Schwarzstrafen

KONSUMKRITIK-KRITIK: SELBSTREDUZIERUNG AUFS KONSUMENT*INNENDASEIN

Statt Ablasshandel und Schmieren der Getriebe: Aneignung der Verhältnisse


1. Einleitung
2. Die Machtfrage ausblenden: Selbstreduzierung aufs Konsument*innendasein
3. Wirkung der Kaufentscheidung wird stark überschätzt
4. Risiken und Nebenwirkungen: Die Kommerzialisierung des Guten
5. Ausblendungen: Die Bio-Tomaten auf den Augen und Ohren
6. Gutes Gefühl für Reiche - Niedermache der Armen
7. Kritik, Zweifel, aber keine grundlegende Analyse
8. Statt Ablasshandel und Schmieren der Getriebe: Aneignung der Verhältnisse
9. Irrtümer der Konsumkritik und Gegenmittel an Beispielen
10. Links und Materialien

Daher: Wir wollen keinen anderen Kuchen, wir wollen die Fabrik!
"Ich versuche, mich selbst zu ändern, das bewirkt mehr, als wenn ich die Deutsche Bank besetze." So hieß es als Zitat im Spiegel (Text "Überdruss am Überfluss", in: Spiegel am 1.4.2014, S. 38). Die Deutsche Bank wird es gern gelesen haben. Der Bundesverband Naturkost und Naturwaren wahrscheinlich auch. Im Ringen um Profit stehen sie auf der gleichen Seite (wenn auch zum Teil in Konkurrenz zueinander). Doch der Satz ist nichts als Propaganda derer, die ein Interesse daran haben, dass alles so bleibt wie es ist. Oder schlimmer wird.
Wer die Welt verändern will, muss genau das Umgekehrte tun. Das "Besetzen", am besten nicht nur im symbolischen, sondern auch im tatsächlichen Sinne des Aneignens der wesentlichen Lebensverhältnisse, ist der Schlüssel, die Verhältnisse zu verändern. Revolutionär ist nur, die zugewiesene Rolle als Konsument_in zu verweigern. Stattdessen gilt es, die Gestaltungsmacht aus dem Sphären von Parlamenten und Märkten herauszureißen und sie wieder bzw. endlich einmal zu den Menschen zu bringen. Nicht zu den Apparaten, die sich als Vertretung der Menschen inszenieren, sondern direkt in die Hand der Menschen, die sich zu diesem Zweck selbst organisieren und direkt frei vereinbaren.

Es geht um Aneignung statt Konsum:

  • Das Land muss zu den Menschen gehören, die davon leben (essen, trinken ...) müssen und wollen. Das heißt: Höfe und andere landwirtschaftliche Produktionsstätten sollten nicht in Privatbesitz bleiben und gezwungen sein, im Markt profitabel zu arbeiten. Es geht darum, Menschen mit Lebensmittel u.ä. zu versorgen - als Betrieb oder als gemeinsame Subsistenzwirtschaft derer, die essen wollen. Kooperationen und gegenseitige Unterstützung können die Produktivität erhöhen. Allmende und solidarische Landwirtschaften bilden hier hoffnungsvolle Anfänge, die hoffentlich nicht vom Kapitalismus gewaltsam oder listig geschluckt werden, sondern sich stattdessen weiterentwickeln zu Keimzellen anderer Formen der Reproduktion des Lebensnotwendigen.
  • Auch die Versorgungsstrukturen müssen in die Hand der Menschen verlagert werden: Selbstorganisierte Dorfläden (am besten gleich als Umsonstläden und Infotreffpunkte z.B. in Caféform mit Wandzeitungen und Diskussionsräumen), können die Unabhängigkeit von Markt und Profitorientierung stärken. Energie- und Wassernetze in Bürger_innenhand geben den Menschen die Gestaltungsmacht zurück. Ziel ist in allen Fällen die Versorgung, nicht mehr der Profit. Alles weitere ist Aushandlungsprozess und (hoffentlich) nicht mehr dem Diktat der Ökonomie unterworfen.

