Ende Gelände

Ö-PUNKTE STARTAUSGABE 1997

Umweltschutz auf Großveranstaltungen: Hessentag '97 - Teilweise gut

Der Ausgangspunkt war wenig erfreulich, die Zukunft ist mindestens ungewiß. Im Jahr 1997 aber geschah einiges Positive: Dem Umweltschutz wurde im Rahmen der Großveranstaltung "Hessentag 1997" erstmals Rechnung getragen - gegen den Willen des Ausrichters, der hessischen Landesregierung, aber vor allem durch den Einsatz einiger MitarbeiterInner der Stadt Korbach. Im Bereich Abfall und öffentlicher Nahverkehr wurden kreative und teilweise sehr wirkungsvolle Lösungen gefunden. Konzeptionelle Überlegungen dazu stammten aus dem Institut für Ökologie sowie den Beratungsgesprächen im Stadthaus.

Eine Kurzdokumentation sowie Angebote für Beratungen oder Konzepterstellung bei weiteren Großveranstaltungen gibt es beim Institut für Ökologie gegen 3,- DM in Briefmarken.

Das Vorspiel

Umweltschutz geschieht selten von selbst. So auch hier - dreimal (1993-95) war der Hessentag Ort erbitterter Auseinandersetzungen zwischen unabhängigen Umweltschutzgruppen und den VeranstalterInnen.

1993: Hessentag in Lich mit ca. 1 Million BesucherInnen. An Umweltschutz wurde schlicht gar nicht gedacht. Einwegmüll überall, dabei nicht einmal genügend Mülltonnen, so daß sich der Müll "frei organisiert" zu Haufen türmte. Trotz vorhandenem Bahnhof keine Züge abends bzw. am Wochenende (Pro Bahn organisierte auf eigenes Risiko am letzten Sonntag Zugfahrten von Gießen in die Bierstadt Lich. Die regulären Busse blieben im Verkehrschaos hängen und umfuhren die Stadt schließlich ganz (LichbesucherInnen wurden an der Böschung zur Umgehungsstraße herausgelassen). Die Messezelte machten eine Feuchtwiese platt, in einem Zelt darüber wurde für fast 200.000,- DM eine Kunstnatur zum Anfassen geboten - dorthin flossen in jenem Jahr fast alle freien Naturschutzmittel für Projekte des Landes Hessen. Zu der zum Abschluß geladendenen Diskussion zur Ökobilanz des Hessentages erschienen alle VertreterInnen von Stadt und Landesregierung trotz Zusage nicht.

1994: Unabhängige Umweltschutzgruppen hatten diesmal ein eigenes Veranstaltungsprogramm und eine Hessentagszeitung vorbereitet, die alle zwei Tage erscheinen und neben aktuellen Terminen auch über Hintergründiges des Hessentages berichten sollte. Die Zeitung wurde zur "Speerspitze", denn wieder war viel zu kritisieren. Zwar hatte diesmal der Abfallberater der gastgebenden Stadt Groß Gerau einiges organisiert, aber außerhalb seiner Zuständigkeit, vor allem in den vom Land organisierten Messenhallen tobte das Einwegchaos. Sonderbusse fuhren zwar, aber die Fahrpläne waren nicht richtig veröffentlicht worden usw. Zum Abschluß entstand ein detailliertes Konzept, wie der Hessentag zukünftig umweltgerechter laufen sollte.

 
Foto: Einweg trotz Verbot in Groß Gerau gab es im Ausstellungsbereich. Hier war das Land Hessen zuständig.
 

