Polizeidoku Gießen

DEN KOPF ENTLASTEN? WOHER KOMMEN UND WAS SOLLEN "VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN"?

Was braucht es und was macht alles so attraktiv?


1. Einleitung
2. Definitionen
3. Was braucht es und was macht alles so attraktiv?
4. Cui bono - sind die Nutznießer von Ereignissen auch deren Verursacher?
5. Vereinfachte Welterklärungen an Beispielen
6. Können "Verschwörungstheorien" auch nützen?
7. Gegenmittel: Skeptisches Denken
8. Wer klärt auf und enthüllt "Verschwörungstheorien"?
9. Was sagen die Kritisierten zur Kritik?
10. Warum werden solche "Theorien" eigentlich verbreitet?
11. Links und Materialien
12. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Wodurch überzeugen "Verschwörungstheorien" oder einfache Welterklärungen? Was macht sie aus? Es sind mehrere Merkmale.

1. Vereinfachungen, gepaart mit ...
  • ... schlichten Ursache-Wirkungs-Ketten: Damit ein Welterklärungsmodell gut in die Köpfe geht, darf es nicht zuviele Einflussfaktoren aufweisen. Die meisten AnhängerInnen haben Gedankenkonstrukte, die eine einzige Gruppe von Mächtigen und Bösen oder ein einziges Motiv, Ziel bzw. einen Antrieb hinter Geschehnissen benennen. Geld, Kontrolle oder Rohstoffe finden sich als Erklärungsansatz, aber auch umfassendere "Verschwörungen" wie eine militärische oder religiöse Mission, das Erringen der Weltherrschaft oder skurril wirkende Programme z.B. zur Reduzierung der Weltbevölkerung auf 0,5 Milliarden (also ein Schrumpfen auf ein Vierzehntel). Damit werden dann alle Geschehnisse, mit oder ohne gezielte Umdichtungen, erklärt. Da immer die gleiche Ursache den Geschehnissen beigedacht/-gedichtet wird, entsteht schließlich der Eindruck, dass hier ein übermächtiges und unkontrollierbares Prinzip oder eine entsprechende Gruppe von Menschen tätig ist. Das löst Angst aus - der wirksamste Verstärker politischer Verunsicherung. Angst ruft nach Hilfe, öffnet Köpfe und Herzen für einfache Losungen und Lösungen. Das schwächt die Fähigkeit zur skeptischen Analyse. In der Geschichte gibt es viele Beispielen für diesen Effekt. Die Religionen bauten und bauen ihre Macht auf der selbsterzeugten Angst vor Gottes Strafe (im Hier&Jetzt oder als (Höllen-)Qual nach dem Tod) auf. Moderne Innen- oder KriegsministerInnen schüren Ängste, um Akzeptanz für Präventionsmaßnahmen, Waffen und deren Anwendung zu schaffen. Wer es geschickt anstellt, kann nach diesem Wirkprinzip sogar gesellschaftliche Einzelfragen, mitunter auffällige Nebensächlichkeiten, zu monströsen Einflussgrößen aufblasen. Unter den unten genannten Beispielen vereinfachter Welterklärungsmodelle findet sich z.B. die Sache mit dem Zins. Dem wird die prägende Rolle auf das gesamte wirtschaftliche Geschehen beigemessen - ein extremes Beispiel solcher Empörungs-Aufwertung.
  • ... klaren Feindbildern: Viele "Verschwörungstheorien" sind attraktiv, weil sie einen greifbaren Gegner zu lokalisieren scheinen. Es sind nicht mehr abstrakte und damit anstrengend zu durchdenkende Antriebskräfte wie die Verwertungslogik, das Streben nach Profit oder der Selbsterhalt von Macht, die zudem noch in allen Menschen und Strukturen zumindest teilweise vorhanden scheinen. Sondern konkrete Personen oder Personengruppen sind für das verantwortlich ("schuldig"), was auf der Welt als schlecht empfunden wird. So kann der Hass auf etwas Konkretes projiziert werden. ++ Text "Empörung sucht Feinde", in: grünes blatt Winter 2015/2016 (S. 41ff.)
  • ... und der Einteilung in Gut und Böse (wahlweise auch wahr-unwahr, desinformiert-wissend): Mit der Aufladung des Anderen, Äußeren und Abgegrenzen als Hort des Bösen zeichnet sich eine zweigeteilte Welt ab. Die Grenzlinie verläuft immer so, dass mensch selbst auf der Seite der Guten steht. Das verleiht dem Gedankenmodell Charme. Mensch wird selbst zum Guten, in dem das Andere als Böse definiert wird. Komplexe Herrschaftsanalyse gerät ebenso in Vergessenheit wie die eigene Verwobenheit in die Verhältnisse.