Bei allem ist wichtig, aufzupassen. Der Kapitalismus als gefräßiges, expansives Organisierungssystem, ausgeführt von vielen, vielen willigen Vollstrecker_innen, ist durchaus erfinderisch. Es gelingt ihm in Gestalt seiner Milliarden genutzten Köpfe und Hände immer wieder, neue, auch Protestprojekte zu assimilieren. Bislang hat sich niemand dauerhaft dagegen wehren können, einfach als neue Methode zu mehr Profit umfunktioniert zu werden. Guter Wille oder aneinandergereihte antikapitalistische Parolen allein werden auch in Zukunft nicht reichen.

Aneignung ist das Mittel der Wahl, Ressourcenverteilung in der Welt zu verändern - nicht der bezahlte Konsum, der die Kapitalbesitzer_innen immer nur reicher macht. Das gilt auch für alles Wissen, welches heute genauso oft nur gegen Bares zu nutzen ist.wie die materiellen Grundlagen des Lebens. Selbst für einen wirksamen Protest selbst wird es nötig sein, sich mit Knowhow zu versorgen, um nicht länger nur die Begleitfolklore des Unabwendbaren zu sein. Dazu gehören:

  • Nutzung des Akteneinsichtsrecht in alle Akten bei Behörden, Firmen ... bis die Menschen selbst das Geschehen übernehmen.
  • Durchsetzung von Bürger_innenbeteiligung, also einer Mitspreche ohne Verarschung ... bis die Menschen selbst die Planenden und Gestaltenden sind.
  • Selbstorganisierte Schulungen in Protestformen, selbstorganisiertem Leben und des Sich-Wehrens gegen Obrigkeit ... auch in der Zeit, in der solches nicht mehr nötig erscheint, aber wichtig ist, um jede Gefahr des Rückfalls in alte Herrschafts- und Verwertungszeiten schnell bannen zu können.

Was für den Konsum gilt, geht auch größer: Das weitreichendere und viel spannendere Ziel ist eine Gesellschaft, die insgesamt jenseits von Herrschaft, Eigentum, Profit, Staat und allen Verhältnissen organisiert ist, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist! Vergessen wir das nie, lassen wir uns nicht degradieren zu denen, die Auswählen dürfen zwischen dem, was uns geboten wird! Wir sind deutlich mehr als unser Portemonnaie. Holen wir uns die Gestaltungsmacht statt uns auf dressiertes Verhalten vor den bunten Ergebnissen weltweiter Ausbeutung im Regal zu beschränken! Fordern wir alles – und entreißen wir den Parlamenten und Märkten die Kuchenstücke des Lebens!

Im Original: Konsumverweigerung als politische Strategie?
Text von Bruno Kern (vom 15.5.2013)
„Es ist nun Zeit für das amerikanische Volk, zur Normalität zurückzukehren und wieder das zu tun, was uns so sehr auszeichnet: arbeiten und einkaufen.“ (Condoleeza Rice einige Tage nach dem 11. September 2001)

These I: Angesichts der Zangengriffkrise von immer knapper werdenden natürlichen Ressourcen (nicht nur der fossilen Energieträger) und der umfassenden Biosphärenkrise stehen die Industrieländer vor der Herausforderung, ihren Verbrauch an fossilen Energien und nicht erneuerbaren Ressourcen in möglichst kurzer Zeit drastisch (d.h. um mindestens 90%) zu reduzieren. Verbrauchsreduktionen in diesem Ausmaß können durch Effizienzsteigerungen und den Einsatz erneuerbarer Energien nur in einem bescheidenen Maß kompensiert werden. Das Potenzial für Effizienzsteigerungen ist grundsätzlich beschränkt und in den Industrieländern weitgehend ausgeschöpft. Effizienzsteigerungen unterliegen grundsätzlich dem Gesetz des sinkenden Ertrags. Erneuerbare Energien stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung. Ihre Nutzbarmachung (Anlagen mitsamt entsprechender Infrastruktur) erfordert selbst einen erheblichen Energieeinsatz, der bislang auf fossiler Basis erfolgte. Nach Wegfall dieser Basis ist ihre „Lebensfähigkeit“ (N. Georgescu-Roegen) vielfach fraglich. Erneuerbar heißt eben nicht unerschöpflich.
Wir kommen um die Tatsache nicht umhin, dass wir in den Industrieländern unter dem Strich mit erheblich weniger Nettoenergie auskommen werden müssen. Diese Situation wird in den Industrieländern unmittelbar den Alltag der Menschen, ihre Lebensgewohnheiten und viele Selbstverständlichkeiten des bisherigen materiellen Scheinwohlstands in Frage stellen. Konsumkritik ist deshalb schlicht der nüchterne Blick auf die Realität.

