Schwarzstrafen

PROZESS UM FARBATTACKE AUF JUSTIZGEBÄUDE

20.11.2006: Der sechste Prozesstag


1. Vor dem ersten Termin: Anklageschrift, Verteidiger-Beiordnung
2. Vorab ... 4. Dez. 2003: Staatsschutz und Polizei in der Projektwerkstatt
3. 4.9.2006: Der erste Prozesstag
4. Das Drama des 4.9.: Versuchte Manipulation
5. Das absurde Gutachten: Schlechte Bilder besser zur Erkennung des Gewünschten!
6. 11.9.2006: Der zweite Prozesstag
7. 25.9.2006: Der dritte Prozesstag
8. Der vierte Verhandlungstag
9. 2.11.2006: Der fünfte Prozesstag
10. 20.11.2006: Der sechste Prozesstag
11. 20.11.2006, Urteil erster Instanz: Einzelauszüge und Gesamttext
12. Auf dem Weg zur zweiten Instanz
13. Die spannenden Fragen des Prozesses
14. Am 4. August 2008 sollte die Berufung starten ... aber es wurde nix!
15. Die Justiz gibt auf ... Einstellung - politisch brisant, juristisch spektakulär!

Der Plan von Richter Wendel für den 20. November 2006, 8.30 Uhr im Amtsgericht
Die letzten Anträge bescheiden. Offen ist auf jeden Fall noch der Antrag auf ein neues anthropologisches Gutachten. Wendel hofft sicherlich, dass keine neuen Anträge mehr kommen. Die Beweisaufnahme ist aber noch nicht offiziell beendet, daher bleibt das möglich.
Dann die Plädoyers, erst vom Staatsanwalt Vaupel (der üblicherweise etwas Ähnliches sagt wie die Anklage und dann behauptet, dass sich nichts Neues ergeben hätte - wo auch immer er dann war während der Verhandlungen)
Dann die Plädoyers vom Angeklagten und vom Verteidiger (Reihenfolge machen die aus).
Danach kurze Entgegnungen möglich. Am Ende hat der Angeklagte das letzte Wort. Pause. Dann verkündigt Wendel das schon vorher feststehende Urteil - und verkündet, wenn er will, noch mehr (z.B. Inhaftierung, Auflagen ...).

Veränderung, die per Fax mitgeteilt wurde
Wendel lud die Gutachterin Dr. Kreutz (anthropologisches Gutachten) nochmals vor. Auf Antrag der Verteidigung soll deren Sachkunde überprüft und eventuell ein neues Gutachten in Auftrag gegeben werden. Es ist also nicht mehr so sicher wie bis eben noch, dass der Prozess am 20.11. zuende geht.
Offen ist auch noch der weitere Verbleib des Angeklagten. Am 17.11. läuft der Haftaufschub des Bundesverfassungsgerichts aus. Was dann passiert, ist zur Zeit unklar. Logisch wäre, wenn das BVerfG bis dahin ein Urteil fällt oder den Aufschub verlängert. Aber was bedeutet schon Logik in der deuschen Justiz.

Kurzbericht
Urteil: 140 Tagessätze ... verbunden mit alter Strafe zu neuem Gesamturteil: 10 Monate ohne Bewährung
Urteil in Gießen ... gestützt nun doch auf das anthropologische Gutachten (Puff, Broers als Zeugen also erfolgreich zerlegt) ... 140 Tagessätze, eingerechnet aber in das schon bestehende Urteil von 8 Monaten zu insgesamt 10 Monaten Freiheitsstrafe, erneut ohne Bewährung ... aber weil Gesamturteil, ist nun dieses Ganze vom Bundesverfassungsgericht in Frage gestellt.
Keine besonderen Vorkommnisse im Prozessverlauf, weitere Anträge abgelehnt (u.a. psychologisches Gutachten zu Staatsschutzchef Puff), dann Plädoyers (Angeklagter ca. 2,5 Stunden, Verteidiger ca. 1 Stunde) und Urteil. Der Angeklagte verweigerte die Anwesenheit bei "Im Namen des Volkes" wegen der Bedeutung und Bezüge dieser Formulierung, wurde reingeschleift und dann von 2 Bullen getragen, damit er wenigstens aufrecht aussieht. Alle anderen, die nicht aufstehen wollten, sind rausgeschleift worden.
Berufung wird eingelegt, also das Ganze nochmal. Einige Absurditäten wies das Urteil aber doch auf: Wendel behauptete jetzt eine andere Rechtsgrundlage für die Videoaufnahme als es die Polizei sagte (demnach hätten alle Polizisten ja Falschaussage gemacht), um mit den fehlenden Schildern besser klarzukommen.
Die Krönung war sein Umgang mit der Tatsache, dass sich die Anthropologin auf eine Literatur stützte, die 1931 erschien und von einem Nazi geschrieben wurde, der später das Rassebiologische Institut in HH leitete. Wendel fand, dass die Nazis ja wissenschaftlich auch besonders gut gewesen sein könnten, weil sie ja Rassemerkmale genau nachweisen wollten ... Prost.


Anträge
Es wurden zu einigen Anträge Beschlüsse verkündet:
  • Antrag auf neues Sachverständigengutachten abgelehnt, stattdessen die vorhandene Anthropologin gefragt und dann vom Richter befunden, dass die doch sehr toll sei.

Beweisantrag „Psychologisches Sachverständigengutachten Puff“
Zum Beweis folgender Tatsache stelle ich diesen Antrag:
Der ehemalige Chef des Gießener Staatsschutzes, Gerhard Puff, ist nicht nur von einem übermäßigen Verfolgungseifer gegenüber den AktivistInnen aus dem von der Polizei so genannten „Umfeld der Projektwerkstatt“ und damit auch gegen dem hier Angeklagten getrieben, sondern dieser Eifer hat sich zu einem Wahn gesteigert. Dieser Wahn führt bei Gerhard Puff zu spürbaren und erheblichen Veränderungen seiner Wahrnehmungen bis hin zu schlichten Phantasien. Eine Unterscheidung zwischen Fiktion und Wahrheit scheint ich ihm nicht mehr möglich.

