Verkehrswende im Wiesecktal

VERSAMMLUNGSRECHT UND URTEILE IM WORTLAUT

Beispiele juristischer Auseinandersetzungen


1. Kommentare zum Art. 8 des Grundgesetzes (GG)
2. Versammlungsrecht verdrängt Polizeigesetze, StVO und mehr
3. Beispiele juristischer Auseinandersetzungen
4. Mehr Links und Urteile

April 2020: Erbitterter Rechtsstreit um Verbote und Auflagen

Hintergrund war die Infektionsgefahr durch das Corona-Virus. Am Ende räumten das Bundesverfassungsgericht das Verbot und der - zunächst das Verbot bejahende - Verwaltungsgerichtshof Hessen weitere Auflagen aus dem Weg.
Extraseite zu den Abläufen im April 2020

März 2004: Auseinandersetzung um Demoauflagen

1. Akt
Im Rahmen der Aktionswoche gegen Knäste und Repression melden verschiedene Personen mehrere Demonstrationen an.

2. Akt
Das Ordnungsamt der Stadt Gießen erteilt Auflagen mit etlichen Schikanen. Auszüge eingescannt:






3. Die Betroffenen legen Widerspruch ein
Punkt 1 (letzter Satz) und 3: Bei weniger als 20 Teilnehmer*innen soll nach Ihren Maßgaben sowohl der gesamte Demonstrationszug als auch die Abschlusskundgebung auf den Gehwegen stattfinden, da Ihrer Meinung nach der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Benutzung der Straße nicht gewährleistet ist. Es würde mich jedoch interessieren, inwieweit das Bedürfnis der Fußgänger nach unbehelligter Benutzung der für sie vorgesehenen Wege dem der Autofahrer nachsteht.
Eine Gruppe von 19 Menschen (unter 20) kann einen Gehweg erheblich blockieren, vor allem an Hauptverkehrsstraßen wie z.B. dem Gießener Anlagenring, wo es kaum Möglichkeiten zum kurzfristigen Ausweichen auf die Straße gibt. Ein Hindurchschlängeln ist Fußgängern meines Erachtens weniger zuzumuten, vor allem nicht, wenn sie z.B. noch Kinderwagen, schweres Gepäck oder Tragetaschen mit sich führen und quer über den Weg Spruchbänder gespannt sind . Ein ständiges Auseinanderweichen der Versammlung bei jedem einzelnen Passanten würde jedoch auch die Aufmerksamkeit der Demonstrationsteilnehmer*innen gerade bei der Kundgebung erheblich stören. Außerdem wäre gerade auf dem Anlagenring, durch die jeweils zweispurige Verkehrsführung, die Behinderung des Straßenverkehrs durch z.B. eine einspurige Nutzung für einen Demonstrationszug minimal.

Punkt 5: Die Benutzung eines Megafons wird von Ihnen erst ab 50 teilnehmenden Personen zugelassen. Das greift ins verfassungsgarantierte Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ein. Das Ziel einer Demonstration ist nicht die Artikulation von Meinungen mit der ausschließlichen Zielgruppe der Teilnehmer*innen, sondern vielmehr artikulieren die Teilnehmer*innen einer Demonstration (diese SIND die Demonstration) ihre Meinung öffentlich gegenüber den Umstehenden. Eine öffentliche Meinungskundgabe aber wäre nichtig, wenn sie keine Öffentlichkeit erreichen kann. Daher ist die Beschränkung des Megaphoneinsatzes in Abhängigkeit von der Zahl der Demonstrationsteilnehmer*innen eine abwegige und nicht gerechtfertigte Einschränkung des Demonstrationsrechts.

Punkt 10: Das Verbot jeglichen positiven Bezugs auf Gewalt ist in einer von Gewalt durchzogenen Gesellschaft absurd. Rechtsstaatlich wäre allein die Untersagung eines Werbens für nicht legale Gewalt zulässig. Mit Ihren Formulierungen untersagen Sie aber bereits jeglichen positiven Bezug auf die Existenz des Staates und seiner Organe, denn diese handeln immer mit (monopolisierter) Gewalt. Zwar ist es nicht in meinem Sinne, die staatliche Gewaltanwendung (Strafe, Erziehung, Schulzwang usw.) zu loben, mir das aber verbieten zu wollen, ist rechtlich nicht hinnehmbar. Hinzu kommt, dass staatliche Stellen selbst anders handeln, z.B. wenn der Widerstand im "Dritten Reich" von den Profiteur*innen der Ausbeutung (den heute Mächtigen) zu einer nationalen Heldentat mythologisiert wird. Gewalt war es auch damals, sogar illegale. Insofern ist die undifferenzierte Untersagung jedes positiven Bezugs auf Gewalt nicht durch Recht und Gesetz gedeckt. Tatsächlich aber muß das grundgesetzliche Recht auf Meinungsfreiheit sogar so ausgelegt werden, dass die politische Analyse von Gewalt und seiner Motive im Einzelfall zulässig ist - zumindest wenn sie nicht mit einem Aufruf dazu verbunden ist.

