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Ö-PUNKTE 4/2001 ("WINTER")

Rubrik Chemie: Gefahr für Umwelt und Gesundheit


1. Rubrik Chemie: Gefahr für Umwelt und Gesundheit
2. Bayer-Gifte in Guatemala
3. Die Entsorgung eines Pharma-Skandals LIPOBAY: Kaum Nebenwirkungen für BAYER
4. Krieg im Kongo: Schwarzbuch BAYER

Langfassungen und weitergehenden Internetadressen zu den Texten der Ö-Punkte 4/2001.

Altpestizide in Nepal
Von Andreas Bernstorff, Greenpeace Toxic Trade Project
Weltweit lagern nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO eine halbe Million Tonnen abgelaufener und mittlerweile verbotener Agrogifte. Die Altpestizide sind schlecht gesichert und befinden sich in lecken Behältern, zerrissenen Tüten und geplatzten Säcken ? Giftmüll der schlimmsten Art.
Verantwortlich für Herstellung und Export von Pestiziden sind im Wesentlichen zehn große transnationale Chemiefirmen, die zusammen über 80 Prozent des Weltmarktes kontrollieren. Die Produzenten der heutigen Altlasten sind die gleichen Unternehmen, die in der Vergangenheit die Pestizide als Wunderwaffe gegen den Welthunger propagierten. Diese Versprechungen wurden nicht erfüllt. Vielmehr zerstört der Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger die natürliche Fruchtbarkeit der Böden - die Bauern benötigen immer mehr teure Chemie, um gleichbleibende Erträge zu erzielen. Ein Teufelskreis, der viele Bauern in den Ruin treibt. Während die industrielle Landwirtschaft für die großen Unternehmen ein lukratives Geschäft ist, vernichtet sie die natürlichen Grundlagen unserer Ernährung: die Vielfalt an Pflanzen und Tieren, gesunde Böden und sauberes Wasser.

Giftfunde in Nepal
In Nepal lagern zur Zeit 74 Tonnen alte, zum Teil verbotene Pestizide. Einige von ihnen, wie das von der BAYER AG hergestellte organische Quecksilberchlorid (Agallol 3, Ceresan) sind in den USA und Kanada seit 1977, in Europa seit 1988 verboten. Andere wie Dieldrin sind längst außer Gebrauch, in vielen Ländern seit langem verboten und werden durch die Stockholmer Konvention vom Dezember 2000 weltweit verboten.
Die meisten Gifte wurden ?vor 20 bis 30 Jahren? (1) von westlichen Firmen über internationale Finanzorganisationen als Entwicklungshilfe nach Nepal gebracht, teils gespendet, teils über die Zentralregierung Nepals eingekauft. Wie in vielen Ländern der Welt wurden sie nach Bekanntwerden ihrer Gefährlichkeit und der im Westen folgenden Verbote nicht weiter eingesetzt und vergessen. Doch sie sind noch da - Kartons weichen auf, Tüten zerreißen, Fässer platzen, Kanister rosten durch, Flaschen zerbrechen. Stäube verwehen, Flüssigkeiten laufen aus und Gase entweichen - eine tickende Umwelt-Zeitbombe.
In Nepal wurde das Problem 1990 erkannt. Von den damals geschätzten 150 t Altpestiziden wurden trotz Erreichen des Verfallsdatums 39 t in der Landwirtschaft eingesetzt, 75 t wurden ungezielt versprüht oder vergraben. Die verbliebenen und mittlerweile wieder auf 74 t angewachsenen Giftberge wurden in zwei Lagern konzentriert und notdürftig gesichert: Nepalgunj (20 t), Amlekhgunj (50 t).
In Khumaltar am südlichen Stadtrand von Kathmandu (ca. 1 Mio. Einwohner), vier Kilometer vom internationalen Flughafen der Hauptstadt entfernt, lagerten knapp fünf Tonnen völlig ungesichert. Dieser Zustand wurde 1997 von Greenpeace dokumentiert und veröffentlicht (2) und hatte sich seitdem nicht verändert:

Keine Hilfe der Hersteller
Die Herstellerfirmen weigern sich bislang, Nepal bei der Entsorgung zu helfen. Internationale Hilfsorganisationen wie NORAD (Norwegen), die Niederländische Regierung und die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) haben auf Hilfersuchungen Nepals bislang nicht reagiert. Die nepalische Regierung ist ratlos.
Ende Juli 2001 traf daher ein kleines Rechercheteam von Greenpeace in Kathmandu ein, ausgerüstet mit Personenschutz und Verpackungsmaterial. Nach anfänglichem Zögern gewährten die nepalischen Behörden den Umweltschützern den Zugang zum Lager Khumaltar und sprachen formelle Bitten um Unterstützung und Ausbildung lokaler Kräfte für die Bergung von Pestizid-Altlasten aus. Nach einer ersten Inspektion wurden Altstoffe folgender Herkunft gefunden:
 

Sumitomo, Mitsubishi Japan
Shell NL/UK
Sandoz, Ciba-Geigy (jetzt Novartis) CH
Monsanto, Velsicol, Union Carbide (Dow), Cyanamid, DuPont USA
Bayer AG, Degesch, Deutsche Ortho (jetzt Bayer) Hoechst,
Urania-Spiess, Linde D
Rhone Poulenc F
Montedison Ita
 

Das Lager mit den hoch giftigen Altlasten ist eine Art Garage. Im größeren Raum stehen auf wackligen Holz- und verrosteten Eisenregalen längs der Wände Hunderte von Dosen, Flaschen, Tüten und Kanister, zum Teil in erbärmlichem Zustand. Blechkanister sind oft so verrostet, dass sie beim Anheben zerfallen. Etliche Kanister sind völlig zerstört. Ihr Inhalt hat sich auf die Regale und auf den Boden ergossen. Insgesamt sind mehrere Quadratmeter mit einer Zentimeter dicken Staubschicht bedeckt. In einigen Papiersäcken steht Sägemehl, mit dem man offenbar ausgelaufene Flüssigkeiten gebunden hat. Zwischen den Kisten finden sich mumifizierte Rattenkadaver und tote Kakerlaken. Im hinteren, kleineren Raum sind teils noch intakte, teils zerrissene halb offene, unbeschriftete, 50-kg Säcke aufeinander gestapelt. Dabei handelt es sich Dieldrin von SHELL. Die Gesamtmenge an Altpestiziden in diesem Lager wird von der Lagerverwaltung auf 4,7 t geschätzt.
Auf die Frage, warum die Stoffe nicht zum Einsatz gekommen seien, heißt es ?we did not like to use them?(3). Man habe keinen Bedarf erkannt und nachdem die Stoffe nun sämtlich abgelaufen und fast alle verboten seien, sei der Einsatz auch in Nepal gesetzlich untersagt.

Und immer wieder BAYER
In Khumaltar stammt die größte Giftmenge von der BAYER AG:
  • 309,6 Liter Folidol E 605 (Methyl Parathion), ein in vielen Ländern verbotenes Produkt, das gleichwohl zur Zeit in Kambodscha heftig vertrieben und genutzt wird.
  • 122,5 kg Solbar, ein Barium-Präparat zum Töten von Säugetieren (Kaninchen, Whombats, Ratten.
  • 547 kg Ceresan / Agallol 3, ein längst verbotenes organisches Quecksilberchlorid -
BAYER hat gelegentlich die Rückholung eigener Altbestände unterstützt, so wie vor kurzem aus Pakistan. Dies ist jedoch ausschließlich unter Druck und nach Bekanntwerden von Skandalen geschehen. Gegenüber der Öffentlichkeit versucht BAYER, sich herauszureden, so zum Beispiel kürzlich gegenüber der Rheinischen Post: "Wir müssen nur wissen, wo was liegt. Da gibt es Probleme" (4).

Greenpeace leistet Erste Hilfe
Greenpeace führte im Oktober mit einem Spezialteam eine Hilfsaktion in Kathmandu durch. Nach einer Neu-Inventarisierung wurden im Lager Khumaltar 90% der Substanzen sowie drei Kubikmeter ausgelaufene kontaminierte Leergebinde und verseuchte Holzregale gesichert. Sie wurden in 60 Überfässer (HDPE) neu verpackt, um unmittelbar drohende Gefahren zu bannen und weitere Emissionen zu stoppen. Entsprechend den internationalen Vorschriften der IMO (International Maritime Organsation) sind sie gelabelt, mit den entsprechenden UN Nummern versehen und für die Hochseeverschiffung bereit gestellt. Greenpeace tritt hiermit in Vorleistung für die Industrie und praktiziert die ersten Schritte notwendigen Schritte. Die Industrie muss nun übernehmen und die Gifte fachgerecht entsorgen.

