Ende Gelände

ERST EINGESTELLT, DANN 6 MONATE!
PROTOKOLL EINER UNGEWÖHNLICHEN GERICHTSVERHANDLUNG

Dann die Berufung: 8 spannende Verhandlungstage mit (fast) gleichem Ende


1. 1. Instanz: Fragen verboten, Angeklagten rausgeschmissen, dann hart verurteilt!
2. Dann die Berufung: 8 spannende Verhandlungstage mit (fast) gleichem Ende

  • Az. des Verfahren beim Landgericht: 8 Ns - 501 Js 15915/06 ++ Richter: Dr. Nink

Bevor es losging, kam die Ladung. Der Prozess wurde zunächst auf drei Verhandlungstage an gesetzt. Die Angeklagten informierten per Presseinformation über das bevorstehende Ereignis.

Im Original: Vorphase der Berufung
Presseinfo vor Beginn der Verhandlung:
Fiese Ferienspiele in Gießen ab 15. Juli 2009:
Der spektakuläre Prozess gegen zwei Genfeldbefreier von 2006 geht in die zweite Runde!

Drei Jahre direkter Aktion beendeten Versuche, in Hessen Gentechnik in der Landschaft auszubringen. Das war nicht das erste Mal: Schon ab Mitte der 90er Jahre hatten sich Firmen und die Uni Gießen an Feldbesetzungen und -befreiungen die Zähne ausgebissen. Nach mehreren Jahre Pause wollten sie es wieder versuchen. Institute der Uni wollten hohe Fördermittel abgreifen und die neu geschaffenen, internationalen Prestige-Studiengänge der Agro-Biotechnologie mit Präsentierflächen versehen. Den Beginn sollte ein Gerstenfeld am Alten Steinbacher Weg in Gießen. Unter dem Deckmantel der Sicherheitsforschung wollte das mit etlichen Sicherheitslaboren ausgestattete Team des Professoren-Emporkömmlings Kogel riskante Entwicklungsforschung für neue Methoden gentechnischer Manipulierung betreiben. Doch das stand nicht lange, denn Pfingsten 2006 nutzten vier „FeldbefreierInnen“, wie sie sich selbst nannten, eine peinliche Lücke in den Sicherheitssystemen von Wachschutz und Polizei. Das teure Feld wurde erheblich beschädigt, der Versuch einige Wochen später vorzeitig abgebrochen. Peinliche Versuche der Uni, Gießener Tagezeitungen, der grün-schwarzen Einheitsregierung von Gießen und durchgeknallte Polizeiaktionen folgten mit dem Ziel, die High-Tech-Anwendungen zu retten. Doch zwei nächtliche Feldbefreiungen, einige BürgerInnenproteste und die zwei symbolträchtige Besetzungen des Jahres 2008 machten nach zähen Ringen ganz Hessen wieder gentechnikfrei. Das ist es auch im Folgejahr geblieben, doch die Eliten der Stadt - von BürgermeisterInnen über Pressechefs bis zu den Uni-Chefetagen - ließen nicht locker bei ihrer Gier nach Ruhm, Forschungsgeldern und profitträchtigen Technologien. 2009 zettelten sie den Gerstenversuch neu an - weit entfernt auf den Flächen einer der Hochburgen deutscher Gentechnik-Seilschaften im Osten von Rostock. Zudem ließen sie ihre Wut an zwei Menschen aus, die sie aus der Breite der GentechnikgegnerInnen herauspickten: Sechs Monate Haft ohne Bewährung gab es in einem absurden Prozess im Spätsommer 2008, den die Angeklagten nicht einmal selbst miterleben durften, weil der Amtsrichter Dr. Frank Oehm ihnen Fragen verbot und schließlich sogar einen aus dem Saal schmiss, um ohne ihn weiterzuverhandeln (was rechtlich gar nicht möglich ist). Eine rechtlich Überprüfung dieses kriminellen Aktes und neuen Skandals in einer längeren Serie von Gießener Justizskandalen gegen politische Opposition verhinderte die Staatsanwältin Ute Sehlbach-Schellenberg, indem sie Berufung gegen das von ihr genau so geforderte Urteil einlegte.
So kommt es nun zur Neuauflage des Prozesses, eine Instanz höher. Das Landgericht muss alle Fragen neu verhandeln. Jedenfalls sieht es das Recht so vor. Es kann aber auch mit ähnlicher krimineller Energie wie Amtsrichter Oehm die Angeklagten mundtot machen, um das gewünschte Ziel einer Gefängnisstrafe zu erreichen. Werden überhaupt ZeugInnen geladen - oder schützt das Gericht zum zweiten Mal die sogenannten "Wissenschaftler" oder Gießener PolitikerInnen vor unangenehmen Fragen? Werden die Angeklagten ihren Prozess und ihre Verurteilung erleben? Wird überhaupt geprüft, ob es andere Möglichkeiten gegeben hätte, den gefährlichen und rechtswidrigen Versuch zu stoppen? Antwort auf diese und mehr Fragen gibt der Prozess ab Mittwoch, den 15.7., ab 8.30 Uhr im Saal 15 des Landgerichts Gießen (Ostanlage).

Die Ladung zum ersten Verhandlungstag am Mittwoch, 15. Juli 2009 (ab 8.30 Uhr)

Die Ladung mit der ersten Merkwürdigkeit: Keine Zeugen, keine Sachverständigen ... (gesamt als PDF) ++ Az. 8 Ns - 501 Js 15915/06
Doch ohne Mitteilung an die Angeklagten erhielten die AnwältInnen eine ganz gegenteilige Mitteilung, nämlich diese Ladungsliste:


Wie immer führten Veranstaltungen und Aktionen in die Phase der Verhandlung. Neu und für das ganze weitere Geschehen war aber etwas anders: Die Broschüre zu Seilschaften in der Gentechnik war inzwischen erschienen und verteilte sich rasend schnell. Die Startauflage von 50.000 Stück war innerhalb von 2 Monaten vergriffen - eine neue musste gedruckt werden. Der Autor aber war einer der Angeklagten. Und das sollte sich auswirken ...

Chronik der Berufung: Erster Verhandlungstag und drumherum
Mit einem erheblichen Interesse von ZuschauerInnen, Medien und einer umfangreichen Polizeibewachung begann am Mittwoch, 15.7., um 8.30 Uhr im Gießener Landgericht die des Prozesses gegen die Feldbefreier von 2006 in Gießen. Die Stimmung war angesichts der Erfahrungen mit der ersten Instanz gespannt. Beide Angeklagten hatten diesmal Verteidiger dabei, Matthias Künzel aus Frankfurt und Tronje Döhmer aus Gießen. Die ersten Minuten der Verhandlung aber zeigten dann: Diesmal sollte eine anderes Verhandlungsklima gelten. Das weckte Hoffnung, die sich am Ende aber als trügerisch herausstellte. Aber bis das Ende erreicht war, vergingen acht Verhandlungstage über fast zwei Monate.

Tagebucheintrag, 15.7., Startphase
Der Angeklagte B. erkundigt sich nach dem Status der beiden Schöffenrichter. Richter Nink erklärt daraufhin, dass er vorher mit den Schöffen geredet hat, um ein „Fiasko“ der Art zu vermeiden, dass es in der Vergangenheit schon politische Konfrontation mit den Angeklagten gegeben hat. Die beiden Schöffen sagen aus, dass sie nicht im Giessener Parlament sitzen und benennen ihre Berufe (Informatik, Lehramt). Danach deutet Richter Nink seine Position zu Gentechnik - „sehr kritisch“ - an. Die Staatsanwältin rümpft die Nase, und vielleicht fragt sie sich, ob sie einen Befangenheitsantrag gegen den Richter stellen soll. - Sie tut’s nicht.

Dann wird das Urteil der ersten Instanz verlesen und die Angeklagten gefragt, ob sie etwas zur Tat sagen wollten. Beim letzten Mal schwiegen sie - und der Zeitplan kam durcheinander. Diesmal redeten sie - und der Zeitplan geriet wieder aus den Fugen. Zuerst sprachen Patrick N. und sein Anwalt, die auf die fast vollzogene Einstellung verwiesen, die völlig wirr wirke angesichts der in der ersten Instanz dann verhängten Strafe. Allerdings machten auch alle klar, dass sie sich dem Verfahren nicht entziehen wollen.

Tagebucheintrag, 15.7., Erklärung des Verteidiger Döhmer
RA Döhmer, der B. als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde, sagt, dass das erstinstanzliche Urteil eine „persönliche Niederlage“ für ihn gewesen sei. Er wolle B. nicht aus dem §153 ausklammern. Es sei eine in der Hauptverhandlung zu klärende Frage, ob ein rechtfertigender Notstand gegeben sei. Aus seiner Sicht sei dieser in greifbarer Nähe. Daher sei es kontraproduktiv, von den Angeklagten Unterwürfigkeitsgesten zu verlangen. „Das Strafverfahren ist nicht dazu da, politische Grundeinstellungen zu bestrafen.“

Dann folgte die Einlassung des Angeklagten Jörg B. Der hatte sich etwas Besonderes ausgedacht - und sein Vortrag über Gentechnik-Seilschaften sollte den weiteren Ablauf stark prägen. Unter anderem bewirkte er, dass Richter Nink nun doch die Behördenakten zum Versuchsfeld herbeizog, so dass über Details vom Versuchsfeld verhandelt werden konnte. Was Oehm in der ersten Instanz noch verboten hatte, fand jetzt statt ...

Tagebucheintrag, 15.7., Einlassung des Angeklagten Jörg B.
B. erklärt, dass er sich einlassen wolle. Dafür brauche er technische Unterstützung - er wolle einen Beamer benutzen. Und auch wenn es etwas unglaublich klingt: Ab 10:43 flimmert eine Powerpoint-Präsentation auf der Wand des Gerichtssaals, begleitet von einem gut gemachten Vortrag über Verflechtungen in der Gentechniklandschaft. Erschütternde Fakten reihen sich aneinander, und schnell steht fest: Von Forschungs- oder Wirtschaftsinteressen unabhängige Institutionen gibt es nicht. Ob Lobbyverbände, Vereine, Beratungsgremien - überall sitzen die gleichen Personen. Hochrangige Mitarbeiter des BVL - die Institution, die Verbraucherrechte schützen soll und de facto jeden Antrag auf Freisetzungsversuche durchwinkt - posieren in Werbefilmen der Gentechnikindustrie. Genversuche finden in direkter Umgebung von Saatgutbanken statt. Es klingt unglaublich, und am Ende, gegen 12:30, fragt man sich, wieso eigentlich noch verhandelt wird …
Richter Nink sagt: „Ich hätte noch gerne einen weiteren Verhandlungstag, um mich besser einzuarbeiten.“ Er bekommt - wie alle anderen im Gerichtssaal auch, die wollen - die aktuelle Broschüre zum Thema überreicht.

Aus der Gießener Allgemeinen, 16.7.2009 (S. 26)
Jörg B. erhebt sich von der Anklagebank. Grinsend schließt er einen Projektor an. Er hält inne. Die Justiz, sagt er, produzierte soziales Elend. "Ich bitte um zehn Sekunden Schweigen für die Strafgefangenen." Hinter ihm auf den Bänken im Saal 15 des Gießener Landgerichts stehen knapp 50 Mitstreiter des Angeklagten auf. Als sie wieder Platz nehmen, setzt der 45-jährige Jörg B. zu einem Vortrag an. Neunzig Minuten lang schildert er seine Recherchen und Ansichten zu Vorgängen in der Gentechnik. Zur angeklagten Tat verliert er nur wenige Worte. Das Geständnis ist auf seinem T-Shirt abgedruckt: "I dit it - Feldbefreiung". ...
Der erste Verhandlungstag vor der 8. Kleinen Strafkammer mutete bisweilen bizarr an. Der Angeklagte, der einst sein Studium der Landschaftsplanung abgebrochen hatte, referierte einem Professor gleich über Vorgänge in der Gentechnik. Unterdessen hatte gestern der Leiter des damaligen Versuchs am Alten Steinbacher Weg, Prof. Karl-Heinz Kogel vom Institut für Phytopathologie und Angewandte Zoologie, im Zeugenstuhl Fragen zu beantworten ... Nach zehnstündiger Verhandlung unterbrach der Vorsitzende Richter Johannes Nink kurz nach 18 Uhr die Zeugenvernehmung. Kogel wird Mitte August daher erneut in den Zeugenstand treten.


In der Tat: Kogel trat auf. Das erste Mal im Prozessverlauf erschien der Hauptzeuge und Versuchsleiter im Gericht. Er antwortete auf die Fragen des Richters und der Staatsanwältin. Vorher war sein Sicherheitsbeauftragter Langen als Zeuge verhört worden.

