Ende Gelände

FREISLERS ERBEN WÜTEN WEITER: TRADITIONSLINIEN DER POLITISCHEN JUSTIZ IN DEUTSCHLAND

Sonderjustiz gegen "Terroristen"


1. Die Politische Justiz in den aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen
2. Traditionslinien der Politischen Justiz
3. Sonderjustiz gegen "Terroristen"
4. "Anti-Terror-Kampf gegen die legale radikale Linke
5. Fazit
6. Literatur
7. Links

Protest ist, wenn ich sage, das und das paßt mir nicht.
Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht.
Protest ist, wenn ich sage, ich mache nicht mehr mit.
Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß alle andern auch nicht mehr mitmachen.

Aus Ulrike Meinhof "Vom Protest zum Widerstand", in: konkret 5/1968, S. 5 (Quelle). Der Satz ist allerdings nicht von ihr, sondern, wie sie im zitierten Artikel schreibt, von einem "Schwarzen der Black-Power-Bewegung auf der Vietnamkonferenz (...) in Berlin".

Die erste große Wirtschaftskrise nach dem 2. Weltkrieg beendete 1966/67 den "kurzen Traum der immerwährenden Prosperität“, die Erfahrung von Massenarbeitslosigkeit verband sich mit der Realisierung von Risiken (Atomkrieg, später Atomenergie und Gentechnologie) und führte zu Angst und Verunsicherung, aber auch zu neuen Formen des Widerstands. In diesen neuen Formen, die sich nicht mehr in die quasi-militärischen Organisations- und Aktionswciscn dcr traditionellen Arbeiterbewegung (vor allem der alten KPD)

pressen ließen (antiautoritäre StudentInnenbewegung, wilde Streiks), sahen die HERRschenden eine unkalkulierbare Gefahr, der sie mit neuen, "moderneren" Repressionsmitteln entgegentreten wollten. Der Staat setzte auf "Sicherheit" und baute den präventiven Sicherheitsstaat auf. Der Sicherheitsstaat entstand nicht, wie die staatliche Propagandamaschine glauben machen will, als Reaktion auf den sog. "Terrorismus", sondern wurde in seinen Kernen bereits längst vorher als Maßnahme gegen die erwartete Zunahme sozialer Widersprüche geschaffen.

a.) Der Aufbau der Sonderjustiz des präventiven Sicherheitsstaates
Nachdem die Alliierten als Konsequenz aus der NS-Mordjustiz den Deutschen die Einrichtung von Sondergerichten verboten hatten, begann der Aufbau der Sonderjustiz in den 50er Jahren im Zuge der KommunistInnenverfolgung (s.o.) Die Pläne für einen umfassenden präventiven Sicherheitsapparat datieren aus den 60er Jahren.

Als Organe einer politischen Sonderjustiz wurden die Generalbundesanwaltschaft, der 3. Strafsenat des BGH und die Staatsschutz-Senate der Oberlandesgerichte eingerichtet. Die Staatsschutz-Senate bestehen aus jeweils 5 Berufsrichterlnnen, ohne LaienrichterInnen, mit dem selbsterklärten Ziel, dort nur eine "auserlesene Richterschaft“ wirken zu lassen. Staatsschutzrichterlrinen müssen "in besonderem Maße sich durch Staatstreue, bedingungslose Unterwürfigkeit unter die Staatsinteressen auszeichnen", so der damalige Vertreter des Bundesjustizministeriums Eberhard Rotberg. Deshalb wurden zu Präsidenten des 3. (Staatsschutz-)Senats des BGH auch "qualifizierte" Nazi-Juristen: Baldus, Rotberg, Kanter, Jagusch.

Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre lag auch der Beginn der Debatte um die Notstandsgesetze. 1959 meinte BVG-Vizepräsident Katz: Vch bin mir nicht sicher, ob ein totaler Metallarbeiterstreik von vier Monaten, wie ihn die Vereinigten Staaten jetzt durchgemacht haben ... von Deutschland als einein Export- und Industrieland ohne Kriegszustand verdaut werden könnte..." und im Jahr darauf forderte Forsthoff (Carl-Schmitt-Schüler und der führende deutsche Staatsrechtler) den Ausnahmezustand für den Fall, daß die "Wohlstandsentwicklung unterbrochen (wird) und durch das Abfallen des Sozialprodukts das System der Umverteilungen nicht mehr funktionierl".

b.) Die Revolte von "68"
Im muffig-autoritären Adenauerstaat machten die alten Nazis ungestört Karriere. Der Kommentator der Rassegesetze Globke war Staatssekretär im Kanzleramt, NS-Richter Filbinger wurde Ministerpräsident, 1964 waren mehr als 2/3 der Richter bereits im "3. Reich" Richter.