Begründung:
Aktenvermerke, mehr noch aber Aussagen im laufenden Prozess deuteten auf die mangelnde Fähigkeit von Herrn Puff hin, eigene Gedankenkonstrukte, Unterstellungen und Phantasien noch von den Gegebenheiten und tatsächlichen Ermittlungsergebnissen unterscheiden zu können. Mit jeder Vernehmung hat er neue Behauptungen zu zurückliegenden Handlungen aufgestellt und den Angeklagten als Täter bezeichnet, obwohl dafür überhaupt keine Anhaltspunkte vorlagen. In seinem Wahn war er nicht einmal mehr in der Lage, Tage und Tagesabläufe, z.B. zwischen Morgens, Nacht und Abends zu unterscheiden, oder Informationen aufzunehmen wie z.B. der Nachweis, dass Behauptungen über Internetseiten-InhaberInnen nicht stimmten.
Das Verhalten von Herrn Puff ist wahnhaft.
Der Beweisantrag ist für das laufende Verfahren von Bedeutung, weil Puff als Zeuge belastende Aussagen gemacht hat. Eine Beweiskraft seiner Projektionen, Wahnvorstellungen und Einbildungen ist aber nicht vorhanden, wie das Sachverständigengutachten ergeben wird.

Beweismittel:
  • Einholung eines Sachverständigengutachtens (psychologisches Gutachten zu Herrn Puff)

Beschluss von Richter Wendel:
  • Abgelehnt, da unerheblich

Beweisantrag „Sehfähigkeit Broers“
Zum Beweis folgender Tatsache stelle ich diesen Antrag:
Der Staatsschutzbeamte Broers verfügt über einen Sehfehler oder hat Halluzinationen. Jedenfalls ist seine optische Wahrnehmungsfähigkeit stark eingeschränkt.

Begründung:
Mehrfach hat der Staatsschutzbeamte Broers Dinge gesehen, die es nicht gab, konnte Hell und Dunkel sowie Violett und Orange nicht unterscheiden.
So sah er auf einem Video eine Person Parolen malen, obwohl dort, wo der Video aufgenommen wurde, nachweislich nie Parolen gesprüht wurden. Er muss also etwas gesehen haben, was nicht da war.
Sodann hat er einen Video als überbelichtet und zu hell beschrieben, der nach Aussagen des damit befassten Beamten des Landeskriminalamtes zu dunkel und unterbelichtet war. Zudem hat Broers schemenhafte Bewegungen, die nach Aussagen des HLKA-Beamten zu sehen waren, nach eigenen Aussagen nicht gesehen.
Schließlich konnte Broers violett und orangerot nicht unterscheiden. Als ermittlungsführender Beamter hätte ihm auffallen müssen, dass die Farbe auf den beschlagnahmten Kleidungsstücken Jacke, Schuhe und Handschuhe orange waren, während die Sprühfarbe an der Wand violett war – zumindest der Lack (die andere Farbe war rot, aber dieses war auch kein Lack, wie der Gebäudereiniger berichtete, denn die Farbe war wasserlöslich). Dennoch wurden die orangefarbenen Farbanhaftungen als Spur für die violette Sprühfarbe weitergeführt.
Der Beweisantrag ist für das laufende Verfahren von Bedeutung, weil Broers als Zeuge belastende Aussagen gemacht und insbesondere visuelle Beobachtungen dargelegt hat. Eine Beweiskraft seiner Projektionen, Wahnvorstellungen und Einbildungen wäre aber nicht vorhanden, wenn die Gutachten Einschränkungen der Wahrnehmungsfähigkeit durch Sehfehler oder Drogenkonsum nachweisen würden.

Beweismittel:
  • Einholung eines Gutachtens zur Sehfähigkeit des Staatsschutzbeamten Broers
  • Einholung eines Gutachtens zu Drogenverwendung beim Staatsschutzbeamten Broers

Beschluss von Richter Wendel:
  • Abgelehnt, da unerheblich

Gegendarstellung zur Zurückweisung der Anträge zum §147 der Hessischen Verfassung
Beide Anträge wurden schon am 5. Prozesstag gestellt und gleich zurückgewiesen, da sie nach Meinung des Staatsanwaltes und des Richters ohne Bedeutung für die Entscheidung seien. Verfassungsbrüche sind bedeutungslos ...

