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LIBERTÄR ODER LIBERAL? WENN DIE MARKTWIRTSCHAFT ZUM ANARCHISTISCHEN IDEAL WIRD ...

Parecon - krude Wirtschaftstheorie aus anarchistischen Kreisen


1. Einleitung
2. Markt oder Staat - die falsche Frage
3. Einzelfragen
4. Die Schnittstellen zu Marktwirtschaft und Bürgerlichkeit
5. Parecon - krude Wirtschaftstheorie aus anarchistischen Kreisen
6. Alternativökonomie
7. Kritik
8. Links und Materialien

Die einzige umfassenden Wirtschaftstheorie, die in den letzten Jahren in breiteren Kreises des Anarchismus, aber auch im bürgerlichen Sektor politischer Opposition Aufmerksamkeit errang, war das Konzept der "partizipatorischen Ökonomie" (abgekürzt nach dem Originalbegriff im Englischen: Parecon). Schon die Breite der Akzeptanz zeigte an, dass hier entweder ein besonders beeindruckender Entwurf vorlag, der bürgerliche, marxistische und anarchistische Strömungen vereinte. Von Letzteren waren sowohl dogmatisch gewaltfreie wie auch die stärker autonom-anarchistische Gruppen im Fanclub des Werkes von Michael Albert vertreten, ebenso Verlage der deutschen Anarch@szene. Parecon bezeichnete sich auch selbst als anarchistischer Entwurf.

Im Original: Parecon als anarchistisches Konzept
Aus Albert, Michael (2006), "Parecon", Trotzdem Verlag Grafenau
Schließlich würde unter der Parecon soviel individuelle Freiheit herrschen wie überhaupt nur vorstellbar, solange nicht auf den entsprechenden Freiheiten anderer herumgetrampelt wird. Merkwürdiger Weise stammt diese Kritik vor allem aus der anarchistischen Ecke - merkwürdig deshalb, weil die Parecon, indem sie mit erstarrten Hierarchien Schluss macht und Selbstbestimmung herbeiführt, im Grunde ja eine anarchistische Vision realisieren will. (S. 253)

Ein Blick in den Entwurf zeigt, warum Parecon so überzeugte: Es setzte vor allem auf das Ideenspektrum der Gutmenschen, deren Hoffnungen auf gute Menschen beruhen, die irgendwie entstehen, wenn es alle ernst meinen mit einer besseren Welt. Die Leitbegriffe solcher Kreise finden sich in Parecon in schöner Vollständigkeit wieder: "Gerechtigkeit ... statt Armut, Solidarität statt Habgier, Vielfalt statt Konformismus, Demokratie statt Unterordnung, Nachhaltigkeit statt Raubtierverhalten". Das klingt gut, kann von allen unterschrieben werden, denen gesellschaftliche Herrschaftsanalyse zu anstrengend ist, und so zu einem schönen, breiigen Identifikationspunkt gemeinsamer Ideen werden. Nur: Ausgesagt ist mit all diesen Begriffen gar nichts - und genau das bietet die Basis der Einigkeit. So verwunderte es nicht, dass Linksparteistiftung, Anarch@s, KommunistInnen und das eher bürgerliche Attac zusammen eine Veranstaltungsreihe mit dem Autor organisierten (siehe Abbildung. Wuchs hier, vermittelt über die schwammigen Inhalte eines die heile Welt verkündenden Buches zusammen, was zusammen gehört? Weil es sich in seiner schärfelosen Gesellschaftskritik ähnelt?
Parecon-Autor Albert selbst könnte mit seinem Gerechtigkeitsbegriff, mensch solle immer "im Verhältnis zu seiner Anstrengung, bzw. zu den erbrachten Opfern, belohnt" werden, durchaus in der F.D.P. Karriere machen. Dort hört sich die Ideologie sehr ähnlich an, wenn auch in der Praxis des Neoliberalismus oft wiederum deren vorgetragene Leistungsideologie verraten wird, steht doch eher die Sicherung struktureller Lohnunterschiede, also mehr Geld für gleiche oder selbst für weniger Leistung, im Vordergrund.