These II: Die uns bevorstehenden Knappheitsbedingungen sind weltweit betrachtet schon längst Realität. Bei uns treten sie nur deshalb zeitverzögert ein, weil sich hier mehr Kaufkraft konzentriert und weil wir erhebliche Ressourcen aus anderen Weltregionen abziehen. Wer die Frage der sozialen Gerechtigkeit national verkürzt, wer sich mit Blick auf die Armut hierzulande weigert, soziale Umverteilung international zu denken, oder gar die Armut hierzulande dazu benutzt, den eigenen materiellen Standard chauvinistisch zu verteidigen, läuft deshalb Gefahr, zynisch zu werden. Insofern sind selbstverständlich sogenannte „Bedürfnisse“ bei uns auf ihre Legitimität hin zu befragen. Kriterium dafür ist - wie seit Kant für jede Ethik - die Universalisierbarkeit. Ein Konsumverhalten, das nicht universalisierbar, verallgemeinerbar, ist, ist eben auch nicht legitim. Wer sich für gerechte internationale Beziehungen einsetzt, kommt allerdings nicht um die Feststellung umhin, dass dies unmittelbar Auswirkungen auf den Lebensstandard der Bevölkerungsmehrheiten bei uns haben wird. In diesem Sinne stellten dereinst die Grünen in ihrem Außenwirtschaftsprogramm aus dem Jahr 1990 fest: „Wenn der Welthandel verringert, ökologisiert und für die Völker der ‚Dritten Welt‘ gerechter gestaltet werden soll, muss sich bei uns die private Lebensführung gravierend ändern.“ Konsumkritik ist deshalb eine logische Konsequenz des Eintretens für gerechte Verhältnisse weltweit.

These III: Die heute vermutlich gefährlichste Ideologie besteht darin, dass die Profiteure des kapitalistischen Systems den Menschen ein „Weiter so“ suggerieren. Einflussreiche Leute aus dem bürgerlichen (wie etwa Ernst Ulrich von Weizsäcker) und ebenso aus dem linken Lager stellen explizit das Dogma auf, dass „unser Wohlstand“ nicht hinterfragt werden darf. Ausgehend von dieser Prämisse streuen sie infantile Technikfantasien. Die Ideologie der Wohlstandssicherung mit anderen technischen Mitteln ist deshalb so gefährlich, weil sie auch große Teile der sozialen Bewegungen und politisch engagierter Menschen erfasst hat, weil sie uns deshalb lähmt und uns davon abhält, das wirklich Notwendige in Angriff zu nehmen. Konsumkritik ist deshalb die heute am dringendsten geforderte Form der Ideologiekritik.