Gegendarstellungen am sechsten Prozesstag:
Ich habe am 5. Prozesstag (2.11.2006) zwei umfangreiche Anträge vorgetragen, in denen ich begründet habe, warum aus meiner Sicht Amtsgericht Gießen und Staatsanwaltschaft Gießen bzw. die bei ihnen Bediensteten eine Vielzahl von Rechtsbrüchen, Straftaten und auch Verfassungsbrüchen begangen haben. Von den vielen sorgfältig recherchierten Vorgängen habe ich nur zwei Themenkomplexe exemplarisch herausgegriffen, weil meines Erachtens nicht die Menge der Rechts- und Grundrechtsverstöße von Bedeutung ist, sondern nur die unwiderlegbare Tatsache, dass es zu solchen gekommen ist. Angesichts der Präzision der vorgetragenen Fakten hätte das Gericht die Möglichkeit gehabt, diese zu prüfen. Das hat es aber nicht getan. Vielmehr hat es die Anträge zurückgewiesen mit der Behauptung, diese seien für die Entscheidung ohne Bedeutung. Diese Rechtsauffassung ist absurd.
Dazu lohnt ein Blick auf den rechtlichen Rahmen. Artikel 147 der Hessischen Verfassung lautet: „Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt ist jedermanns Recht und Pflicht. Wer von einem Verfassungsbruch oder einem auf Verfassungsbruch gerichteten Unternehmen Kenntnis erhält, hat die Pflicht, die Strafverfolgung des Schuldigen durch Anrufung des Staatsgerichtshofes zu erzwingen. Näheres bestimmt das Gesetz.“ Da es ein passendes Gesetz zumindest zum ersten Satz nicht gibt, bleibt er als solches und alleinstehend erhalten und entwickelt seine Wirkungskraft. Danach ist „Artikel 147: Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt ... jedermanns Recht und Pflicht.“ Aus meiner Sicht wären nach diesem Artikel der hessischen Verfassung auch solche Widerstandshandlungen erlaubt, die Straftaten darstellen, wenn das Kriterium des Verfassungsartikels erfüllt ist – nämlich wenn „öffentliche Gewalt“ „verfassungswidrig ausgeübt“ wird. Dieses ist, wie ich mit den Anträgen unter Beweis stellen wollte, der Fall. Zunächst aber kommt es darauf gar nicht an. Richter Wendel hat die Anträge nämlich nicht zurückgewiesen, weil er der Meinung war, es lägen keine Verfassungsverstöße vor oder die gemachten Angaben seien falsch. Sondern er hat die Behauptung aufgestellt, dass die Fragestellung ohne Bedeutung sei. Auf deutsch: Er hat zum einen behauptet, dass es für diesen Prozess ohne Bedeutung sei, ob die zu verurteilende Tat überhaupt strafbar ist. Und er hat zum anderen behauptet, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer möglichen Verurteilung ohne Bedeutung sei. Ersteres ist strafprozessualer Unsinn, zweiteres ist schlicht ein weiterer Verstoß gegen die Verfassung, denn selbstverständlich kann kein Richter einfach mit einem Fingerschnipp die Verfassung für „ohne Bedeutung“ erklären.
Die Leichtigkeit, mit der Richter Wendel die Anträge abgelehnt hat, hat den Verdacht geweckt, dass ihre Bedeutung nicht richtig erfasst hat. Ist es möglich, dass er mit seiner Zurückweisung darauf aufbaute, das die beschriebenen Vorgänge keine direkte Bedeutung zu dem Geschehen in diesem Prozess hätten, z.B. hinsichtlich der Frage der Glaubwürdigkeit der Zeugen? Das ist zwar auch eine zweifelhafte Auslegung, aber wenn Richter Wendel ohnehin davon überzeugt ist, dass weder der Zeuge Puff noch der Zeuge Broers irgendein Fitzelchen Glaubwürdigkeit in sich haben angesichts der Masse an Lügen, die sie hier im Prozess aufgetürmt haben, dann hätte seine Aussage wenigstens Sinn. Allerdings wäre ein anderer Zurückweisungsgrund passender gewesen, z.B. dass die unter Beweis gestellten Tatsachen schon bewiesen seien oder als wahr unterstellt werden könnten.
Nur: Darum ging es bei den Anträgen nicht. Vielmehr war Ziel der Anträge, nachzuweisen, dass die hier verhandelte Tat auch aus dem Grunde nicht strafbar sei, weil sie angesichts der Verfassungsbrüche von Amtsgericht und Staatsanwaltschaft nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten war. Die Frage der Glaubwürdigkeit von Zeugen oder ähnliches hatte ich überhaupt nicht zum Antragsgegenstand gemacht, sondern allein die Frage, ob die hier verhandelte Tat nicht vom § 147 der Hessischen Verfassung gedeckt war. Ich zitiere, um das zu belegen, nochmals aus den beiden Anträgen – und zwar jeweils aus dem Beweisantrag, d.h. nicht aus der Begründung.

Der erste Antrag beschäftigte sich mit Verstößen gegen das Versammlungsrecht, einem Grundrecht. Dort formulierte ich u.a.:
„Die Gießener Justizbehörden, unter anderem und insbesondere Amtsgericht, Staatsanwaltschaft und die von ihr beaufsichtigte bzw. eingesetzte Hilfsbehörde der Polizei haben mehrfach gegen das Versammlungsrecht und damit gegen das Grundgesetz verstoßen, unter anderem gegen den Art. 8, Abs. 1: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“
Des weiteren führte ich aus: „Damit haben alle Instanzen und Beteiligten massiv und zudem einige, weil sie das auch in anderen Fällen taten, mehrfach gegen das Versammlungsrecht verstoßen. Das ist aber verfassungsrechtlich garantiert. Daher begingen die beteiligten Instanzen und Justizstellen Verfassungsbruch und lösen den Fall des § 147 der Hessischen Verfassung aus: „Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt ist jedermanns Recht und Pflicht.“ Dieser Beweisantrag ist für den laufenden Prozess von Bedeutung, weil es hier um Widerstandshandlungen gegen verfassungswidrige Handlungen von Justizbehörden geht. Die Taten sind daher keine Straftaten - jenseits der Frage, welche Personen sie ausgeführt haben.“
Diese Formulierung ist eindeutig. Es ist erkennbar, um was es bei dem Antrag geht. Wenn nun Richter Wendel diesen zurückweist, weil er ohne Bedeutung sei, so formuliert er, dass es ohne Bedeutung sei für eine Verurteilung, ob eine Tat strafbar ist oder nicht. Das ist Rechtsbeugung, deutlicher geht es kaum.