Tagebucheintrag, 15.7., Vernehmung von Langen und Kogel
RA Künzel erkundigt sich, wie oft das Regierungspräsidium Gießen, die als Überwachungsbehörde des Versuchs fungiert, 2006 vor Ort war. Langen kann keine genaue Zahl nennen. „Die machen auch unangemeldete Kontrollen“, sagt er. „Wie viele angemeldete Kontrollen gab es 2006?“, fragt Künzel. Langen gibt an, dass es mindestens zwei gab. „Bei einer war ich dabei.“ Auf eine Frage dazu, inwiefern er über Vorgänge rund um den Versuch informiert werde, sagt Langen: „Es gibt schon sehr viel Papier. Wenn nichts zu bemängeln ist, landet das nicht auf meinem Schreibtisch.“ Im Sperrfeuer weiterer Fragen verliert Langen kurz den Überblick und macht die Bemerkung: „Um welche Zerstörung geht’s jetzt hier?“ Gelächter geht durch den Saal. ...
B. will wissen, wer 2006 beim Versuchsende die Einschätzung gemacht habe, dass die Gerste nicht vermehrungsfähig ist. „Schäfer oder Kogel“, sagt Langen. Ob es eine schwierige Frage gewesen sei? Langen sagt: „Wenn das Korn Milchreife hat, ist es noch nicht vermehrungsfähig. Wenn es abgetrennt wird, kann es nicht nachreifen.“ B. fragt, wie er sich die auflaufende Gerste erkläre (2006 kam es mehrfach zu Durchwuchs nach dem offiziellen Ende des Versuchs). Keine Antwort. ...
2006, als er seinen Versuch öffentlich bewarb, inszenierte sich Kogel als neutraler bis gentechnikkritischer Forscher. Davon war im Gerichtssaal nicht mehr zu spüren. Eine Stunde lang sprudelte es aus ihm heraus: Die "Deutsche Wissenschaftsallianz" (DFG, Helmholtz, Fraunhofer, MPI) pro Sicherheitsforschung ... und pro Gentechnik ... Mehrheit der Bevölkerung ist "nicht auf dem neuesten Stand ist“ ... Beim Gerstenversuch gäbe es keine Patente, es sei reine Grundlagenforschung ... Horizontaler Gentransfer ist was natürliches ... Die Risiken werden explizit überprüft von unabhängigen Wissenschaftlern ... Da passiert kein Pollenflug ... dann doch: 1? der Pollen kreuzt aus ... Gerste hat keine Verwandten, die Nachkommen ergeben ... es ist ausgeschlossen, dass Gerste auskreuzt und fertile Nachkommen ergibt ... Selbst wenn ein Vogel den fressen würde, würde natürlich nix passieren ... es gibt überhaupt keinen einzigen Hinweis auf Schäden ... der Vogel wird das Gerstenkorn nicht transportieren ... wir können nicht verhindern, dass da Mäuse in Kontakt kommen ... mit den Ähren ... nun waren in den letzten Jahren ja keine Ähren da, da wir den Versuch abgebrochen haben ...Ständig: Alle Pannen sind im worst-case-Szenario drin. ... keine private Einrichtungen an diesem Versuch beteiligt ...
Immer wieder schwärmte er von der"Gemeinschaft aller Wissenschaftler", die sich einig seien (alle Wissenschaftler mit anderer Meinung sind dann wohl unwissenschaftlich) ... "der Herr Schmeißer ist ein großer Betrüger, er hat illegal Pflanzen angebaut" ... Problem ist die Vermischung von Wissenschaft und Politik. Vom Wissenschaftlichen ist es überwältigend klar. ... Und dann bot er noch eine besondere Begründung an, warum deutsche Gentechnik gefördert werden muss: "Monsanto ist gar nicht mehr der einzige Player ... in Deutschland wird durch die Feldbefreiungen verhindert, dass Monsanto etwas entgegengestellt wird an anderen Firmen" ... Lange jammerte er über die vielen Aktionen: "Feldzerstörungen sind effizient!"
Aber er zeigte auch Hoffnung: Die deutsche Molekularbiologie sei weltführend: "das ist ja das Glück für die deutschen Hochschulen und die Studenten." ... Zur Gerste: "Diese Pflanzen sind Juwelen" ... die Pflanzen wurden produziert im Jahr 2000 ... Wissenschaft ist keine Sache der Diskussion, sondern der Tatsachen ...


Das war's eigentlich - aber leider doch nicht ganz. Der Tag hatte ein spätes und unschönes Nachspiel. Denn nach dem Verhandlungstermin zeigten Polizei und Justiz mal wieder ihre Krallen und sperrten die Aktivistin Cecile Lecomté für eine Nacht ein - wegen Gefahr des Kreidemalens. Cecile ließ die Sache überprüfen und das Landgericht fällte ein kompliziertes Urteil: Die Maßnahme war rechtswidrig ... und zwar so verrückt, dass das Vorgehen von Polizei und Justiz nie zu einem irgendwie gültigen Beschluss geführt hätte. Es gäbe nur eine Schein-Entscheidung. Die Inhaftierung sei rechtswidrig, gegen den konkreten Beschluss könne Cecile aber keine Beschwerde einlegen, weil es einen gültigen Beschluss nie gegeben hätte. Der Grund: Die Polizei hatte sich ihr Handeln vom zufällig daherkommenden Landgerichtspräsidenten bestätigen lassen. Der aber war nicht zuständig, er arbeitete nicht einmal beim passenden Gericht. Warum weiß das ein Landgerichtspräsident eigentlich nicht? Wozu haben die studiert, wenn sie im Alltag doch einfach Faustrecht anwenden? Wie auch immer: Am Ende korrigierte das Oberlandesgericht auch diesen Punkt zugunsten von Cecile: Alles war rechtswidrig, von Anfang an ... (Beschluss vom 22.3.2010, Az. 20 W 264/09).

Im Original: Rechtswidrige Verhaftung

Oben: Vermerk eines beteiligten Polizisten (zudem gab es noch einen Bericht u.s. an LKA und Innenministerium ... wichtig, wichtig)
Nachfolgend: Aus dem Vermerk der Richterin Fouladfar. Sie bestätigt, dass Polizeiführer und Landgerichtspräsident in völliger Eigenmächtigkeit eine Inhaftierung durchführten und dass sie selbst zu faul war, ein ordentliches Anhörungsverfahren durchzuführen.




Aus dem Beschluss des Landgerichts vom 17.8.2009 (Seite 1 und Seite 7) ++ Bericht auf Red Globe


Medienberichterstattung über den ersten Verhandlungstag
  • RTL Hessen
  • Gießener Allgemeine
  • Gießener Anzeiger
  • Morgenweb (Rhein-Neckar)
  • dpa (so in vielen Medien zu finden)
  • Vortrag "Monsanto auf Deutsch - Seilschaften der deutschen Gentechnik" rund um den ersten Prozesstag
  • Freitag, 10.7. 20 Uhr in Amöneburg, Brücker Mühle (Am Friedenstein 6)
  • Montag, 13.7., 19 Uhr in Wetzlar (Gaststätte "Wöllbacher Tor", Goethestr. 14)
  • Mittwoch, 15.7., 20 Uhr im Kino Traumstern (Kleinkunstbühne im Restaurant) in Lich (Gießener Straße)
  • Montag, 20.7., 20 Uhr im Cafe Amelie in Gießen, Ecke Walltorstraße/Asterweg

Zweiter Verhandlungstag und Veranstaltungen drumherum
Weniger spektakulär als am ersten Tag verlief der zweite Prozesstag. Neben der Rechtsdezernentin der Uni Gießen, die auch für Buchhaltungsabteilung zuständig ist, wurden vor allem Polizeibeamte vernommen - darunter der Falschaussager aus der ersten Instanz, Staatsschützer Schöller. Sie zeigten die Gießener Polizei von der Seite, wie sie seit Jahren auftritt: Verworren, unfähig zu transparenter Kommunikation, schlecht organisiert und mit der Neigung zu Falschaussagen.

Tagebucheintrag, 22.7., Vernehmung der Rechtdezernentin Kraus zur Schadenshöhe
Der Vorsitzende fragt nach, ob sie die entstandenen Schäden beziffern könne. „20.000 EUR sind geschätzt worden für die Pflanzen“, sagt Kraus. Die seien ihnen ja geschenkt worden – der Richter fragt nach – von der Washington State University, präzisiert Frau Kraus. Rechtsanwalt Döhmer fragt nach, ob es – auch in Hinblick auf zivilrechtliche Forderungen – eine Schadensaufstellung gebe. Kraus verneint dies. ...
Auf die Frage, warum nicht mehr Sicherheitskräfte vor Ort waren, antwortet Kraus: „Es gab da offenbar eine Panne. Mir ist im Nachhinein nicht klar, wo die Panne aufgetreten ist.“ Geplant gewesen sei ein nahtloser Wechsel zwischen Institutsbeschäftigten und Sicherheitsbeauftragten. „Es sollten zwei da sein“, sagt sie – und meint damit Angestellte des Sicherheitsdienstes. ...
Im Einvernehmen aller Beteiligten sollen die meisten Polizeibeamten in den nächsten Verhandlungstagen nicht mehr geladen werden. Außer der immer wiederkehrenden Bestätigung allgemeiner Desorganisation dürften Erkenntnis kaum zu erwarten sein ...


Mehr gab's nicht. Auch kein unschönes Nachspiel.

Dritter Prozesstag am 5.8.2009
Die Strafprozessordnung schreibt vor, dass Gerichtsverfahren nicht mehr als drei Wochen unterbrochen werden dürfen. Sonst müssen sie neu beginnen. Daher ist es übliche Praxis, bei größeren Lücken wegen Abwesenheit von ZeugInnen oder Urlaub einen kleinen Zwischentermin zu machen. So einer war der dritte Verhandlungstag am Mittwoch, 5.8. um 16 Uhr. Er dauerte nur eine Stunde. Der einzig geladene Zeuge, ein Polizist aus der Truppe, die eigentlich das Geschehen um das Feld beobachten sollte, kam nicht. Stattdessen wurden Rechtsfragen diskutiert, Akten gewälzt und der nächste Prozesstag geplant. Der würde es in sich haben - neben dem Versuchsleiter Kogel lud Nink auch den Gentechnik-Sachbearbeiter der Überwachungsbehörde. Am dritten Tag erreichte die Hoffnung ihren Höhepunkt, dass erstmals der Paragraph des rechtfertigenden Notstandes umfassend geprüft würde. Richter Nink sagte wörtlich: "Wir hangeln uns entland der Kriterien des § 34". Leider sollte er sich an diese Ankündigung nicht halten - aber das wurde erst später deutlich. Zunächst kam der vierte Verhandlungstag - wieder mit Kogel, der sich diesmal den Fragen der Angeklagten stellen musste.

Vierter Verhandlungstag am 26.8.2009
Im Original: Vorankündigungen des 4. Tages
Aus der Presse-/Terminmitteilung vorher:
Im Gießener Strafprozess wegen der Attacke auf ein Gengerstenfeld der Uni Gießen an Pfingsten 2006 steht der bisher wichtigste Verhandlungstag bevor: Am Mittwoch, den 26.8.09 (4. Prozesstag) werden ab 8.30 Uhr am Landgericht sowohl der Versuchsleiter Prof. Kogel wie auch der Sachbearbeiter bei der Überwachungsbehörde geladen. Da fast alle wichtigen Behördenakten Gegenstand des Verfahrens sind, dürfen auch zu allen Aspekten Fragen gestellt werden. Es ist mit einer intensiven Überprüfung der Frage, wieweit der Genversuchs rechtmäßig genehmigt und verlaufen ist und ob von ihm Gefahren ausgingen. Eine Rolle werden auch das mögliche Versagen der Genehmigungsbehörde sowie Unregelmäßigkeiten bei der Beantragung und Abrechnung von Fördergeldern spielen. Hintergrund ist die Prüfung des Gerichts, ob sich die beiden Angeklagten auf den rechtfertigenden Notstand berufen können - einem Paragraphen im Strafgesetzbuch, nach dem Menschen auch sonst strafbare Handlungen begehen dürfen, wenn nur so eine Gefahr abgewendet werden kann.
Nach den beiden Vernehmungen kommt noch einer der Zivilpolizisten, die das Feld und die Aktivitäten der GentechnikkritikerInnen hätten observieren sollen. Hier geht es weiter um die Frage, ob die Polizei nur blöd war und trotz präziser Ankündigung die Attacke auf das 9,6 qm große Feld nicht verhindern konnte oder ob sie bewusst die Feldbefreiung zuließ, um - möglicherweise erneut im Auftrag des hessischen Innenministers - das Genversuchsfeld opferte, um unerwünschte Oppositionelle inhaftieren zu können. Einen ähnlichen, allerdings spektakulär gescheiterten Versuch dieser Art hatten Innenminister Bouffier sowie Gießener und hessische Polizei und Justiz nämlich drei Wochen vor der Feldbefreiung schon einmal unternommen.


Allen war klar: Jetzt folgte der Höhepunkt des Prozesses. Die Angeklagten fragten - und der Versuchsleiter musste antworten. Diesmal konnte das Gericht die Angeklagten nicht rauswerfen - und auch nicht alle Fragen verbieten. Denn der Trick mit der Sperrberufung wäre nach der zweiten Instanz nicht mehr möglich gewesen. Also kam Kogel und musste mehrere Stunden Frage um Frage beantworten. Nur wenn die Angeklagten auch nach den Versuchsabläufen späterer Jahre fragten, wurden die Fragen verboten.
Die Stimmung rund um den Prozess war nun ausgelassen - und zudem von kreativen Aktionen geprägt. Bereits vor dem Gebäude waren Banner und Kreidesprüche zu sehen. Eine Zuschauerin schlug zu Beginn des Verhandlungstages eine Jury vor die mittels eines Punktesystems frischen Wind in die festgefahrene Arbeitsweise der Justiz bringen sollte. Im Gerichtssaal nahm das Publikum mittels Schildern aktiv Stellung zum Geschehen. Häufig waren Kommentare wie „Das hätte ich jetzt auch gesagt", „Ach so?“ oder „Anarchie ist mir lieber!“ zu lesen. Während der Richter dies noch duldete, wies er ZuschauerInnen nach verbalen Äußerungen heftig zurecht.