2. ... ständigem Einhämmern der simplen Losungen ...
  • "Siehste!" und "self-fullfilling prophecy": Wer bei Ereignissen oder Informationen auf eine bestimmte Sache schaut, wird diese auch bevorzugt in Erinnerung behalten. Wer z.B. bei Treffen von Privilegierten immer die Angehörigen einer Religion, einer Nation oder sozialen Strömung benennt, erzeugt den Eindruck, als würden diese überrepräsentiert sein. Durch eine voreingenommene Brille betrachtet, wird jedem Geschehen ein bestimmter Erwartungshorizont aufgedrückt und dadurch eine Wertung erzeugt, die in Erinnerung bleibt. Wenn dann noch von Außen auf das explizit hingewiesen wird, was ohnehin durch gefilterte Wahrnehmung im Vordergrund steht, verstärkt sich die Wirkung. Dieser Siehste-Effekt wird benutzt, um eine bestimmte Wahrnehmung in die Köpfe zu bringen. Er trägt sich aber auch unbewusst von Person zu Person weiter.
  • stetiger Wiederholung: Eine Personengruppe oder ein Mechanismus können nur dann als dominant gefühlt werden, wenn ihre Wirkung sich überall und wiederholend bestätigt. Ob das durch eigene Anschauung oder ständige Legenden und Hilfskonstrukte geschieht, ist dabei in der Wirkung ähnlich. Garniert werden muss das (scheinbare) Erleben von gleichen Wirkungsmustern mit der dazugehörigen Legende von Strippenzieherei. Sonst reicht es nicht. Denn selbst wenn mensch z.B. annimmt, dass die "Bilderberger" oder die Bankiersfamilie Rothschild (siehe Beispiele unten) die Strippen dieser Welt ziehen, wäre das im eigenen Alltag kaum spürbar. Es bedarf daher einer Wirkungskette, die - oft über viele Ecken und Kanten - ein Ereignis auf die gewünschte Ursache zurückführt. Bei Personen geht das nach dem einfachen Muster: Der kennt den, der wieder den usw., so dass schon nach einigen Stationen der gewünschte Personenkreis im Spiel scheint. Dass die moderne Soziologie längst weiß, dass über 5 bis 10 Ecken fast jedeR mit jeder/m verwandt, bekannt oder irgendwie verflochten ist, muss natürlich verschwiegen werden, um das Aha-Erlebnis nicht zu relativieren.
    Ähnlich funktioniert es mit abstrakten Wirkmechanismen. Geld, Zins, Rohstoffe, religiöse Muster - irgendwie lässt sich davon immer zumindest ein bisschen nachweisen. Daraus abzuleiten, dass es auch die Ursache ist, ist dann der Verschwörungsaspekt in der Welterklärung. Sie überzeugt, weil sie so schön einfach ist, immer nur den einen Aspekt erwähnt und ihn zur Hauptursache aufbläst.

3. ... und einem Schuss geheimnisvollen Welten
  • Gesteigert durch geheimnisvolle FädenzieherInnen: Allerdings würden klare Feindbilder unmittelbare Handlungsoptionen nach sich ziehen - wie es in der Geschichte ja auch ständig der Fall war von Kreuzzügen über Hexenverbrennungen und Holocaust bis zu modernen Hetzkampagnen gegen AusländerInnen oder SozialhilfeempfängerInnen. "Verschwörungstheorien" dienen aber meist der Kultivierung eigener Ohnmacht. Wer sich als Opfer inszeniert, muss keine Gedanken an die eigene Verwicklung in gesellschaftliche Abläufe und damit den eigenen Anteil an der Lage der Dinge verschwenden. Die klare Grenzziehung zwischen Gut und Böse wird gefördert, wenn die Personen, denen in den einfachen Welterklärungsmodellen die Macht zukommt, auf normalen Wegen unerreichbar sind. So ranken sich die Mythen steuernder Mächte selten um (abwählbare) PolitikerInnen oder die real handelnden Bosse großer Konzerne. Sie werden eher als Marionetten von Kräften gesehen, die im Hintergrund die Fäden ziehen. Diese Kombination einer beschreibbaren, aber wegen derer geheimnisvoller Kräfte nicht exakt lokalisierbaren Sphäre mit unangreifbaren Personen stellt die typische Form des herbeiphantasierten Zentrums der Welt dar.