Adressen:

Institut für Ökologie
Postfach 100904
35339 Gießen
Tel./Fax 06404/65643
muk@apg.lahn.de

Stadt Korbach:

Herr Specker, Abfallberater: 05631/53ü303

Herr Schaidt,
ÖPNV:
05631/53-0

 

 

 

Termin:

Am 20. und 21.4.1998 findet im Haus der Technik ein Seminar zur umweltgerechten Durchführung von Großveranstaltungen statt. Die ReferentInnen stammen vom Institut für Ökologie.
Nähere Informationen:
Haus der Technik
Hollestr. 1
45127 Essen
Tel. 0201/1803-1, Fax -269
 

1995: Im Vorfeld hatte die Landesregierung die Zusammenarbeit mit den Umweltgruppen, die das Umweltkonzept für den Hessentag ausgearbeitet hatten, abgelehnt. Umweltschutz war ihnen nicht wichtig. Auf dem Hessentag gab es eine Öko-Gegenveranstaltung, das ökologische Dorf "Ökotopia". Von dort wurden Aktionen gegen die HessentagsveranstalterInnen vorbereitet, da es diesmal (in Schwalmstadt) wieder in allen Bereichen schlecht aussah. Müllberge überall, schon im Vorfeld wieder gestrichene Sonderzüge, öffentliche Aufrufe im Radio, den PKW zu benutzen, aggressive AutofahrerInnen, die selbst noch Teile des ökologischen Dorfes wild und trotz Protestes zuparkten. Die Reaktion war eine Aktion gegen den Ausstellungsstand der Landesregierung, die erhebliche Schlagzeilen machte (z.B. in der Bild: "Anschlag auf den Hessentag"). Tatsächlich geschah nichts anderes, als daß der edle, saubere Messestand mit einer großen Menge des auf dem Hessentag einige Tage gesammelten Einwegmülls zugeworfen wurde und danach für eine Zeit völlig unbenutzbar war. Zeitungen, Fernsehkameras waren dabei (vorsichtig vorher informiert). Die Landesregierung reagierte wütend, strich Zuschüsse beteiligter und unbeteiligter Gruppen usw.

1996: Keine Aktionen, nur ein Besuch mit der Erkenntnis, daß sich nichts zum Besseren geändert hatte.

1997: Im Januar 1997 sprach das neugegründete Institut für Ökologie (Gießen/Marburg) die Stadt Korbach an, ob nicht diesmal Umweltschutz anders berücksichtigt werden sollte. Und tatsächlich: Mehrere MitarbeiterInnen der Stadt unterstützten diese Idee und wollten eine Kooperation. Es gab ein erstes Gespräch und ein Konzept der Vorgehensweise. Doch alle hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Auf Intervention der Landesregierung sagten die Stadtoberen ab. Vor allem durch den Einsatz der an der Kooperation interessierten MitarbeiterInnen entstand am Ende aber ein Kompromiß: Das Institut für Ökologie erhielt einen Beraterstatus. Leider aber war viel Zeit verlorengegangen. Für die Bereiche Energie, Wasser und Verkehrsplanung fehlten AnsprechpartnerInnen ganz oder waren nur begrenzt interessiert. Dennoch arbeitete das Institut Vorschläge aus, die für andere Großveranstaltungen hilfreich sein könnten. Beeindruckend aber war, was im Bereich Abfall und im Bereich des Nahverkehrs geschah.

Bis ins Details wurden Lösungen entwickelt, umgesetzt, kontrolliert, verbessert bzw. scheiterten auch im Einzelfall - doch aus Fehlern kann man lernen. Für weitere Großveranstaltungen entstand viel Know-How.

 

Verkehr:
Sonderzüge auf reaktivierten Gleisen

Korbach war früher ein Eisenbahnkreuz auf den Linien Berlin-Amsterdam (jaja!) und Kassel-Marburg. Im Frühjahr 1997 existierte davon nur noch der Zweig nach Westen (Linie Korbach-Brilon). Für den Hessentag wurde die Nord-Süd-Achse komplett wiedereröffnet, d.h. es gab Anschlüsse von Marburg und von Kassel. Die Züge hielten an allen Bahnstationen unterwegs. Begleitet waren sie von zwei orange gekleideten Personen, die an jeder Straßenüberquerung ausstiegen und mit Fahnen den Autoverkehr stoppten - die Schrankenanlagen funktionierten nicht mehr. Die Logistik war aber gut vorbereitet: Ausschilderungen an den 2 Hessentagsbahnhöfen in Korbach, freundliche Menschen im Bahnuniform, die Hinweise zu den Zugfahrten, Fahrtzeiten usw. gaben, ein Verkaufsstand für Fahrkarten und ein modernes Shuttle-Triebfahrzeug, das die beiden Bahnhöfe im 15-min-Takt miteinander verband.