Tagebucheintrag, 26.8., Vernehmung des Versuchsleiters Kogel durch die Angeklagten
9:02 Prozess beginnt. Aus dem Publikum wird ein Spiel zur Bewertung von Aussagen vorgeschlagen. Richter Nink gibt zu Protokoll: „Im Publikum sitzt eine Person mit lustigem bunten Haar und regt ein Spiel an …“. Wenige Minuten später stand Kogel im Mittelpunkt, der Versuchsleiter. Drei Stunden dauert seine Vernehmung. Mit hochrotem Kopf versucht er, den kulturellen Bruch zu überstehen, dass da die Leute, die sein Gengerstenfeld aus Gießen vertrieben haben, ihm jetzt Fragen stellen dürfen. Es gelingt ihm - wenn es enger wird, mit Hilfe des Richters. ...
Zu Beginn will Richter Nink von Kogel wissen, ob er Daten der informellen Gespräche mit dem Angeklagten B. angeben könne. Kogel sagt, er habe „ein halbes dutzend Informationsveranstaltungen gemacht“, ein Datum könne er noch belegen. Am 30. Mai 2006 habe er in der Bleichstraße stundenlang „intensivst diese ganze Sache diskutiert“. Auch das Gentechnikgesetz sei behandelt worden. „Entgegen den Erwartungen verlief das Gespräch auch nicht sehr aggressiv, ich hatte den Eindruck, und andere hatten den Eindruck auch, dass es eine sehr positive Veranstaltung war. Vielleicht war das ein bisschen naiv im Nachhinein“, sagt Kogel.
Dann legt Kogel von sich aus eine Kostenaufstellung der Uni vor. „Ich hatte den Eindruck, dass die Kosten nicht klar waren“, sagt er. „Wir haben eine Aufstellung über die 55.000 EUR erstellt, das sind Kosten, die der Universität direkt entstanden sind“ - für den Schrieb hat die Universität stolze drei Jahre gebraucht …
Um 9:11 erhält der Angeklagte B. das Fragerecht. ... B. macht einen Vorhalt aus einer Zeitung, in der Kogel Freilandversuche mit eigens von seinem Institut entwickelten Gerstenlinien ankündigt. B. stellt daher in Frage, ob der 2006 und 2007 durchgeführte Versuch überhaupt der ist, als der er in der Öffentlichkeit vermarktet wird (Biosicherheitsforschung an einer transgenen Gerstenlinie von der Washington State University).
Auf Nachfrage erklärt Kogel, dass die bei der Freisetzung in Gießen verwendete Gerste aus den USA stamme. „Wir haben nie andere Versuche mit Gersten gemacht, diese Freilandversuche, die dort angekündigt worden sind, wurden nicht gemacht. Diese Freilandversuche haben wir nicht gemacht.“ B. fragt: „War der Versuch von Anfang an so beantragt, wie er durchgeführt wurde?“ Kogel bejaht dies. Später räumt er ein, dass der Antrag auf Förderung modifiziert wurde. ... „Seit 2002 ist über Artikel in Medien belegbar, dass wir gentechnisch aktiv waren“, sagt Kogel. Es sei eine der großen Stärken des Instituts, „extrem transparent“ vorgegangen zu sein. B: „Wurden die direkte Nachbarn informiert?“ - Kogel: „Nein.“ Kogel fügt hinzu: „Dieser Feldversuch ist so harmlos, dass es nicht notwendig war, die Nachbarn zu informieren.“ ...
Kogel sagt, dass Gerste als Selbstbestäuber nicht auskreuze. Zudem habe Gerste einen doppelten Chromosomensatz und ist daher „sehr gut transformierbar“. - Kreuzungspartner für Gerste gäbe es in Europa nicht, Pollenflug von Gerste komme nicht vor. B. hakt nach, und Kogel erklärt: „Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es unter natürlichen Bedingungen keinen Pollenflug“ - als Gegenbeweis legt B. einen Pollenflugkalender vor, in dem auch Gerste vorkommt. Kogel dazu: „Wissenschaftlich falsch“, „Es ist eine botanische Binsenweisheit, dass es keinen Gerstenpollenflug gibt.“ ...
B. will wissen, ob die Auflage, einen Wildschutzzaun einzurichten, erfüllt wurde. „Der war vorhanden“, sagt Kogel. Ob der Mäuse abhalte? Kogel schmunzelt und sagt: „Das ihre berühmte Maus über den Zaun steigt, kann nicht verhindert werden.“ Das sei aber auch egal: „Man kann damit Brot backen“ - weil die Gerste nicht giftig sei. ...
Kogel wird zu den Umständen befragt, die zur Nichtdurchführung des Versuchs im dritten Jahr, 2008, geführt haben. „Es stimmt, er hat nicht stattgefunden. Weil sie das Feld besetzt haben, weil wir Informationen hatten, dass sie das Feld besetzen wollten. Wir wussten vorher, dass wieder etwas stattfinden würde“, sagt Kogel. Ob die Feldbesetzung die Aussaat verhindert habe? Kogel stimmt zu. „Wir wussten etwa zwei Wochen vorher, dass dieser Versuch wieder zerstört wird. Ich habe kommuniziert mit den entscheidenden Behörden.“ Unter den gegebenen Umständen habe das BMBF erlaubt, den Versuch nicht durchzuführen und die Mittel umzuwidmen. „Da muss ich als Institutsleiter abwägen, die Abwägung war klar: dass wir ins Gewächshaus gehen.“ ...
Erklärung eines Verteidigers zu hochrotem Kopf von Prof. Kogel als Zeuge. Der würde im Film nicht so aussehen. Darauf Richter Nink: "Die Anspannung von Herrn Prof. Kogel ist mir durchaus nicht entgangen".


Nach Kogel wurde ein Zivilaufklärer der Polizei vernommen - es brachte wenig Neues. Ein zweiter Höhepunkt war aber die Vernehmung des Sachbearbeiters bei der Kontrollbehörde, Dr. Jens Gerlach vom Regierungspräsidum Gießen.

Tagebucheintrag, 26.8., Vernehmung des RP-Sachbearbeiters Gerlach
Zunächst geht es um die Abstandsangabe von 4km bis zur nächsten landwirtschaftlichen Fläche, die jedoch auf 150m zusammenschnurrten, als mal andere Behörden nachguckten. Dann kam das Thema Wildschutzzaun. "Wir haben gefordert, dass die Genehmigungsbehörde genauer festlegt, wie der Zaun aussehen soll, dass hat das BVL nicht gemacht". Dann die Frage, ob sich Kogel an die Auflagen gehalten hat: "Ich würde sagen, eigentlich ja. Der Punkt, der uns irritiert hat, war die Aussage der ausgewiesenen Fachleute ... da gehts um die Ernte". G. berichtet vom Ablauf, wie Material untergefräst wurde, weil es vermeintlich nicht keimfähig war. "Wir haben aufgrund dieser Aussage zugestimmt, dass die Ernte anders verläuft, nämlich dass die gesamten Pflanzen im nicht keimfähigen Stadium in den Boden eingearbeitet wurden ... wir haben festgestellt, dass die Aussage offensichtlich falsch war ... der Sachkundige vor Ort konnte sich das auch nicht erklären". Dennoch sah die Behörde nie eine Veranlassung für Kritik an der Vorgehensweise von Herrn Kogel. Auch nicht bei unterlassenen Benachrichtung wie die Absage der Aussaat 2008: "Wir haben von der Absage aus der Presse erfahren". Dennoch schimmerte im Versuch, die Uni-Funktionäre aus der Schußlinie zu bringen, immer wieder auch die Kritik durch: "Hier hätte man ein etwas engagiertes Verhalten gewünscht" zu Informationspflichten und dann wieder zum ungeeigneten Mäuseschutzzaun: "Wir haben in dem Moment, als wir den Zaun gesehen haben, nochmal gern eine Aussage erreicht, wieweit dieser Zaun geeignet ist, Mäuse abzuhalten ... zu dem speziellen Punkt waren wir der Auffassung, dass es geeignetere Zäune gibt ... die Universität hat dann aber gesagt, dass die Mäuse auch an Pfählen hochklettern können, d.h. man hätte einen Käfig machen müssen ... Mäuse können auch unterqueren, dann wären Auflagen nötig, wie tief eingraben."

Gegen 17 Uhr war auch die Vernehmung des dritten Zeugen an diesem Tag beendet. Der Richter erfreute die Anwesenden noch mit einer unfreiwilligen, kabarettistischen Einlage, als er einen der Angeklagten mit "Dr. Bergstedt" ansprach. Gelächter und Kommentare im Saal. Der Angeklagte würde halt ein Fachwissen zeigen, verteidigte sich der Richter für seinen Lapsus, dass diese Titulierung auch zutreffend sein könnte. Doch auch dieses Mal wusste der Angeklagte eine Antwort: "Jura zu studieren, führt offensichtlich nicht dazu, über solche Sachen Bescheid zu wissen". Auffällig zog er seinen Blick Richtung Staatsanwältin. Die guckte nur mürrisch ...
Dann folgten noch drei persönliche Erklärungen des Angeklagten B. - einmal zur rechtwidrigen Festnahme einer Zuschauerin am ersten Verhandlungstag, dann zum am Folgetag bevorstehenden Inhaftierung des Bio-Imkers Micha Grolm wegen einer Feldbefreiung und zum zeitlich parallel laufenden ersten Strafprozess gegen einen Aktivisten gegen die neue Landebahn am Frankfurter Flughafen. Rechtsanwalt Döhmer überreichte einen umfangreichen Beweisantrag über die Seilschaften rund um die Gentechnik-Genehmigungsbehörden. Neue Termine wurden ausgemacht, dann war Schluss. Außer für die Polizei. Die bewachte das Gerichtsgebäude noch einige Zeit länger mit umfangreichen Einsatzkräften. Könnte ja jemand hochklettern ...

Eigentlich hätte nach diesem Tag auch Schluss sein können. Allzu deutlich zeigte sich, wie skandalös der gesamte Versuchsablauf war. Doch das Gegenteil geschah. Waren es die Vernehmungen des vierten oder erst die Beweisanträge des fünften Tages? Auf jeden Fall veränderte Richter Nink seine Taktik - nachdem zuvor schon die Staatsanwältin zum aggressiven Kurs der ersten Instanz zurückkehrte ...

Fünfter Verhandlungstag: Beweisanträge und die wiedergelüftete Fratze der Staatsanwältin
Die bisherigen vier Verhandlungstage waren geprägt von der Vernehmung der ZeugInnen, die seitens des Gerichts geladen wurden. Nun, am fünften Tag, übernahmen Verteidigung und Angeklagte die Regie und brachten die ersten ihrer Beweisanträge zur Gefährlichkeit der Gentechnik, zur Rechtswidrigkeit und stümperhaften Durchführung des konkreten Versuchs sowie zu den Hintergründen des Polizeieinsatzes ein.

Tagebucheintrag, 10.9., Vorbringen vieler Beweisanträge
Zu Beginn trägt der Angeklagte B. einen Beweisantrag vor, der sich detailliert mit der Beschaffenheit von Mäusezäunen beschäftigt und nachweist, dass erheblich bessere Mittel bereit standen, um Nagetiere davon abzuhalten, an der Gengerste zu knabbern. Ein zweiter Antrag belegt die unkontrollierte Auskreuzung von vorgeblich „sicheren“ und „wenig verbreitungsfähigen“ Getreidesorten, vor allem am Beispiel der transgenen Reislinie LL601.
Die Staatsanwältin fragt B, wie viele Anträge er noch stellen will, woraufhin B. antwortet: „10 bis 20.“ Richter Nink erkundigt sich bei den anderen Verfahrensbeteiligten, in welchem Umfang mit Beweisanträgen zu rechnen sei. Rechtsanwalt Döhmer sagt, dass er 50 Beweisanträge, die Aussagen aus der Broschüre „Organisierte Unverantwortlichkeit“ unter Beweis stellt, fertig habe; weitere seien in Arbeit.
Rechtsanwalt Künzel, der den Angeklagten N. vertritt: „Wir haben zwei Beweisanträge vorbereitet“ - die Staatsanwältin macht ein Geräusch, dass wahrscheinlich ausdrücken soll: „So wenig?“ Der Angeklagte N. fragt, ob das ein Kommentar ist, und Richter Nink sagt: „Da müssen sie aufpassen, dass sie nicht ins Hintertreffen geraten“ - Künzel: „Damit würde ich leben.“ ...
Bis 11:23 werden in zwei 25-Punkte-„Päckchen“ die von RA Döhmer vorgelegten Beweisanträge verlesen; die Sprecher wechseln sich ab - zuerst die ersten 25 Anträge, dann nochmal soviele. Bei den Anträgen stehen die Verflechtungen im Gentechnik-Sektor und, daraus abgeleitet, das Fehlen unabhängiger Überprüfungsorgane im Vordergrund.
Nach einer kurzen Pause wird um 11:54 weiter verhandelt - der vorsitzende Richter bezieht sich auf den § 257a der StPO und nennt die Möglichkeit, Anträge im schriftlichen Verfahren einzureichen, wenn bestimmte Bedingungen gegeben sind. Unter anderem gebiete die Fürsorge des Gerichts, unnötige Kosten, die - im Falle einer Verurteilung - von den Angeklagten zu tragen wären, aufgrund langer „Lesestunden“ zu vermeiden. Das Gericht beschließt: Anträge sind schriftlich zu stellen
Im Folgenden reicht B. eine Reihe von Anträgen ein, die in thematische Blöcke eingeteilt sind und deren inhaltlichen Fokus er vorab ausführt. Einige Anträge beschäftigen sich mit den zentralen Institutionen (ZKBS, BVL) und deren Nichtunabhängigkeit; weitere Anträge zeigen auf, dass Gentechnikforschung anderen als den öffentlich erklärten Zielen dient und dass gentechnische Forschung andere wissenschaftliche Ansätze verdrängt.


Dann war es 12.20 Uhr. Noch vor der Mittagspause folgte die Stellungnahme der Staatsanwältin Sehlbach-Schellenberg zu den bisher verlesenen Beweismittelanträgen. Plötzlich zeigte sie sich im Gewand der ersten Instanz. Offenbar hatte die Interessenvertreterin in Robe die vier ersten Verhandlungstage nur ausgesessen. Denn obwohl sich die Beweisanträge konkret auf die vorherigen Verhandlungsgegenstände bezogen und wichtige Fragen wie das Aussehen üblicher Mäuseschutzzäune und Auskreuzungsgefahren durch selbstbestäubende Getreidesorten beinhalteten, meinte sie pauschal, alle Anträge zum Thema Gentechnik seinen "völlig unbedeutend" - Richter Oehm ließ grüßen! Es ginge in diesem Verfahren nur um die Frage der Rechtswidrigkeit oder Nichtigkeit des Genehmigungsbescheides. Woher sie diese Rechtsauffassung angesichts des Wortlautes im § 34 StGB (Rechtfertigender Notstand) hatte, blieb rätselhaft. Denn solch ein Kriterium wird dort nicht aufgeführt. Doch StAin Sehlbach-Schellenberg toppte ihre Ausführung noch mit der Bemerkung, ohnehin seien "alle Anträge zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt". Da stellten Angeklagte und Verteidiger am fünften (!) Prozesstag ihre ersten Anträge. Und schon witterte die Anklägerin Prozessverschleppung. So fiel die übereifrige Elitenvertreterin zurück in die Strategie der ersten Instanz, möglichst gar nicht zum Thema zu reden.