These IV: Wie oben erwähnt, stehen die Industrieländer vor tiefgreifenden Veränderungen. Die Herausforderung für uns wird darin bestehen, einem chaotischen Hereinbrechen von Entwicklungen vorzubeugen und den Veränderungsprozess bewusst zu gestalten. Dabei spielt die Frage der sozialen Gerechtigkeit eine herausragende Rolle. Wir haben aber als überzeugte Demokratinnen und Demokraten den Anspruch, dass politische Maßnahmen nicht einfach autoritär verfügt werden, sondern von einer Mehrheit der Menschen aktiv mitgetragen werden. Ein wichtiger Teil unserer politischen Auseinandersetzung wird deshalb darum gehen müssen, Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen, sie auf das Bevorstehende vorzubereiten, darin Perspektiven eines guten Lebens aufzuzeigen und alles zu unterstützen, wodurch die Menschen ihre Daseinsmächtigkeit zurückgewinnen. Das alles wird aber so lange nicht gelingen, so lange die Menschen weiterhin der Illusion aufsitzen, dass der jetzige materielle Scheinwohlstand mit anderen Mitteln fortgesetzt werden kann. Wenn wir die Menschen - und uns selbst - nicht auf den Abschied von dieser Konsumgesellschaft vorbereiten, steht sogar zu befürchten, dass die Reaktionen auf die unweigerlich auf uns zukommenden Veränderungen gefährliche faschistische Züge annehmen, dass die Menschen die Art von Wohlstand, die sie als ihr „gutes Recht“ empfinden, gegen andere verteidigen etc. Konsumkritik ist deshalb ein wichtiger Aspekt des Kampfes um Demokratie.

These V: Es liegt die Vermutung nahe, dass viele unserer politischen Kämpfe gerade deshalb zu schwach und zu wenig erfolgreich waren, weil wir unsere eigene Einbezogenheit als Subjekte in das, was wir bekämpften, nicht genügend bedachten und daher anfällig waren für illusionäre Versprechungen, Scheinlösungen etc. Wir haben uns z.B. mutig und fantasievoll gegen die Zumutungen der Atomlobby und ihrer willigen politischen Vollstrecker gewehrt (im Übrigen nicht völlig erfolglos), aber weitgehend, ohne die Konsequenzen unserer politischen Forderungen für uns mitzureflektieren und die Bereitschaft zu entwickeln, sie auch zu tragen. Wir haben uns stattdessen einreden lassen, dass wir auch ohne Atom- und Kohlekraftwerke dieselben Strommengen zur Verfügung haben, dass wir auf keine der Segnungen verzichten müssen, die nur um den Preis eines hohen Stromverbrauchs zu haben sind. Damit wurden unsere politischen Kämpfe halbherzig und unsere Argumente unglaubwürdig und leicht zu widerlegen. Politische Auseinandersetzungen von grundsätzlicher Art, die Durchhaltevermögen und einen erheblichen persönlichen Einsatz erfordern, lassen sich vermutlich ohne ein Mindestmaß an Authentizität nicht bestehen. Konsumkritik ist eine wesentliche Voraussetzung für die Durchschlagskraft unserer politischen Kämpfe.

These VI: Konsumkritik ist nicht einfach mit dem Appell an einzelne Individuen zur entsprechenden Verhaltensänderung gleichzusetzen. Letztere ist sehr differenziert in ihren Möglichkeiten und Grenzen zu betrachten. Zunächst gilt es natürlich, den Adressaten dabei im Auge zu haben. An Menschen, die aufgrund ihres Einkommens kaum über entsprechende Verhaltensspielräume verfügen, Verzichtsappelle zu richten, ist unsinnig bis zynisch. Grundsätzlich darf auch nicht die Erwartung geschürt werden, als wäre ein verändertes Konsumverhalten der Schlüssel zur Überwindung des Systems schlechthin. Es stellt eine tendenzielle Überforderung von Individuen dar, ihrem Verhalten die ganze Last dessen aufzubürden, was bestehende Strukturen erzeugen. Die Reichweite des verändernden Potenzials des eigenen Verhaltens ist begrenzt. Dies alles in Rechnung gestellt, sind Ansprüche an das eigene Verhalten dennoch nicht unsinnig. Es gibt dafür auch erhebliche Spielräume. Keine Struktur zwingt mich etwa dazu, in meinem Urlaub nach Mallorca zu fliegen. Eine Änderung des Konsumverhaltens formulieren wir jedoch nicht in erster Linie als Aufforderung an isolierte Einzelne, sondern als Ermutigung, Solidarstrukturen und Räume zu schaffen, in denen sich Menschen dem kapitalistischen Kreislauf von Produktion und Konsum wenigstens teilweise entziehen, „Daseinsmächtigkeit“ zurückerlangen und Lebensqualität jenseits des Konsumierens materieller Güter entdecken können. Konsumkritik ist nicht in erster Linie individueller Anspruch, sondern eine kollektive Aufgabe.

