Im Namen des Volkers

HORIZONTALITÄT UND OFFENE SYSTEME: RÄUME, KOMMUNIKATION ... OHNE PRIVILEGIEN

Worauf ist dann noch Verlass?


1. Einleitung
2. Verhandeln ohne Regeln und Metaebenen
3. Gleiche Möglichkeiten für alle: Horizontalität in Gesellschaft und Subräumen
4. Worauf ist dann noch Verlass?
5. Anwendungsfelder
6. Das Gesamte: Eine Welt, in der viele Welten Platz haben ...
7. Links

Die Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit
Es entspricht der Natur des Menschen, sich und seine Umwelt zu reflektieren. Er kann daher hinterfragen, planvoll vorgehen, sich selbst organisieren, gezielt Kooperationen eingehen - zusammengefasst: Sich mit eigenen Ideen selbst entfalten. Tut er das, so bemerkt er seine Autonomie, die zwar nicht soweit reicht, dass er völlig losgelöst von natürlichen Grundlagen bzw. gesellschaftlichen Verhältnissen und Beziehungen existiert und leben könnte, aber doch soweit, dass er das eigene Leben steuern kann. Er ist sich selbst Subjekt, nicht nur Getriebener der äußeren Bedingungen und inneren, z.B. genetischen Vorgaben.
Das löst den Menschen aus seiner festen Gebundenheit und gibt ihm Freiheit - nimmt ihm aber gleichzeitig die Geborgenheit des Unfreien. Mit der Möglichkeit der Reflexion entsteht das Bewusstsein, dass nichts sicher, weil veränderbar und nicht vorhersagbar ist. Das kann verängstigen - und mit dieser Angst spielen autoritäre Politiken genauso wie UnterdrückerInnen in konkreten sozialen Beziehungen, wenn sie Angst streuen und sich bzw. ihre Handlungen als Schutz inszenieren. Das treibt den Menschen zurück in eine vormenschliche Konstitution. Emanzipation als Befreiung und Entfaltung des Menschlichen bedeutet hingegen, die Suche nach Möglichkeiten, Scheinsicherheiten und Entmündigung zu überwinden und dabei Selbstbestimmung zu stärken.