Der zweite Antrag beschäftige sich mit Fällen willkürlicher Freiheitsberaubung. Auch hier hatte ich mich, trotz Vorliegen vieler Fälle, auf einen beschränkt. Erneut war der Antrag unmissverständlich formuliert und lautete u.a.:
„Die Gießener Justizbehörden, unter anderem und insbesondere Amtsgericht, Staatsanwaltschaft und die von ihr beaufsichtigte bzw. eingesetzte Hilfsbehörde der Polizei haben gegen das Grundgesetz verstoßen, unter anderem dem Art. 2, Abs. 2: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich.““
Des weiteren formulierte ich: „Die Hilfsbehörde der Staatsanwaltschaft, also die Gießener Polizei, und RichterInnen an Amts- und Landgericht haben mehrfach Verhaftungen durchgeführt, Gewahrsam oder Unterbindungsgewahrsam beantragt bzw. beschlossen, ohne dass dafür Gründe vorlagen. In Einzelfällen ist sogar nachweisbar, dass die Straftaten von der Polizei oder den RichterInnen selbst erfunden wurden. Das taten sie nicht versehentlich, sondern gezielt, um die Freiheitsberaubung begründen zu können. Sie waren sich darüber bewusst, dass sie Recht beugen, die Verfassung missachten und selbst schwerste Straftaten begehen. Die Staatsanwaltschaft hat dieses Verhalten bislang immer gedeckt und Ermittlungen bzw. Anklageerhebung verweigert. Das löst den Fall des § 147 der Hessischen Verfassung aus: „Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt ist jedermanns Recht und Pflicht.“ Dieser Beweisantrag ist für den laufenden Prozess von Bedeutung, weil es hier um Widerstandshandlungen gegen verfassungswidrige Handlungen von Justizbehörden geht. Die Taten sind daher keine Straftaten.“
Auch diese Formulierung ist eindeutig. Es ist erkennbar, um was es bei dem Antrag geht. Wenn nun Richter Wendel diesen zurückweist, weil er ohne Bedeutung sei, so formuliert er, dass es ohne Bedeutung sei für eine Verurteilung, ob eine Tat strafbar ist oder nicht. Das ist Rechtsbeugung, deutlicher geht es kaum.

Gegendarstellung zur Zurückweisung des Befangenheitsantrags
Der Antrag wurde schon am 5. Prozesstag gestellt und gleich zurückgewiesen, der Richter erklärte sich selbst für nicht befangen ... Die Gegendarstellung des sechsten Prozesstages ist am Ende der Internetseite zu Befangenheitsantrag angefügt:

Antrag des Verteidigers auf ein neues Gutachten
Beantragt wurde ein neues anthropologisches Gutachten, da die Gutachterin Dr. Kreuz sich als fachlich nicht ausreichend kompetent herausgestellt und mehrere wichtige Punkte nicht beachtet hat.

Stellungnahme von Staatsanwalt Vaupel
Nicht nötig, er hält die Gutachterin für kompetent (sehr bemerkenswert nach deren Auftritt!).

Beschluss Richter Wendel
Am 2.11.2006 noch nicht entschieden, sondern vertagt. Einige Tage später verkündete der Richter, dass die Zeugin Dr. Kreutz (die Gutachterin) am sechsten Prozesstag erneut zu erscheinen hat (das ist bereits die dritte Zeugin, die ein zweites Mal kommen muss).

Beweisantrag zur Nichtverwertung entlastender oder auf andere TäterInnen hindeutender Indizien und Spuren
Zum Beweis folgender Tatsache stelle ich diesen Antrag:
Im Laufe der Ermittlungen und im Verlauf dieser Gerichtsverhandlung sind mehrfach klare und auffällige Spuren und Indizien, die auf andere TäterInnen hindeuten oder den hier Beschuldigten entlasten könnten, nicht verfolgt worden. Dieses geschah absichtlich und wider besseren Wissens. Dadurch ist weder ein aufklärendes Ermittlungsverfahren zu erkennen noch kann von einem fairen Prozessverlauf gesprochen werden.

Begründung:
In mehreren Fällen wurden Spuren, die auf eine Nichtbeteiligung des gewünschten Angeklagten oder andere TäterInnen hindeuteten, nicht verfolgt, fahrlässig oder bewusst nicht beachtet, vernichtet oder herausgegeben. Das ist von besonderer Bedeutung für diesen Prozess, weil das gesamte Ermittlungsverfahren den Eindruck hinterlässt, dass ein gewünschtes Ergebnis verfolgt und entlastende Hinweise nicht beachtet wurden. Damit haben Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Aufgabe nicht erfüllt. Wer aber mit gigantischem Aufwand gezielt Verdachtsmomente erzeugen will, wird auch immer irgendwelche Sachen finden. Dieses Gerichtsverfahren basiert auf solchen krampfhaft gesuchten Spuren und Hinweisen, die einem vorgegebenen Ergebnis dienten. Wichtig ist zudem, dass offenbar andere TäterInnen oder mögliche MittäterInnen (falls jemand einen Tatverdacht gegen den hier Angeklagten bejahen will) systematisch nicht ermittelt oder ihre Verdachtsmomente sogar gezielt vertuscht wurden. Nach einer solchen Aneinanderreihung von peinlichen und gerichteten Ermittlungstätigkeiten wäre es absurd, als Ergebnis der gezielten Verweigerung von Ermittlungen zu anderen Personen nun z.B. einen gemeinsamen Tatplan konstruieren oder herbeireden zu wollen. Auch das scheidet aufgrund der Ermittlungsergebnisse aus. Es kann nicht sein, dass böswillige und fahrlässige Ermittlungsmanipulationen am Ende zu einer Verurteilung führen, weil Entlastendes vertuscht wurde.

Beispiele für vertuschte Spuren:
1. Der dritte Videofilm und der Standort der dritten Kamera
Der Videofilm der dritten Kamera wurde vernichtet. Was auf ihm zu sehen ist und wo die Kamera stand, wird von der Polizei vertuscht. Die gezielte Aussonderung von Beweismitteln macht das gesamte Verfahren fragwürdig, da es nicht Aufgabe der Polizei ist, festzustellen, welche Beweismittel von Bedeutung sind und welche nicht. Insbesondere die spätere Aussage, auf dem Film sei nichts zu erkennen, wird unglaubwürdig: Warum musste er dann eilig gelöscht werden?