These VII: Sofern sich Konsumkritik als eine politische Strategie der Konsumverweigerung artikuliert, kann sie eine wichtige, möglicherweise entscheidende Erweiterung unseres Arsenals an Protestformen werden und politische Durchschlagskraft entwickeln. Unsere Formen des Protests und des politischen Kampfes umfassten in den letzten Jahrzehnten im Wesentlichen Folgendes: Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, das Organisieren von Veranstaltungen wie Kongressen, Konferenzen, Hearings, Tribunalen etc., die hauptsächlich darauf abzielten, Öffentlichkeit herzustellen und aufzuklären. Darüber hinaus entwickelten sich Formen kalkulierter Regelverletzung, des zivilen Ungehorsams bis hin zu militanten Aktionsformen, die unter erheblicher persönlicher Risikobereitschaft darauf abzielten, den Preis für die Durchsetzung eines Projektes möglichst zu erhöhen. Bei nüchterner Betrachtung handelten wir uns gemessen an dem, was wir wollten bzw. was dringend erforderlich wäre, hauptsächlich Ohnmachtserfahrungen ein. Unter „Konsumverweigerung“ verstehen wir eine von wesentlichen politischen Akteuren (Verbänden, ...) getragene, langfristig angelegte Kampagne, die anhand von ausgewählten Schwerpunkten den notwendigen Ausstieg aus unserer Konsumgesellschaft verdeutlicht. Es wäre also mehr als ein Appell an Einzelne und mehr als eine Boykottbewegung, die lediglich ein bestimmtes, eingrenzbares Problem im Fokus hat. Die aktuelle Situation könnte einen guten Anknüpfungspunkt bieten: Angesichts der Forderung nach einem raschen Atomausstieg wird das Dilemma immer deutlicher, dass der Preis dafür die Inkaufnahme von mehr Treibhausgasen ist - ein Preis, den hauptsächlich andere mit ihrem Leben bezahlen. In dieser Situation könnte eine Konsumverweigerungskampagne die Forderung nach radikaler Verbrauchsreduktion wirkungsvoll unterstützen. Die mögliche Wirkung könnte unter anderem sein:
* Eine Überwindung von Ohnmachtserfahrungen vieler Menschen und die Einbindung breiter Kreise, denn: Der Verzicht in diesen Bereichen ist sofort umsetzbar und zeitigt unmittelbare Wirkung.
* Eine politische Signalwirkung: Die unhaltbaren Wohlstandsversprechen, die ausnahmslos alle derzeit im Bundestag vertretenen Parteien unverantwortlicherweise propagieren, werden damit delegitimiert, bzw. umgekehrt wird eine Politik ermutigt, die sich nicht mehr scheuen muss, den Menschen die Wahrheit zuzumuten.
* In vielen Bereichen ist Konsumverweigerung von der Natur der Sache her die adäquate Artikulation von Protest. Es nimmt sich einigermaßen lächerlich aus, gegen dioxinverseuchte Lebensmittel oder Fluglärm eine Demonstration zu veranstalten. Was wir hier wollen, wird am deutlichsten dadurch demonstriert, dass wir uns entsprechend verhalten und andere zu diesem Verhalten ermutigen.
* Vor allem aber wäre eine solche Konsumverweigerungsbewegung ein gutes Instrument der Bewusstseinsbildung und Aufklärung. Die Bevölkerung wäre dadurch gezwungen, sich mit dem auseinanderzusetzen, was unweigerlich auf uns alle zukommt: dass die mit der wegbrechenden Industriegesellschaft verbundenen Konsumansprüche sich demnächst in Dunst auflösen.
Konsumkritik birgt vor allem in Gestalt einer politischen Konsumverweigerungsbewegung die Chance, die von uns als notwendig erachteten Veränderungen entscheidend mit voranzubringen.

