Schwarzstrafen

IM NAMEN DES KAPITALS: URTEIL DER BERUFUNG GEGEN FELDBEFREIERINNEN (9.10.2009)

Zur Rechtfertigung: Handlung ungeeignet, da Feldbefreiungen auch nichts (mehr?) nützen


1. Einleitung
2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Gießen
3. Es geht los: Gerichtsprozess gegen FeldbefreierInnen
4. Die ersten Prozesse: Gegen einen Journalisten - und gegen Zuschauer*innen
5. Vor der ersten Instanz: Aktionsmonat April 2008
6. Aktionen vor und rund um die erste Instanz
7. Dann doch eine erste Instanz
8. Erste Instanz: Die erste Seite des Urteils
9. Beschreibung des Versuchsfeldes
10. Tatablauf und Schadenshöhe
11. Rettet die Straftäter in Uniform
12. Im Prozess verboten, im Urteil aber untersucht: § 34 StGB
13. Raus ... die nachträgliche Erfindung von Gründen für den Angeklagten-Rauswurf
14. Und nun?
15. Wer es ganz genau wissen will
16. Beweisanträge (in 1. Instanz verboten, in 2. Instanz eingebracht)
17. 2. Instanz, mündliches Urteil (Abschrift): Der Geist ist aus der Flasche!
18. Zweite Instanz: Der Beginn des Urteils
19. Beschreibung des Versuchsfeldes
20. Tatablauf und Schadenshöhe
21. Skandalöser Versuchsablauf festgestellt ... na und?
22. Die Polizeitaktik
23. Motive der Angeklagten
24. Zur Rechtfertigung: Handlung ungeeignet, da Feldbefreiungen auch nichts (mehr?) nützen
25. Die Konsequenz: Volle Härte des Strafgesetzbuches
26. Demo am Tag des Urteils - und mehr Proteste
27. Lohnenswert anders: Freisprüche in Frankreich
28. Grundsätzliche Rechtsverstöße und verfassungsrechtliche Fragen



Urteil vom 9.10.2009, S. 21/22



Ohne explizite Feststellung, ob das Gericht eine Notstandsituation im Grunde bejaht, muss davon aus dem Tenor des Urteils ausgegangen werden. Die Rechtfertigung wird den Angeklagten aufgrund vermeintlich fehlender Geeignetheit der Aktion abgesprochen. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass das Gericht in der Beweiserhebung alle Anträge zur Frage der Geeignetheit mit der Begründung "ohne Bedeutung" abgelehnt hat. Ausgewählte dieser Anträge:
  • In einem Beweisantrag sollte bewiesen werden, dass Feldbefreiungen Versuche auf solchen Flächen auch dauerhaft verhindern können. Der Antrag lautete: "Auf dem von einer Feldbefreiung der Kampagne „Gendreck weg!“ im April 2008 betroffenen Versuchsgelände der IPK in Gatersleben wird aufgrund der Protestaktionen keine Aussaat genveränderter Pflanzen mehr erfolgen."
  • In einem weiteren Beweisantrag sollte die weitergehende Möglichkeit bewiesen werden, dass Feldbefreiungen auch überregional Feldversuche ganz verhindern können, weil es auf weiteren Anbau abschreckend wirkt. Der Beweisantrag lautete: "Der entschlossene Widerstand gegen die geplanten Felder für genmanipulierte Pflanzen hat dazu geführt, dass Feldversuche in Deutschland bei GentechnikanwenderInnen nicht mehr als durchführbar angesehen werden."
  • Am Beispiel Hessen sollte ein weiterer Beweisantrag beweisen, dass direkte Aktionen überregional Genfelder verhindern können: "Zu beweisende Tatsache: Der entschlossene Widerstand gegen die geplanten Felder für genmanipulierte Pflanzen der Jahre 2006 bis 2008 hat dazu geführt, dass Hessen zumindest in dieser Vegetationsperiode ein gentechnikfreies Bundesland wurde. Die Protestformen an allen Standorten waren abgewogen, vielfältig, angemessen und wirksam."
  • Schließlich brachte es ein zusammenfassender Beweisantrag auf genau die Gegenaussage zum Urteil. Auch dieser Beweisantrag ist als "ohne Bedeutung" abgelehnt worden - aber im Urteil dennoch das genaue Gegenteil festgestellt worden. Die zu beweisende Tatsache lautete: "Feldbefreiungen und Feldbesetzungen sind eine wirksame und zielgerichtete Form, die Ausbringung der gefährlichen genmanipulierten Pflanzen zu verhindern."

Der im schriftlichen Urteil vorhandene Satz mit der Völkergemeinschaft ist gegenüber dem mündlichen Vortrag am 9.10.2009 verändert. Dort hatte Nink sich noch etwas deutlicher ausgedrückt: "Der Geist ist schlicht und ergreifend aus der Flasche" plus seinem Hinweis, mensch müsse schon alle Felder zerstören. Nun wähnt er das Gute von oben. Bei näherer Betrachtung gesteht er allerdings den Notstand damit zu, denn diese Völkergemeinschaft, die so handeln oder auch nur handeln könne, gibt es nicht.

Weitere gravierende Fehler in Form von Auslassungen in der Beweiserhebung:
  • Die Aussage des Richters, dass eine Eindämmung der Gentechnik nicht mehr aus dem Handeln von einzelnen Personen heraus erfolgen kann, ist zeitlich nicht eingeordnet. Um aber als Grundlage zur Nichtanwendung des § 34 StGB dienen zu können, hätte genau festgestellt werden müssen, dass auch am 2.6.2006, dem Zeitpunkt der sogenannten Tat, bereits jegliche direkte Aktion gegen Genversuchsfelder aussichtslos gewesen wäre und dieses auch den Angeklagten offensichtlich gewesen wäre. Hierzu ist aber nicht untersucht worden.
  • Die Aussage, nur eine konzertierte Aktion der Völkergemeinschaft könne die Gentechnik noch stoppen (im mündlichen Urteil hatte Richter Nink stattdessen noch geäußert, dass nur eine Beseitigung aller Felder wirksam wäre), geht am Motiv der Angeklagten vorbei. Diese hatten selbst nachgeweisen, dass die Ausbreitung von Genkonstrukten bei mehreren Pflanzenarten nicht mehr möglich sei, z.B. beim Reis, bei Raps und Leinsaat. Hierzu waren entsprechende Beweisanträge gestellt worden. Die ausgebrachte transgene Gerste betraf jedoch eine Pflanzenart, deren Freisetzung auch weltweit erst am Anfang stand. Die Feststellungen des Richters basieren auf einer unüberprüften Analogie von anderen Pflanzenart auf Gerste - was unzulässig ist. Es sind im Verlauf der Beweiserhebung keinerlei Feststellungen getroffen worden, dass die Ausbreitung transgener Gerste nicht mehr möglich ist oder, worauf es ankommt, im Jahr 2006 nicht war.

Das Urteil unterlässt es insgesamt, die Situation am Tag der Tat zu untersuchen und arbeitet mit allgemeinen Mutmaßungen, die weder von zeitlich noch räumlich einsortiert werden.

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