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FREIE MENSCHEN IN FREIEN VEREINBARUNGEN
THEORIE & PRAXIS DER HERRSCHAFTSFREIHEIT

Denkspiel: Der Kartoffelberg


Selbstverstärkende Herrschaft Was spricht gegen Herrschaft? Denkspiel: Der Kartoffelberg

Herrschaft und Herrschaftsfreiheit in einer fiktiven Mini-Welt
Nachdenkspiel für Schulklassen, Gruppen, Workshops

Wir, die wir hier im Raum sitzen, sind die Welt. Andere Menschen gibt es nicht, und auch nichts außerhalb des Raumes. Und wir vereinfachen weiter und stellen uns vor, dass es nichts anderes zu essen gibt als Kartoffeln – und zwar nur einen Berg, der hier zwischen uns liegt. Wir brauchen auch nichts anderes zu essen. Wir kennen nicht anderes und wollen auch nichts anderes. Keine Smartphones, keine Bravoposter, kein Bier. Nur Kartoffeln – unser einziges Bedürfnis.
Aber davon hätten wir schon gern welch, am besten auch recht zuverlässig. Alle im Raum würden gern immer genug Kartoffeln haben. Das ist die Ausgangslage. Nun gucken wir uns an, was unter verschiedenen Verhältnissen passiert.
Standard-Ausgangslage: Eini* Person hat eine Waffe, alle anderen sind unbewaffnet. Die Waffe ist sichtbar. Das beeinflusst das Verhandeln um die Aufteilung der Kartoffeln. Die Person mit der Waffe kann mit dieser drohen oder sie einfach nur zeigen. So oder so ist sie nicht auf eine Einigung angewiesen. Sie kann die anderen zwingen, einen ausreichen-den Anteil zu erhalten, unabhängig davon, ob genug für alle da ist. Je knapper das Gut erscheint, desto funktionaler erscheint der Einsatz der Waffe, um für sich selbst genügend Nahrungsmittel sicherzustellen. Die Waffe ist sogar geeignet, mehr als diese Menge für sich durchzusetzen – als Rücklage für unsichere Zeiten oder um die Kartoffeln als Bezahlung für Dienstleistungen einzusetzen.
Allerdings: Die Waffe wirkt nur temporär. Irgendwann muss die Person schlafen, dann kann die Waffe entwendet werden und sich sogar gegen die Person richten. Ihre Nutzung zur Drohung ist aufwändig. Die bewaffnete Person muss ständig aufpassen, die Waffe nicht zu verlieren. Setzt sie die Waffe zur Drohung oder sogar real ein, wird das Interesse der anderen steigen, die Waffe zu entwenden, um sie selbst zu besitzen oder zu zerstören. Es wäre daher für die waffenbesitzende Person weiterhin funktional, sich mit den Unbewaffneten zu vereinbaren, aber die Kommunikationsbeeinflussung durch die Drohung mit der Waffe in Kauf zu nehmen oder sogar zu wollen.
Daher die erste Variante: Gleiche Situation, aber hinter der bewaffneten Person steht eine höhere Macht. Die Unbewaffneten wissen, dass diese höhere Macht eingreift, wenn sie die Waffe entwenden oder zerstören. Erst diese Konstellation macht die Waffe dauerhaft wirksam, da das Privileg, eine solche zu besitzen, auf Dauer gesichert ist. Diese höhere Macht ist in der realen Gesellschaft der Staat. Die Waffe steht sinnbildlich für alle Privilegien, wozu neben legalem Waffen- und Gewalteinsatz auch Privateigentum an Produktionsmitteln, Markt- oder Medienmacht gehören.
Trotzdem ist die bewaffnete Person nicht vollständig abgesichert. Die Unbewaffneten könnten die höhere Macht für sich gewinnen. Dann wäre das Privileg nur noch temporär und würde nur im Augenblick nützen, nicht auf Dauer. Funktional für dien Waffenbesitzi wäre als entweder, wie im vorherigen Fall, die Vereinbarung mit den Unbewaffneten unter Drohwirkung der Waffe oder ein Sich-Kümmern darum, dass die höhere Macht wohlgesonnen bleibt, zum Beispiel durch die Abgabe eines Teils der durch Waffengewalt erreichten, überproportionalen Menge an Kartoffeln.