2. Die kontrollierte Person in der Projektwerkstatt am 4.12.2003
Be der Hausdurchsuchung in der Projektwerkstatt wurden offensichtlichste Hinweise auf mögliche andere Personen einfach nicht beachtet. Die hereinplatzenden BeamtInnen trafen auf eine Person, die von Körperstatur und Gesicht dem gewünschten Verdächtigen extrem ähnlich sieht. Sie kontrollierten nur seine Personalien und ließen ihn dann gehen. Dieser Vorgang bewies schon zu Beginn der Ermittlungen das Interesse, nur den gewünschten Verdächtigen zu überführen. Es ist nach der Aussortierung des dritten Videos der zweite Vorgang, bei dem bewusst auf vom gewünschten Verdächtigen wegweisende Spuren nicht verfolgt oder sogar bewusst übergangen werden. Auch im späteren Gerichtsverfahren wird diese Spur verweigert: Richter Wendel lehnte die Vernehmung von POK Frank, des wichtigsten Zeugen zu der Begegnung am 4.12.2003 in der Projektwerkstatt, ab.

3. Die Halbstiefel mit Farbanhaftungen und weitere Fußabdrücke
Laut anthropologischem Gutachten wurden Halbstiefel bei der Tat auf den Videobildern erkannt. Es sind im Verlauf der Ermittlungen auch mehrere Paar solcher Stiefel, z.T. mit Farbspuren, beschlagnahmt worden. Alle aber waren ohne DNA des Angeklagten Bergstedt. Diese Stiefeln sind daraufhin nie mehr weiter beachtet und quasi als Spuren aus dem Verfahren genommen worden.

4. Die Fahrradhandschuhe mit Farbanhaftungen
In das Verfahren wurden am 14.12.2003 ein Paar Fahrradhandschuhe als mögliche Spur aufgenommen. Das HLKA stellte fest, dass die Farbe auf den Handschuhen die gleiche war wie bei den Turnschuhen (die ja ebenfalls erst später als Beweismittel hinzuerfunden und dazu ein Gipsabdruck erstellt wurde) und wie auf dem Gericht. Die Handschuhe müssten damit als „heiße“ Spur gewertet werden. Sie wurden sodann auf DNA-Spuren des gewünschten Verdächtigen untersucht. Ergebnis der DNA-Untersuchung: Der gewünschte Verdächtige hatte die Handschuhe nie getragen, allerdings waren unbekannte DNA-Spuren zu finden. Jetzt passierte etwas Bemerkenswertes: Die Handschuhe werden anstandslos an den Besitzer (der plötzlich der Polizei klar ist) zurückgeschickt. Hier wird auf krasse Weise deutlich, dass die Polizei krampfhaft nach belastenden Indizien zum gewünschten Verdächtigen interessiert war. Spuren, die auf andere Personen hindeuten könnten, wurden sofort aus dem Verfahren genommen - es sollte offenbar vermieden werden, dass überhaupt Hinweise erkennbar blieben, dass andere Täter in Frage kommen.

5. Zwei weitere Verdächtige
Am 9.12.2003 nahm die Polizei nahe der Staatsanwaltschaft 12 Personen fest. Einigen wurden die Kleidungsstücke abgenommen, weil sie Farbflecken aufwiesen. Eine Jeanshose hatte Flecken im gleichen Farbton wie das Gericht. Dennoch wurde diese Hose aus dem Ermittlungsverfahren rausgenommen, d.h. nie mehr beachtet.

6. Der Videofilm zur Hausdurchsuchung
Der Videofilm, der die Hausdurchsuchung dokumentierte, könnte genauere Aufschlüsse über dort angetroffene Personen und tatsächlich dort aufgefundene Kleidungsstücke geben. Seine Vorführung wurde jedoch im laufenden Verfahren verweigert, der Film liegt den Gerichtsakten auch nicht bei.

Beweismittel:
  • zu 1) Protokoll dieser Gerichtsverhandlung zu den Aussagen der Zeugen Puff, Broers und Schweizer (HLKA)
  • zu 2) Vernehmung des POK Frank
    und Vermerk von EKHK Puff zur Hausdurchsuchung (Bl. 98)
  • zu 3) Beschlagnahmelisten des 4.12.2003 und des 9.12.2003
    und Liste der Schuhe (Bl. 149)
  • zu 4) Akte 501 UJs 60509/03 POL
  • zu 5) HLKA-Bericht (Bl. 189)
  • zu 6) Vermerk von EKHK Puff zur Hausdurchsuchung (Bl. 99)

Die Plädoyers
Der Staatsanwalt begann den Reigen der Schlussworte mit einem für ihn typischen, d.h. langweiligen und im wesentlichen die Anklage wiederholenden Plädoyer, wobei er aber alle Gutachten außer dem anthropologischen auch wegließ – die waren alle derart zerlegt, dass nicht einmal Vaupel sie noch erwähnen mochte.
Anschließend plädierte der Angeklagte ca. 2,5 Stunden (siehe inhaltliche Stichpunkte), der Verteidiger anschließend ca. 1 Stunde.