Das Ende des fünften Tages wurde persönlicher. Nach der Mittagspause trug der Angeklagte N. den zweiten Teil seiner Einlassung vor. Er sprach über seine berufliche wie persönliche Entwicklung, veränderte Prioritätensetzungen. Richter Nink stellte zahlreiche Fragen zur Lebenssituation des Angeklagten.
Die Staatsanwältin blieb der an diesem Tag wiedergefundenen, ideologisch-aggressiven Linie treu, als sie N. fragte: „Haben sie noch Kontakt zu B. oder der Projektwerkstatt“, woraufhin N. erklärt: „Wenn sie jetzt von mir eine Distanzierung erwarten - die gibt es nicht.“ Die Staatsanwältin wiederholt ihre Frage. N. sagt: „Ja, ich habe Kontakt.“ Die Staatsanwältin will wissen, ob er sich regelmäßig mit B. treffe oder in die Projektwerstatt fahre. Die Verteidiger kritisieren die Frage, die offensichtlich darauf abzielt, N. zu Distanzierung zu bewegen - oder ihm beim Plädoyer unterstellen zu können, sich in „kriminellem Fahrwasser“ zu bewegen. N. sagt: „Die Frage werde ich nicht beantworten“ - außerdem habe er die Grundsatzfrage ja bereits bejaht. Rechtsanwalt Döhmer fragt N, ob es richtig sei, dass die Projektwerkstatt vor allem eine riesige Bibliothek sei. „Ja, nicht in allen, aber in vielen Räumen gibt es Bücher zu allen möglichen politischen Themen“, sagt N. Ob er die Räume mit den Büchern genutzt habe. „Ja“, sagt N. Zudem will Döhmer wissen, wovon N. sich in der Projektwerkstatt ernährt habe. N. führt einige im Umfeld der Projektwerkstatt genutzte Methoden, Gratisessen zu organisieren, aus - Schnorren auf Märkten, bei Großhändlern, Reste von Supermärkten containern. Richter Nink schaltet sich ein und fragt, wie es mit Hygieneartikeln stehe. Der Angeklagte B. beginnt zu lachen; auch N. muss sich zur Sachlichkeit zwingen, als er erklärt: „Na ja, man kann bei einem Hersteller für Toilettenpapier anrufen und ein Gespräch führen, bei dem über eine Spende oder ein Tauschgeschäft auf Nicht-Geld-Basis“ - z.B. der Schaltung einer kostenlosen Anzeige - „verhandelt wird. Und es klappt manchmal.“ Als die Klopapierlieferung eingetroffen sei, habe man nicht mehr viel von den Büchern in der Projektwerkstatt gesehen. Der Wert dieses Gesprächs blieb unklar. Ob sich Nink inzwischen auf diese Art sein Klopapier beschafft, ist nicht überliefert.

Sechster Verhandlungstag: Schrecken nimmt seinen Lauf - keine Anträge von Verteidigern und Angeklagten
Spätestens am sechsten Tag war dann klar: Das Verfahren war wieder in die alte Rille gekippt. Alle (!) 78 Anträge der Verteidiger und Angeklagten wurden als "ohne Bedeutung" abgewiesen - erkennbar wurden nicht einmal alle durchgelesen. Dann verkündete das Gericht eine Frist von nur einer Stunde Zeit für weitere Anträge. Hatte es für heute ein abruptes Ende des Prozesses und Verkündigung des Urteils geplant? Dafür sprach auch eine eigens für das Prozessende bereitgehaltene, eher wie eine Prügeltruppe wirkende Sondereinheit der Polizei. Der Verdacht kam sofort auf, dass wieder ein hartes Urteil und eventuell sogar die sofortige Verhaftung bevorstanden. Doch ganz so reibungslos lief das Tag nicht - und so wurde es nicht der letzte Tag.

Tagebucheintrag, 16.9., Beschlüsse zu Beweisanträgen und weitere Sprossen auf der Eskalationsleiter
Offizieller Verhandlungsbeginn ist 9:42. Der gesundheitlich angeschlagene Vorsitzende setzt an, Entscheidungen zu den am vorigen Verhandlungstag eingereichten Beweisanträgen zu verlesen, wird aber von der Staatsanwältin gestoppt. Sie hatte noch nicht zu allen Beweisanträgen Stellung bezogen und holt dies nach mit der Bemerkung: „Ich kann mich ganz kurz fassen. Es sind die gleichen Gründe“, die Anträge seien abzulehnen. Richter Nink beugt sich zu den beiden Schöffen und fragt, ob sich etwas verändert hat. Zwei mal ein verneinendes Nicken - das nennt sich „nochmalige Beratung des Gerichts“ -, und der Vorsitzende verkündet seinen Beschluss.
Alle Anträge seitens des Angeklagten B. und seines Verteidigers, Tronje Döhmer, seien abzulehnen. Mit Begründungen, teilweise bestehend aus zwei Sätzen, wischt Richter Nink in zehn Minuten über 70 Beweisanträge vom Tisch. Tenor der Begründung: Anträge, die sich nicht direkt mit dem Genehmigungsbescheid des Versuchs beschäftigen, sprich: dessen Rechtswidrigkeit darstellen, sind ohne Bedeutung für das Verfahren. Und die, die sich damit beschäftigen, ebenfalls. Der Widerspruch ist offensichtlich. (Die Anträge des Strafverteidigers Künzel werden ebenfalls zurückgewiesen.)
Der Angeklagte B. fordert daraufhin eine längere Pause, weil er prüfen müsse, ob er einen Befangenheitsantrag stellen möchte, und wenn ja, weil er dann Zeit zur Formulierung benötige; Strafverteidiger Döhmer reicht die Beweisanträge 51-100 ein, die als Grundlage auf Tatsachen zurückgreifen, die in der Broschüre „Organisierte Unverantwortlichkeit“ dokumentiert werden.
Um 10:03 wird die Verhandlung unterbrochen, fortgesetzt wird um 10:40.


Der Angeklagte schrieb einen Befangenheitsantrag wegen der penetranten Abweisung alles Beweisanträge - vor allem auch der Widersprüchlichkeit, einerseits ginge es nur um die Frage, ob der Genehmigungsbescheid offensichtlich nichtig sein, andererseits würden genau solche Beweisanträge abgelehnt, die das nachweisen sollten.

Im Original: Befangenheitsantrag wegen Beweisantragsbeschlüssen
Antrag auf Verdacht der Befangenheit des erkennenden Gerichts und der als solche tätigen Personen als Einzelne
Die bisher vor allem in formal nicht wirksamen Rechtsgesprächen und Bemerkungen vorgetragene Behauptung, es käme allein auf die Frage der Rechtswidrigkeit des Genehmigungsbescheides oder gar dessen Nichtigkeit an, wird durch die nun bekanntgegebenen Beschlüsse zu den Beweisanträgen einerseits bestätigt und somit formal wirksam, andererseits aber wird selbst diesem Anspruch nicht Genüge getan, in dem selbst Anträge, die genau auf die Frage der Gesetzmäßigkeit ausgerichtet sind, durchgehend bescheinigt wird, sie seinen ohne Bedeutung. Diese Wahllosigkeit der Entscheidung, dass sowohl Anträge zu den Kriterien des § 34 StGB also auch Anträge zur Frage der Rechtmäßigkeit oder Nichtigkeit bedeutungslos seien, zeigt, dass schlicht alles als bedeutungslos gewertet wird und Aussagen darüber, was hier Gegenstand sein soll aus den vorangegangenen Verhandlungstagen auch nicht mehr gilt, wenn zu diesen Punkten (eben: Rechtswidrigkeit bzw. Nichtigkeit) Anträge gestellt werden.
Das begrenzt die Mitwirkungsmöglichkeiten an der weiteren Beweisaufnahme auf Null. Da sachliche und rechtliche Gründe nicht erkennbar sind, entsteht der Verdacht der Befangenheit, aus der heraus diese Entscheidungen entstehen. Ob sich diese Befangenheit gegen meine Person, zusätzlich weitere Personen oder nur gegen bestimmte Teile meines Verhaltens richten, ist nicht von Bedeutung für die Frage ob der Verdacht begründet ist.
Weitere Begründung ...


In der Pause zwecks Abfassung des Antrags ging der Angeklagte aufs Gerichtsklo - immer gut beäugt von den Sicherheitskräften. Doch diesmal hatte auch der Angeklagte was zu sehen. Er stellte daraufhin noch einen Befangenheitsantrag und formulierte darin seine Beobachtungen: "Am heutigen Vormittag vor Prozessbeginn beobachtete ich, dass eine besondere Einheit der Polizei erstmals in diesem Prozessverlauf anwesend war. Diese war in besonderer Weise ausgestattet mit den typischem Material der Aufstandsbekämpfung.
Die Einheit verschwand im Gerichtsgebäude. Ich registrierte zudem eine auch insgesamt größere Polizeipräsenz. In der vorangegangenen Pause ging ich nach Fertigstellung meines Befangenheitsantrags auf die Toilette. Dabei sah ich, wie Angehörige der benannten Polizeieinheit das Gebäude verließen. Ich ging spontan hinterher und sah, wie diese einen Polizei-Personentransporter bestiegen und abfuhren.
" Seine Schlussfolgerung: "Es gab besondere Gründe, ein erheblich erweitertes, schlagkräftiges Polizeiaufgebot vor Ort zu haben. Diese Gründe waren hinfällig, als klar wurde, dass der Prozess heute nicht zuende gehen würde. Das bedeutet zum einen, dass bereits vor Ende der Beweisaufnahme und trotz angekündigter Beweisanträge im zwei- bis dreistelligen Bereich das Ende der Verhandlung für heute vorgesehen war. Es war also ohne Kenntnis der Anträge geplant, diese abzulehnen. Außerdem war ohne Kenntnis von sehr vielen angekündigten Anträgen bereits beschlossen, das Verfahren heute, wenn möglich zu Ende zu führen. Die Anwesenheit einer Polizeitruppe mit Aufstandsbekämpfungsausrüstung deutet zudem darauf hin, dass ein bestimmtes Urteil oder zumindest dessen Richtung bereits feststand, obwohl noch viele Anträge angekündigt waren und wir uns immer noch in der Beweisaufnahme befinden." Was auch immer tatsächlich der Hintergrund war - der Prozess kam nicht zum Ende. Nächster Anlauf für das Finale mit Urteilsverkündung sollte am Mittwoch, den 30.9., folgen. Damit das auch klappte, stellte das Gericht eine Frist für weitere Beweisanträge. Spätestens einige Tage vor dem 30.9. sollten die eingereicht sein, sonst würden sie nicht mehr beachtet.

Bis zum 7. Tag stellten die Angeklagten und Verteidiger in der Tat weitere Beweisanträge. Fast 300 waren es inzwischen geworden. Würden alle als bedeutungslos abgewiesen? Sollte auch diese zweite Instanz vor allem der Verhinderung der Mitgestaltung des Prozesses durch Angeklagte und Verteidigung dienen? Netter zwar, aber im Ergebnis gleich wie in der ersten Instanz?

Siebter Verhandlungstag: Wieder eine Auseinandersetzung auf hohem politischen Niveau
Da der Richter schon in der letzten Sitzung deutlich ungehalten war, als die Anwälte einen weiteren Verhandlungstag forderten, gingen alle davon aus, dass das Urteil unmittelbar bevor stünde. Deshalb organisierte das "Aktionsbündnis gegen Gentechnik Gießen" in aller Eile eine Demonstration. Und es kamen ca. 75 TeilnehmerInnen aus allen Richtungen der Republik. Sie begleiteten die Angeklagten in einem bunten Zug durch die Innenstadt zum Gericht - ein Traktor vorneweg. Start war am Kirchenplatz mit mehreren RednerInnen: Ein Vertreter der BI Marburg-Biedenkopf sprach seine Solidarität mit den FeldbefreierInnen aus und kündigte entschlossenen Widerstand auf allen Ebenen an. Ein emeritierter Professor für Ökolandbau aus Witzenhausen wiederholte seine persönliche Kritik an der Agro-Gentechnik und die Notwendigkeit für aktiven Widerstand. Abgerundet wurde das Programm mit einer Performance der AktivistInnen: Mit Anzügen verkleidet stellten einige Vertreter der großen Gentechnik-Konzerne, Genehmigungs- und Kontrollbehörden und der Lobbyvereine dar. Sie warfen sich ein Seilknäuel gegenseitig zu, so dass mit der Zeit ein Seilschaften-Netzwerk entstand - wie in der Broschüre des Angeklagten beschrieben. In der Mitte die Landwirte, Imker und Verbrauchen wurden dadurch buchstäblich "eingewickelt", bis sie es schafften, im gemeinsamen Widerstand sich daraus zu befreien. Weiter ging es über den Anlagenring bis zum Uni-Hauptgebäude, wo Gießener AktivistInnen die Uni mit einem Ständchen an ihre Verpflichtung zur unabhängigen Forschung erinnerten. Ein Vertreter von attac Wuppertal erklärte sich ebenfalls solidarisch mit den Feldbefreiern. Unter den Demo-TeilnehmerInnen war auch Imker Michael Grolm. Er war erst eine Woche vorher per Verfassungsbeschwerde aus drei Wochen Beugehaft entlassen worden. Zuletzt zog die Demonstration zum Landgericht, wo um 14 Uhr der siebte Verhandlungstag gegen die beiden Feldbefreier startete.

Im Original: Demonstration
Aus Gießener Allgemeine am 1.10.2009
Knapp 50 Menschen haben gestern in der Innenstadt gegen den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft demonstriert. Unter dem Motto "Fördermillionen für die Gentechnik, Haft für die Kritiker?" zogen die Aktivisten vom Kirchenplatz durch die Fußgängerzone zum Landgericht, wo ein Prozess gegen zwei Gentechnik-Gegner fortgesetzt wurde. ... Bei der Demonstration forderten die Teilnehmer den Freispruch der beiden Angeklagten und wiesen in Redebeiträgen auf die Gefahr von gentechnisch veränderten Pflanzen für die Landwirtschaft hin. "Wir sind tief enttäuscht von der Justiz", sagte eine Bündnissprecherin. Die Gerichte sollten im Namen des Volkes urteilen, tatsächlich würden sie jedoch nur die Interessen der großen Konzerne vertreten, meinte sie.
An dem Protest beteiligte sich auch der Bio-Imker Michael Grolm aus Thüringen, der erst vor einer Woche aus der Haft entlassen worden ist. Grolm war zu einer Geldstrafe von 1000 Euro verurteilt worden, weil er ein Genmaisfeld in Brandenburg zerstört hatte. Stattdessen wollte er eine zweitägige Haftstrafe antreten und sollte dazu seine Finanzlage offenlegen. Dies lehnte Grolm ab und kam in Erzwingungshaft.


Kurz nach zwei Uhr ging es los - sollte der Prozess diesmal zum Ende gekommen. Geplant war das und der Versuch wurde auch unternommen. Fast bis 22 Uhr dauerte der Tag und endete - wieder ohne Urteil. Aber der Reihe nach: Es ging los mit einer symbolstarken Streiterei um die anwesenden Reporterinnen der Gießener Allgemeine und des Gießener Anzeigers, die Verhandlungstag für Verhandlungstag mit einseitigen und oft falschen Berichten nervten. Dann folgte der Auftritt einer mehr und mehr schlechte gelaunten Staatsanwältin - und auch das Gericht wischte die Befangenheitsanträge lässig vom Tisch. Es blieb dabei: Auch wenn Richter Nink am heutigen Tag wieder etwas souveräner wirkte, ein echter Strafprozess fand nicht mehr statt. Alles, was von Verteidigern und Angeklagten kam, wurde abgeblockt. Sie hatten mitreden können bei den Beweiserhebungen, die das Gericht vorgesehen hatte - aber eine eigene Gestaltungsmöglichkeit im Prozess sollten sie nicht erhalten ...

