Verkehrswende im Wiesecktal

Ö-PUNKTE STARTAUSGABE 1997

In nicht mal zwölf Stunden ist eine Windanlage aufgestellt

Schwindelfrei in 50 Meter Höhe
Den Bericht vom Bau der Windmühle "Lina" verfaßte Dieter Metk.

Es ist zehn Uhr an einem trüben Montagmorgen im November. Seit mehreren Stunden warten sie schon in einem als "Bauwagen" umfunktionierten Wohnwagen, die Windmüller des Wendlands, warten vor dem Fundament für die neue Mühle am Lerchenberg. Sie warten auf den Turm und die Gondel der neu aufzustellenden Windmühle, die noch heute "zusammengeschraubt" werden soll. Zwei riesige 300-Tonnen-Kräne haben bereits am Vorabend ihre langen Hälse ausgefahren, sich mit ihren gewaltigen Stelzen einen sicheren Platz auf dem abgeernteten Rapsfeld gesucht, um die bis zu 30 Tonnen schwere Last des Maschinenhauses in die luftige Höhe von 50 Metern zu tragen.

Ungeduldig sind nicht nur die Kranführer, ungeduldig sind auch die Monteure der Bremer Firma AN, die schließlich noch vor Einbruch der Dunkelheit ihren Job zu beenden dachten. Ungeduldig aber auch das gute Dutzend "WendInnen", die sich das Ereignis als Zaungäste nicht entgehen lassen wollen. Alle warten sie auf die Einzelteile von "Lina", wie die erste der beiden "Geschwister" der bereits im Frühjahr aufgestellten ersten Windmühle des Wendlandes mit Namen "Wendolina" genannt werden soll. Die Schwertransporte haben am frühen Morgen den Hof des dänischen Herstellers Bonus verlassen, und rollen seitdem im Konvoi ihrem Ziel entgegen. Das mag schon ein merkwürdiger Anblick sein auf der Autobahn und dann später auf der Landstraße von Lüneburg ins Wendland, wenn vier Spezialtransporter mit den beiden Teilen des Turms, von denen einer fast 30 Meter Länge hat, den Flügeln und dem Maschinenhaus unter Polizeibegleitung und Blaulicht durch die Lande fährt - ziert doch die Gondel, die vor dem Polizeiwagen transportiert wird, das Symbol des wendländischen Widerstands gegen die Atompolitik, eine über zwei Meter große Anti-AKW-Sonne.

Und dann tauchen sie auf, ganz weit hinten am Horizont flimmert das blaue Funkellicht der Polizeibegleitung, die gelben Warnleuchten auf den Spezialtransportern. Es wird noch eine gute halbe Stunde dauern, bis die LKW am Standort der Mühle eingetroffen sein werden, müssen doch in der nahen Kreisstadt Lüchow noch einige Verkehrsschilder demontiert werden, damit das riesige Ungetüm um eine Straßenecke herumkommt.



Es ist schon später Nachmittag geworden, eigntlich rechnet keiner der Schaulustigen mehr damit, daß noch mit der Aufstellung begonnen wird. Doch die AN-Monteure bereiten ihren Job vor. Sie haben so knapp vor Jahresende ihren Terminplan einzuhalten, im Durchschnitt wollen derzeit vier Windkraftanlagen in der Woche aufgestellt sein.

Kaum ist der LKW mit dem ersten Turmstück da, ergehen kurze Anweisungen an den Kranfahrer, Zeichen mit der Hand, für den Laien kaum interpretierbar, dirigieren den riesigen Kranhaken an die richtige Position. Das 30 Tonnen schwere Teil erhebt sich majestätisch in die Luft, wird millimetergenau auf die Stehbolzen des fundaments plaziert. Achtzig Muttern innen, achtzig Muttern außen müssen angezogen werden.

Jeder Handgriff sitzt, schon wird das obere Turmelement an den Haken gehängt, entschwebt in die Luft und wird wiederum mit etlichen Bolzen mit dem Unterteil verschraubt. Es ist schon imposant, in welch kurzer Zeit das riesige Stahlteil dann aufgestellt und befestigt ist.