Zu klären wären hierfür vor allem folgende Fragen: Auf welche Themen könnte sich eine solche Konsumverweigerungsbewegung konzentrieren? Welche wesentlichen Akteure könnten sie tragen? Welche Anknüpfungspunkte gibt es bereits? Zu den Themen scheint mir eine Konzentration auf die beiden „F“, den Flugverkehr und den Fleischkonsum, sehr sinnvoll, weil dies in Bezug auf den Klimawandel zwei ganz zentrale Problemfelder sind. In Bezug auf den Flugverkehr bieten sich als Anknüpfungspunkte z.B. die vielen lokalen Initiativen gegen Fluglärm und Flughafenerweiterungen an. Als tragende Kräfte einer Konsumverweigerungsbewegung wären wohl all diejenigen Initiativen, Bewegungen, Verbände etc. anzusehen, die heute immer noch - gegen den Mainstream - den Mut haben, von „Suffizienz“ zu sprechen. Dazu zählt immerhin ein so einflussreicher Umweltverband wie der BUND. Auch der wachstumskritische Diskurs innerhalb der evangelischen Kirche, die „Erd-Charta“-Initiativen etc. könnten erfolgversprechende Anknüpfungspunkte bieten.


Die Überraschung: Überlegter Konsum kann trotzdem helfen - aber vor allem aus anderen Gründen!
Konsum schafft keine bessere Welt. Im Gegenteil läuft eine Orientierung auf das Erkaufen besserer Zeiten Gefahr, selbst gute Ideen zu kommerziellen Projekten zu formen. Dieser Nachteil überwiegt in der Regel der kleinen Chance, wenigstens ein bisschen dafür zu tun, durch die Auswahl entsprechender Produkte und der dahinterstehenden Produktionsverhältnisse nicht ständig das ganz Falsche mit dem eigenen Geld zu unterstützen, sondern nur das fast ganz Falsche oder die Kommerzialisierung des Neuen.

Dennoch gibt es Gründe für bewussten Konsum. Nur liegen die ganz woanders und schaffen auch nicht direkt eine bessere Welt. Der eine ist schon genannt und auch beim Kauf am Ladenregal die einzige Methode: Einkauf kann mit einer Spende verbunden sein. Bei Öko- und Fairtrade-Produkten ist sie quasi im Preis inbegriffen. Das kann gewollt sein und wirkt ähnlich, wie das Geld direkt zu spenden. Auch bei der direkten Spende geht ein Teil in Organisierungs- und Werbehaushalte z.B. von NGOs verloren. Wer auch das nicht will, spendet lieber direkt in konkrete Initiativen ohne Apparate. Bewusst konsumieren ist also eine Form des Spendens - mit allen Möglichkeiten und Gefahren.
Wichtiger für das Ringen um eine bessere Welt ist, dass über den Ausstieg aus profitgetriebener Reproduktion mehr Unabhängigkeit im eigenen Leben erreicht werden kann. Das hilft dann bei politischer Aktion. Wer nicht ständig um Arbeitsplatz fürchten oder für das eigene Überleben viel Kraft aufwenden muss, kann leichter dem übermächtig erscheinenden System mit seinen Institutionen entgegen treten. Das dann zu tun, bringt eine bessere Welt eher näher als der Versuch, die Sache mit dem Portemonnaie zu entscheiden. In der Praxis gibt es mindestens zwei Varianten, mehr Unabhängigkeit zu erreichen.