Dazu der Charme der Weltrettung ...
In Konferenzen, Filmen, auf Internetseiten, Online-Nachrichtenportalen usw. frönen die VordenkerInnen der einfachen Welterklärung der Vorstellung, sie seien die Auserwählten der Weltrettung. Damit machen sie die nächste Vereinfachung auf: Enttäuschte, Empörte, Verwirrte, VerliererInnen neoliberaler Umwandlung, Internet- und Smartphoneverstörte und viele mehr verlagern den Wunsch nach Veränderung von sich selbst und ihrem eigenen Leben (Handeln, Denken ...) auf Führungsfiguren, die in großen Inszenierungen symbolischer Beteiligungsdebatten ihre Stellung zelebrieren. Nie geht es z.B. bei den großen Kongressen um offene Diskussion. Vielmehr ist alles gesteuert, mehrfach aufgefangen in Moderations- und Interventionsstrukturen. Billiger Applaus, wie er für einfache Erklärungsmodelle immer schnell kommt, schafft den Schein kollektiven Zusammenhandelns. Ob Anti-Zensur-Konferenz (AZK), die Handzettel und Konferenzen von "Stimme und Gegenstimme" oder der Aufbruch "Gold-Rot-Schwarz" (Start war am 9.11.2012 in Alsfeld) - das Management ist immer das Gleiche.

Im Original: Abschriften/Auszüge 9.11.2012 Alsfeld
Verlaufsbeschreibung und Zitate (kursiv) aus Reden und Ergebnisprotokollen (Quelle: Videos auf Internetseite)
Anfang: Ein Mann spricht davon, das Weibliche zu fördern. Seine Frau macht eine Atemmeditation, dann kommen wieder zwei Typen aufs Podium, um Inhalte und Regieanweisungen des Treffens vorzugeben.
Konferenzregime: In Eingangsrede erklärt Jo Conrad (Macher von www.bewusst.tv) den Ablauf. Es gibt Arbeitsgruppen, die sollen was erarbeiten. Für alle Gruppen sind "MediatorInnen" vorgesehen. Die sollen vor allem störende Einzelmeinungen verhindern: "Bitte arbeiten Sie mit an den einzelnen Bereichen, und versuchen Sie nicht, Ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen, denn natürlich möchte jeder mit seinen Ideen gerne Anerkennung finden. " ... "Und lassen Sie uns um die Unterstützung der geistigen Welt bitten, die nur zu freudig bereit ist, uns zu helfen, wenn sie darum gebeten wird. Denken Sie daran, dass wir alle geistige Wesen sind, die sich entschieden haben, hier zu inkarnieren, und dass dies ein wichtiger Tag für uns alle sein kann, wenn wir den Respekt für alles, das uns begegnet, aufbringen."
Michael Vogt trägt zudem anfangs vor, dass ein Rahmentext, der eigentlich das Ergebnis sein soll, bereits im Internet steht. Protest regt sich nicht. Von der Bühne folgt ständiges Bedanken dafür, dass alle Leute da sind, dass viele unterstützen ... "es ist wie geführt ... bleibt in Eurer Energie"
Arbeitsgruppen werden vorgestellt.
Mikrofon kaputt ... "Nehmen wir das nächste, ist ja nicht wie bei armen Leuten"
Als eine Frau eine Stelltafel trägt: "Oh guck mal, starke Frauen".