In luftiger Höhe, fast 50 Meter über den Köpfen der Zuschauer, kaum sichtbar erscheint ein Monteur ? behende die gut 150 Stufen einer Leiter im Inneren des Turmes heraufgeklettert. Alls okay, der Kranhaken kann ausgeklinkt werden.

Die nächste Runde wird am Boden eingeläutet. Die "Gondel", das Maschinenhaus der Windanlage, wird abgeladen. Zwei der drei 22 Meter langen Flügel werden bereits am Boden montiert, die dritte muß später in luftiger Höhe befestigt werden. So "normal" klein die Flügel aussehen, wenn sie sich später im Wind drehen, so riesig groß sind sie, steht man direkt daneben. Obwohl "nur" aus Kunststoff bestehend, wiegt jeder Flügel doch 3 Tonnen! Auch hier ist Präzisionsarbeit angesagt, müssen die Flügel doch winkelgenau eingepaßt werden. Abweichungen von weniger als einem Grad würden bereits erhebliche Einbußen im Wirkungsgrad zur Folge haben. Dazu sind zwei Kräne im Einsatz, einer an der Flügelspitze, der andere hält das große Stahlrohrteil, mit dem der Flügel an der "Nabe" der Gondel angeflanscht wird. Wieder sind Dutzende von Schrauben festzuziehen. Wie lange müssen da die Monteure und Kranführer schon zusammenarbeiten, so wie alles millimetergenau den Zeichen entsprechend "sitzt"? "Noch gar nicht lange - das ist meine erste Windmühle", erklärt der Kranführer. "Wir haben jeden Tag eine andere Aufgabe, ob nun fertige Betonbauteile, Maschinen oder Windmühlen am Kran hängen. Wir heben alles."

Auch der zweite Flügel ist befestigt. Der schwierigste Akt folgt. Das Maschinenhaus mit den zwei Flügeln muß in 50 Meter Höhe gebracht werden. Der Kranausleger ist ganz ausgefahren, genau berechnet der Schwenkbereich, kein halber Meter mehr möglich, Gewicht und Winkel ausgereizt bis zum Letzten. Langsam aber stetig schwebt die "Gondel" in den Abendhimmel, stolz lacht die Anti-AKW-Sonne, der Ausleger biegt sich wie eine Angelrute.Dann ist die Turmspitze erreicht, wieder tauchen dort Köpfe auf, geben Zeichen. Präzise senkt sich das Maschinenhaus auf den Stahlturm. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Trotz der Kranscheinwerfer tanzen die Stirnlampen der Monteure wie Irrlichter im Nachhimmel.

Am Kran hängt jetzt ein Spezialgestell, eine Art Korb mit Ausschnitt, oben dran ein Galgen, der den letzten Flügel zu seiner Montage trägt. Hoch oben in der Luft schaukelt diese Konstruktion, toben die Monteure von einer Seite zur anderen, um die richtige Position zu finden, mit der sich der Flügel in die Halterungsbolzen dirigieren läßt.

Das Werk ist getan - für heute. Die Werkzeuge werden verstaut. Die dänischen Lastwagenfahrer sind längst wieder auf dem Weg nach Hause. Eine kurze Nacht, dann geht's wieder los ins Wendland. Die nächste Mühle wird gebracht. Ein paar Tage hat ein Techniktrupp noch mit dem Hochspannungsanschluß zu tun. Danach wird die erste Kilowattstunde Windstrom ins öffentliche Netz eingespeist werden. Wieder ist der Atommafia ein kleines, unscheinbares, aber bedeutendes Steinchen in den Weg gelegt worden.

.Dieses Bild ziert den Briefkopf der Wendland Wind ... einer Gruppe, die aus dem Kampf gegen Atom entstand und auch heute noch den Widerstand mit konkreten alternativen verbindet.


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Zuletzt überarbeitet am 3. Januar 1998
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