Aus Andreas Anter (2007), „Die Macht der Ordnung“
»Der Mensch hat ein inneres Doppelverhältnis zum Prinzip der Unterordnung: er will zwar einerseits beherrscht sein, die Mehrzahl der Menschen kann nicht nur ohne Führung nicht existieren, sondern ... sie suchen die höhere Gewalt, die ihnen die Selbstverantwortlichkeit abnimmt ... Nicht weniger aber brauchen sie die Opposition gegen diese führende Macht, sie bekommt so erst, gleichsam durch Zug und Gegenzug, die richtige Stelle im inneren Lebenssystem der Gehorchenden. ja, man möchte sagen, daß Gehorsam und Opposition nur die beiden, nach verschiedenen Richtungen orientierten und als selbständige Triebe erscheinenden Seiten oder Glieder eines in sich ganz einheitlichen Verhaltens des Menschen sind.« (zitiert nach Simmel, Soziologie, S. 171)
Georg Simmel machte also deutlich, daß es nicht nur eine menschliche Unterordnungsbereitschaft gibt, sondern auch einen genauso stark ausgeprägten Oppositionsgeist. Welche Eigenschaft auch immer dominieren mag Über und Unterordnung sind jedenfalls für beide Seiten ein gewinnbringendes Unternehmen. Der Untergeordnete profitiert von ihr, weil sein Bedürfnis nach Entlastung befriedigt wird: Er reduziert Komplexität. Der Übergeordnete hingegen profitiert von ihr, weil sein Machthunger gestillt wird: Er bleibt der Anführer. …
Geht man etwa auf Hobbes' Konstruktion zurück, die man auch als eine Art Schutzherrschaftstheorie lesen kann, so sind es auch und gerade die Beherrschten, die von der Unterwerfung unter den Leviathan profitieren.
Angesichts dieser komplexen, wechselseitigen Struktur ist die im politischen Denken höchst unterschiedlich beantwortete Frage, ob »Herrschaft« im Interesse der Herrschenden oder der Beherrschten liege, womöglich viel zu einfach gestellt.
Ordnungen verfügen über eine besondere Form von Kapital. Sie bieten ihren Mitgliedern bzw. Unterworfenen eine spezifische Art von Sicherheit, die sich selbst auf diejenigen erstreckt, welche nicht zu ihren Begünstigten gehören: Ordnungen gewähren Ordnungssicherheit. … »Ordnungssicher sind die Beteiligten, wenn sie ein sicheres Wissen haben, was sie und was andere tun dürfen und tun müssen, wenn sie eine Gewißheit entwickeln können, daß sich alle Beteiligten mit einiger Verläßlichkeit auch wirklich so verhalten, wie es von ihnen erwartet wird ist.«
(zitiert nach Popitz, Prozesse der Machtbildung, S. 35)
Demnach beruht Ordnungssicherheit zunächst auf allgemein akzeptierten Vorstellungen darüber, was in einer jeweiligen Situation zu tun ist, wie auch darüber, was nicht getan werden darf. …
Demnach ist Ordnungssicherheit also zunächst eine Frage der individuellen wie kollektiven Erwartungssicherheit. … Man kann Ordnungssicherheit also auch als Ordnungsvertrauen bezeichnen. Dieses Vertrauen stützt sich auf die Erwartung, daß andere ebenfalls gemäß der Ordnung handeln und daß sie es auch in absehbarer Zukunft tun. Ein solches Vertrauen wird sich allerdings nur dann einstellen, wenn es durch die unmittelbare Erfahrung bestätigt wird. Bleiben solche Bestätigungen dauerhaft aus, dann wird auch das Ordnungsvertrauen schwinden. Einmal etabliert, ist es jedoch in hohem Maße enttäuschungsresistent; selbst gravierende Mißstände können es nur schwer erschüttern.
Wie die Ordnung selbst, so ist auch ihre Sicherheit eine graduelle Angelegenheit. Dabei steht der Grad der eigenen Ordnungssicher-heit nicht unbedingt in unmittelbarer Relation zur eigenen Position in der jeweiligen Hierarchie. Denn auch diejenigen, welche nicht zu den Privilegierten zählen, bauen in gleicher Weise auf diese Sicherheit. Selbst Unterprivilegierte gewinnen, wie Popitz gezeigt hat, »eine gewisse Verläßlichkeit der eigenen Orientierung innerhalb der bestehenden Ordnung«, so daß die bestehenden Verhältnisse auch für sie einen »Ordnungswert« erhalten. Folgt man dieser Beobachtung, dann ist die eigene Position in der Hierarchie für die prinzipielle Tatsache der Ordnungssicherheit relativ belanglos. In diesem Zusammenhang ist nicht einmal der Charakter des jeweiligen Systems von erheblicher Bedeutung. Denn die Ordnungssicherheit entwickelt sich keineswegs nur in freiheitlich demokratischen Strukturen, sondern kann sich genausogut auch in despotischen Regimen bilden sie ist mit Unterdrückung und Ausbeutung sogar ausgezeichnet vereinbar, wie Popitz resümiert: »Der Kredit kräftiger, omnipräsenter Machtzentren pflegt ja gerade darauf zu beruhen, daß sie Ordnung geschaffen« haben und Ordnung halten.«
Die Stabilität des einmal etablierten Systems erstreckt sich bis hinein in mikroskopische Vorgänge. jede konforme alltägliche Handlung ist geeignet, die Macht der Ordnung weiter zu festigen. Das Ordnungskalkül des Ganzen findet somit eine perfekte Analogie im Sicherheitskalkül der Einzelnen. Die Dauerhaftigkeit und Stabilität einer einmal geschaffenen Ordnung beruht nicht zuletzt auf einer wechselseitigen Entsprechung zwischen dem Machtanspruch der Herrschaft und dem Sicherheitsverlangen der Individuen. …
Diese »Macht des Bestehenden« ist fast unzerbrechlich. Sie immunisiert überdies gegen potentielle Angriffe von innen und außen, denn der Umsturz des bestehenden Systems würde ja zunächst die oft mühsam erworbene Ordnungssicherheit gefährden. »Daher gewinnt auch das Angebot anderer, besserer Ordnungen so schwer Überzeugungskraft« …
(S. 101ff)
Ohne Unsicherheit, so das Credo von Verhaltensbiologen und Sozialpsychologen, gebe es keine gesellschaftliche Innovation; die Gesellschaft sei nur in dem Maße entwicklungsfähig, wie sie ein entsprechendes Unsicherheitsniveau halte. (S. 118)