Nach Arbeitsgruppenphase folgt eine Mediation über gemeinsame Ideale ... "Eure Wurzeln am Steißbein fallen lassen, Euch erden ... Stellt Euch jetzt vor: Wie sieht die Welt aus, in der Ihr idealerweise leben wollt (meditative Musik mit Vogelgezwitscher folgt, mehrere Minuten, dazwischen gesagt:) und fühlt in Eurem Körper: Wie fühlt sich diese Vision in Eurem Körper an ... was Ihr aussendet, was Ihr in die Welt strahlt, dass ist das, was Ihr bekommt ... Lasst uns Liebe in die Welt strahlen ... dann könnt Ihr langsam wieder ankommen, aber ich möchte Euch bitten, den Fokus zu halten auf diese Vision, auch wenn Ihr wieder hinausgeht in die Welt da draußen" (Applaus).
Moderator: "Wir bauen hier ein Bewusstseinsfeld auf, das weit über Alsfeld hinausgeht ... geht mal in das Wesen, dass Ihr wirklich seid ... seid Euch bewusst: Ihr seid göttliche Wesen und dann können die, die immer denken, sie können hier über uns bestimmen, nämlich einpacken ... jeder Einzelne hier könnte eine bessere Politik machen als die in Berlin"
Vorstellung AGs (alle bekamen Textvorlagen, die einige Tage später als weitgehende Abschrift aus einer Burschenschaftszeitung identifiziert werden konnten):
- AG "Forschung, Wissen, Weisheit" will, dass außerweltliche Phänomene als Forschungsgegenstand anerkannt werden ... "Die ethischen Gesetze und die Achtung vor der Einzigartigkeit der Schöpfung wird in allen Bereichen der Forschung geachtet und hat die Suche nach der kosmischen Wahrheit zum höchsten Ziel." (Applaus, Moderation: "Sehr schön")
- AG "Wirtschaft und Finanzen": Vergleicht Moderatorin mit Löwenbändigung ... wollen Aufklärung: Was ist Geld? ... Zinsthematik: "Aufklärung über die Zinsproblematik, daß die Zinsen ja nicht mitgeschöpft werden, der parabolische Anstieg der Schulden, Zwangsläufiges Scheitern eines Zinsgetriebenen Fiat-Money-Systems, Gründe des Zinsverbotes in Religionen und Geschichte." ... "Anschaulich erklären, simple Beispiele verwenden." ... "wir haben alle etwas Göttliches in uns" ...
- AG "Medien und Kommunikation": Hetze gegen Dagegensein "FÜR eine Sache einzutreten ist wesentlich. Gegen eine Sache zu kämpfen erzwingt Gegenkampf. ... "Respekt und Wertschätzung der deutschen Sprachkultur" (spontaner und fetter Applaus) ... "ich bin in der Seele deutsch" (Daumen hoch vom Moderator) ... "ich liebe die deutsche Sprache, da darf keiner etwas sagen drüber" (wieder spontaner Applaus) ... "Aufrechterhaltung des hohen Energieniveaus der deutschen Sprache"
- AG "Kunst und Kreativität": Durch Vertrauen in den kreativen Prozess kann Schönheit entstehen.
- AG "Spiritualität und Bewusstseinsentfaltung": Auszug "Ich lebe aus göttlichem Ursprung nach universellen Gesetzen mein bewußtes Sein in Liebe zum Wohle allen Lebens. Ich bin Schöpfer meiner eigenen Realität. Spiritualität und Bewußtseinsentfaltung dienen allen Lebensbereichen, insbesondere in Bildung und Forschung werden kosmische Gesetze gelehrt, erforscht und gelebt." (Reaktion Moderation: "wunderbar")
- AG "Regierung und Politik": Rätebildung, orientiert am Thing ... "natürliche Netzwerke" ... "Wir setzen uns ein, für ein freies Europa der Heimatländer und für ein freies Deutschland als Ganzes"
- AG "Recht und Sicherheit": "Jeder Mensch hat unveräußerliche Rechte, die ihm von der Schöpfung gegeben und nicht beschnitten werden dürfen. ... Das Recht dient den schöpfungsgegebenen Menschenrechten." ... "Die Polizei – die Exekutive - hat die Aufgabe, die Menschen vor Straftaten zu schützen." ...
- AG "Außen-/Bündnis- & Sicherheitspolitik" (vorgetragen von Michael Vogt): "Deutschland nimmt sein Schicksal in eigene Hände und stellt seine (immer noch nicht vorhandene) Souveränität auf der Basis des Völkerrechtes her. ... Diese Souveränität geht mit der Sicherung der eigenen Identität einher. ... Deutsche Verteidigungstechnologie dient ausschließlich der Landesverteidigung. ... Das Asylrecht wird grundsätzlich beibehalten und zugleich auf die Länder, in denen tatsächliche Menschenrechtsverletzungen stattfinden, konzentriert. Einer demographischen Umgestaltung der autochthonen Gesellschaft wird durch Einführung von Visumspflicht vorgebeugt. Das Asylrecht wird durch gezielte Entwicklungshilfe vor Ort ergänzt. ... Deutschland muß aus der Haft durch die Stationierung us-amerikanischer ABC- und anderer Massenvernichtungswaffen heraus. ... Deutschland nimmt seine Landesverteidigung in eigene Hände. Dazu dient eine Truppe, die mit den dazu nötigen Mitteln ausgestattet und entsprechend auf- und ausgebaut wird. ... Vor dem Hintergrund der gemeinsamen Geschichte und der Bedeutung des Landes als europäischer Nachbar kommt darüber hinaus den guten und freundschaftlichen Beziehungen zu Rußland eine besondere Bedeutung zu." ... (ständiger Zwischenapplaus)
- AG "Familie und Kinder": "Familie: Mutter - Vater - Kind (kleinste Einheit der Gesellschaft)... Wertschätzung der verbindlichen Partnerschaft" ... Werbung für freileben.org
- AG "Umwelt ...": Definition "Umwelt – die Welt die uns umgibt. Immer und überall, mit der wir zutiefst verbunden sind – im feinstofflichen und im Energiefeld."
- AG "Landwirtschaft" (Friedhelm Berger):
- AG "Bildung ...": "Jeder der kann, darf lehren (Bsp.: Omas - Kochen, Opas – werken, bauen, Väter – Information)"