Als dann zunehmend mehr Menschen, vor allem an den Hochschulen, ihren Protest artikulierten gegen die Symbiose aus Sich-Sonnen in den Resultaten des "Wirtschaftswunders" und Gras-Wachsen-Lassen über die Vergangenheit, reagierten die Staatsapparate mit Brutalität.

Am 2. Juni 1967 erschoß während der Demonstration gegen den Schah-Besuch in Berlin der Polizeiobermeister Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg. Daraufhin dankte der sozialdemokratische Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz der Polizei für ihr "besonnenes Vorgehen" und selbstverständlich sprachen die Gerichte den Mörder Kurras selbst vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Auf diese Weise erhielt jeder Bulle eine gerichtliche "license to kill" auch gegenüber unbewaffneten linken Oppositionellen.

Nach dem Mord an Ohnesorg wurde die Protestbewegung breiter und die Bereitschaft, sich auch mit illegalen Mitteln 711 engagieren, nahm zu. Der Staat reagierte zweigleisig: einerseits wurden einige kapitalkonforme Modernisierungen vorgenommen, die auch Teilen der nichtprivilegierten Bevölkerung zugute kamen (wie z.B. die Öffnung der Hochschulen), andererseits wurde der Repressionsapparat aufgerüstet und effektiviert. Beides führte dazu, daß auch die APO sich spaltete: ein Teil versuchte den "Marsch durch die Institutionen" und schien damit als LehrerInnen, SozialarbeiterInnen usw. dem BRD-Imperialismus ein "menschlicheres Antlitz" zu geben (viele haben dieses "Angebot“ des Staates gerne angenommen), ein anderer Teil zersplitterte in immer kleinere Gruppen, von denen einige dann den bewaffneten Kampf gegen das System aufnahmen. Für den darauffolgenden Verfolgungswahnsinn der HERRschenden steht "Stammheim" bis heute als das Symbol eines postfaschistisehen Staatsterrorismus.

c.) Stammheim - ein Prozeß als Bürgerkrieg
In den Stammheimer Verfahren gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe wurde ein gigantomanischer "sicherheits"perfektionistischer Schauprozeß abgezogen, in dem "rechtsstaatliche" Mindeststandards keine Rolle mehr spielten. Um allgemeine Angst und ein Klima der Vorverurteilung zu schaffen, wurde das Prozeßumfeld quasi militarisiert: der Prozeß selbst fand in einem euphemistisch "Mehrzweckhalle" genannten, bombensicheren Bunker statt, der mit Mauer und Stacheldraht umgeben war; ringsherum kontrollierten Bullen mit Maschinenpistolen, auf den Dächern Scharfschützen, in den Straßen Panzerspähwagen und darüber Kampfhubschrauber; wer eingelassenen werden wollte und nicht zum staatlichen Repressionsapparat gehörte, mußte sich erniedrigende Visitationen gefallen lassen, sogar Binden und Verbände wurden abgenommen.

Bereits in der Untersuchungshaft wurden die Gefangenen einer Isolation in abgelegenen Zellen unterworfen, dazu kamen der Ausschluß von allen Gemeinschaftsaktivitäten, nächtliche Beleuchtung, tägliche Zellendurchsuchungen und Leibesvisitationen. Eine Einheitsfront von Regierung, Justiz und Presse vollzog eine Kriminalisierungskampagne gegenüber den Anwältlnnen: Strafanzeigen der medial als "Terroristenhelfer" Angegriffenen wurden von der Justiz eingestellt, der Presse wurden von GBA/BKA-Seite ständig hetzerische Falschinformationen lanciert, die jene begierig aufgriff und deren Nachprüfung durch Geheimhaltungsverfügungen verunmöglicht wurde.