Im Namen des Volkes - Zusammenfassung des mündlichen Urteils
Das letzte Wort hat am Ende wiederum der Angeklagte – so will es die Strafprozessordnung. Zwei Punkte waren es, die der Angeklagte ausführte. Zum einen die groteske Situation, dass bei diesem Verfahren eine Vielzahl von Straftaten Gegenstand der Debatte waren. In allen Fällen bis auf einen sei er Opfer gewesen: Illegale Festnahmen, illegale Inhaftierung, illegale Hausdurchsuchungen, illegale Beschlagnahmen, falsche Verdächtigungen und üble Nachrede. Nur in einem Punkt sei er nicht Opfer, sondern Unbeteiligter oder (wie die Anklage behauptet) Täter – bei den Farbverschönerungen an den Justizgebäuden. Das aber sei der einzige Punkt, der vor Gericht gelangte. Alle sonstigen TäterInnen würden mit Sicherheit gedeckt und müssten nie hier stehen – aber das zigfache Opfer der Justizwillkür werde wieder verurteilt. Das sei sicher.
Zum zweiten kündigte der Angeklagte an, der Urteilsverkündigung nicht beiwohnen zu wollen. Er begründete das mit der Floskel „Im Namen des Volkes“ und erläuterte, warum erstens RichterInnen nicht im Namen von anderen reden, sondern ihren eigenen Allmachtsphantasien nachgehen, wenn sie über wahr und falsch, schuld und unschuldig entscheiden. Höchstens würden sie politischem Druck nachgeben, aber nicht im Namen von irgendwelchen Menschen reden, denen sie ansonsten (z.B. im Gerichtssaal) sonst sogar das Lachen verbieten. Außerdem sei die Bezugsgröße „Volk“ eine Unverschämtheit, weil in diesem gingen die Menschen vollends in einem scheinbaren Gemeinwillen unter, den es nicht gebe. Der Angeklagte wies auf die Polizei- und Justizbediensteten und sonstige Menschen im Saal hin und meinte, dass es schon bei dieser kleinen Menge an Menschen sicherlich keinerlei Gemeinwillen gäbe – Richter Wendel aber würde sogar 80 Millionen Menschen mit seinem Spruch mal eben zu einer Einheitsmasse zusammenstauchen, um damit seine Allmachtsphantasie zu legitimieren.
Richter Wendel wies nach diesem letzten Wort die anwesenden Uniformierten an, den Angeklagten in der Pause vor dem Urteil zwangsweise im Saal festzuhalten. Damit machte er einen Rechtsfehler, denn nun hatte der das letzte Wort (reingefallen ...) – zudem bereitete er damit einen aberwitzigen Showdown vor.

Die Urteilsverkündung
Als die Pause zuende war, stand der Angeklagte in der Tür des Saals vor einer Uniformiertenkette, die sein Rausgehen verhinderte. Auf Anweisung des Richters wurde er in den Saal geschleift. Dort ließ er sich fallen. Aber ein Richter will nun mal, dass alle stehen, wenn er seinen Unsinn vom Volk, und dass er in dessen Namen reden würde, verkündet. Also befahl er den Uniformierten, den Angeklagten aufzuheben und aufrecht zu halten. Das taten auch zwei uniformierte Typen, so dass der Angeklagte in deren Armen hängend dem Urteil zuschauen musste. Zuhören tat er nicht, er hing da und hielt sich die Ohren zu.
Aber auch etliche ZuschauerInnen standen nicht auf. Die mussten nacheinander aus dem Saal getragen oder geschleift werden und fanden sich kurz danach vor der Tür wieder. Dann konnte Richter Wendel im Namen des halluzinierten Volkes das Urteil verkünden, dessen Bestandteile er vorher entfernt hatte. Immerhin – er entschuldigte sich, dass er diesen Satz ja sagen müsse vom Gesetz her ...

Das Urteil
Im Gesamten ist das Urteil keine Überraschung. Den gesamten Prozess über zeigte Richter Wendel seinen Verurteilungswillen, in dem er entlastende Spuren nicht verfolgte und für „ohne Bedeutung“ erklärte und immer wieder neue Wege versuchte, ein belastbares Indiz zu basteln. Grob verlief dieser Versuch so: Zuerst sollte die Fülle der Gutachten erschlagen. Diese wurden von der Verteidigung und dem Angeklagten ausnahmslos alle zerlegt. Dann setzten Staatsanwaltschaft und Gericht auf die Zeugen Puff und Broers, die allerdings so viele Lügen und falsche Verdächtigungen vor sich hinstammelten, dass sie am Ende auch ungenießbar waren. So steuerte Wendel dann am letzten Tag zurück zu einem der Gutachten (die anderen blieben im Urteil unerwähnt), bog noch einige Sachen in einer weiteren Vernehmung der Gutachterin zurecht und entschied dann im Urteil, dass diese Gutachterin nun die Topnummer gewesen und der Angeklagte damit überführt sei. Dennoch bleiben Details seiner mündlichen Urteilsbegründung spannend.

Nazis können die besseren Wissenschaftler sein!
Die Gutachterin Dr. Kreutz, auf deren Aussagen sich Richter Wendel also nun einzig stützte, hatte als maßgebliche Literatur ein Werk aus dem Jahr 1931 angegeben. Dazu gab der Angeklagte am folgenden Prozesstag eine umfangreiche Erklärung ab, in der er unter anderem die Tätigkeit des Autors als führender Nazi-Forscher aufzeigte. Prof. Dr. Walter Scheidt war ab 1924 Dozent am Universitätsinstitut für Rassenbiologie in Hamburg und 1933 bis 1965 (also unterbrechungsfrei als führender Rassewissenschaftler in Drittem Reich und BRD) Leiter des Universitätsinstitutes für Rassenbiologie in Hamburg. Veröffentlichungen des Autors seien unter anderem „Die rassischen Verhältnisse in Nordeuropa“, „Rassenkunde und Kulturpolitik“, „Die Rassen der jüngeren Steinzeit in Nord-, Mittel- und Osteuropa“ und „Neue Methoden der Erb- und Rassenforschung“. Richter Wendel muss das gewurmt haben, dass seine einzige Gutachterin, auf die er sich überhaupt noch zu stützen wagte, solche ein Buch als Grundlage ansah. Also sagte er erst, dass nationalsozialistische Gesinnung nicht automatisch bedeute, dass jemand ein schlechter Wissenschaftler sei. Das wäre noch gegangen. Aber er fügte an, dass ein NS-Ideologe „vielleicht auch ein besonders guter Wissenschaftler sein könne“, weil er es „mit dem Volk besonders genau wissen wollte“.

Ausgeblendet: Die Aussage der Gutachterin „Bei schlechten Bildern sind Personen oft besonders gut zu erkennen“
Die neueste Aussage der Gutachterin am gleichen Tag wie das Gutachten blendete Richter Wendel im Urteil schlicht ganz aus. Dass das Bild schlecht gewesen und deshalb als Beweismittel besonders gut geeignet gewesen sei, schien auch ihm nicht völlig einzuleuchten.

