wenn wegen ... der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann“.
Der bevorstehende Strafprozess betrifft das strafprozessoral weitgehend unbehandelte und unbekannte Rechtsthema der Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Fragen. Hierbei wird zu prüfen sein, wieweit solche Freilandausbringung überhaupt bzw. der konkrete Versuch geltendem Recht entsprochen hat. Die dadurch aufgeworfenen Fragen berühren hessisches Landesrecht, Bundesgesetze und –verordnungen sowie EU-Recht. Es ist daher ersichtlich, dass die Sach- und Rechtslage schwierig ist. Eine Beiordnung eines Rechtsanwaltes ist daher notwendig.
Mit freundlichen Grüßen


Gestellt im Strafprozess wegen Körperverletzung, Widerstand ... 2007 in Berlin:

... für den bevorstehenden Prozess beantrage ich die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Ich beziehe mich dabei auf den § 140, Abs. 2 der StPO, in der es heißt, dass ein Verteidiger zu beizuordnen und zu bestellen ist, "wenn wegen ... der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann".
Der bevorstehende Strafprozess betrifft das strafprozessoral weitgehend unbehandelte, aber allgegenwärtige Problem der Falschbelastung von Opfern von Polizeigewalt. Es ist - auch in aktuellen Medienberichten - bekannt, dass PolizeibeamtInnen ihre Opfer mit abenteuerlichen Beschuldigungen belasten, wenn sie selbst gewalttätig geworden sind. Ein Nachweis der Straftaten von PolizeibeamtInnen ist bereits schwierig. Noch schwieriger ist der Nachweis der bewussten Falschbelastung - immerhin ja eine weitere strafbare Handlung. Zu erwarten sind zudem etliche Falschaussagen vor Gericht, auch von als ZeugInnen im weiteren Verlauf geladenen zusätzlichen BeamtInnen.
Verkompliziert wird die Lage durch die Neigung der Staatsanwaltschaft, nicht an der Aufklärung von Polizei-Straftaten interessiert zu sein, und die bekannte Neigung der meisten RichterInnen, einseitig PolizeibeamtInnen mehr Glauben zu schenken als anderen Personen. Hier kommen auch noch die rechtlichen Fragen von Befangenheit ins Spiel.
Es ist daher ersichtlich, dass die Sach- und Rechtslage schwierig ist. Eine Beiordnung eines Rechtsanwaltes ist daher notwendig.
Mit freundlichen Grüßen


Anspruch auf Pflichtverteidigung?
Das Bundesverfassungsgericht hat zur Frage von Prozesskostenhilfe Festlegungen getroffen, die auch auf die Frage von Pflichtverteidigung anwendbar sein könnten - nämlich zu komplizierten und vor allem bislang ungeklärten Rechtsfragen.

Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Folterdrohung und Prügel (BVerfG, 1 BvR 1807/07 vom 19.2.2008)
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl.BVerfGE 9, 124 (130 f.) ; stRspr). ... Auslegung und Anwendung der §§ 114 f. ZPO obliegen dabei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Verfassungsrecht wird jedoch dann verletzt, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen. Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. ...
Zwar muss Prozesskostenhilfe nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die Ablehnung der Gewährung kann ungeachtet des Fehlens einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf Auslegungshilfen, die von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellt werden, ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (vgl.BVerfGE 81, 347 (359) ). Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus, so ist es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen fehlender Erfolgsaussichten ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (vgl.BVerfGE 81, 347 (359) ). Ansonsten würde der unbemittelten Partei im Gegensatz zu der bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 10. August 2001 - 2 BvR 569/01 -, DVBl 2001, S. 1748 (1750); Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2006 - 2 BvR 626/06 -, NVwZ 2006, S. 1156 (1157)).


  • Beiordnung einer Pflichtverteidigung per Beschluss eines OLG nach entsprechender Beschwerde - mit Begründungen

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