Keine Kontrolle, aber was dann?
Der Schrei nach Sicherheit ist trügerisch. Denn er suggeriert, dass es diese geben kann. Doch Leben ist nicht vorausberechenbar. Geschürte Angst und Angebote fremdbestimmender Sicherheit beruhen immer auf Illusionen, hinter denen oft mächtige Interessen stehen. Das Sicherheitsgefühl entsteht durch den unkritischen Glauben an die Versprechungen. Kinder verkriechen sich in die Obhut ihrer Eltern - und müssen erleben, dass, statistisch gesehen, genau von diesen am wahrscheinlichsten Gewalt ausgeht. Menschen vertrauen auf den Schutz durch Polizei und Armee - doch tatsächlich sind diese die gewalttätigsten Teile der Gesellschaft. Menschen hoffen auf Recht und Gesetz - doch dieses greift immer erst, wenn alles zu spät ist, dreht die Opfer gnadenlos durch die Justizmühlen und befriedigt mit Urteil und Strafe nicht die Betroffenen, sondern das autoritäre System selbst.

Sanktionierende Gewalt kann Übergriffe nicht verhindern, sondern nur anschließend bestrafen. Strafe ist aber selbst das Recht auf Gewalt, d.h. die Spirale dreht sich nur weiter. Um horizontale Räume zu schaffen und zu sichern, kommt es daher nicht auf die Sanktion, sondern auf die Herstellung und Sicherung diskriminierungs- und übergriffsfreier Räume an - und auf den Umgang mit Vorgängen, die diesen in Frage stellen. Wenn Übergriffe allerdings Machtentscheidungen nach sich ziehen, zerstören sie doppelt die Idee offener und horizontaler Räume: Einmal durch den Übergriff selbst (der Ängste auslöst und folglich den Raum für Betroffene und auch andere verschließen kann), zum zweiten durch die Sanktion. Das Problem, nämlich das Übergriffsverhalten, wird durch Sanktion selten gelöst, sondern nur verlagert (z.B. an andere Orte). In der Regel steht auch gar nicht das Verhalten, sondern die Person (aggressiv als "TäterIn") bezeichnet, im Mittelpunkt. Das vereinfacht das Vorgefallene, zu dem meist viele Facetten gehören, u.a. das Nicht-Verhalten Anderer vor, während und nach dem Übergriff. Meist besteht auch das Problem, dass Übergriffe keine eindeutigen Definitionen haben können, weil nicht nur die Handlung, sondern auch Motiv und Wille der Beteiligten wichtig sind, diese sich aber einer Messbarkeit entziehen.
Es würde auch keinen Sinn machen, wie bürgerliche Gerichte auf Wahrheitsfindung zu gehen. Definitionsmacht über das Geschehen zu verteilen, ist ebenso nur ein Ausdruck dessen, dass es nicht möglich ist, eine allgemeingültige Geschichte zu schreiben. Darauf kommt es eher gar nicht an, sondern auf die Sicherung, in diesem Fall Wiederherstellung des übergriffsfreien Raumes. Sanktionen gegen Einzelne können Alltagsdiskrimierung sogar verschleiern. Stattdessen sind Prozesse nötig, die Verhalten verändern - und zwar in der Regel aller Beteiligten, insbesondere derer, die bei bisherigen Vorfällen passiv blieben. Denn das Paradies herbeizusehnen, in dem nie eine Person übergriffig wird, ist eine Illusion. Aber einen Raum zu schaffen, in dem Diskriminierung oder schon die Anbahnung von Übergriffen sofort auf Reaktionen stoßen und abgefangen werden - das ist sehr wohl möglich. Es bedarf der Aneignung von Handlungskompetenz durch die Vielen, die sich selbst als AkteurInnen im offenen Raum definieren. Das Wissen um "Zuständige" für Probleme kann das eher verhindern.