Die zweite Variante: Alle sind bewaffnet. Das nimmt der einzelnen Waffe ihre direkte Wirkung – in der realen Gesellschaft also die allseitige Aufrüstung zu einem vermeintlichen Gleichgewicht des Schreckens. Das Problem: Die Kommunikation ist trotzdem gestört. Die Einsatzmöglichkeit von Waffen verändert das Verhalten aller, und zwar sowohl deshalb, weil sie eine eigene Waffe besitzen und die Option ihres Einsatzes ständig im Kopf haben, als auch dass sie wissen, dass auch die anderen ihre Waffe einsetzen könnten und deshalb Vorsicht bzw. List nötig ist. Da eine einzelne Waffe in diesem Setting nur begrenzt wirkt, fördert eine Bewaffnung aller voraussichtlich die Bildung von Bündnissen zwischen den Bewaffneten. Kommunikation dient nicht mehr der gleichberechtigten Verteilung de Kartoffeln, sondern dem Erreichen von Hegemonie, um die Verteilung nach eigenen Vorstellungen organisieren zu können. Alle Anwesenden können, um für sich abzusichern, ausreichend Nahrung zu haben, zwischen der Option einer herrschaftsförmig durchgesetzten, ungleichen Verteilung zu ihren Gunsten und der freiwilligen Einigung mit allen anderen wählen.
Und die dritte Variante: Keini oder nur Teil ist bewaffnet, andere nicht. Aber es bestehen technische Einrichtungen, um neue Waffen herstellen zu können. Die Wirkung wäre ähnlich der vorherigen, nur dass zur Bildung von Bündnissen noch die Organisierung des Zugriffs auf die Produktionsanlage
Das letzte Szenario: Es gibt keine Waffen, keine Produktionsanlage für Waffen und keine höhere Macht. Nur die Menschen und die Kartoffeln. Jetzt ist die Wahrscheinlichkeit an höchsten, dass alle Personen um eine faire Regelung bemüht sind, weil ihre einzige Sicherheit, dass sie genug bekommen, darin liegt, sich mit den anderen zu vereinbaren. Unter Mangel wird das schwieriger, aber es gibt keine Wahl. Es ist funktional, sich zu vereinbaren und sich fair zu verhalten. Vor allem aber drängt es sich auf, mit den anderen dafür zu sorgen, dass es immer genug für alle gibt. Dann kann auch der Einzelne sicher sein, genug zu erhalten.
Das ist die Grundlogik einer herrschaftsfreien Welt. Die Bedingungen bringen die Menschen dazu, sich kooperativ zu verhalten. Sie müssen nicht die besseren Menschen sein (wie oft unterstellt wird, dass eine Anarchie nur mit „guten“ Menschen geht), sondern es drängt sich für sie auf, sich sozial zu verhalten – aus purem Egoismus. Jede Waffe, Möglichkeit der Produktion von Waffen (Waffe hier weiterhin als Symbol für Privilegien aller Art) oder Interventionsfähigkeit einer höheren Macht zerstört diese Funktionalität. Das ist die Begründung für die Absage an den kontrollierenden Staat. Seine Existenz (oder die anderer Mächte) ist selbst der Auslöser dafür, dass Menschen nicht kooperieren. Wer stets, also auch unter Mangelbedingungen, sein eigenes Interesse gegen die Bedürfnisse anderer durchsetzen kann, wird dazu neigen, es auch zu tun. Es ist nicht zwingend, aber die Existenz von Herrschaftsmitteln macht es wahrscheinlicher. Ebenso ist es nicht zwingend, dass Menschen sich bei fehlenden Herrschaftsmitteln frei vereinbaren, gerecht teilen und sich gemeinsam bemühen, dass für alle genug da ist. Aber es ist wahrscheinlicher.
Das ist der Grund, warum Herrschaftsfreiheit sinnvoll ist. Es gibt in keiner Variante absolute Sicherheiten. Aber die Wahrscheinlichkeit, ob Menschen kommunikativ und kooperativ oder konkurrierend und sich gegenseitig überwältigend handeln, ist je nach Rahmenbedingungen unterschiedlich. Die Gesellschaftsform, in der es am wahrscheinlichsten ist, dass Menschen kooperieren statt sich zu unterdrücken, ist die sinnvolle. Es ist die herrschaftsfreie Welt.

Spielidee für Schulklassen, Workshops usw.: Die Geschichte als Rollenspiele – mit oder ohne echte Requisiten (Kekse statt Kartoffeln o.ä.). Auch online machbar. Erweiterbar und den Aspekt Planung: Einerseits der Bestand an Kartoffeln, andererseits die Planung für das nächste Jahr – mit und ohne Waffen.

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