  • Den Kapitalismus ausnutzen, um ihn besser bekämpfen zu können
    Wer sich klug das Übrigbleibende aneignet, gewinnt auf einfache Art Ressourcen. Die ersten Schritte der Rückeroberung stärken dann gleichzeitig die Kraft, um mehr bzw. am Ende alles zurückzuerobern. Brachen können besiedelt, leere Häuser übernommen werden. Lebensmittel aus Containern, andere Sachen aus Umsonstläden und vieles mehr sichern das materielle Leben. Oftmals ist sogar ein guter Lebensstandard zu erreichen einschließlich der Ausstattung für politischen Protest. Auf jeden Fall schafft es Unabhängigkeit und hilft, Überlebensängste abzubauen. Das ist das Wichtigste. Denn daraus kann Angriffslust und -mut erwachsen, der gebraucht wird, um die Welt zu verbessern - statt einfach zu ein gutes Gefühl einzukaufen.
  • Selbstorganisierung aufbauen
    Wo immer Lebens- und Überlebensstrukturen jenseits von Verwertungslogiken und in der eigenen Gestaltungsmöglichkeit entstehen, bricht ein Zacken aus dem Kapitalismus und geht in die Bestimmungsgewalt der Menschen über. Das gilt zumindest so lange, wie sich die Menschen und ihre Projekte nicht re-integrieren lassen in die ewige Jagd nach Profit. Das zu verhindern, liegt aber dann immerhin ein Stück mehr in der Hand der Akteur_innen selbst. Beispiele gibt es bereits: Solidarische Landwirtschaften verbannen Vermarktungsvorgänge und anonyme Handelswege aus der Lebensmittelversorgung. Sie schaffen Chancen für mehr, weil die Menschen wieder unmittelbarer bestimmen. Energienetze und -gewinnung in Bürger_innenhand bieten den Ausgangspunkt, um wichtige Lebensbereiche wieder selbst zu gestalten. Profitziele können dann eher in den Hintergrund gedrängt werden. Das gilt genauso für Wasser- und Kommunikationsnetze oder -systeme - sei es Internet, Radiosender oder Lernorte. Kooperationsanbahnung, also die gegenseitige Unterstützung von Menschen, wird nicht weiter dem Markt oder dem Kauf und Verkauf von Dienstleistung überlassen, sondern zurückverlegt in die Hände der Menschen selbst.

Beide Varianten, die Aneignung des Bestehenden und das Schaffen von neuen Projekten, sind gut verbindbar. Im Aufbau des Neuen erhält zudem der bewusste Konsum sogar noch einmal eine kleine Zusatzbedeutung. Denn wenn genügend Leute nicht mehr über den Markt kaufen wollen, sondern entsprechend ihren Bedürfnissen eine konkrete Produktion aufbauen oder mittragen, gelingt die Übernahme oder der Aufbau selbstorganisierter Lebensinfrastruktur zumindest in der Anfangsphase vielleicht einfacher. Investitionen oder Umgestaltungsprozesse ließen sich abfedern, bis die Sache ganz in Selbstorganisierung übergeht. Selbstverwaltete Produktion (ohne Verkauf in den Markt!) oder solidarische Landwirtschaften verfügen dann zunächst noch über Geld, sollten aber dieses ständige Wertberechnen irgendwann überwinden. Sonst sind sie erheblich Rückfall-gefährdet.

Fazit: Bewusst konsumieren - okay! Aber Revolution geht anders ...
Wer andere gesellschaftliche Verhältnisse will, muss andere Fragen stellen als die, welches Produkt aus dem bestehenden Rahmen weniger schlecht ist als ein anderes. Es geht ebenfalls nicht darum, wer von denen, die nur nach Profit lechzen (und lechzen müssen bei Strafe des wirtschaftlichen Untergangs!), unser Geld bekommt. Das alles wäre nur eine Selbstbeschränkung - dummerweise genau die, die uns im Kapitalismus auch zugestanden wird. Wer mit Freude per Konsum in der Welt mitbestimmen will, ist gerne Rädchen im System.
Emanzipation ist mit einer solchen Position unvereinbar. Rädchen im System zu sein, im Hamsterrad das anzutreiben, was sich der eigenen Gestaltungskraft entzieht, hat mit Selbstbestimmung nichts zu tun. Aber auch für Umweltschutz, menschenwürdige Arbeitsbedingungen oder faire Handelsbeziehungen ist dieser Weg weitgehend untauglich. Denn der Zwang zum Profit bringt alle dazu, beständig das Meiste aus Mensch und Natur herauszupressen. Andere Verhältnisse gibt es nur über eine Gegenkultur der Aneignung. Erkämpft werden kann sie über kreative Widerständigkeit - und die ist und bleibt Handarbeit nicht an den Regalen, sondern überall im öffentlichen Raum. Es geht darum, der kapitalistischen Verwertungs- und Profitlogik Quadratmeter für Quadratmeter zu entreißen. Bestehendes zu transformieren oder Neues zu schaffen, können dabei gleichermaßen wirksam sein. Die Nutznießer_innen des bestehenden Desasters für Miniänderungen auch noch zu bezahlen, ist absurd. Wenn die Fabriken, Werkstätten, Lernorte, Bauernhöfe usw. irgendwann allen oder, besser, niemandem mehr gehören, wäre das ein guter Teil der anderen Welt, die möglich ist. Das lässt sich schon heute anfangen und so dem kapitalistischen System ein Stück seiner Basis entziehen. Um Erlaubnis zu fragen, dürfte sich erübrigen. Beifall derer, die von den heutigen Verhältnissen profitieren, wird es nicht geben. Sie werden, zumindest wirtschaftlich, verlieren. Damit alle gewinnen.