Endmoderation Jo Conrad: "Wir senden hier auch etwas aus. Es kommt ein Massenbewusstsein in das morphogenetische Feld ..." Michael Vogt: "Und irgendwann sind wir die 99?." (Applaus) "Wenn wir ans Herz gehen, dann sind wir in einer anderen Qualität, die ist nicht zu erreichen für Manipulation." ... "Hambacher Fest 2.0"
Meditationsfrau macht Abschluss und bedankt sich bei den "Männern im Hintergrund", dass sie hier für alle Frauen reden darf, ohne darum kämpfen zu müssen (Applaus). Dann Mediation mit Händchenhalten im Kreis (fast alle machen mit): "Atmet durch die linke Hand ein und durch die rechte Hand aus." Am Ende: "Das war Nineeleven Germany - und jetzt umarmt Euch, was das Zeug hält!"

Reproduktion patriarchaler Frauen-Männer-Bilder und Deutschtümelei schon im Aufruf vor der Konferenz: "Integration von Frauenbewegungen, die sich mit den spirituellen Kräften verbinden und zur Heilung von Mutter Erde und vielen Menschen beitragen. Die Vereinigung der weiblichen und männlichen Kräfte birgt für uns ein riesiges Potential ... Ausrichtung an dem hohen geistigen Erbe der Deutschen"

Ging es um Geld? Ganz absurd ist die Frage nicht, denn auch vereinfachte Welterklärer_innen stellen ihre Spendenkonten und -kassen oft in den Vordergrund. So wie die Internetseite zur obigen Veranstaltung ...

Mit ihrer gezielten Art, kopfgängige und schnell akzeptierte Begründungsmuster mit hohem Empörungspotential zu verbreiten, gehören die einfachen Welterklärungen und "Verschwörungstheorien" zu den Populismen. Komplexe Einflüsse werden ebenso weggelassen wie Zweifel und Gegenbeispiele. Typisch ist, alle möglichen Geschehnisse auf das einmal als dominant erklärte Muster zu projizieren: "Siehste, schon wieder ...", heißt es dann schnell. Und so entstehen die sich selbst bestätigende Ideologie und der Glaube an deren Dominanz. Andere Erklärungsmöglichkeiten werden gar nicht mehr ins Auge gefasst. Es reicht der gelungene Versuch, das beobachtete Geschehen auf die als zentral empfundene Universalursache zurückführen zu können. Dass dafür immer wieder Details uminterpretiert oder hinzuerfunden werden müssen, geht im Gesamtempörungsmischmasch unter, der aus den populistischen Erklärungsmustern regelmäßig entsteht.