Der erste Verteidigerausschluß wurde gegen Otto Schily versucht, weil dieser angeblich Nachrichten von Gudrun Ensslin herausgeschmuggelt hätte. Der Vorwurf konnte zwar nie bewiesen werden, aber dem BGH reichten Wie in erheblichem Umfang gleichgerichteten Interessen .... die Beschuldigten und Verteidiger verbinden ... ", um die Anfechtung gegen den Ausschluß niederzuschlagen. Die Nichtbestätigung des Willkürurteils durch das Bundesverfassungsgericht nahm die Regierung zum Anlaß für eine Änderung der Strafprozeßordnung, die den Ausschluß von Anwältlnnen sehr erleichterte (s.u.).

Es folgten Haussuchungen bei Anwälten, um Akten "sicherzustellen", Abhöraktionen in Anwaltspraxen, Kontrollen der Verteidigerpost und das erste Verfahren gegen Klaus Croissant, dessen Mandantin Carmen Roll - angeblich um ihre Fingerabdrücke abzunehmen - mit Äther zwangsnarkotisiert wurde. Daraufhin erstattete Croissant Anzeige u.a. wegen versuchten Mordes (die Lebensgefährlichkeit einer Zwangsnarkotisierung mit Äther ist evident) und verglich das Verfahren mit Gestapo-Methoden, was die Justiz veranlasste zwar seine Anzeige niederzuschlagen, nicht aber die gegen ihn wegen "Beleidigung".

Allgemein wurde verlautbart, die AnwältInnen der Gefangenen aus der RAF "mißbrauchten" das Strafverfahrensrecht, während die es tatsächlich im Interesse ihrer MandantInnen ausschöpfen wollten, wohingegen Richter und Staatsanwalt es ständig brachen. Um die Verteidigung der Gefangenen aus der RAF weiter zu verunmöglichen, wurde das Strafverfahrensrecht geändert - die sog. 1ex RAF" -, wie auch der Vorsitzende des Bundestagsrechtsausschusses Carl Otto Lenz (CDU/CSU) bestätigt: „Nur um die Bekämpfung dieser Anwälte handelt es sich hier". Der Bundestag beschließt am 18. Dezember 1974: u.a. die Möglichkeit, VerteidigerInnen schon aufgrund irgendeines "Verdachts" auszuschließen; Beschränkung auf 3 WahlverteidigerInnen pro Angeklagte, Verbot der Mehrfachverteidigung. Das Verbot der Mehrfachverteidigung wurde so extensiv gehandhabt, daß, wer einmal eine Gefangene aus der RAF verteidigte, oft nach Jahren noch von der Verteidigung einer anderen ausgeschlossen wurde.

Die als erste ausgeschlossenen Anwälte Croissant, Groenewold und Ströbele waren die engagiertesten und am besten in die Materie eingearbeiteten; das wußten GBA und BKA und zeigt ihr wirkliches Ziel: die Verteidigung zu zerschlagen. Eine sinnvolle Verteidigung galt der Justiz als Maßnahme, 'Ven organisatorischen Zusammenhang der Gruppe zu erhalten" und damit als Kampf „gegen die bestehende grundgesetzlich geschützte Ordnung".

Am 9. November 1974 war Holger Meins nach einer systematisch unzureichenden (zuletzt täglich nur 400 Kalorien) und unnötig schmerzhaft durchgeführten Zwangsernährung gestorben. Als Meins starb, war der Anstaltsarzt für zwei Tage "verreist", ein Vertrauensarzt wurde selbst noch am 9. November "aus Sicherheitsgründen" nicht vorgelassen. Der Gefangene hatte es vorausgesehen: "Für den Fall, daß ich in der Haft vom Leben in den Tod komme, war's Mord - gleich was die Schweine behaupten werden. Nie werde ich mich selbst töten, nie werde ich ihnen einen Vorwand geben, ich bin kein Provo und kein Abenteurer, wenns heißt - und dafür gibt's Anzeichen - 'Selbstmord', 'schwere Krankheit’, 'Notwehr’, 'auf der Flucht’ - glaubt die Lügen der Mörder nicht."