Ausgeblendet: Widersprüche
Verteidigung und Angeklagter wiesen in allen Gutachten, auch im anthropologischen Gutachten eine Masse an Fehlern nach – einschließlich offensichtlicher zielgerichteter Manipulation. Alle anderen Gutachten schieden deshalb ganz aus. Die klaren Belege für gezielte Ergebnisbegradigung wie z.B. der Nachweis, dass zwei völlig unterschiedliche Brillen als gleich vermessen wurden, beachtete Richter Wendel im Urteil auch gar nicht. Was blieb ihm auch – ohne das Gutachten der Anthropologin hätte er nichts mehr in der Hand gehabt und dann als Verurteilungsgrund nur noch den Druck von oben benennen können – den er so verschwieg.

Schwer von Verstand
Einen fatalen Fehler machte auch Wendels Verstand. Dreimal fragte er beim Gebäudereiniger, der als Zeuge auftrat, nach, ob die Wand bei der Reinigung beschädigt worden sei. Der erzählte immer wieder, dass von der Wandfarbe bei der Reinigung eine hauchdünne Schicht (5-10 Prozent der Farbdicke) abgehen würde. Wendel kapierte das nicht – und verkündete im Urteil, es sei alles eine Sachbeschädigung gewesen, weil auch 10 Prozent des Putzes (!) mit runtergekommen wären ... da hätte das Gericht wohl wie eine Bruchbude ausgesehen.

Wenn ein Beweismittel rechtswidrig ist, wird halt die Rechtsgrundlage gewechselt
Wie beim Eishockey ... was nicht mehr geht, wird im fliegenden Wechsel ausgetauscht. Alle (!) Bullen aus Gießen, darunter auch die Person aus dem Führungsstab, die den Auftrag zur Anbringung der Kamera gab (an das Landeskriminalamt) haben gesagt, dass sei nach HSOG (Hess. Sicherheits- und Ordnungsgesetz) geschehen. Auch der Hausmeister des überwachten Gebäudes hat das gesagt (und hinzuerfunden, dass er Schilder aufgehängt hätte). Wenn es aber nach HSOG geschehen wäre, hätten Schilder da sein müssen. Das war nicht der Fall, daher die Sache illegal. Richter Wendel aber verkündete im Urteil, es sei eine andere Rechtsgrundlage gewesen. Die Kamera hätte der Aufklärung vorheriger Straftaten gedient. Wie das hätte gehen soll, konnte er zwar nicht erklären, hatte aber damit einfach das Fehlende-Schilder-Problem taktisch gelöst, denn nun war ein anderes Gesetz die Grundlage. Die Einstellung von Wendel ist klassisches Legel-illegal-scheißegal, was an sich nichts Schlechtes ist, aber als Grundlage ausgerechnet der Rechtsprechung etwas merkwürdig kommt. Brillant ist hier auch erkennbar, was es heißt, dass Richter eine gottähnliche, weil wahrheitsschaffende Instanz sind. Da können alle Bullen und beteiligten Personen A sagen, wenn der Richter hinterher B entscheidet, dann ist es B.
Kleiner Schönheitsfehler: Nun haben alle Polizeibeamten eine Falschaussage vor Gericht gemacht. Wenn nicht der Obrigkeitsschützer Vaupel als Staatsanwalt alle Verfahren abwehren würde, gäbe es jetzt viel zu tun für die Justiz.

Straftäter haben keinen Rechtsschutz
Zudem sagte Richter Wendel, dass das Beweismittel auch nutzbar sei, wenn es illegal gewesen sei. Schließlich seien Gesetze nicht dafür da, Straftäter zu schützen. Zum einen ist das eine absurde Rechtsauffassung – gerade von einem Richter. Natürlich sind Gesetze von der Propaganda her dazu da, alle Menschen gleichermaßen zu schützen. Das fordert auch das Grundgesetz mit dem Artikel zu Gleichheit aller Menschen vor dem Gericht (insofern hat Richter Wendel hier praktisch die Tür zu einer Verfassungsklage gegen sein Urteil geöffnet!). Richte Wendel sieht das anders. Zum zweiten macht seine Rechtsauffassung keinen Sinn. Wenn die Schilder bei Kameraüberwachung nur wichtig sind, wenn auf den Kameras ohnehin nichts Wichtiges, d.h. rechtlich Relevantes, aufgezeichnet wird, aber in allen anderen Fälle ein anderes Rechtsinteresse überwiegt, kann mensch die Schilder auch weglassen. Denn immer wenn es drauf ankommt, ist es rechtlich unbedeutend, ob es beschildert war. Schon im Plädoyer hatte der Verteidiger darauf hingewiesen, dass im Falles eines solchen Urteils kein Polizist und keine andere Stelle mehr Schilder aufhängen würde – Richter Wendel ließ das unbeeindruckt.

Hessische Verfassung dient nur den Konservativen
In der gleichen Logik legte er auch nochmal zum Artikel 147 der Hessischen Verfassung nach. Der würde nicht für Menschen gelten, die staatskritisch sind, sondern der sei nur für „Konservative“ da – also Menschen, die Veränderungen verhindern wollten. Woher er diese Rechtsauffassung bezog, ließ er offen. Aber das Schutzparagraphen der Verfassung nur für Menschen mit bestimmten politischen Meinungen da seien, ist eine recht abenteuerliche Sichtweise. Sie zeigt aber erstens, wie stark Richter Wendel hier einen politischen Prozess geführt hat, und zweitens, wie wenig er als Richter sich an das geltende Recht gebunden fühlt (was nebenbei wiederum verfassungswidrig ist, weil die Verfassung gerade von der rechtsprechenden Gewalt eine besondere Beachtung der Gesetze fordert).

Ehrenwerte Ziele
Immerhin aber hatten wohl die verschiedenen politischen Vorträge des Angeklagten gegen Rechtsprechung, gegen Justizwillkür, gegen den Unsinn von Strafe, die Brutalität von Knast usw. eine Wirkung. Durchaus authentisch kam der Richter mit umfangreichen Ausführungen im Urteil herüber, dass er die Gesinnung des Angeklagten für „ehrenwert“ hält und ihm bescheinigte, einer Utopie von besserer Welt nachzugehen. Nur die Methoden seien „nicht zu akzeptieren“.