Empfehlungsliste auf Youtube (Screenshot am 28.5.2014): Hoher Anteil am Thema "Verschwörungen"


... und ein Jammern über die eigene Lage (vermeintliche Zensur, Ausgrenzung usw.)
Die endlosen Listen mit Vorwürfen wegen Zensur bieten eine perfekte Anschauung über das zentrale Wirkungselement vereinfachter Welterklärungen. Mitunter geht dieser eine eigene, durchaus nützliche und intensive Analyse der Mainstream- bzw. herrschenden Meinung voraus. Dann aber kommt das, was alle Weltvereinfachungen kennzeichnet: Die eigene Matrix, das politische Interpretationsmuster, wird auf die Angelegenheit gedrückt. So geschieht es im Buch „Die Akte Wikipedia“ von Michael Brückner. Minutiös werden die Manipulationen in der Online-Enzyklopädie aufgelistet – durchaus zumindest eine Fleißarbeit. Der Blick auf führende Personen und ihre Interessenlagen deckt die fraglos bestenden Machtapparate auf. Dann allerdings verfällt das Buch in einen Jammerstil, dass vor allem die eigenen Meinungen ausgegrenzt würden. Schnell werden Feindbilder ausgemacht: Die Linken müssen das Projekt "Wikipedia" beherrschen. Beweise für diese These liefert das Buch nicht. Wer Kapitel über "Gentechnik" oder andere Themen durchliest, stellt auch schnell fest, dass diese Auffassung absurd ist. Wikipedia ist ein Projekt der gesellschaftlichen Eliten - konzernnah, technizistisch und feindlich gegenüber allem, was Markt und moderne Rechtsstaaten kritisch sieht.
Vom gleichen Autor, zusammen geschrieben mit dem ebenfalls als Enthüllungsschreiber mit bemerkenswertem Buchausstoß bekannten Udo Ulfkotte, stammt „Politische Korrektheit“. Es ist eine dramatisch daherkommende Sammlung von Fallbeispielen für vermeintlich absurde gesellschaftliche Zustände und Akzeptanz des Schlechten. Fast überall lauert das Böse – stets bereit, die Rechtschaffenen und das Lieblingsopfer aller bösen Mächte, die Deutschen und ihr Land, zu unterdrücken. Klassisch die Zweiteilung: Zum Teile gute Kritik herrschender Meinungen, gepaart mit überwiegend quellenlosen und regelmäßig frei konstruierten Herleitungen, in denen die vorab vorhandene Interpretationsmatrix deutlich wird. Auffällig ist die Schludrigkeit des Buches, welches – angesichts der Schreibwut der Autoren vielleicht nicht überraschend – bemerkenswerte Schnellschüsse an die Stelle von Argumenten und Logik setzt. Nicht immer ist es dabei so seltsam wie auf Seite 200, wo oberflächliches Wissen über Kriminalitätsstatistiken mit der Matrix des Ausländer_innenhasses belegt wird: „Dabei sind in Deutschland bei Mord und Totschlag 28 ? aller Täter Ausländer – Tendenz steigend“ (immerhin mit Quellenangabe: Die BILD-Zeitung). Dann folgt der Satz: „Nimmt man Totschlag noch mit hinzu, dann stellen Ausländer mehr als ein Drittel der Tatverdächtigen.“ Eine schöne Kombination: Erstens war Totschlag bei ersten Satz schon drin, zweitens wechselt der Begriff ganz unmerklich von „Täter“ auf „Tatverdächtiger“. Dass häufiger Nicht-Deutsche verdächtigt oder z.B. kontrolliert und deshalb gefasst werden, könnte auch ganz andere Ursachen haben … z.B. der Hass gegen alles Fremde, den die Autoren zwei Seiten weiter offen zeigen: „Deutsche werden regelmäßig von Migranten grundlos auf der Straße zu Tode geprügelt.“ Welch ein Satz – und schon rein logisch ganz unverständlich: Was ist denn mit regelmäßig gemeint? Jeden Dienstag um 12.21 Uhr? So geht es Thema für Thema, alles wird irgendwie angerissen und dann teils bemerkenswert oberflächlich abgetan. Kostprobe: „Dummerweise ist Gender bei näherer Betrachtung nichts anderes als Blödsinn“ (S. 279).