Aber der Tod von Holger Meins war für die Justiz kein Anlaß, die den Tatbestand der Folter erfüllenden Haftbedingungen zu ändern, denn die Gefangenen wurden als fortbestehende "kriminelle Vereinigung" angesehen, weil sie weiterhin "Straftaten" begingen, wie z.B. "ihrer Gesinnung treu" zu bleiben oder in den Hungerstreik zu treten. Von seiten der Politiker wurde die Vernichtungshaft verteidigt. So äußerte Innenminister Genscher 1975 im Bundestag: 'Die Anarchisten haben sich mit ihren Taten außerhalb jeder denkbaren Form von Gesellschaft gestellt", weswegen sie auch verwirkt hätten, daß für sie die Menschenrechte gälten; und Kanzler Schmidt ergänzt in einer Regierungserklärung, wer sich "als Gewaltkriminelle selbst außerhalb der Spielregeln (stelle), die unser demokratischer Rechtsstaat setzt" müsse "härtestes Durchgreifen eines Staates, der sich ... nicht scheuen kann, selbst zu töten" erwarten.

Als sich der gesundheitliche Zustand der Gefangenen soweit verschlechtert hatte, daß niemand mehr vorspiegeln konnte, sie seien noch dauerhaft verhandlungsfähig, wurden sie vom Prozeß ausgeschlossen, dieser aber weitergeführt, weil sie angeblich ihre Verhandlungsunfähigkeit durch Hungerstreiks absichtlich selbst herbeigeführt hätten. Dabei hatten sogar die vom Gericht bestellten Sachverständigen erklärt, Hauptursache seien die Haftbedingungen. Den Widerspruch der Verteidigung lehnte das BGH mit folgender Begründung ab: Grund für die Verhandlungsunfähigkeit seien schon die Haftbedingungen, diese könnten aber wegen der "Gefährlichkeit der Angeklagten" nicht geändert werden. Diese Gefährlichkeit bestehe darin, daß die Angeklagten weiter zur RAF stünden, so daß also von einer "absichtlichen Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit“ ausgegangen werden müsse. In der Folgezeit wurde eine Thematisierung der Haftbedingungen gerichtlich verboten.

im Prozeß gab es weder Geständnisse, noch Tatspuren, noch ZeugInnenaussagen, nach denen sich konkrete Tatbeteiligungen der Angeklagten zweifelsfrei beweisen ließen, außer den Lügen des Denunzianten Müller, dem für seine Aussagen sogar ein Polizistenmord "geschenkt" wurde. Müller verwickelte sich in Widersprüche und verweigerte gegenüber Nachfragen der Verteidigung die Aussage; seine Aussagen (z.B. über die Befehlsübermittlung von den Gefangenen an die Illegalen, über die diktatorische Führungsrolle Baaders, über die "Anwälte-Connection") stimmten fast wörtlich mit den vorher schon kolportierten Staatsschutzlegenden überein.

Die nächste Tote der deutschen Terrorjustiz war Ulrike Meinhof, die am 9.5.1976 erhängt "aufgefunden" wird. Zwei Tage zuvor war sie von dem italienischen Anwalt Capelli besucht worden, der berichtete, sie hätte keinen lebensmüden Eindruck gemacht, vielmehr vehement die politischen Vorstellungen der Gruppe erläutert.

Das Internationale Komitee für die Verteidigung politischer Gefangener in Westeuropa erklärte nach medizinischen und kriminalistischen Untersuchungen: 'Die Ergebnisse der Untersuchungen legen vielmehr den Schluß nahe, daß Ulrike Meinhof tot war, als man sie aufhängte..." und mehrere unhabhängige medizinische Gutachten kamen zu dem Ergebnis, daß sie erwürgt wurde, bevor man sie aufhängte.

In dieser Zeit werden weitere Gesetzesverschärfungen beschlossen: 18. August 1976: Verabschiedung des § 129a ("terroristische Vereinigung"); U-Haft für "Terroristen", auch wenn weder Flucht- noch Verdunklungsgefahr besteht; Überwachung der Anwaltspost. Von all diesen neuen Möglichkeiten machte die politische Justiz sofort großzügig Gebrauch.

d.) Der "Deutsche Herbst" 1977
Nach dem Tod drei ihrer führenden Repräsentanten, Generalbundesanwalt Buback, Dresdner Bank-Chef Ponto und "Arbeitgeber-"präsident und Ex-SS-Offizier Schleyer sahen die HERRschenden den "Staatsnotstand" heraufgekommen. Es folgte ein faktischer Ausnahmezustand, in dem ein unkontrollierter "Krisenstab" unter Kanzler Schmidt mit diktatorischen Methoden regierte. Gegen die politischen Gefangenen wurde eine Kontaktsperre (auch gegenüber deren AnwältInnen) verhängt, gegenüber der Öffentlichkeit eine Nachrichtensperre, Lauschangriffe wurden auch gegenüber Unbeteiligten gestartet und überall begegnete frau/mann Straßensperren von mit Maschinenpistolen bewaffneten Bullen.