Bis spät in die Nacht verkehrten die Züge, durch besondere Maßnahmen (Zählen der Fahrgäste am Tag, um abschätzen zu können, wieviele Gäste nachts nach den Konzerten noch zu erwarten sind; Bereithalten von weiteren Zügen im Betriebsbahnhof Kassel sowie von Bussen) wurde sichergestellt, daß auch alle Menschen mitfahren konnten. Das war nicht immer einfach. Der Erfolg des Nahverkehrsangebotes und der begleitenden Werbung (Plakate hingen bis Frankfurt aus) war so groß, daß mehrere Male die Züge völlig überfüllt waren und zusätzliche Busse die Route abfahren mußten. Nun läuft die Diskussion, ob die Strecken dauerhaft reaktiviert werden ...

 
Foto: Blick aus dem Führerstand auf der Zugstrecke Frankenberg-Korbach. Die Straßenüberquerung wird durch Begleitpersonal aus dem Zug geregelt.
 

Gegenüber dem Nahverkehrsangebot war die Verkehrsplanung für den Auto- und Radverkehr sehr schlecht und ausschließlich autoorientiert. Fahren und Parken wurde auch in unmittelbarer Nähe der Veranstaltungszentren zugelassen (eine deutliche Beeinträchtigung der Sicherheit und der Aufenthaltsqualität), für Radfahrer gab es nur eine versteckte Leihstelle für Räder, aber keine besonderen Verbindungswege oder Abstellanlagen. So, wie das gute Nahverkehrsangebot auch Sache der daran interessierten Menschen war, scheiterte es in der Verkehrsplanung an der Autoorientierung in den Köpfen der Verantwortlichen: "Hier fährt eh niemand Rad", sagte der Leiter des Hessentagsstabes der Polizei. Einen Tag vorher hatte Verkehrsminister Klemm pressewirksam einen neuen Radweg durch Korbach eingeweiht ...

 

Landschaft:
Alles Geld für "Natur auf der Spur"

Welche Veranstaltungen wo stattfanden und wo Parkplätze eingerichtet wurden, stand zu Beginn der Arbeit des Instituts bereits fest. Daher waren umfangreiche Prüfungen über die lächenempfindlichkeiten nicht mehr sinnvoll. Wie bei fast allen Hessentagen wurde wieder eine große Geldmenge für ein Zelt "Der Natur auf der Spur" ausgegeben, obwohl dadurch kein direkter Wert für die Umwelt entsteht (eher einige Müllberge). In der Nähe wurde ein "Hessentagsbiotop" gestaltet, allerdings eher eine dürftig begrünte Regenrückhalte- und Restfläche. Das Ziel, den Hessentag dafür zu nutzen, tatsächliche Veränderungen im Stadtbereich durchzuführen und als beispielhaft zu präsentieren (Begrünungen, Entsiegelungen usw.) wurde nicht verfolgt.

 

Wasser und Energie: Zu spät ...

Sparmaßnahmen für Wasser und Energie sowie die Nutzung alternativer Ressourcen (Regen- und Grauwasser, Solar-, Wind- und Biomasseenergie) sind sinnvoll nur über längere Zeiträume möglich. Da jedem Hessentag ein umfangreiches, mehrjähriges Sanierungsprogramm im Ort vorausgeht, hätte die Förderung von Umwelttechniken schon hier integriert werden müssen. Das war nicht geschehen und in den drei Monaten Beratungszeit durch das Institut auch nicht mehr zu leisten, da das Programm schon abgewickelt war. Sowohl zu einer Minimierung des Verbrauchs als auch zur Nutzung alternativer Quellen wurden keine Maßnahmen durchgeführt.