Beispiel für die hohe Präsenz von Populist*innen in den Medien: GoogleNews-Startseite am 30.8.2018
Schon das erste Buch von Thilo Sarrazin erreichte eine Rekordauflage, wurde breit diskutiert, Sarrazin ständig in Talkshows geladen ... und dennoch entstand der Mythos der Zensur!

Das Buch "Unzensiert 2013" von Andreas von Rétryi überrascht durch zweierlei. Zum einen enthält es keine einzige Quellenangabe. Das ist für ein Werk, welches als Enthüllungsbuch auftritt, schon bemerkenswert. Offenbar scheint der Autor der Meinung zu sein, dass das einfache Erzählen von Stories, die empören sollen, reicht. Zum zweiten sind in dem Buch wenig Sachen zu entdecken, die nicht schon aus den Mainstreammedien bekannt sind. Es sind also gerade keine unterdrückten Informationen, die nun über dieses Buch ans Tageslicht kommen, sondern all das, was als zwar von der Durchschnittsmeinung abweicht, aber durchaus längst bekannt ist. Das ist selbst für den Kopp-Verlag unüblich, der ja regelmäßig quellenlosen Empörungsjournalismus Raum bietet, aber meist nicht auch noch derart langweilig geschrieben.

Nicht nur die eigenen Meinungen werden als "zensiert" behauptet, sondern die gesamte Medienlandschaft sei zensiert. "Lügenpresse" ist das dafür in solchen Kreisen gebräuchliche Wort. Alle Medien seien zensiert und zentral gesteuert. Manche Ideologen behaupten sogar, dass z.B. die CIA alle Redaktionen steuere und die Texte schreibe, die dann anderntags erschienen (z.B. Holger Strohm, siehe die Zusammenstellung seiner Zitate im Film "Empörung und Verschwörung". Absurd ist, dass gleichzeitig fast alle Werke, die überhaupt Quellen angeben, vor allem solche Zeitungen benennen, die besonders reißerisch agieren (Bild, Welt, Spiegel usw.). Wenn "Lügenpresse"-Rufer_innen für ihre eigenen Werke ausschließliche die "Lügenpresse" als Quelle nutzen - was sind sie dann selbst???

Aus Bernd Höcker (2015): "Böse Gutmenschen", Kopp Verlag in Rottenburg (S. 73)
Das "Unwort des Jahres 2014" lautet übrigens "Lügenpresse". Man darf also die Wahrheit über die Presse nicht mehr sagen.

Angst bis zur Apocalypse
Aus "Schon über 300.000: Immer mehr Deutsche besorgen sich einen kleinen Waffenschein", in: Focus, 9.2.2016
Der sprunghafte Anstieg zeige die wachsende Verunsicherung der Bevölkerung, sagte Mihalic. "Wenn jedoch immer mehr Menschen Waffen tragen, wird das eher zur Eskalation als zur Beruhigung der Lage beitragen", so die Fraktionsexpertin für innere Sicherheit.


Aber eigentlich ist es selten mehr als die Projektion eigener Annahmen auf das Geschehen in der Welt