Wo Kontrolle wegfällt, ist es die Sache aller Menschen, was geschieht und wo sie sich einmischen, weil sie nicht mehr akzeptieren, was geschieht. Doch wer kann das in einer Welt, in der es immer nur heißt: "Wenn was nicht stimmt - die Polizei"? Zumal mensch nach dem Holen der Polizei merkt, dass das eine richtig dumme Idee war, denn nun verschwindet die/der HeldIn des Alltags als ZeugIn in den menschenfeindlichen Mühlen der Justiz.
Soziale Intervention, vor allem das direkte Eingreifen, will gelernt sein. Es muss überhaupt erstmal klar sein, welche Erscheinungsformen Übergriffe, Belästigungen, Unterwerfungen, Ausgrenzungen usw. haben können. Bei den Reaktionen geht es nicht um den Rauswurf von TäterInnen, sondern um die Durchsetzung eines unterwerfungsfreien Raumes und um eine Kommunikation mit Personen, deren Verhalten andere stört. Einen objektiven Maßstab, wie ihn Strafgerichte, Schiedskommissionen und viele linke Plena definieren, gibt es nicht. Es kommt auch nicht darauf an, ein Urteil über die Vergangenheit zu fällen, sondern die Verbesserung für die Zukunft zu schaffen. Das geschieht in der Praxis, aber auch durch Trainings, Workshops und Seminare, in denen sich die Beteiligten mit den Formen von Unterwerfung und dem Umgang damit auseinandersetzen.

Aus Rike Pätzold, "Ohne festen Boden"
Gewissheit aber ist eine Illusion. Falsche Gewissheiten sind sogar gefährlich, denn der blinde Glaube an Prognosen wiegt uns in falscher Sicherheit. Wir sind dann nicht offen für anderweitige Signale und merken erst, dass sich etwas ändert, wenn es schon längst zu spät ist. Dann werden wir überrascht von Finanzkrisen und Pandemien, von zerbrochenen Beziehungen und Familiendramen. Gewissheit ist aber nicht nur eine Illusion, sie ist auch nichts, was wir uns tatsächlich wünschen sollten. Ungewissheit mag uns einiges abverlangen, aber Gewissheit würde unser Leben stinklangweilig machen. ... Ungewissheit lasst sich nicht beherrschen, nicht managen und schon gar nicht aus unserem Leben verbannen. Und das ist auch gut so. Denn im Unberechenbaren liegt Gesataltungsraum. Hier entstehen Möglichkeiten. Hier erleben wir Überraschungen. Hier kommt es zu Begegnungen.

Der Begriff Serendipität (=Serendipitätsprinzip) bezeichnet eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als überraschende, neue Entdeckung erweist.


Die Kollision mit der Normalität: Kontrollfreiheit zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Wie auch immer sich emanzipatorische Ideen fortentwickeln und dann hoffentlich zu einem dynamischen Teil gesellschaftlicher Veränderung werden, sie werden noch lange, vielleicht sogar immer, ein gegenkulturelles Projekt bleiben. Denn die Idee ständiger weiterer Befreiung, das Aneignen neuer Möglichkeiten und der Wille, selbst zur/m GestalterIn des eigenen Lebens zu werden, muss als vorantreibende Kraft der Zeit immer etwas voraus sein. Das schafft Probleme, denn gleichzeitig sind die AkteurInnen selbst der Zeit eher hinterher, lag doch ihre soziale Zurichtung in vergangenen Jahren. Aus diesen müssen sie sich im permanenten Prozess selbst befreien, um gleichzeitig nach neuen Möglichkeiten zu suchen und zu streben.