 
Abfallbilanz:

44,5 t Restmüll,
13,5t Papier
5 t Biomüll

 

Abfallbehälter:

Aufgestellte Getrennt- Mülltonnen (in Stück pro Art: Bio, Papier, Verpackungen, Rest)
Hessentagstraße: je 100
Landesaustellung je 40

Glaskontainer (in Stück)
Hessentagsstraße: 3,
Open-Air: 2 (hoher Verschmutzungsgrad)
Messe: 2

 

Im Vergleich:

Hessentag 1996 in
Gelnhausen:
100 t Restmüll bei 600.000 Besuchern, d.h. 160 g/BesucherIn

Korbach: 44,5 t Restmüll bei 700.00 Besuchern, d.h. 63 g/BesucherInnen

Die Stände haben bei der Trennung der eigenen Transportverpackungen gut mitgemacht.

 

Probleme:

Aufkleber, Werbeverpackungen (die in Korbach glücklicherweise verboten wurden).
Für Becher des Hessentagsumzuges konnte ebenso kein Pfand genommen werden wie bei nachfolgendem Open-Air (Betreiber fürchtete um sein Pfand). Folglich war die Wiese mit Bechern übersät.
Radio FFH: Einweg-Regenumhänge wurden bei schlechtem Wetter ausgegeben.

Abfall:
Von 160 auf 63 Gramm pro Besucher!

Von größter Bedeutung für die Abfallreduzierung war das konsequente Verbot von Einwegverpackungen. An allen Ständen auf dem Hessentag mußten Speisen und Getränke in Mehrweggeschirr verkauft werden. Erlaubt waren neben Glas-, Metall- und Porzellangeschirr nur eß- und kompostierbare Waffelschälchen. Auch Werbeverpackungen waren verboten. Das Einwegverbot zog sich durch alle Veranstaltungen und Veranstaltungsorte. Die Verträge mit den Schank- und Speisewirtschaftsbetrieben enthielten eine Klausel, die die Einbehaltung einer vom Gastwirt bezahlten Kaution in Höhe von 1000,- DM bei Verstoß gegen das Einwegverbot sowie die Möglichkeit der Schließung des Standes bei mehrmaligem Verstoß vorsah.

Ein besonderes Problem stellte die Versorgung der Teilnehmer des Hessentagumzuges mit Getränken dar, da hier innerhalb von kurzer Zeit 6000 UmzugsteilnehmerInnen mehrmals mit Tee versorgt werden mußten. Eine Lösung konnte durch die Einrichtung von insgesamt 4 verschiedenen Getränkeausgabestellen am Sammelpunkt des Umzuges sowie an drei weiteren Punkten auf der Route gefunden werden. Dabei wurden 16.000 Mehrwegbecher aus Kunststoff eingesetzt. Ca. 100 m nach der Ausgabestelle wurden die Becher von Helfern wieder eingesammelt, um in bereitstehenden Spülmobilen gespült und an einer der folgenden Stationen erneut zum Einsatz zu kommen. Pro Ausgabepunkt waren dabei ca. 6 Helfer im Einsatz.

Die Sammlung der anfallenden Abfälle erfolgte in verschiedenen 240-Liter Behältnissen für Papier, vegetabile Stoffe und Restmüll sowie in DSD-Säcken und Glaskontainern. Die Behälter waren in einem Abstand von 25-50m auf der Hessentagstraße sowie an weiteren zentralen Plätzen aufgestellt. Ein Blick in die Tonnen offenbarte hohe Sortierreinheit, so daß eine Verwertung der gesammelten Wertstoffe auf dem üblichen Verwertungsweg ohne Probleme erfolgen konnte.

Durch diese Maßnahmen konnte die Restmüllmenge gegenüber dem Hessentag im Vorjahr in Gelnhausen um ca. 60% reduziert werden. Insgesamt fielen ca. 44,5t Restmüll, 13,5t Papier und 5t vegetabile Abfälle an.

Der Hessentag hat gezeigt, daß Großveranstaltungen ohne riesige Abfallberge problemlos durchführbar sind. Voraussetzung dazu ist allerdings ein vernünftig durchdachtes und konsequent durchgezogenes Abfallkonzept, in dem der Vermeidungsaspekt im Vordergrund steht.



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Zuletzt überarbeitet am 10. November 1997
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