Jörg Bergstedt hielt am 24.5.2014 auf dem "March against Monsanto/KonsumrEvolution" in München eine Rede mit der Kritik an der Konsumkritik. Den Abschluss bildeten die Worte: "Staat, Markt und Konzerne sind nicht unseren Freunde. Das Ringen um Macht und Profit ist mit Befreiung, mit einer menschen- und umweltgerechten Gesellschaft nicht vereinbar.
Keine Gentechnik! Keine Agrochemikalien! Menschen statt Profite! Keine Apparate der Macht, Kontrolle und Befreiung! Für eine Welt, in der viele Welten Platz haben! Wo die Menschen bestimmen - nicht Konzerne, Institutionen oder Nationen! Monsanto, BASF, Bayer und die vielen anderen - verpisst Euch!
"

Kritik am Konzept des ökologischen Fußabdrucks - Alternative "Handabdruck"
Der ökologische Fußabdruck berechnet für ein einzelnes Individuum oder alle in einer Kommune, Land oder Nation entstehenden Umweltauswirkungen auf die einzelne Person. Damit werden Lebenswirklichkeiten zwar international vergleichbar, andererseits individualisiert das Konzept damit Schäden, die durch Wirtschaftsform, staatliches Handeln usw. hervorgerufen werden. Der Ansatz ist also ziemlich unpolitisch. Außerdem löst er nur moralischen Druck aus, im eigenen Alltag zu handeln und den CO2-Ausstoß zu verringern. Dass das kaum gelingen kann innerhalb der bestehenden Verhältnisse, ist ein Problem. Dass es aber ohnehin nur darum geht, ein bisschen CO2 zu sparen, das andere. Denn um die Klimakrise noch in den Griff zu bekommen, braucht es nicht kleiner Schritte, sondern großer. Und die gehen nicht im Alltag eines Einzelnen.
Eine Alternative ist der sog. ökologische Handabdruck. Die Idee ist hier, auf gesellschaftliche Strukturen Einfluss zu nehmen und damit nicht nur das eigene Handeln zu verändern, sondern das Vieler. Das ist politisch gedacht, auch wenn in Theorie und Praxis bislang noch der Mut fehlt, wirklich große Lösungen oder ausdrucksstarke Aktionen zu empfehlen, zu entwickeln oder durchzusetzen.

Beispiele:
  • Nicht (nur) selbst Fahrrad fahren (unter beschissenen Verhältnissen), sondern ein gutes Fahrradstraßennetz durchsetzen - dann fahren viele (und es macht auch selbst mehr Spaß).
  • Nicht für Ökostrom werben, sondern den grünen Strom zum Standardtarif machen (siehe im Interview "Wenn das grüne Produkt zum Standard wird" zur Wirkung der Entscheidung in St. Gallen, Grünstrom zum Standardangebot zu machen (und dreckigen Strom als Sondervariante zum Auswählen).

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