Tagebucheintrag, 30.9., Start und Beschlüsse zu Befangenheitsanträgen
14.15 Uhr: Richter Nink eröffnet damit, die bis zur umstrittenen Frist eingereichten Beweisanträgen zu benennen (insgesamt sind es über 100 weitere). Der Angeklagte B. meldet sich und erklärt, dass Pressevertreter von Gießener Zeitungen nicht die für sie reservierte Plätze nutzten (womit de facto Publikumsplätze blockiert werden, weil die erste Reihe pauschal den Medienvertretern vorbehalten ist). Richter Nink fordert die beiden Pressevertreter vehement auf, nach vorne zu gehen; zudem bietet er älteren Personen mit Hörproblemen an, auf die vorderen Plätze zu wechseln. Die beiden Schreiberinnen der Gießener Tageszeitungen trollen sich nach vorne - der Ärger über diesen Affront ist ihnen anzusehen. Nach mehreren Wochen übelster Berichterstattung gerieten sie so mal in den Mittelpunkt.
Um 14:20 verliest die Staatsanwältin in beißendem Ton eine Erklärung zu den beiden, in der zurückliegenden Sitzung gestellten Befangenheitsanträgen: Sie seien unbegründet. Zum 1. Befangenheitsantrag führt sie aus, vom Seiten des Gerichts habe den Angeklagten „weiter Raum“ zur Verfügung gestanden, „ihre Auffassungen zur Gentechnologie ... darzulegen.“ Die Ablehnung der Beweisanträge allein vermöge eine Befangenheit nicht zu rechtfertigen.
Zum 2. Befangenheitsantrag, der unter anderem das martialische Polizeiaufgebot am 16.09.09 problematisierte, erklärt die Staatsanwältin: „Erfahrungen aus der Vergangenheit“ hätten gezeigt, dass „mit Unruhen und Ausschreitungen innerhalb seiner Anhängerschaft zu rechnen“ sei, wenn ein Urteil gesprochen würde. Danach positioniert sich die Staatsanwältin zu den eingereichten Anträgen: „Unzulässig“, „ungeeignet“, „ohne Bedeutung“ …
Rechtsanwalt Döhmer, der B. vertritt, kritisiert den von der Staatsanwaltschaft verwendeten Begriff „Aussschreitungen“; wie andere Verhandlungen mit B. verlaufe auch diese sehr ruhig. Der Polizeieinsatz in diesem Umfang sei „sachlich nicht begründet“, „unglaublich, was hier an Geld verschwendet wird.“ Richter Nink sagt: „Ich habe auch nichts bestellt“, und grinst. Auch B. meldet sich und greift den Begriff Anhängerschaft; er gehe davon aus, dass die Leute im Publikum selber denken können und mehr sind als die Anhängerschaft anderer. Um 14:33 verliest das Gericht die Beschlüsse zu den beiden Befangenheitsanträgen – sie werden zurückgewiesen, weil sie „unbegründet“ seien.


Wie erwartet, lehnte das Gericht die seit dem letzten Verhandlungstag eingereichten Beweisanträge wieder ab. Dabei erkundigte sich Richter Nink, warum der Angeklagte B. zwar Beweisanträge zu den Gentechnik-Positionierungen von Gießener Parteien gestellt hatte – die FDP ausgelassen habe. B. konterte: „Die hat sich nicht überraschend positioniert“. Was Nink zu der Erwiderung motivierte: „Sie gehören in konfrontative Fernsehsendungen“ - eine seltsame Aussage für jemand, der längst beschlossen hatte, den Angesprochen für lange Zeit hinter Gitter zu bringen.
Der Angeklagte nahm die vielen Ablehnungen ohnehin noch ausführlich aufs Korn. Er verlas Gegenvorstellungen zu seinen ersten 26 Anträgen, die am zurückliegenden Verhandlungstag abgelehnt wurden, und argumentierte, dass es nicht sein könne, dass die Beweiserhebung zu Rechtfertigungsgründen vom Gericht abgelehnt werde, um dann zu behaupten, es hätte keine solchen Gründe gegeben. B. zitierte aus dem "Leitfaden für Schöffinnen und Schöffen: „Beruft sich der Angeklagte auf Ausnahmeregeln von einer Strafbarkeit (wie etwa Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe oder auf einen Rücktritt vom Versuch), muss das Gericht ihm nachweisen, dass diese Umstände nicht vorliegen. Ist das Gericht zu diesem Beweis nicht in der Lage, muss zu Gunsten des Angeklagten entschieden werden.“ Sich wegducken, sei das Gegenteil dieser Aufklärung. Die Behauptung des Gericht, dass auch im außergesetzlichen Notstand die Gesetze gelten sollen, sei die Umschreibung eines bekannten Gags: "§ 1: Das Gesetz gilt immer. § 2: Wenn das Gesetz mal nicht gilt, tritt automatisch § 1 in Kraft." Es ging weiter mit Verlesungen und Possen aus früheren sogenannten Straftaten der Angeklagten.

Tagebucheintrag, 30.9., Vorstrafen
Als eine Passage aus einem Urteil gegen N. und B. vorgelesen wird, die ihnen zur Last gelegte Wahlplakatveränderungen detailliert beschreibt, müssen selbst die ansonsten zurückhaltend auftretenden Schöffen grinsen. Die Angeklagten waren 2002 von zwei Polizeibeamten festgenommen worden, die in ihnen gesuchte Autoknacker vermuteten. B. und N. wurden in Handschellen gelegt. Als die Beamten ihren Irrtum erkannten und die beiden freilassen wollten, bemerkten sie, dass ihre Schlüssel nicht passten; eine weitere Streife wurde gerufen. „Das ist nicht ihr Ernst“, wirft Micha Grolm, Imker und Gentechnikkritiker, aus dem Publikum ein.

Dann ließ die Staatsanwältin eine Bombe platzen: Sie zog ihre eigene Berufung zurück. In der ersten Instanz hatte sie ihr Wunschurteil von sechs Monaten Knast ohne Bewährung für beide Angeklagten bekommen. Einer der Angeklagten wollte direkt in Revision gehen, um die rechtswidrigen Maßnahmen des Richters aus erster Instanz anzugehen. Die Staatsanwältin verhinderte das mit ihrer Berufung. Wahrscheinlich war das auch der Grund für die Berufung. Nun zog sie die Sperrberufung heute wieder zurück und erhärtete so diesen Verdacht. Doch Angeklagte und Verteidigung ließen sich auf die taktischen Spielchen der Staatsanwältin nicht ein. Sie müssen bei einer Rücknahme während der Verhandlung zustimmen - und das taten sie nicht.

Dann folgte ein kleines, aber feines Lehrstück, was offensive Prozesskultur bedeutet. B. stellte den Antrag, die Regelung, dass Beweisanträge schriftlich einzureichen sind, wieder zurückzunehmen, weil es für die Verteidigung zu Nachteilen führe und der Verdacht bestehe, dass Anträge nicht oder nur unzureichend gelesen würden. Der Antrag wurde durch Kammerbeschluss zurückgewiesen. Die Nervosität bei Gericht und Staatsanwältin war zu spüren: Warum stellte der diesen Antrag, wo doch die Frist zum Stellen von Anträgen abgelaufen war? Dann stellte B. fünf Beweisanträge. Wieder etwas Nervosität und während ein Helferlein in Uniform die Anträge kopierte, fragte der Richter die Staatsanwältin, ob sie Stellung beziehen wolle. Das tat sie, ohne dass ihr die Anträge vorlagen - verlesen wurden sie ja auch nicht, weil das verboten war. Aber eine interessensgeleitete Staatsanwältin kann auch Anträge bewerten, die sie gar nicht kennt. Sie bejahte, also ihr aus dem Publikum soufliert wurde: „Die sind bestimmt ohne Bedeutung.“ Richter Nink schlug dann doch, um die Situation zu retten, vor: „Warten wir lieber.

Tagebucheintrag, 30.9., neue Beweisanträge
Als ein Wachtmeister die Kopien an die Prozessbeteiligten aushändigt, erklärt Nink: „Man bekommt sonst nur in Wirtschaftsstrafverfahren so viel Material.“ Daraufhin B: „Es ist ein Wirtschaftsstrafverfahren, nur dass die Angeklagten die Falschen sind.“
Die Staatsanwältin beantragt, die Anträge wegen „Prozessverschleppung“ zurückzuweisen. Sie sagt: „Der Verteidiger von B. lacht schon; wir alle wissen ja, dass er an einem Aufsatz darüber schreibt“. Unter anderem bezieht die Staatsanwältin sich auf die Fristsetzung seitens des Gerichts.


Nun wurde das Geheimnis gelüftet - durch Verteidiger Döhmer. Der merkte an: „Den Verteidigern ist eine Frist gesetzt worden, nicht den Angeklagten“. Aha-Erlebnis beim Gericht, blättern im Protokoll des letzten Verhandlungstages und dann die Bestätigung: Der Angeklagte hatte recht. Er hatte das Versehen einfach genutzt, um weiter inhaltliche Positionen vortragen zu können. Was blieb dem Gericht übrig, als eine neue Frist zu setzen - bis 18 Uhr, also eine gute halbe Stunde. Diesmal erging die Weisung korrekt an alle Verfahrensbeteiligten.

Tagebucheintrag, 30.9., vor den Plädoyers
Von 17:27 bis 18:08 wird der Verhandlung unterbrochen; wie zu erwarten, werden die Anträge von B. zurückgewiesen …
B. gibt an, einen Film mitgebracht zu haben, der seine persönlichen Verhältnisse erhelle und den er gerne zeigen würde. Als Richter Nink der Staatsanwältin einen fragenden Blick zuwirft, sagt diese: „Ich bin ja zu allem bereit“, aber auch: „Ich sehe die Notwendigkeit nicht“. B. erklärt zudem, dass er noch einen Antrag habe. – Zwischen Gericht und dem Angeklagten wird die Vereinbarung – ein „Deal“ (formale Prozess-Nebenabsprache) – getroffen, dass B. noch einen Antrag stellen und danach den Film zeigen könne. Um 18:21 trägt B. den Antrag vor, der eine Aussetzung des Verfahrens mit Verweis auf ein laufendes zivilrechtliches Verfahren, das sich unter anderem gegen die Broschüre „Organisierte Unverantwortlichkeit“ richtet und bei dem möglicherweise diesem Verfahren widersprechende Feststellungen gemacht werden könnten. – Der Antrag wird … logisch: abgelehnt …Es folgt die Filmvorführung von „Berufsrevolutionäre“ – einem Film über Ideen, Personen und Aktionsstrategien in und um die Projektwerkstatt. Einer der Angeklagten hatte vorgeschlagen, den Film anzuschauen, weil er viele Interviews über Motive und Ziele aus der Zeit unmittelbar vor der Aktion enthielt. Nach 17 Minuten, um 18:49, endet der Film.


Das war der Kern des Prozesses. Es folgten die Plädoyers. Kurze Einigung: Obwohl unüblich, sollte auch in der Berufung zunächst die Staatsanwaltschaft plädieren. Anders als die Angeklagten brauchte sie dafür keine Vorbereitungszeit. Das war angesichts des nun Folgenden auch nicht überraschend.

Tagebucheintrag, 30.9., mitgeschriebene O-Tone aus dem Plädoyer Staatsanwaltschaft
„Warum ich die Berufung zurückgenommen habe, ... ich versuche meinem Job nachzugehen ..., meine Berufung ist nicht durchsetzbar ... Zur Sache selbst: Die Tat ist zu einem recht frühen Zeitraum von beiden Angeklagten eingeräumt worden. Es ist ein großer Sachschaden entstanden ...
Alles dreht sich hier um den § 34 StGB. Haben wir denn überhaupt eine Gefahrenlage? Dafür haben wir eindeutige Kommentarlage. Haben wir hier schon eine konkrete Gefahr? ... Es geht um die Geeignetheit des Mittels, ... das mildeste Mittel. Was wir hier haben ist das rigoroseste Mittel, die Feldbefreiung. ... Alleine bei Nichtigkeit des Genehmigungsbescheids hätte die Tat von der Rechtsordnung gebilligt werden müssen. ... hier ist nach allen erdenklichen Seiten ermittelt worden. Wir haben es hier nicht mit einer offenkundigen Nichtigkeit zu tun. Und damit war diese Selbstjustiz nicht rechtens. Was würde das bedeuten, wenn wir sagen: Diese Aktion war rechtens? Nur vom Ergebnis her betrachtet: Die Polizei hätte nicht einschreiten dürfen. Sie hätte es dulden müssen – in dem Moment wo man sagt: ‚Ihr Handeln ist gerechtfertigt.’
Ich komme nun zur Strafzumessung. Herr N. hat sich zu seinen Verhältnissen eingelassen. N. sagte, das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt nicht. ... Es kann sein, dass ich ihm fürchterlich auf dem Leim gehe. Ich glaube ihm. ... Ich sehe keine rechtliche Grundlage, ihm die Bewährung zu versagen. Angesichts des hohen Schadens halte ich 6 Monate Freiheitsstrafe für angemessen, ... 3 Jahre Bewährung und 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit; ich halte es nicht für notwendig, dass er einem Bewährungshelfer unterstellt wird.
B sagte: Er sieht es heute nicht anders als damals. Ich bin der Auffassung, nach wie vor, dass es zu einer Freiheitsstrafe kommen muss. Ich bin aber auch der Auffassung, dass ... der Angeklagte sich geständig gezeigt hat ... 6 monatige Freiheitsstrafe. Weil es an der günstigen Sozialprognose fehlt.“


Dann folgten die Plädoyers der beiden Verteidiger.

Tagebucheintrag, 30.9., mitgeschriebene O-Tone aus dem Plädoyer des Verteidigers Markus Künzel (Beginn: 19.26 Uhr)
Ich gehe noch mal zurück zum Anfang des Verfahrens, ... aktenmäßig ist belegt, dass der damalige zuständige Staatsanwalt N. die Einstellung anbieten wollte, ... wie gesagt: Man hat ihn gar nicht gefragt. Wenn man gegen einen Angeklagten nicht verhandeln will, sollte man es auch nicht tun. ... Sicherlich muss ich davon ausgehen, dass das Gericht ... die Angeklagten mit einem Urteil versehen will .... Kriminelle Energie, ... fand ich abenteuerlich, ... N. benennt ein öffentlichen gesellschaftlichen Widerspruch. ... Zum Nachtatverhalten: N. hat umfangreich zu sich Auskunft gegeben; er sit jemand, der sich und seine Umwelt genau reflektiert. ... Verfahrensdauer: Es ist drei Jahre her, ... obwohl die Tat am Tag der Begehung aufgeklärt war. Man fragt sich: Wozu wird eigentlich verhandelt? Ein Strafabschlag ist gegeben, und das ist in der Rechtsprechung auch anerkannt. N. hat ausgesagt, eine Ausbildung nicht angefangen zu haben, weil das Verfahren über ihm schwebe. Das Verfahren hängt über einem, es ist nicht abstrakt, es ist ganz konkret. ... Ein hoher Schaden wurde in der Beweisaufnahme nicht festgestellt. Der Zaun ist die einzige, nennenswerte Schadensposition. ...
Der § 34 verzichtet ausdrücklich auf die Bezugnahme auf das Verwaltungsrecht. Die Tatsache, dass es ein Gesetzt gibt, schließt doch nicht aus, dass es eine Gefahr gibt. ...