Missstände in der Justiz und in diesem Verfahren
Noch weiter ging Richter Wendel sogar damit, dass er die Kritik an der Justiz seitens des Angeklagten als zumindest in weiten Teilen gerechtfertigt ansah und erwähnte, diese Verhandlung sei in der Tat problematisch gewesen und hätte viele Missstände gezeigt. Allerdings konnte er an dieser Stelle das auch ohne Gefahr zeigen. Denn es tut wahrscheinlich dem Richter gut, aus seiner gottähnlichen Stellung heraus den beherrschten und bestraften Menschen noch wie ein gnädiger Patriarch ein paar weise Worte beizugeben, bevor er ihn endgültig in die Parallelgesellschaft des Knastes abschiebt (was er möglicherweise durchaus auch eiskalt gemacht hätte, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht den Vollzug der Strafe ausgesetzt hatte, mit dem jetzt auch diese Verurteilung zu einer Gesamtstrafe zusammengezogen wurde – daher ist auch die neue Strafe zur Zeit ausgesetzt).

Rechtliche Lage nach dem Urteil
Die erste Instanz ist durch. Eine Wiederholung ist möglich, weil die Strafe mit der vorherigen Strafe zusammengezogen wurde (insgesamt 10 Monate Haft ohne Bewährung), aber die vorherige durch das Bundesverfassungsgericht ausgesetzt ist bis zu einer endgültigen Entscheidung.
Ansonsten legten Verteidigung und Angeklagter selbstverständlich Rechtsmittel ein – ob Berufung oder gleich Revision (Rechtsfehlerüberprüfung), ist noch offen. Es geht also weiter ... und wird ja nicht das einzige bleiben.


Hinterher
  • Die zur Überwachung eingesetzten Bullen waren offenbar gelangweilt ... und machten etliche Anzeigen wegen Rot-über-die-Ampel-Gehens usw.: Presseinfo dazu (PDF)
  • Der Verteidiger des Angeklagten legte Rechtsmittel ein. Die Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt. Vaupel will eine höhere Strafe (ein halbes Jahr Knast hatte sie gefordert!).

Passend zum Urteil: Neue Polizei-/Justizdokumentation!
Am 20.11.2006 haben zwei Betroffene mehrfacher Verfassungsbrüche, darunter der im oben genannten Verfahren verurteilte, dem Hessischen Staatsgerichtshof eine umfangreiche Dokumentation zu Rechts- und Verfassungsbrüchen durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte in Gießen überreicht. Damit handeln sie nach dem § 147 der hessischen Verfassung, der lautet: „Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt ist jedermanns Recht und Pflicht. Wer von einem Verfassungsbruch oder einem auf Verfassungsbruch gerichteten Unternehmen Kenntnis erhält, hat die Pflicht, die Strafverfolgung des Schuldigen durch Anrufung des Staatsgerichtshofes zu erzwingen.“ Entsprechend dem zweiten Satz handelten die Personen mit ihrem Brief an das für Verfassungsfragen in Hessen zuständige Gericht.

Mehr: www.polizeidoku-giessen.siehe.website

Presse zum sechsten Tag
  • Bericht im Gießener Anzeiger (siehe unten!)
  • Links: Gießener Allgemeine, 21.11.2006 (S. 24)
  • Rechts: Frankfurter Rundschau, 23.11.2006 (S. 31)


  • Links: Kommentar des Stadtredaktionschefs der Gießener Allgemeine, Guido Tamme, am 25.11.2006 (S. 26)
  • Leserbrief des Angeklagten dazu:
    Kein Prozess oder hoheitlicher Akt gegen mich, den nicht auch der Chronist der Gießener Allgemeine kommentiert. Immerhin hat sich im Laufe der Jahre sein Sprachstil geändert. Hat er früher schon vor einer Verurteilung geschrieben, dass ich der Täter sei oder das und das gemacht hätte, so ist er jetzt selbst nach dem Urteil, wo er solches schreiben dürfte, sichtbar skeptisch, ob das, was die Gießener Justiz so alles für wahr befindet, tatsächlich zutrifft. Das ist positiv anzumerken und ein kleiner „Erfolg“ einer mühsamen Auseinandersetzung mit Polizei und Justiz, in der Betroffene und weitere Menschen seit Jahren haarklein immer wieder nachweisen, wie gefälscht und Recht gebogen wird.
    Nichtsdestotrotz fallen mir aber auch Formulierungen sehr negativ auf. Welch Geistes Kind ist ein Schreiberling, der Aktionen, die ihm nicht gefallen, als „Kinderkram“ bezeichnet? Hier wird das Kindliche als Schimpfwort eingesetzt – eine böse Diskriminierung jüngerer Menschen. Zudem lässt sich aus der Kritik erahnen, was dem Chronisten so übel aufstieß: Das Selbstverständliche, das Direkte, das weniger Verquaste, was in den Handlungen von Kindern oft fehlt, aber das typische „Erwachensein“ in dieser Gesellschaft einfordert. Warum sind es „alberne Mätzchen“, wenn sich eine Person in einer Pause auf den Richterstuhl setzt? Ist es nicht viel bemerkenswerter, dass diese sofort aus dem gesamten Gebäude gezerrt wird – kurz bevor der Richter dann ein Urteil verliest auch in ihrem Namen? Wenn Menschen nicht aufstehen zur Floskel „Im Namen des Volkes“, dokumentieren sie, dass zwar in ihrem Namen gesprochen wird, aber sie nie gefragt werden. Gerichtsprozesse sind ein Spiegel der Verhältnisse in dieser Gesellschaft. Wer das widerstandslos hinnimmt, ist in den Augen des Chronisten „erwachsen“. Der das nicht hinnimmt, eben ein Kind. Dann bin ich lieber ein Kind.
    Jörg Bergstedt
  • Rechts: Neues Deutschland, 24.11.2006

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