BAYER-Gifte in aller Welt
Die Pestizidindustrie ist mitverantwortlich für jährlich ca. 25 Millionen Pestizid-Vergiftungen in den Entwicklungsländern (6), Zehntausende davon enden tödlich (7). Organisiert sind sie unter dem Dach der ?Global Crop Protection Federation? (8), deren Hauptaufgabe es bislang war, Rücknahmeansprüche abzuwehren.
Greenpeace schätzt die Zahl der mit BAYER-Giften belasteten Länder weltweit auf mindestens 20. Dem Firmenvorstand sind die Rechercheergebnisse von Greenpeace (siehe SWB 1/2001) bereits seit Januar 2001 bekannt. Vor diesem Hintergrund und angesichts der leichten Verfügbarkeit der Daten der FAO über das Internet kann die in der Rheinischen Post zitierte BAYER-Äußerung nur als grobe Irreführung der Öffentlichkeit bewertet werden.
BAYER spielt in diesem unrühmlichen Spiel eine führende Rolle. Die wenigen Rücknahmen wurden bisher zu 98 Prozent aus Steuergeldern bezahlt. Ein BAYER-Grundsatz lautet: ?Responsible Care, verantwortlicher Umgang, so wie wir es verstehen, endet nicht mit dem Verkauf eines Produktes, sondern umfasst dessen gesamten Lebensweg? (9). Ein Grundsatz, an den sich die Firma selbst bisher nicht gehalten hat.

Greenpeace fordert:
  • Produzenten und Lieferanten in den Herkunftsstaaten müssen die volle logistische, technische und finanzielle Verantwortung für ihre Altlasten übernehmen
  • sämtliche Alt-Pestizide weltweit müssen durch ein zügiges Aktionsprogramm inventarisiert werden, durch Umverpackung gesichert, zurückgeholt und umweltschonend ? nach Vorgaben der Stockholmer Konvention - entsorgt werden
  • Es ist höchste Zeit, umzudenken. Eine Studie der Universität Essex, erstellt im Auftrag von Grenpeace und Brot für die Welt, hat bewiesen: Hunger lässt sich mit nachhaltiger Landwirtschaft effektiv bekämpfen (10). Die öffentliche Erforschung des Ackers als ökologisches System, das ohne Pestizide und Gentechnik produktiv ist, muss deshalb dringend ausgebaut und gefördert werden. Dabei gilt es, das traditionelle Wissen der Bauern über naturnahe Landwirtschaft zusammen mit unabhängigen Wissenschaftlern weiter zu entwickeln.
(1) Bhakta Raj Palikhe, Nepals ?Pesticide Registrator? und der Chefentomologe des Nationalen Landwirtschaftlichen Forschungsinstituts (N.A.R.I.) , Dhruba N. Manandhar
(2) Von Hernandez, Nityanand Jayaraman, ?Toxic Legacies; Poisoned Futures ? Persistant Organic Pollutants in Asia?, Greenpeace International, Amsterdam: 1998
(3) Palikhe/Manandhar; s.o
(4) "BAYER: Wir holen unsere Produkte" Rheinische Post, Ausgabe Leverkusen, 24. 5. 2001
(5) Andreas Bernstorff, Kevin Stairs: POPs in Africa, , Cameroon Section, Greenpeace, Stockholm
(6) Jeyarathum, ?Acute Pesticide Poisoning: A Major Health Problem? World Health Statistics Quarterly 43, No. 3 p. 139-144, 1990
(7) World Health Organization, ?The Public Health Impact of Pesticides used in Agriculture, WHO, Geneva: 1990
(8) GCPF wurde 2001 in CropLife International umbenannt, erreichbar aber weiterhin unter www.CCPF.org
(9) Dr. Attila Molnar, BAYER-Vorstand, September 2000
(10) Jules Pretty, Rachel Hine: Reducing Food Poverty with Sustainable Agriculture: A Summary of New Evidence, 2001, Universitiy of Essex

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