Zentrales Mittel der Konstruktion ist das Hineinpressen von vorher feststehenden Interpretationen in ein Geschehen, d.h. es gibt keine Ursache, aus der sich das Geschehen entwickelt, sondern es passiert etwas und dann wird es der Denkschablone entsprechend interpretiert. Anschließend erscheint die Sache dann so, als hätte die benannte Ursache. Berühmtestes Beispiel sind die einstürzenden WTC-Türme in New York am 11.9.2001. Angesichts der Vielzahl an Interpretationen ist ein Durchdringen zu den Ursprungsvorgängen kaum (noch) möglich. Aber es geschah, was vorher klar war: JedeR an den Spekulationen Beteiligte projizierte seine Erwartung in das Geschehen. So fand die US-Regierung islamistische Gruppen als Täter - es hätte nicht anders kommen können im Jahr 2001. US-feindliche "VerschwörungstheoretikerInnen" entdeckten hingegen, was sie immer schon im Kopf hatten: Die CIA. Antideutsche nannten die Palästinenser usw. Recherche ist dafür nicht nötig.
So ging es bei zahlreichen anderen Fällen - und fast alles wird heute gerichtet interpretiert: Der Abgang von Bundespräsidenten, Doktortitel-BetrügerInnen oder Päpsten ... alles wird zur großen Verschwörung.
In der Abbildung ein Beispiel aus der Nachrichtensammlung von solchen einfachen Welterklärungen, diesmal zum Amoklauf von Winnenden. Keine Quelle wird genannt, überwiegend nur spekulative Punkte aneinandergereiht. Aber im Kopf bleibt hängen: Da stimmt was nicht - böse Mächte haben da was manipuliert. Dabei ist nicht gesagt, dass das falsch ist. Das lässt sich gar nicht beurteilen, denn die Interpretation folgt einem gerichteten Blickwinkel, d.h. kümmert sich nicht um eine Analyse, sondern projiziert das vorher feststehende Ergebnis auf das Geschehen. Rein statistisch ist wahrscheinlich, dass ab und zu auch mal der eine oder andere Punkt stimmt. Darauf kommt es aber gar nicht an.

Rechts und unten: Beispiele aus "Stimme&Gegenstimme" mit einfachen Spekulationen über Morde als Mittel der Beschneidung des (offenbar gewünschten) Waffenbesitzes (also Lobbyarbeit pro Waffenbesitz).



Im Original: Alles taugt für Erklärungsmysterien
Aus dem Katalog des KOPP-Verlages:


... und: Titanic-Untergang, Rücktritte von Wulff oder Papst Benedikt ... plus Apokalypse (Ausschnitt aus Kopp-Katalog Mai 2017)
Apokalypse im Kopp-Verlag


Ähnlichkeit mit dem Aufdrücken eines festen Interpretationsrasters auf jedes Geschiehen hat die zunächst bei jeder Analyse wichtige Frage "Cui bono?" oder auf deutsch: "Wem nützt es?" Allerdings ersetzt das keine Beweisführung. Dass z.B. einer Regierung oder einem Konzern etwas nützt, ist kein Beweis, dass sie auch die Ursache sind. Wahrscheinlich freuen sich die jeweils Mächtigen in den nutznießenden Institutionen über das Geschehen. Sie werden es in ihrem Sinne interpretieren. Sie unterlassen vielleicht auch manche Handlung, die Abläufe zu verhindern oder in ihrer Wirkung zu verringern. Aber ob sie auch die Ursache waren, ist nicht dadurch bereits bewiesen, dass es ihnen nützt. Oft ist es außerdem so, dass die Mächtigen durch ihre Macht in der Lage sind, ein Geschehen so umzudeuten, dass es für sie nützlich wird. Ohne diese Umdeutung wäre es das gar nicht, d.h. die "Verschwörung" wäre die Deutung, nicht das Geschehen selbst. Selbstverständlich: Ausgeschlossen ist es damit nicht, dass die Nutznießenden auch die Verursacher_innen waren. Es ist möglich, aber nicht notwendig so.

Da stören dann auch nicht mehr ... absurde Widersprüche
Es sind zu großen teilen die gleichen Leute, die ...
  • erstens behaupten, dass Chemtrails gegen den Klimawandel gesprücht werden ... und zweitens, dass es den Klimawandel gar nicht gibt.
  • erstens die USA bzw. ihre Eliten als Quelle aller Lügen und des Bösen schlechthin an den Pranger stellen ... und zweitens mit der Leugnung des Klimawandels genau eine Position von dort übernehmen.
  • erstens das Finanzkapital als Weltherrscher und das Böse bezeichnen ... und zweitens die totale Marktorientierung wollen (Anarchokapitalismus, Freiwirtschaft u.ä.)

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