Hierarchnie

Ö-PUNKTE 3/2001 ("HERBST 2001")

Familien- und umweltfeindliche Verkehrspolitik

Abschaffung menschengerechter Wege auf dem Verwaltungsweg geplant
Wenn die vom Bundesverkehrsministerium derzeit geplanten Veränderungen der Straßenverkehrs-Ordnung StVO und der entsprechenden Verwaltungsvorschriften umgesetzt werden, wird in Sachen Verkehrsberuhigung und Umweltverbund der Rückwärtsgang eingelegt und der Vorrang des Autoverkehrs weiter ausgebaut.
Insbesondere die in den letzten Jahrzehnten von Bürgerinitiativen, Umwelt- und Verkehrsverbänden und von Verkehrswissenschaftlern hart erkämpften Möglichkeiten, ein wenig mehr an Aufenthaltsqualität in städtische Straßen zu bringen, sollen ohne öffentliche Diskussion eingeschränkt werden oder gar wieder aus dem Regelwerk für kommunale Planer verschwinden.

Weniger Verkehrsberuhigung
Unter dem Motto "Weniger Verkehrszeichen - bessere Beschilderung? soll die ?flächenhafte Verkehrsberuhigung", die in zahlreichen Modellvorhaben in ganz Deutschland überzeugende Resultate hinsichtlich der Reduzierung von Verkehrsunfällen und der Zunahme der Aufenthaltsdauer in den Straßen hervorgebracht hat, gänzlich abgeschafft werden.
Die Gründe für die Einrichtung Verkehrsberuhigter Bereiche wie z.B. die Erhöhung der Verkehrssicherheit, Gesichtspunkte des Städtebaus, die Wohnumfeldverbesserung und die Gestaltung des Straßenraumes sollen ersetzt werden durch die Anordnung, in Zukunft auch in verkehrsberuhigten Bereichen stärker für den fahrenden und ruhenden Autoverkehr zu sorgen.
Die in der Verkehrswissenschaft nahezu einhellig vertretene Auffassung, dass in verkehrsberuhigten Bereichen kein teurer Ausbau der Gesamtfläche auf einem einheitlichen Höhenniveau erforderlich ist, wurde durch eine Verschärfung dieser Ausbauforderung negiert. An Stelle der jahrelangen Praxis, dort Schutzbereiche für Fußgänger einzurichten, soll es nun ausreichend breite Fahrgassen für den motorisierten Verkehr geben.

Kein Vorrang für Fußgänger
Die geplante Novellierung der Straßenverkehrs-Ordnung war in der Koalitionsvereinbarung der Rot-Grünen-Bundesregierung 1998 damit begründet worden, den Schutz der Fußgänger und Radfahrer verbessern zu wollen. Das Gegenteil steht nun im Text:
Während die Erwähnung des Kinderspielens auf Gehwegen entfallen soll, ist geplant, das Parken durch ?Parkflächenmarkierungen auf Gehwegen? zu erleichtern und auszuweiten.
Das Gefahrzeichen ?Fußgängerüberweg? soll ganz aus der StVO gestrichen, die Möglichkeiten für Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit beim Queren der Fahrbahnen erschwert werden.
So genannte Sonderwege allein für Fußgänger wird es nur noch in Sonderfällen geben und auch die Anordnung von Fußgängerbereichen wird noch schwerer durchsetzbar sein.

Keine Förderung des ÖPNV
Als eine der einschneidendsten Veränderungen wird die geplante Einschränkung des Parkverbots an Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel angesehen.
Darüber hinaus ist geplant, die Einführung von Busspuren mit allen erdenklichen Auflagen zu erschweren und die bisher eindeutige Freihaltung vom Individualverkehr aufzuweichen.

Spielstraße ade
Das Verkehrszeichen "Spielstraße" und auch die derzeit ortsüblich zugelassene Straßenbenutzung mit Skiern und Schlitten soll abgeschafft werden.
Es ist geplant, die Anordnung des Gefahrzeichens ?Kinder? noch weiter einzuschränken mit dem Hinweis, Kinder durch Absperrungen vom Queren der Fahrbahn abzuhalten.
Die geplante ersatzlose Streichung der Zulassung von Sport und Spiel auf verkehrsmäßig unbedeutenden Straßen wäre das Gegenteil einer vernünftigen Jugend- oder einer vorbeugenden Gesundheitspolitik.