RA Künzel schlussfolgerte, dass man im Falle, dass der § 34 zieht, einen Freispruch beantragen müsse. Zum Gericht gewandt aber zeigte er sich hoffnungslos: „Ich weiß auch, das können sie nicht, das wäre eine Signalwirkung. Ich werde deshalb hier ohne Antrag das Plädoyer beenden.“ Eine Haftstrafe ohne Bewährung würde allerdings weder der Tat noch dem Täter noch dem Geschehen gerecht. Dann kam der zweite Verteidiger ...

Tagebucheintrag, 30.9., mitgeschriebene O-Tone aus dem Plädoyer des Verteidigers Döhmer (Beginn: 19.45 Uhr)
Von welchem Sachverhalt gehen wir aus? Das ist entscheidend. Es ist gar nicht am Ende so schwierig. ... Wodurch werden die Angaben des Angeklagten widerlegt? Darum geht es. ... Ich befürchte, bei strenger Betrachtung, dass eine Widerlegung der Angaben des Angeklagten nicht möglich ist. Es gab hier in Gießen ein Genfeld. Es gab eine formell bestandskräftige Genehmigung. Nach Recherchen von B. entsprach der durchgeführte Versuch nicht dem, was genehmigt war, ... die Ausführung war nicht rechtmäßig. Wenn eine ganz andere Versuchsanordnung durchgeführt wird, kann das sogar strafrechtlich relevant sein. Es gibt Auflagen im Bescheid, die nicht eingehalten wurden. ... Es muss von Rechtsverstößen ausgegangen werden; die Situation, die wir vorgefunden haben, die war rechtswidrig. ... Der Sachverhalt ist nicht so komplex, er ist ziemlich klar. ... Rechtswidrige Genehmigung, nicht genehmigter Zaun, und wenn der Versuch genehmigt war, wurden Auflagen nicht eingehalten. Das ist alles nicht widerlegt. ...
Zu Recht, aber auch peinlicherweise, hat B. aus dem Leitfaden für Schöffen zitiert. Im Verfahren ist so verfahren worden: Den Notstand muss schon der Angeklagte nachweisen. Es ist umgekehrt: Man muss dem Angeklagten nachweisen, dass kein Notstand gegeben war. ...
Es ist Glatteis, sehr gefährliches, dünnes Glatteis, brüchig zudem. Wir können davon ausgehen, dass der Paragraf anwendbar ist. Dann haben wir kein Problem, uns zum nächsten Tatbestandsmerkmal vorzutasten. Da habe ich sicherlich ein Problem damit dass festzustellen: Gefahr für Leib und Leben? Es gibt weitere Schutzgüter: Umwelt, ökologisches Gleichgewicht. Darüber brauchen wir heute nicht mehr zu diskutieren. ... Dann ist die Frage: War die Tat erforderlich, wenn eine Notstandslage gegeben war? Wenn man die Entscheidungen liest, liest man nur oberflächliche Beurteilungen. Man kann erwarten, dass Handlungsalternativen aufgezeigt werden. Handlungsalternativen hat mir hier niemand präsentiert – das es in der konkreten Situation irgendwo eine andere Möglichkeit gab. ... Der Angeklagte selbst hat uns mit seinen Beweisanträgen gezeigt, dass es sinnlos war, sich an die Polizei zu wenden oder an Parteien. ... Welches mildere Mittel hätte eingesetzt werden können, ist mir nicht erkennbar. ...
Entweder haben wir Rechtfertigungs-, oder zumindest Entschuldigungsgründe. Alle diese Punkte sind von Bedeutung im Rahmen des § 34 .... Ich weiß nicht, wie das Gericht dem abhelfen will. ... Verhängung einer Freiheitsstrafe ist für beide Angeklagten indiskutabel; das sind strafrechtsferne Erwägungen, das ist in der ersten Instanz deutlich geworden. Ich bin davon immer noch betroffen. Auch das Verhalten der Staatsanwaltschaft in der ersten Instanz macht mich betroffen. Die Staatsanwaltschaft ist ja auch Organ der Rechtspflege und hätte erkennen müssen, dass so etwas nicht geht. ...
Ich bleibe bei meiner Vermutung, dass hier schlicht eine Sperrberufung eingelegt wurde, ... diese Vermutung ist nicht ausgeräumt. Dieses Geschmäckle habe ich hier überall … eigentlich hätte das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft gar nicht eingelegt werden dürfen.


Nun war die Reihe an den Angeklagten. Patrick N., für den die Staatsanwältin "nur" eine Bewährungsstrafe gefordert hatte, begann, stand auf und bemerkte, dass es offenbar „common sense“ sei, Plädoyers im Stehen zu halten. Dann beschrieb er seine Lage und Stimmung zur Sache Anfang 2006: Es waren klare Gefahren erkennbar, aber die Gesetze schützten nur die Gentechnik und die Gentechnikkonzerne. Noch einmal ging auf die Frage ein, ob ein Unterbindungsgewahrsam zu erwarten war an jenem Tag: „Ich habe mir das nicht gewünscht, aber ich habe es erwartet“. Als Gründe für seine Erwartung schilderte N. Beispiele aus den Jahren davor, bei denen die Giessener Polizei wirreste Festnahmen durchführte, so unter anderem der Unterbindungsgewahrsam am 9.12.2003, weil er und andere Gedichte vorgelesen hätten – einer der skurrilsten Fälle von Polizeiwillkür in Gießen (dokumentiert auch im Buch "Tatort Gutfleischstraße" und Internet zu "Fiese Tricks von Polizei und Justiz").
N. korrigiert die Staatsanwältin wegen des vermeintlichen Zitats zum „Preis-Leistungs-Verhältnis“. Er bestätigte, das er das heute so seh: „Es macht mir Angst, dass ich dafür ins Gefängnis gehe, wenn ich Widerstand leiste“. Daraus könne jedoch niemand schlussfolgern, dass er solche Aktionen nun für falsch halten würde. „Es heißt ebenfalls nicht, dass mich hier irgendwas überzeugt - schon gar nicht der Herr Kogel“. N. zitierte stattdessen Prof. Kogel, dass es dem nur darum gehe, dass deutsche Firmen auch genug vom Kuchen des Profits abbekommen: „Es geht um ganz schnöde wirtschaftliche Interessen“. N. äußert sich auch zum § 34 StGB. Den hätte er im Verfahren nicht so sehr zu seinem Thema gemacht: „Ich habe mich nicht persönlich damit intensiver beschäftigt“. Nun aber sagt er einiges dazu: Dass es ständig Protest gäbe – der aber nix nütze. Sofortvollzug würde verhängt, Einwendungen seien „fast ein aussichtsloses Unterfangen“. Daher sei der Prozess insgesamt eher eine Bestätigung, dass die Aktion richtig gewesen sei. Dennoch stellte auch N. keinen konkreten Antrag auf Freispruch oder eine Strafe.

Womit nur noch ein Plädoyer übrig blieb - das des Angeklagten B. Um 20:32 stieg er mit aktuellen Auskreuzungsnachrichten ein: Leinsamen, verunreinigte Maisfelder und illegale Versuchsfelder wie Kogels doppelter Gengersteacker 2009 in Sagerheide. Die Behörden würden überall versagen. Dann: „Die Frage ist hier und heute: Warum habe ich das gemacht? Hatte ich Rechtfertigungsgründe dafür, mich der Gentechnik entgegenzustellen? Doch so spannend die Frage ist ... eigentlich wäre eine andere Frage doch viel interessanter, nämlich: Warum haben Sie das nicht gemacht? Was sind Ihre Rechtfertigungsgründe, sich der Gentechnik nicht entgegenzustellen? Welche Kaltschnäuzigkeit gehört dazu, ausgerechnet den wenigen, die sich wehren, noch den Prozess zu machen? Machen Sie Fotos von dieser Verhandlung, um ihren oder anderen Kindern und Enkeln erzählen zu können: Guck mal – als der Mist damals verzapft wurde, war ich bei den TäterInnen dabei! Oder sagen Sie wieder den typisch deutschen Spruch auf: Ich hab nichts gewusst?“ B. rief das sehr laut und nachdrücklich Richtung der erhöhten Sitze von RichterInnen und Staatsanwältin. Wieder wurde dort Nervosität sichtbar. Dann folgten Zitate: "Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und zu sagen: Nein! (Kurt Tucholsky). Protest ist, wenn ich sage: 'Das und Das passt mir nicht'. Widerstand ist wenn ich dafür sorge, dass Das und Das nicht mehr passiert. (Ulrike Meinhof). Wenn normalerweise rational handelnde Leute systematisch gegen die Spielregeln verstoßen und dabei ein hohes Risiko eingehen, ist das eher ein Zeichen für Systemversagen als ein Anzeichen des allgemeinen moralischen Verfalls. (Wirtschaftsjurist Marco Becht am 28.7.2008 bei Spiegel Online)".
B. beleuchtete die Geschichte der Gentechnik vor allem in Mittelhessen und den Widerstand dagegen. Mitte der 90er Jahre hatte es erste Felder, aber auch Besetzungen und Feldbefreiungen gegeben. Ergebnis schon damals: Hessen wurde aufgegeben als Standort. B. ging auf den 4. Mai 2000 ein, als das Live-Science-Mobil, ein völlig einseitiger Propaganda-LKW von Regierung und Wirtschaft, in Gießen auf dem Hof der Liebigschule stand: "Ich habe mich saumäßig gefreut, als ich erfuhr, dass es den nächsten Morgen in Form eines zusammengeschmolzenen Kunststoffhaufens erlebte". Seit vier Jahren würde die Uni es nun wieder probieren, aber dank Feldbefreiungen und -besetzungen gelang es 2008 zum zweiten Mal, Hessen gentechnikfrei zu machen, "was natürlich angesichts der dramatischen Auskreuzungen allein nichts nützt". Der Angeklagte referierte frei und bewegte sich zwischen Anklagebank und Publikum. Immer wieder ging er die RichterInnen direkt an: Wo sie denn gewesen seien bei den Protesten Mitte der 90er? Warum sie ausgerechnet aktiv würden, wenn es gegen die wenigen ginge, die sich wehren gegen das, was die RichterInnen bestimmt auch nicht wollten? Noch einmal brachte er Zitate, diesmal aus dem "Bauernlied" der Neuen Barden, um dann in einer langen Bilanz die Gentechnik als Geschichte der Desinformation anzugreifen - von der "Lüge der sicheren Pflanzen", die in Mittelhessen schon 1997 mit dem Raps begann. AgrEvo und Monsanto hätten die Pflanze gelobt, weil sie nicht auskreuzen könne. Auch die Uni Gießen mischte bei dieser Verdummung mit und verteilte ausgerechnet um ihr Versuchsfeld in Rauischholzhausen ein Flugblatt mit dem Lügensatz: "Insbesondere kann eine Ausbreitung der neuen Eigenschaften wegen nicht gegebener Kreuzbarkeit von Raps mit Kruziferen der hiesigen Flora ausgeschlossen werden."