Alle diese verfassungswidrigen Maßnahmen wurden von den HERRschenden mit dem § 34 ("übergesetzlicher Notstand") begründet. Diesen Paragraphen bezeichnete sogar der profilierte sozialdemokratische Staatsrechtler Böckenförde als "offene Generalermächtigung", die noch über das Weimarer Ermächtigungsgesetz hinausgehe und Vie Auflösung der Integrität der rechtsstaatlichen Verfassung und die Preisgabe des Prinzips des Verfassungsstaates" bedeute, wohingegen Helmut Schmidt den "Notstand" für 'sehr wohl vertretbar" hielt.

Generalbundesanwalt Kurt Rebmann forderte im Herbst 1977: "Der Bundestag ändert unverzüglich Artikel 102 des Grundgesetzes, der da lautet: 'Die Todesstrafe ist abgeschafft. Statt dessen können nach Grundgesetzänderung solche Personen erschossen werden, die von Terroristen durch menschenerpresserische Geiselnahme befreit werden sollen. Durch höchstrichterlichen Spruch wird das Todesurteil gefällt. Keine Rechtsmittel möglich. "

Das Grundgesetz wurde nicht geändert, die Stammheimer Gefangenen haben dennoch den "deutschen Herbst“ nicht überlebt.

Am 18.9.1977 wurden die Leichen von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Stammheimer Hochsicherheitstrakt "gefunden" und der Öffentlichkeit der "Selbstmord" der Gefangenen propagiert. Dabei waren sie in diesen Tagen (wie fast 100 andere politische Gefangene) total isoliert: selbst von Radio, Fernsehen, Zeitungen und ihren eigenen AnwältInnen abgeschnitten. Die "Selbstmord-"these enthielt eine Fülle von Widersprüchen: u.a. kommt ein BKAGutachten zu dem unsinnigen Ergebnis, daß der Linkshänder Baader sich mit der rechten Hand aus 30-40 cm Entfernung in den Hinterkopf geschossen haben soll. Raspe war gerade erst in eine neue, umgebaute Zelle verlegt worden und Zellen haben selten eingebaute Revolver.

Der Staatssehutz versuchte seine Legende mit neuen Kampagnen zu untermauern: so soll Rechtsanwalt Müller die Waffen in präparierten Ordnern eingeschmuggelt haben (und sein Kollege Newerla Sprengstoff in der Unterhose), dabei mußten die Akten beim Eintritt nach Stammheim aus den normalen Ordnern in dünne Gefängnisordner umgeheftet werden. Alle, die jemals die Stammheimer Kontrollen über sich ergehen lassen mußten, sind sich einig, daß es unmöglich ist, auf diese Weise Knarren einzuschmuggeln. Und so "bezeugten" nur zwei "Kronzeugen" den Schmuggel, während 40 der kontrollierenden Bullen vor Gericht aussagten, so etwas sei bei ihren Kontrollen unmöglich. Es kommt vor Gerichten fast niemals vor, daß Polizeiaussagen kein Glauben geschenkt wird, aber hier war einer dieser seltenen Fälle: Müller und Newerla wurden verurteilt.

e.) "Anti-Terror-Kampf'
Im von den HERRschenden im Kampf gegen den sog. "Terrorismus" propagierten Staatsnotstand wurden immer mehr "rechtsstaatliche" Mindeststandards abgebaut, als "wehrhafte Demokratie", zeigte der imperialistische Staat der BRD sich nun ungeschminkt als Apparat einer willkürlichen Repression. Besondere "Verdienste" bei der Verfolgung (nicht nur) der bewaffneten Opposition erworben sich die respektiven Generalbundesanwälte, die immer - auch ohne alle Beweise - die Höchststrafen forderten, während sie gegenüber rechten Terroristen als "Einzeltätern" Nachsicht walten ließen. Die Kollaboration zwischen GBA und Nazi-Banden ging dabei sogar so weit, daß vor dem Verbot diverser Neo-Nazi-Gruppen diesen das anstehende Verbot lanciert wurde, so daß die Führer untertauchen und belastendes Material vernichtet werden konnte. Die Nachfolger Rebmanns unterscheiden sich von diesem nur in der Form, daß ihnen nicht bei jedem Fernsehinterview der Geifer aus den Mundwinkeln rinnt, nicht aber der Sache nach.