Punkt 14: Ihre Auflagen hinsichtlich Verzögerungen und Ausfall der Demonstration sind angesichts des Verhaltens Giessener Repressionsbehörden nicht akzeptabel. In der Vergangenheit hat die Polizei mehrfach durch aufwendige Kontrollen bis hin zu Polizeikesseln immer wieder Demonstrationsteilnehmer*innen und sogar die Anmelder*innen daran gehindert, rechtzeitig zur Demonstration zu gelangen. Dieses dann gegen dieselben wenden zu wollen, schränkt das Demonstrationsrecht über die Maßen ein.

Punkt 15: Die Aufforderung, jemandem "unbedingt" Folge zu leisten, kann grundsätzlich nicht akzeptiert werden. Ein rechtsstaatlicher Rahmen dafür ist nicht mehr gegeben. In einem Rechtsstaat ist das Verhalten von Menschen sehr wohl an Bedingungen geknüpft und es kann von niemandem "unbedingter" Gehorsam eingefordert werden. Das käme nämlich einer Einschränkung der Bürger*innenrechte gleich. Hinzu kommt, dass gerade die mit rechtswidrigen Handlungen ständig operierenden Giessener Repressionsbehörden in der Vergangenheit des häufigeren schon Sprüche wie "Hauen Sie doch aus der Stadt ab!" oder sogar "Schmeißen Sie sich doch vor ein Auto!" abgelassen haben. Diesem unbedingte Folge zu leisten (also unabhängig von ihrem tatsächlichen Gehalt und ihrer Rechtmäßigkeit) kann nicht verlangt werden.

Punkt 16: Die anmeldende Person einer Versammlung kann in dieser Hinsicht nicht für das Verhalten der Demonstrationsteilnehmer*innen verantwortlich gemacht werden. Aus Ihrer konkreten Formulierung würde sich ergeben, dass genau überprüft werden muss, welcher Abfall vorher da war und welcher nicht. In der Begründung ist zusätzlich noch der Fall aangedeutet, dass die Demonstrationsleiter*innen auch dafür verantwortlich sind, wenn Nicht-Teilnehmer*innen verteilte Flugblätter fallen lassen. Wer dafür eine Demonstration in Regreß nehmen will, schränkt das Demonstrationsrecht widerrechtlich ein.

4. Antrag ans Verwaltungsgericht
Zudem legen die Betroffenen Antrag auf aufschiebene Wirkung beim Verwaltungsgericht ein.

5. Erörterungstermin vor Gericht
Das Verfahren vor Gericht stellte sich als grauselig heraus ... die Richterin Zickendraht sympathisierte von Beginn an mit der Stadtverwaltung. Während die Demoanmelder*innen am Eingang scharf kontrolliert wurden ("Hier wird jeder kon-trolliert", sagte die Bedienstete noch), flutschten die Stadtvertreter*innen einfach durch. Vor Gericht polterte der Rechtsamtsmitarbeiter Metz der Stadt Gießen mit ekligsten Law-and-Order-Sprüchen. Am umstrittendsten war die Auflage, der Polizei müsse "unbedingt" (als bedingungslos) Folge geleistet werden. Das hielt der Rechtstyp der Stadt auch für richtig, gerade bei dieser "Klientel". Fragen nach dem Warum polizeilicher Anweisungen dürften nicht geduldet werden usw.

6. Folge 1: Beschluß des Gerichtes
Die Richterin bekam ihren Vergleich nicht. Die Demoanmelder*innen hielten ihre Widersprüche aufrecht. Die Stadt hatte einige Dinge verbessert (z.B. Megafon jetzt immer erlaubt!!!). Daraufhin beschloss das Gericht und wies die meisten der Einsprüche zurück. Auch das Gericht ist damit der Meinung, daß Nachfragen an Polizei nicht erlaubt seien.



Jegliches Verständnis für Gewalt darf nicht benannt werden ... ein klarer Eingriff in die Meinungsfreiheit. Auch Anschläge gegen Diktatoren, Sabotage gegen Angriffskriege usw. sind strafrechtlich belangbar - Verständnis dafür dürfte nicht geäußert werden, wenn dieser Beschluß geltend bleiben würde.