Im Original: Mehr Auszüge aus Parecon
Aus Albert, Michael (2006), "Parecon", Trotzdem Verlag in Grafenau
Global soll Gerechtigkeit herrschen statt Armut, Solidarität statt Habgier, Vielfalt statt Konformismus, Demokratie statt Unterordnung, Nachhaltigkeit statt Raubtierverhalten. ... (S. 8)
Zur Überwindung des Kapitalismus bieten nun einige Globalisierungskritiker mit der Parecon eine Vision neu zu schaffender Institutionen an, die sich auf die bereits bei den globalen Alternativen erwähnten Werte Gerechtigkeit, Solidarität, Vielfalt, Selbstbestimmung und ökologisches Gleichgewicht stützen.
Ein Charakteristikum dieser Vision ist das Gemeineigentum an den Arbeitsstätten. Diese gehören also jedem Bürger zu gleichen Teilen; ohne dass mit dem Eigentum noch Sonderrechte oder Einkommensvorteile verknüpft wären. Bill Gates wäre dann eben nicht mehr der Eigentümer eines Großteils der Software-Industrie. Diese Industrie würde uns allen gehören, niemand wäre dadurch besonders reich oder mächtig. Die mit dem Prinzip "Reichtum durch Profit“ verbundenen Übel wären verschwunden.
(S. 15)
Solche Räte würden auf allen Ebenen - von der Arbeitsgruppe bzw. vom Haushalt über Betriebe bzw. Kommunen bis zum Gesamtstaat - gebildet; sie wären die eigentlichen Entscheidungsorgane. Die Abstimmungsverfahren in den Räten müssten nicht einheitlich festgelegt sein; denkbar wären einfache Mehrheiten, Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheit, ja selbst Konsens - je nachdem, was angebracht erscheint. Entscheidungen können demnach auf verschiedenen Ebenen fallen; manche sind einer einzelnen Person übertragen, über andere muss ein ganzer Betrieb oder eine ganze Kommune befinden.
(S. 16)
Daher soll jeder arbeitenden Person - also jedem, der zum Sozialprodukt beiträgt - ein Bündel verschiedener Tätigkeiten zugewiesen werden. Diese Tätigkeitsbündel sind so gestaltet, dass im Durchschnitt für jeden die gleiche Arbeitsplatzqualität gilt.
(S. 16)
Wer mehr verdienen will, muss eben länger oder härter arbeiten.
(S. 17)
Wer aber stellt die Tätigkeitsbündel gerecht zusammen, und wer bewertet den Grad des Einsatzes - und entscheidet somit über die Bezahlung? Das machen die Arbeiter natürlich selbst, und zwar in ihren Räten.
(S. 17)
Partizipatorische Ökonomie (wie hier vorgeschlagen): Gemeineigentum; Allokation durch partizipatorische Planung mit Räten; ausgewogene Tätigkeitsbündel; Entlohnung nach Einsatz und Entbehrung; Entscheidungen durch partizipatorische Selbstbestimmung ohne Klassenschranken.
... (S. 31)
Die Bilanz der ganzen vertrackten Sache ist einfach: Um sowohl bei der Produktion als auch beim Konsum allen Betroffenen Mitsprache im Sinne der Selbstbestimmung zu verschaffen, sind in der Parecon auf allen Ebenen ArbeiterInnen- und VerbraucherInnenräte eingerichtet, von der einzelnen Familie bis zur größten Branche oder Region. Wer dabei mitreden will, kann auf die erforderlichen Informationen zählen, muss aber motiviert und fähig sein und Selbstvertrauen besitzen. Über die anzuwendenden Kommunikations- und Entscheidungsverfahren können die Räte autonom befinden, je nach verfügbarer Zeit, den ggfs. zu vermeidenden Reibereien und den mit möglichen Fehlentscheidungen verbundenen Risiken. (S. 101)


Arundhati Roy bezeichnet PARECON als "demokratisch" und "weniger hierarchisch" - das reicht den Anarch@s offenbar!
Zitiert auf dem oben rechts abgebildeten Werbefaltblatt zur PARECON-Rundreise
PARECON ist ein starkes Argument für eine absolut notwendige Vision für ein demokratischeres, weniger hierarchisches, alternatives WIrtschaftsmodell.

Einmütigen Applaus werden solche Ideen in anarchistischen Strömungen nicht erhalten. Sie sind stark vertreten in den gewaltfrei-anarchistischen Zusammenhängen, deren Nähe zu rechtsstaatlich-bürgerlichen Kreisen aber ohnehin unübersehbar ist. Es gibt wenig Anlass, Zeitschriften wie die "Graswurzelrevolution" und ihr Umfeld tatsächlich als anarchistisch zu begreifen.
Schon Projekte wie das Mietshäusersyndikat (Sitz in Freiburg), die überall im deutschsprachigen Raum Wohnhäuser genau vor dieser Eigentumsverwendung des freien Handels schützen wollen, dürften über solche Theorien von Freiheit durch Geld und Marktwirtschaft nur den Kopf schütteln - obwohl sie inzwischen selbst zu einer Art "Immobilienkonzern" geworden sind. Ihre Attraktivität jedenfalls speist sich stark aus der eigenen Wirtschaftsstärke. AnarchistInnen, deren Herrschaftsbegriff weiter reicht und auch ökonomische Verhältnisse mit erfasst, müssten eigentlich eine deutlich weitergehende Position beziehen. Doch leider fehlen sie sind nicht besonders prägend und öffentlichkeitswirksam.

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