Die Unmöglichkeit, denen, die eine Straftat nicht begangen haben, diese zu beweisen, wurde mit der Einführung der "Kronzeugenregelung" glücklich überwunden. Schließlich sagen "Kronzeugen" erfahrungsgemäß immer das aus, was die Ermittlungsbehörden von ihnen erwarten, denn sie befinden sich, was die Zusage von Strafmilderung, Straffreiheit, "neuer Existenz" usw. angeht, vollständig in deren Hand. Wenn ex"Terroristen", wie Karl-Heinz Ruhland, Volker Speitel, Gerhard Müller oder jüngst die ostelbischen Stasi-Gäste bereit sind, das erwartete auszusagen, werden sie prompt von Staatsfeinden zu Staatsfreunden und haben alle Privilegien der Freundjustiz zu erwarten.

Wie es dagegen einem "Aussteiger" ergeht, der nicht bereit ist, zum gedungenen Denunzianten zu werden, zeigt das Beispiel Peter-Jürgen Boock, der zu 3x lebenslänglich + 15 Jahren (später "nur" zu lebenslänglich) verurteilt wurde, obwohl bei den ihm zur Last gelegten Morden an Ponto gar keine Beweise und an SS-Offizier Schleyer nur vage Hinweise auf Beihilfe vorlagen. Zum Boock-Prozeß erklärte selbst der biedere Sozialdemokrat Prof. Narr (FU Berlin): 'Bei der Befragung von Gutachtern der Verteidigerseite hat manchmal ein Hauch von Freislerscher Befragung in dein Stammheimer Gerichtssaal gelegen. "

Gegenüber den AnwältInnen der Angeklagten eröffnete der gesamte Staatsapparat eine maßlose Kampagne; sie wurden als "Terroristenverteidiger" verleumdet, ihre Rechte wurden beschnitten, sie wurden durchsucht und überwacht. Wo das zur Einschüchterung nicht ausreichte, wurden sie selber gerichtlich verfolgt. So wurden die Anwälte Arndt Müller und Armin Newerla ohne Beweise dafür verurteilt, Waffen und Sprengstoff in Stammheim eingeschmuggelt zu haben. Dieses Willkürurteil hatte auch die "angenehme" Nebenwirkung, die unhaltbare These vom "Selbstmord" der Stammheimer Gefangenen mit weiteren Lügen zu "fundieren".

Auch die "Offenkundigkeit" der Kollektivität der RAF ist eine ziemlich dürftige Staatsschutzlüge, sie geht zurück auf ein angeblich "zwangloses Gespräch" mit der schwer verletzten Angelika Speitel. In den Originalvernehmungsprotokollen der Bullen war nichts von einer solchen Aussage Speitels zu lesen und auch vor Gericht

hatten die vier Bullen des öfteren "Gedächtnislücken" bzw. verwickelten sich in Widersprüche. Nichtsdestotrotz werden bis heute immer noch Menschen aufgrund dieser Erfindung verurteilt.

Aktuell häufen sich wieder Verfahren, die, gestützt auf die Aussagen von ehemaligen RAF-Mitgliedern, die vor der Annexion der DDR unter Stasi-Obhut ihr Leben fristeten, von der GBA mit dem Ziel geführt werden, bereits zu langjährigen bzw. lebenslänglichen Haftstrafen Verurteilte, mit weiteren Urteilen zu überziehen, damit diese auch garantiert im Knast sterben werden.

Um den Persönlichkeitszerfall zu beschleunigen, sitzen die Gefangenen aus der RAF in Isolationshaft, die einen geplanten und bis ins kleinste gesteuerten Entzug von Kommunikation, von akkustischen und optischen Reizen bedeutet Ausschluß von Hofgang, Sport und Bücherei, abgelegene Zellen ohne Ausblick und Sonnenlicht. Der gesundheitszerstörende Charakter dieser Haftbedingungen wurde schon durch viele medizinische Gutachten bewiesen, sie führen zu dauerhafter Erschöpfung, Orientierungslosigkeit und zum Verlust der Sprachfähigkeit.