Außerdem ist der Polizei unbedingter Gehorsam zu leisten. Die Begründungen des Gerichts sprechen für sich ...

Nur bei der Frage des entstehenden Abfalls entschieden die Richter*innen für die Bescherdeführer*innen.

7. Folge 2: Befangenheitsantrag gegen die Richterin
Ein Betroffener legte einen Befangenheitsantrag ein:

Befangenheitsantrag im Verfahren Ott/Weber/Bergstedt ./. Stadt Gießen
am 8.3.2004, 11.30 Uhr, Raum 1


Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit stelle ich einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin Zickendraht wegen ihrem Verhalten, ihren Äußerungen und ihrem Vorgehen im benannten Verfahren.


Im Einzelnen:
- Die Richterin begann den Prozeß mit der Behauptung, dass es außer den beiden ersten Punkten ohnehin nur Formulierungsfragen seien und unstrittig sei, dass die weiteren Punkte als Auflagen rechtmäßig seien. Eine Diskussion darum musste später eingefordert werden - wobei sich zeigte, dass diese sehr wohl auch formal angefochten werden können (also Argumente dafür vorliegen).
- Bei den beiden anderen Punkten schlug sie bereits zu Beginn vor, ob nicht bei dem einen Punkt die Stadt entgegenkommen könne und bei dem anderen die Anmelder*innen der Demonstrationen. Das deutet (wie auch spätere Bemerkungen) darauf hin, dass die Richterin einseitig einen Vergleich als gewünschtes Ergebnis anstrebte und dabei nicht nach Recht, sondern dem in Elitenkreisen sicherlich eher üblichen "Eine Hand wäscht die andere" handeln würde.
- In mehreren späteren Beiträgen formulierte sie deutlich ihre Enttäuschung, dass ein Vergleich nicht zustande kommen würde. Als ihr klar wurde, dass es dazu nicht kommen würde, formulierte sie verärgert: "Dann hätte ich mir die Arbeit gar nicht gemacht". Eine seltsame Auffassung von Rechtssprechung ...
- Im konkreten Fall, als ich nach etlichen besprochenen Punkten andeutete, dass ich den Eindruck hätte, sie würde glauben, dass es zu einem Vergleich kommen könnte und ich es für wichtig fand, mit diesem Irrtum aufzuräumen (auch zum Vorteil der Richterin, denn Irrglaube ist meist kein sinnvoller Ausgangspunkt von Rechtsprechungsverfahren), reagierte sie spontan sehr verärgert und behauptete sogar "Befangenheitsanträge gibt es bei einem solchen Verfahren nicht". Sodann verkündete sie verärgert, dass mein Verfahren jetzt abgetrennt werde und ich daher nicht mehr teilnehmen könne. Erst später stellte sie selbst klar, dass das wohl alles gar nicht ginge - behauptete dann aber teilweise, solches nie gesagt zu haben, wobei der Rechtsanwalt der Stadt (ohnehin ständig stänkernd und eine harte Hand des Staates einfordernd) gleich nach dem Elitenmotto "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus" offensichtlich lügend sagte "Ich habe nichts gehört".
- Dennoch formulierte die Richterin, dass sie es bedauere, dass "obwohl sich die Stadt sehr bemüht hätte", die Demoanmelder*innen sich so "daneben" verhalten würden usw.
- Ständig wies sie klar auf Demonstrationen bezogene Aussagen als "wir führen hier keine politischen Debatten" zurück.


Meines Erachtens ist die Befangenheit völlig klar erkennbar - sowohl in Hinblick auf das gewünschte Verfahrensergebnis (Vergleich) wie auch in der einseitigen Sympathie mit der Seite der Stadt.
Mit freundlichen Grüßen


P.S. Die Befangenheit schien auch das Gericht insgesamt erfasst zu haben - ist doch bemerkenswert, wenn eine Seite am Eingang intensiv durchsucht und überprüft wird und die andere gar nicht ...


Nochmal zusammenfassend dazu: In dem Satz "Erst später stellte sie selbst klar, dass das soll alles gar nicht ginge - behauptete dann aber teilweise, solches nie gesagt zu haben, wobei der Rechtsanwalt der Stadt (ohne ständig stänkernd und eine harte Hand des Staates einfordernd) gleich nach dem Elitenmotto "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus" offensichtlich lügend sagte "Ich habe nichts gehört"." glaubt Richterin Zickendraht, dass sie mit einer Krähe verglichen werden soll. Sehr phantasievoll ...

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