Tagebucheintrag, 30.9., mitgeschriebene O-Tone aus dem weiteren Plädoyer des Angeklagten Jörg B.
Die weiteren Lügen, die B. benennt, sind die Behauptung der Beherrschbarkeit von Auskreuzung und der Unmöglichkeit eines horizontalen Gentransfers - alles längst widerlegt. B. belegt, dass die ForscherInnen es immer besser wussten. Sie belogen die Menschen absichtlich. Er zitiert aus einem Heft des Evangelischen Entwicklungsdienstes EED (nicht ohne kritische Worte zu Kirche und Religion) zur Lüge der Ursachen von Hunger. Dann belegt er anhand eines Textes von Uwe Schrader (heute Chef von InnoPlanta), dass nicht Umweltschutz, sondern die Hoffnung auf mehr Spritzmittelabsatz der Einführung der Gentechnik in der Landwirtschaft zugrundelag. Schließlich schwenkt er noch einmal auf ein Hauptthema des Prozesses ein, der Lüge von der Unabhängigkeit der Behörden und Überwachung.
Noch eine Lüge benennt er: Die der Forschungsfreiheit. "Das ist Unsinn. Hier wird nirgends frei geforscht - sondern immer nur, wofür es Geld gibt". WissenschaftlerInnen seien längst OpportunistInnen des Geldes - im Landwirtschaftsbereich gäbe es für sowas das böse Wort der "Agrarhuren". Nur 7 Mio. Euro gäbe es an Forschungsförderung für den ökologischen Landbau, aber 165 Mio. Euro für die grüne Gentechnik. Dann wieder Zitate:
Inge Broer, Uni Rostock/AgroBiotechnikum (2006, WDR: "Immer Ärger mit Linda"): "Im Moment ist es hauptsächlich Forschung in der Gentechnik, weil es dafür Geld gibt.
"
Aus einem Interview mit Inge Broer, in: Volksstimme am 4.8.2009: "Der Verein FINAB will sich mit der Sicherheit aller neuartigen Lösungen in der Landwirtschaft befassen. Bis jetzt erhalten wir aber leider nur Mittel für Versuche an gentechnisch veränderten Pfanzen."
Bundestagsdebatte am 26.3.2009 zum Antrag der Grünen auf Verbot von MON810: " Ulrich Kelber (SPD): Technologieoffene Forschung kann nicht heißen, dass im Haushalt von Frau Schavan 90 Prozent der Mittel für die Lösung bestimmter Probleme in der Züchtung in die Grüne Gentechnik und keine 10 Prozent in alternative Technologien gehen." Der Abschluss: "Es ist alles Lüge. Es geht um Macht, Geld und Karrieren. Für die Gentechnik gilt wie für alle Methoden, soziale Probleme mit Gewalt zu lösen: Krieg schafft keinen Frieden. Bomben stärken nicht die Menschenrechte. Polizei hilft nicht gegen Kriminalität. Gentechnik beendet keinen Hunger."
Dann kommt ein Themenwechsel: Welche Handlungsmöglichkeiten bestehen? B. geht darauf ein, wie unsinnig Einwendungen sind, wenn die Behörde, die sie bewertet, das hochverfilzte BVL ist."Welche Hoffnung soll mensch auf Gutachten haben, wenn die ZKBS hochverfilzt ist und der Text ohnehin im BVL geschrieben wird? Was nützt Rechtsstaatlichkeit, wenn der Rechtsstaat den Sofortvollzug verhängt und damit jeder Gang vor Gericht zwar noch möglich bleibt, aber nicht mehr rechtzeitig wäre? Und wenn im Fall einer Klage die Antwort immer nur ist: Nicht klageberechtigt? B. verliest eine entsprechende Passage aus dem Urteil des VG Braunschweig, das seine Klage gegen die Gengerste so abwies.
Doch damit seien noch nicht alle Probleme beschrieben: "Wer sich wehrt, trifft trotz 80 Prozent Ablehnung der Gentechnik vor allem auf Probleme, denn die Mechanismen der Macht und sozialen Kontrolle sichern den Reichen und Edlen ihre Hegemonie". B. nennt als Beispiele die Berichterstattung in Gießener Tageszeitungen, die nichts als peinliche "Hofberichterstattung für die Uni". In Kommentaren hätte der "Hetzer Guido Tamme" schon früh GentechnikgegnerInnen verunglimpft.
Auch die Staatsanwaltschaft Gießen nimmt B. aufs Korn: Sie hätten den Versuchsleiter Prof. Friedt geschützt, nachdem dieser im RTL-Interview 2008 davon plauderte, illegale Felder zu kennen. Zum Stand im Wirtschaftsstrafverfahren gegen Kogel wegen dessen Schummeleien bei der Beantragung der Zuschüsse verweigerte die Staatsanwaltschaft die Auskunft im Verfahren. Dann wird B. wieder nachdrücklicher: "Am schlimmsten aber ist wohl das willige VollstreckerInnentum ... überall." Und erwähnt zahlreiche Beispiele: "Wo WissenschaftlerInnen nur noch dort forschen, wo es Geld gibt. Wenn BäuerInnen nicht als LohnarbeiterInnen auf dem Traktor sind. "Da wird Gentechnik durchsetzbar." B. zeigt auf, warum auf den Lohnarbeiter-Höfen in Ostdeutschland Gentechnik viel leichter durchsetzbar ist. Und erwähnt dann den Klassiker des willigen Vollstreckertums, die Wiesbadener Demo von PolizistInnen gegen Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzung, die von KollegInnen in Uniform niedergeknüppelt wurde. "Willige VollstreckerInnen handelt gegen alles, wenn man es ihnen nur befiehlt. Auch gegen ihre eigenen Interessen." Kurze Pause, dann: "Ich habe Angst vor dieser Welt, in der es nur noch die Eliten und die willigen VollstreckerInnen gibt".


Der Uhrzeiger im Gerichtssaal rückte auf 21.30 Uhr. RA Künzel bat um eine Unterbrechung des Verfahrens angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit - sein letzter Zug nach Hause würde gleich fahren. Ganz einfach war das nichtt, denn eine längere Unterbrechung würde die Wiederholung des Plädoyers von B. zur Folge haben. Die Staatsanwältin stöhnte schon wieder angesichts der Aussicht, das Plädoyer wieder von vorn starten zu müssen. „Manche müssen sich das halt zweimal anhören, bis sie es kapieren“, setzte daraufhin Imker Micha Grolm den rhetorischen Schlusspunkt unter den Tag. B. willigte ein, auf eine Wiederholung zu verzichten und so wurde am Ende eines langes Verhandlungstages, der zum zweiten Mal der letzte sein sollte und es nicht wurde, ein neuer Termin festgesetzt.

Achter Verhandlungstag und Urteil
Irgendwann war es dann doch zuende. Das geschah am 8. Verhandlungstag, dem 9.10.2009. Doch zuvor hatte auch dieser Tag noch seine besonderen Pointen und den zweiten Teil des Plädoyers von B. Gleich zu Beginn wich die Endtag-Stimmung einer neuen Anspannung, denn die Angeklagten entdeckten eine neue Protokollantin - und die kannte sie schon. 2004, also fünf Jahre vorher, hatte die bei einem anderen Prozess mal zu einem Zeugen im Vorbeigehen in Bezug auf den Angeklagten B. gesagt: "Mit dem würde ich mich nicht unterhalten, der ist es nicht wert." Folge damals: Ein Befangenheitsantrag gegen die Protokollführerin, der aber nie behandelt wurde, weil der Prozess damals wegen Befangenheit des Gerichts (zwei hochrangige CDU-PolitikerInnen aus Gießen waren als SchöffInnen gesetzt, eine - Magistratsmitglied der CDU, Schwester des Bergstedt-Intimfeindes Volker Bouffier und selbst bei einer physischen Auseinandersetzung an einem Wahlstand beteiligt - wollte unbedingt bleiben. Der Prozess platzte und musste neu gestartet werden - die ganze Posse ist im Buch "Tatort Gutfleischstraße", der Sammlung von Polizei- und Justizskandalen in Mittelhessen beschrieben. Nun also holte die Nummer die Justiz doch noch ein. Der Vorsitzende ordnete eine Pause an, um die damaligen Akten zu holen. Dann wurde die damalige dienstliche Erklärung verlesen und Richter Nink einigte sich schnell mit der Staatsanwältin, lieber auf Nummer sicher zu gehen und die Protokollantin auszutauschen. Dass sie auch noch intern Ärger bekam, vermuteten ProzessbeobachterInnen, die ihr später begegneten. So zeigte sich die Fabrik sozialen Elends auch intern als menschenfeindliche Zone.

Tagebucheintrag, 9.10., mitgeschriebene O-Tone aus dem zweiten Teil von Jörg B.s Plädoyer
Nachdem eine neue Protokollführerin eingewechselt wurde, setzt der Angeklagte B. sein Plädoyer fort. Aufgrund fortgeschrittener Tageszeit am vorigen Verhandlungstag war er dabei unterbrochen worden. Zunächst ergriff B. Reaktionen von Zuschauern und Prozessbeobachtern auf, die sich auf den ersten Teil seines Plädoyers bezogen. Er berichtete von in der Zwischenzeit neu aufgetretenen gentechnischen Verunreinigungen (bei Senf, der transgenen Raps beeinhaltet). Und fasste sein bisheriges Plädoyer grob zusammen, um dann in den zweiten von drei Teilen einzusteigen: Der rechtfertigende Notstand. - Es folgte eine mit Zitaten aus der Rechtsliteratur gespickte, präzise ausgearbeitete Vorlesung über den § 34 des StGB. Gleichwohl sagt B.: „Ich verteidige mich mit einem Paragrafen, den nicht ich geschaffen habe“, und gab zu verstehen, dass ihm ein grundsätzlich positiver Bezug auf Recht fern liege.
In seinem Vortrag arbeitete B. heraus, wie Staatsanwaltschaft und insbesondere der vorsitzende Richter ihre Position zum § 34 StGB im Verlauf des Verfahrens verschoben haben. B. begab sich zurück zum Beginn des Verfahrens: Am ersten Verhandlungstag habe er in seiner Einlassung die Verflechtungen zwischen Gentechniklobby, Wissenschaft und Politik herausarbeitet. Daraufhin habe die Staatsanwältin wissen wollen, seit wann ihm diese Erkenntnisse vorlagen, und ob er all das schon am 2. Juni 2006, dem Tag der Feldbefreiung, gewusst habe. B. folgert: „Sie waren am ersten Tag noch meiner Rechtsauffassung“, und die Staatsanwältin lachte, fast herzlich. „Schön“, sagte sie.
Auch das Gericht, so B. weiter, sei zunächst der Auffassung gefolgt, dass man sich an den Kriterien des 34er „entlang hangeln“ könne. Erst mit fortschreitender Verfahrensdauer habe der Vorsitzende neue, im § 34 nicht benannte Kriterien aufgeworfen: Die Rechtswidrigkeit des Genehmigungsbescheids, und, später, die „offensichtliche Nichtigkeit“ des Bescheids.
Wir haben nicht den Bescheid angegriffen, sondern den Versuch. Darum ging es“, stellt B. fest. Er warnte das Gericht davor, nachträglich neue Kriterien zu erfinden und verweist auf das Rückwirkungsverbot. „Sie sind an geschriebene Gesetzte gebunden.“ - Gegen 15:40 Uhr beendet B. seine Ausführungen zum 34er und bittet um eine kurze Pause. Das Gericht wollte wissen, wie lange er noch zu plädieren gedenke. „Noch mal so lange“, sagt B., die Staatsanwältin zeigt sich amüsiert.
Von 15:50 bis 17:40 trug B. den dritten und abschließenden Teil seines Plädoyers, der vieles beinhaltete: Eine Auseinandersetzung mit Strafe, mit Schuld, Aktivismus, der Rolle der Staatsanwaltschaft (der folgende Bericht beleuchtet ausgewählte Facetten dieses Schlussvortrags).
Gleich zu Beginn von „Teil 3“ räumte B. ein, dass es ihm nicht darum gehe, sich oder Protestgruppen als unfehlbar darzustellen. „Ich habe viele Fehler gemacht“, sagt er. Er habe den Anspruch, Aktionen im Nachhinein zu überdenken, Verbesserungsmöglichkeiten auszuloten. Gleichwohl halte er es für wichtig, zu handeln und nicht in Untätigkeit zu erstatten. „Das war eine richtige Entscheidung“, sagt B. - Er bezieht sich auf den Schuldbegriff, und auch an dieser Stelle zitiert B. die Rechtsliteratur. „Schuld ist die Vorwerfbarkeit einer Handlung.“ Im vorliegenden Fall sei es geradezu absurd, die wenigen, die sich gegen den Gengersten-Versuch engagierten, anzugreifen. Vielmehr könne man den Vorwurf gegen alle erheben, die nichts unternommen hätten.
„Mir wurde eine ganze Instanz geklaut“, sagt B., und wies darauf hin, dass er von der erstinstanzlichen Verhandlung ausgeschlossen wurde. Zudem wertete er die Berufung der Staatsanwaltschaft weiter als Sperrberufung, um eine erfolgreiche Sprungrevision und eine damit einhergehende Auseinandersetzung zum skandalösen Ausschluss zu verhindern. „Formal“, so B., „Ist die Staatsanwaltschaft keine Institution zur Bestrafung. Praktisch aber schon.“ Weder in den Verfahrensakten, noch im Plädoyer sei erkennbar gewesen, dass die Staatsanwaltschaft Strafmilderndes geprüft oder von sich aus ermittelt hätte.
In Hinsicht auf das mögliche Urteil zeigte sich B., wie auch im gesamten Plädoyer, sehr skeptisch. „Vielleicht wurde trotzdem etwas gelernt“, sagt er, an die Richterbank gewandt. Vielleicht helfe das Verfahren, die Stigmatisierung von Aktivisten als unreflektierte Krawallmacher zurückzunehmen. Er kenne viele Menschen, die sich engagieren und sehr genau über ihre Handlungen nachdächten. - Während seines Plädoyers kritisiert B. auch die Einschüchterungsfunktion von Strafe. Klipp und klar sagt er als Abschlusssätze: „Ich werde mich nicht ändern" und fügt an: "
Wenn RobenträgerInnen das Lied singen, dessen Brot sie essen, da wird dieses Brot eines Tages die Gentechnik enthalten, die sie mit durchgesetzt haben." Applaus. Abgang. Warten auf das Urteil.

Um 17.50 Uhr trat das Gericht in die Beratungspause zum Urteil - die letzte in dieser Instanz des Verfahrens.

Tagebucheintrag, 9.10., Urteil
Um 19 Uhr, etwas später als angekündigt, verkündete Richter Nink das Urteil: 4 Monate mit Bewährung für N., 6 Monate ohne Bewährung für B.
Worte wie ein Paukenschlag; schockierend, obwohl damit zu rechnen war. Warum auch immer: Nink sah nicht glücklich aus, nicht einmal besonders selbstsicher, als er beginnt, das Urteil auszuführen. - Die Tat hätten beide der Angeklagten eingeräumt. Der Angklagte N. sei nach eigener Aussage davon ausgegangen sei, seine angekündigte Tat nicht umsetzen zu können und durch polizeiliche Maßnahmen abgehalten zu werden. Nink erfindet, dass N. am Ende „gar nicht mehr richtig gewollt hätte“, was aber nichts ausmache.
Im Folgenden setzt Nink sich mit den Rechtfertigungsgründen auseinander. Interessant ist, dass die Schlagworte „Rechtswidrigkeit“ oder „Offensichtliche Nichtigkeit“ nicht mehr fallen. Es geht doch um den § 34 des StGB. Er habe das Verfahren dafür geöffnet, und irgendwann wieder zugemacht, erklärte der Vorsitzende. - Tenor zum rechtfertigenden Notstand: Es könne ihn vom Gesetz her geben, die herrschende Rechtssprechung, auch hinsichtlich Castor-Transporten, bestehe darin, ihn nicht anzuwenden. Ein Paragraf also, der nicht dazu da ist, verwendet zu werden (jedenfalls, wenn Bürger ihn für sich proklamieren …)? - Überzeugend klingt nicht, was Nink vorträgt. Erkennbar ist jedoch sein unbedingter Wille, die Rechtsordnung zu schützen; unerträglich ist es für den Richter, wenn Menschen auf die Idee kommen, sich nicht von Gesetzen, sondern den eigenen Überlegungen leiten zu lassen.
Nink räumt ein, dass er Bedenken gegenüber der Gentechnik habe: Die medial in den Vordergrund gestellte Biosicherheitsforschung sei nicht von Ertragsforschung zu trennen; gesetzliche Bestimmungen zur Durchführung des Versuchs seien unzureichend umgesetzt worden. Nink sagt gleichzeitig: „Der Geist ist aus der Flasche“, doch was will der Richter damit sagen? Widerstand ist zwecklos - weil a. Rechtfertigungsgründe nicht anerkannt werden und b. weil die grüne Gentechnik auf dem Durchmarsch ist? Die Rede des Vorsitzenden klingt wie ein Plädoyer zum Nichtstun, weil andere Perspektiven gar nicht benannt werden.
Das harte Urteil gegen B. begründet er damit, dass es ihm nur vorgeblich um die Risiken der Gentechnik gehe. B. strebe schlussendlich Herrschaftsfreiheit, die „ewige Revolution“ an. B. sei ein „Überzeugungstäter“ - Nink sagte es nicht, aber auf der Hand liegt: Genau dafür, für seine politischen Einstellungen soll B. abgestraft werden.
Schwer zu sagen, was dramatischer ist: Das harte Urteil gegen Gentechnikgegner, oder die von Nink vorgeschlagene Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit.