Der Staat kennt aber auch Alternativen zur Totalisolation: Karl-Heinz Dellwo schildert seine Haftbedingungen so: "Monatelang saß vor meiner Zelle ein Wärter, guckte alle 3 Minuten durch den Spion und notierte danach in einem Buch was ich gerade tat. Zwischendurch schlugen sie gegen die Tür oder tiefen Beleidigungen oder höhnende Bemerkungen rein. Ein Jahr lang brannte auch nachts über das Licht, kamen nachts Rollkommandos rein, um von mir angebrachte Verdunklungen herunterzureißen und mich oft in den Bunker zu schleppen ( ... ) Täglich wurde die Zelle buchstäblich auf den Kopf gestellt, immer wieder die Papiere zerstreut, mit Essen vermischt oder einfach zertrampelt... "

Eine weitere Methode zur Vernichtung der Gefangenen ist die gezielte Verweigerung der ärztlichen Versorgung: VertrauensärztInnen der Gefangenen kann "nicht das notwendige Vertrauen" seitens Knastverwaltung und Justiz entgegengebracht werden, notwendige Untersuchungen und Behandlungen in Krankenhäusern werden "aus Sicherheits- und Kostengründen" abgelehnt. (Neben Holger Meins (s.o) starben auch Katharina Hammerschmidt, deren Krebsleiden angeblich bis wenige Tage vor ihrem Tod "nicht erkannt" wurde, und Siegfried Hausner, der trotz schwerster Brandverletzungen nicht in eine Spezialklinik, sondern in den Krankenknast transportiert wurde, an einem Entzug an ärztlicher Versorgung, den frau/mann beim besten Willen nicht mehr als "fahrlässig" bezeichnen kann.)

So verwundert es auch nicht mehr, daß nach inzwischen über 15-jähriger Haftdauer (Irmgard Möller wurde erst nach 22 Jahren auf freien Fuß gesetzt!) die nach diesem Zeitraum gesetzlich vorgeschriebene Haftprüfung im allgemeinen ausbleibt oder negativ beschieden wird. Ein exemplarisches Beispiel ist das Urteil des OLG Hamburg von 1993, warum Christine Kuby nach 15 Jahren nicht entlassen werden soll: 'Eine (psychiatrische) Untersuchung ist geboten, weil die Verurteilte selbst erklärt hat, durch die lange Inhaftierung auch psychisch beeinflußt worden zu sein. Ob sich aus der vorgebrachten psychischen Beeinträchtigung positive oder negative Auswirkungen auf die Gefährlichkeitsprognose ergeben, wird durch eine psychiatrische Begutachtung zu klären sein. " Mit anderen Worten: eine Entlassung ist erst dann möglich, wenn die Zerstörung der (staatsfeindlichen) politischen Identität der Gefangenen psychiatrisch "bewiesen" ist. Die Justiz argumentiert nach dem Motto: "Was schert mich mein Geschwätz von gestern" - erst werden die Gefangenen angeblich wegen ihrer Gefährlichkeit in Isolationsfolter gehalten, dann wird der gesundheitszerstörende Charakter der Isolation geleugnet, und schließlich muß die Gesundheitszerstörung durch die Isolation dazu erhalten, eine Entlassung abzulehnen.

Die seit Beginn der 90er Jahre für einige Gefangene eingeleitete geringfügige Verbesserungen der Haftsituation können die Gesundheitszerstörung der Gefangenen allenfalls verlangsamen, sind aber -wie medizinische Gutachten beweisen - für eine Rekonvaleszenz völlig unzureichend.

ISO-Folter bis zum "natürlichen Ableben" - das ist der von der deutschen Justiz angestrebte Ersatz für die herbeigesehnte, aber politisch noch nicht durchsetzbare reguläre Todesstrafe für Staatsfeinde. (Auch eine mögliche Freilassung weniger schwerkranker und haftunfähiger Gefangener - eine Entscheidung darüber war bei Drucklegung dieser Broschüre noch nicht gefallen - würde an dieser Tatsache nichts grundlegendes ändern.)

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