Sichtbar wird das in den experimentellen Räumen, wo erhoffte Zukünfte (aus dem heutigen Blickwinkel entworfen) vorweggenommen und im begrenzten sozialen Rahmen ausprobiert werden. Menschen, die dort auftauchen, stammen von ihrer Zurichtung aus der Vergangenheit und sind den gesellschaftlichen Einflüssen der Gegenwart ausgesetzt, wenn sie etwas Neues probieren wollen. Das führt zu Spannungen und absurden Widersprüchlichkeiten - gut sichtbar z.B. am Verhalten von Menschen in offenen Räumen. Dass dort keinerlei Regeln und Kontrolle herrschen, ist gewollt und utopischer Versuch. Gleichzeitig sind die Menschen, die in ihnen agieren, aber von Vergangenheit und Gegenwart geformt. Sie kennen nur Dinge, die ihnen oder anderen gehören. Sie kümmern sich um Sachen, weil es ihre sind - oder weil ihnen jemand (mit Sanktionsgewalt) aufträgt. In den modernen Überflussfamilien des BildungsbürgerInnentum, aus deren Nachwuchs sich viele anarchistische Szenen heute speisen, war es nicht einmal mehr nötig, sich um den eigenen Kram zu kümmern. Der war auf der Grundlage ausreichender finanzieller Möglichkeiten jederzeit ersetzbar.
Eine solche Vorprägung schafft im offenen Raum erhebliche Probleme. Meist kümmern sich nur wenige Menschen um die reproduktiven Tätigkeiten - vom Putzen bis zu Formalien. Es sind regelmäßig die, die auch schon so sozialisiert wurden oder über lange Zeit in diese Aufgaben hineingewachsen sind. Der große Rest nutzt den Freiraum weitgehend frei von irgendeinem Interesse an Selbstorganisierung. Der materielle Background wird als Selbstverständlichkeit ebenso hingenommen wie das Wirken der Wenigen, die sich kümmern - wie bei Mami und Papi zuhause, wo sich anarchistischer Lifestyle bequem entwickeln konnte, weil er mit keinerlei Zuständigkeit für das eigene Leben verbunden war. Solche "Anarchie" war fremdorganisiert, lief in sicheren Bahnen und vor einem geklärten Hintergrund von Eigentum und Hausrecht.
Offene Räume bilden hierzu einen gegenkulturellen Entwurf - und genau das stellt die Experimente ständig in Frage. Mitunter führt es zu grotesken Situationen. Draußen ist das Eigentum geregelt und der Allgemeinheit weitgehend entzogen. So hat der anarchistische Slogan "Eigentum ist Diebstahl" seine Berechtigung. Im offenen Raum kehrt sich die Logik um. Dort, wo alles für alle zugänglich ist, also im rechtlichen Sinne gar kein Eigentum besteht, lautet der Satz umgekehrt: "Diebstahl ist Eigentum". Denn was Menschen aus einem offenen System entnehmen und nur noch privat nutzen, ist wieder Eigentum. Nämlich ihres. Der Diebstahl aus dem offenen Raum schafft das Eigentum. Dummerweise kommt er massenhaft vor, weil Menschen, die aus den Ordnungssystemen der normalen Welt kommen, in der Regel über keinen eigenen Handlungsimpuls verfügen, mit eigentumslosen Dingen so umzugehen, dass sie für andere nutzbar bleiben. Da helfen auch Che-Guevara-T-Shirts, schwarze Sonnenbrillen und martialische Auftritte auf Demonstrationen nichts: Offene Räume sind ein gegenkulturelles Programm, was in der Realität an den konkreten Menschen scheitert, die es gewohnt sind, auf Regeln und Kontrolle zu reagieren und sich im offenen Raum folglich nicht nur orientierungslos bewegen, sondern zudem diesen ständig selbst gefährden. Der Konflikt darum aber ist ein Teil der gewollten, politischen Intervention.

Im Original: Rückfall unwahrscheinlich
Aus David Graeber (2012): "Inside Occupy", Campus in Frankfurt (S. 189)
Wieso sollte nun jemand, der in dem anarchokapitalistischen Utopia als Nachwächter, Krankenschwester oder Bergmann arbeitet, dort bleiben wollen? Die Kapitalisten hätten binnen Wochen keine Arbeiter mehr und sähen sich gezwungen, ihre Anwesen selbst zu bewachen, ihre eigenen Bettpfannen auszuleeren und ihr Bauxit selber abzubauen - es sei denn, sie machen ihren Arbeitern ein Angebot, das dem der sozialistischen Utopie entspricht.
Aus diesem und eienr ganzen Reihe anderer Gründe bin ich mir ziemlich sicher, dass in der Proxis jeder Versuch, eine Marktwirtschaft ohne Militär, Poliziei und Gefängnisse aufzubauen, in kürzester Zeit nichts mehr mit dem Kapitalismus gemein hätte. Im Gegenteil, ich vermute stark, dass er überhaupt nichts mehr mit dem gemein hätte, was wir jetzt unter Markt verstehen.


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