Im Original: Das mündliche Urteil
Lückenhafte Wiedergabe des Urteils. Es stammt aus einer zugeleiteten Tonbandaufzeichnung, war aber leider nicht immer verständlich; "?" und "..". stehen für unverständliche oder für das Urteil unwichtige Passagen):
Ich verkünde dann im Namen des Volkes das Urteil. Die Berufung der Staatsanwalt ... wird zurückgewiesen. Die Berufung des Angeklagten Bergstedt wird zurückgewiesen. Die Berufung des Angeklagten Neuhaus wird ... abgeändert ..., dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird ...
(stellt Strafrahmen und dann Tatablauf dar ... dann zu allgemeinen Motiven wie Natur- und Umweltschutz)

Kommen wir zur Frage der Rechtswidrigkeit. Es ist natürlich kein Verfassungsnotstand ... es ist eine Form des zivilen Ungehorsams ... der in der Tat nach den allgemeinen Tatkonstrukten des StGB zu behandeln ist.
Nun, da war ich mir schon im frühen Verfahren mit Herrn Döhmer ... einig. Nach der derzeitiges Rechtsprechung wird derartiges Verhalten ..., ob es sich um Atomkraftwerke oder Forschung mit transgener Gerste handelt, ohne großen Rückgriff auf den § 34 für rechtswidrig erachtet nach dem Motto: Was vom Gesetzgeber über das Verfahren genehmigt ist, kann nicht gefährlich sein oder muss eben Einspruch dagegen ... das ist die derzeitig herrschende Rechtsprechung ... das Gericht hätte es sich leicht machen und sagen können: Wir gehen auf diese Themen nicht mehr ein. Das Gericht ist darauf eingegangen und hat ... Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandeln, ... dass man die Frage der Gefahrenabwehr mal anders beleuchten muss ... Frage der Angemessenheit ...

Herr Bergstedt selbst hat da fleißig recherchiert ... es gibt bei der Frage der Gefahrenbewertung ... einen Ansatz, über die Rechtswidrigkeit zu gehen: Wenn etwas schon nicht erlaubt ist, dann ist die Vermutung, dass etwas gefährlich ist, größer als die, wenn es nicht erlaubt ist. Das ist ein Ansatzpunkt zugunsten des 34ers und des zivilen Widerstandes. Dabei stößt man natürlich sehr schnell an die Grenze, das ist die zweite Grenze, dass ... mit der Rettungshandlung ... sich tatsächlich ... in die Rolle des Richters spielt und urteilt, was erlaubt und was erlaubt ist. ... Es gibt eine Grenze. Diese Grenze ist überschritten, wenn der Bürger nicht in der Lage ist, ...
Ich habe nichts anderes gemacht, als uns entlang des 34 entlangzuhangeln und uns das Ganze mal angeschaut. Welche Möglichkeiten gibt es hier, bei einem erlaubten Handeln eines Bürgers bei einem Versuch mit transgener Gerste tätig zu werden. Es ging zunächst einmal um die Frage, die Gefahr zu beurteilen, ausgehend von dieser transgenen Gerste. Und da sind doch einige nicht unerhebliche Bedenken aufgekommen, die ... Die Nichtbeherrschbarkeit ist mittlerweile mediale Tatsache. Selbst der Herr Kogel musste die prozentuelle Unsicherheit ... einräumen. ... Wenn wir jetzt natürlich sagen, es besteht konkret Gefahr von dieser konkreten ?, das wenn es anfängt zu blühen und Samenkörner austreibt, dass dann eine Verschleppung in Betracht kommt, dann haben wir einen kausalen Gefahrenhorizont eröffnet und können jetzt nicht mehr ... das können wir so nicht machen, sondern müssen uns im weiteren Prozedere darauf beziehen.
Nehmen wir eine andere Gefahr, nämlich die der Freiheit mit der Entscheidungsfreiheit der Bürger. Diese Gefahr ist nach meiner Auffassung und der Kammer derzeit nicht unmittelbar bevorstehend, da tatsächlich ... (redet weiter über Gefahren für Saatgut, Bauern, Imker) ... von daher kann man das nicht einfach wegnehmen, man muss das weitere sehen.
Ist die Aktion überhaupt geeignet? Da muss man Zweifel haben, ob einige Fälle von den vielen ... auch das ist natürlich ?, dass es schon so viele gibt, denn wir müssen wissen: Der Geist ist schlicht und ergreifend aus der Flasche. ... Wir können genauso wenig wie bei der Atomenergie ... Die Frage ist: Ist das erforderlich? ... hier beißt sich die Katze in den Schwanz und wir sind wieder bei dem Problem: Akzeptieren wir nun eine gewisse Rechtsordnung oder akzeptieren wir sie nicht. ... akzeptiert sie nicht, weil sein Ziel die Schaffung herrschaftsfreier Räume im Sinne einer ...
Jetzt die Frage der Strafzumessung ... ein schwieriges Feld ... Neuhaus: Bei ihnen haben wir eine gewisse Hilflosigkeit vor dem Berg, den sie da aufgetragen haben ... sind zu der Auffassung gekommen, dass eine Absenkung auf vier Monate angemessen ist und vor allem ... zur Bewährung auszusetzen ist ... zwar keine Reue ... aber ihr Lebensweg von dem Schüler, der Autorität nicht anerkennen will, bis jetzt zu dem Wandel jetzt mit dem Willen zu einem ... Bewährungszeit 3 Jahre. Der Angeklagte hat 120 Stunden gemeinnützige Arbeit nach Weisung der Gerichtshilfe abzuleisten und hat dem Gericht jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen.
Bei Herrn Bergstedt war es etwas schwieriger, weil ja gerade auch die Frage der Schadensverursachung zu beleuchten war, die ja so, wie vom Amtsgericht durchgeführt, nicht durchgezogen werden kann. ... Schadenswiedergutmachung ... es ist zu beleuchten, dass der Schaden geringer ist ... ansonsten ist der Schaden in der Tat an dem Zaun zu sehen, an den zerstörten Pflanzen und an der Forschung. Die Beweisanträge sind abgelehnt, die Revision mag damit umgehen, wie sie mag. Ich halte, nachdem das ganze Material vernichtet ist, anhand der Analyse des Materials eine Überprüfung, ob das eine Totalfälschung war, für unmöglich.
Ich hab noch eins vergessen bei den Entscheidungsgründen, wir haben uns ja auch viel mit einem universitären Netz mit Professoren, Universitäten, Fördergeldbetrügern und Bewilligungsbehörden. Das wäre ja unter Umständen eine Möglichkeit für eine Notwehr. Diese Straftaten haben allerdings nicht den Herrn Bergstedt betroffen, sondern dann den Haushaltsgesetzgeber oder sonstige Träger und öffentlicher Interessenträger ... Wir hatten auch zu beleuchten, Herr Bergstedt, Ihre Motivlage. Und da ist natürlich auch vieles bemerkenswert und in der Tat vieles gelernt worden. Und deshalb bin ich auch von Vorneherein nicht in die Beweisaufnahme mit der Maßgabe: Das ist eh alles rechtswidrig, weil wir eine Genehmigung haben, die ist bestandskräftig - was wollen wir noch?
Sondern habe mich ein gutes Stück darauf eingelassen und habe viele Erkenntnisse über die vernommenen Zeugen über die tatsächliche Effizienz der Sicherung gehört. Wir haben über absolut defizitäre Umsetzung des Gesetzes, was hier Risikofaktoren betrifft, was kann hier akzeptiert werden. Wir haben auch einige Paradigmawechsel mitbekommen, wir haben auch bei den Zwecken der Sicherheitsforschung, der Myzelforschung und künftiger Anwendungen - da muss man sagen, das ist hochbedenklich - und Prof. Kogel hat auch gesagt, der überwiegende Teil war ja dann doch künftige Anwendungsforschung. Und die Biosicherheitsforschung ist die Myzelforschung. Aber ich denke, wenn die transgene Gerste ihr Myzel am Ort, was sie braucht, zerstört, dann stirbt sie und dann sind wir sie auch los. Also ich denke schlicht und ergreifend: Sie braucht, um später Ertrag zu bringen, das Myzel, das ist Zweck der Forschung. Das ist alles in höchsten Grade bedenklich - das ist meine persönliche Meinung - und zur Beleuchtung, dass ist von Prof. Kogel auch gar nicht abgestritten worden, dass wir möglicherweise hier einen Doppelnutzen haben. ... dieses ist eine mittelbare Ertragsforschung ... Dass Fördermittel-zur-Verfügung-Stellen für transgene Gerste, die dann irgendwann mal, wenn sie dann bio-sicher ist, für die Bierbraucher von ... und Budweiser liefern soll, mit deutschen Steuergeldern, und das unter Grundlagenforschung, das ist alles durchaus mal zu diskutieren und zu beleuchten, ... aber ist es denn die wirkliche Motivation? Und da sind wir ... ist den die wirkliche Motivation, Gefahren von der Menschheit ... ist es das Primärziel oder ist es ein Durchgangsziel ... für etwas ganz anderes ... da war ihre Selbstdarstellung in ihrem letzten Film einmal mehr erhellend, wo sie als Berufsrevolutionär die Abschaffung jeglicher Herrschaft eigentlich ... als das Ziel. Das ist dann der Angriff auf die bürgerliche Rechtsordnung und den Rechtsstaat ... und das kann ich Ihnen hier nicht als besonders ?wert von wegen des Strafmaß wegen des geringeren Schadens verringern, aber wegen des besser herausgearbeiteten Motivs wieder zu erhöhen
.

Der Schock war den ZuschauerInnen deutlich anzusehen. Acht Tage intensive Auseinandersetzung blieben ohne Wirkung. Das Abschreckungsurteil der ersten Instanz blieb für einen Angeklagten bestehen, dem anderen wurde ein Kniefall unterstellt, für den er belohnt werden sollte. Zwar behauptete Richter Nink, dass er zunächst unter den von der Staatsanwältin geforderten sechs Monaten bleiben, weil er dem Angeklagten seine hehre Motivation gegen die Gentechnik zu gute hielt. Doch dann legte er genau die Monate wieder drauf, weil der Angeklagte die bürgerliche Gesellschaft allgemein ablehnt und Herrschaft kritisiert - deutlicher geht Gesinnungsjustiz wohl kaum. Die mildere Strafe des jüngeren Angeklagten begründete er damit, der habe sich ja nun wieder der bürgerlichen Gesellschaft zugewandt, wie Schuljungen nach der Überwindung der pubertären Phase (sinngemäß) ihre Missetaten einsehen. Diese Begründung war sicher nicht aus dem Plädoyer des Angeklagten herauszuhören und daher ebenso eine juristische Frechheit. So zeigte sich Nink als klassischer verständnisvoll daherkommender Richter, der am Ende aber besonders brutal zuschlug. Keine Frage - das würde in die Revision gehen.

Im Original: Berichte und Reaktionen
Kurzbericht auf Faktuell am 12.10.2009
Halbes Jahr hinter Gitter - ein Gentechnik-Kritiker aus Gießen muss für ein halbes Jahr in den Knast. Die Angeklagten waren 2006 an einer "Feldbefreiung" auf einem Versuchsfeld der Universität Gießen beteiligt. Der zweite Angeklagte bekam vier Monate auf Bewährung plus 120 Arbeitsstunden. Enttäuscht und entgeistert zeigten sich die Anwesenden über die Urteilsbegründung.
Nink rechtfertigte das Urteil damit, "der Geist sei schon aus der Flasche", die Gentechnik auf dem Acker sei ohnehin nicht mehr zu kontrollieren. Deshalb sei eine "Feldbefreiung" nicht das richtige Mittel gewesen, um die Gentechnik aufzuhalten, wie die Angeklagten argumentiert hatten. Sie hätten schon alle Gentechnik-Felder in Deutschland angreifen müssen, um mit dem rechtfertigenden Notstand (§ 34StGB) freigesprochen werden zu können.

Aus Gießener Anzeiger, 10.10.2009
Das Gericht sah den Notstand indes als "nicht gerechtfertigt oder entschuldigend" an. Der Vorsitzende Richter Dr. Johannes Nink sagte zwar, dass Gefahren durch den Anbau von genveränderten Pflanzen nicht zu bestreiten seien. Das Gericht müsse sich aber an die Rechtssprechung halten. Der einzelne Bürger könne nicht entscheiden, "was Recht ist und was nicht". Die Urteilsbegründung wurde immer wieder durch wütende Zwischenrufe aus dem Publikum unterbrochen.

Aus Gießener Allgemeine, 10.10.2009
Sechs Monate Haft für Jörg B. (45), vier Monate auf Bewährung für den 28-jährigen Patrick N. wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs: So lautet das Urteil, das am Freitagabend die achte Kammer des Landgerichts unter Vorsitz von Richter Dr. Johannes Nink gegen die beiden selbsternannten "Feldbefreier" fällte. ...
Einen "Notstand" erkannte der Vorsitzende Richter gestern in seiner Urteilsbegründung indes nicht an. Keineswegs habe es sich bei der Zerstörung des Feldes um die "mildeste Alternative" gehandelt, wie Jörg B. zuvor ausgeführt hatte. Die Angeklagten hätten vielmehr die Grenze einer "Rettungshandlung" überschritten und sich selbst in die Rolle eines Richters aufgeschwungen.
Die Gefahren der Gentechnik seien nicht wegzuwischen, räumte Nink ein. "Die Unbeherrschbarkeit transgener Pflanzen ist eine Tatsache." Entscheidend für das Strafmaß gegen Jörg B. sei allerdings im Besonderen dessen Motivlage. Der 45-jährige sei ein "politischer Überzeugungstäter", der jegliche Herrschaft ablehne und das Ziel verfolge, sich als "Berufsrevolutionär" darzustellen.
Zwar zeige auch Patrick N., so führte der Vorsitzende Richter aus, keine Reue. Doch habe er glaubhaft versichert, eine solche Tat nicht zu wiederholen. Die Bewährungsfrist beläuft sich auf drei Jahre. Zudem hat er 120 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten.

Der damals älteste Zuschauer im Gießener Landgericht schrieb dem Generalstaatsanwalt am 23.6.2010 einen Brief. Wirkungslos.


„Im übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.“
Kurt Tucholsky

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