Vorfahrt für den MIV
Der motorisierte Individualverkehr soll dagegen weiter gefördert werden durch mehr Tempo, weniger Überholverbote und die Verminderung von Park- und Halteverboten.
Die Anordnung geringerer zulässiger Höchstgeschwindigkeiten soll noch weiter eingeschränkt werden; dagegen sind erhöhte zulässige Höchstgeschwindigkeiten leichter anzuordnen. Selbst vorgeschriebene Mindestgeschwindigkeiten sollen ausgeweitet und nun auch für den Stadtverkehr zugelassen werden.

Widerstand ist angesagt
Die vorliegenden zahlreichen Änderungsvorschläge , die hier nur kurz angedeutet werden konnten, sind bereits mit den Ländern abgestimmt und könnten über den Bundesrat sehr schnell Wirklichkeit werden. Sie scheinen zumindest teilweise der populistischen Schilderwald-Kampage des ADAC entlehnt zu sein. Hinter dem Motto ?Weniger Verkehrszeichen? stecken augenfällig harte verkehrspolitische Interessen zur Förderung des Kraftfahrzeugverkehrs.
Die Straßenverkehrs-Ordnung mit ihren für Laien nicht gerade leicht lesbaren Verwaltungsvorschriften regeln in Deutschland nicht nur das Verkehrsverhalten und den Ablauf des Straßenverkehrs; das Regelwerk beinhaltet auch eine Festlegung, welchen Verkehr wir haben wollen.
Alle, die sich für einen menschengerechteren Verkehr einsetzen, müssen sich jetzt sachkundig machen und alle Hebel in Bewegung setzen, um diese Novellierung der StVO zu verhindern! Hilfestellung dazu gibt der FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland mit seinen Materialien: 

Mehr Verkehrssicherheit - weniger Verkehrszeichen.
Übersichtliche und auch für Laien verständliche Auseinandersetzung mit der von der Bundesregierung geplanten erneuten Novellierung der Straßenverkehrs-Ordnung StVO und der Verwaltungsvorschriften hinsichtlich der Verkehrssicherheit, einer nachhaltigen umwelt- und sozialverträglichen Abwicklung des Straßenverkehrs und einer Verbesserung des Komforts und der Flüssigkeit des Umweltverbundes.
75 seitige Broschüre 20,- DM, Kurzfassung 8,- DM einschließlich Porto- und Versand gegen Rechnung: FUSS e.V., Exerzierstr. 20, 13357 Berlin, Tel. 030 / 492 - 74 73, Fax - 79 72, info@fuss-ev.de, www.fuss-ev.de, ein Musterbrief an Landtags- und Bundestagsabgeordnete ist auch per email erhältlich.

Muster-Widerspruch gegen Radwegebenutzungszwang
In Berlin brachte ein aktiver Radfahrer per Gerichtsurteil für vier Radweg-Abschnitte im Bezirk Wedding die Benutzungspflicht zu Fall, da die Qualität der Radwege schlecht war, Fußgänger auf dem auf gleichen Niveau liegenden Gehweg gefährdet werden könnten und die Gefährdung des Radfahrers auf solchen Radwegen an jeder Kreuzung/Einmündung voll eintritt, weil er von abbiegenden Autofahrern möglicherweise übersehen wird. Eine Unfalluntersuchung von Radunfällen kam in Berlin zum Ergebnis, dass 75% der Unfälle auf Radwegen geschehen, obwohl nur an 10% der Straßen Radwege vorhanden sind. Aufgrund des Urteils (gegen die die zuständige Senatsverwaltung nicht in Berufung ging) wurde an sehr vielen Stellen in der Stadt die Benutzungspflicht von Radwegen aufgehoben. Jetzt muss die Anlage von Radfahrstreifen auf den Fahrbahnen erreicht werden, um auch den nicht so sicheren Radfahrern ein subjektives Sicherheitsgefühl zu geben und damit der Radverkehr zunehmen wieder auf der Straße stattfindet.
Aus den Erfahrungen des Klägers hat UMKEHR e.V. einen Musterwiderspruch gegen Radwegebenutzungspflicht entwickelt, der auch per email erhältlich ist bei: UMKEHR e.V., Exerzierstr. 20, 13357 Berlin, Tel:030/492-7473, Fax:-7972, info@umkehr.de, www.umkehr.de

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