Schwarzstrafen

AKTIV FÜR BUS, BAHN UND NULLTARIF

"Aktionschwarzfahren": Mit Kennzeichnung und Flyern pro Nulltarif und Verkehrswende


1. "Aktionschwarzfahren": Mit Kennzeichnung und Flyern pro Nulltarif und Verkehrswende
2. Das "Aktionsschwarzfahren" und das ganze Material dafür
3. Berichte vom Aktionsschwarzfahren
4. Aktionen pro besseren ÖPNV
5. Weitere Aktionen pro Nulltarif
6. Links und Infomaterial

Eigentlich ist Fahren ohne Fahrschein ja verboten und wird sogar doppelt bestraft: erhöhter Fahrpreis und Strafe - obwohl es niemanden schädigt. Doch in dem merkwürdigen Begriff der "Beförderungserschleichung" liegt eine Möglichkeit ...


Das Gesetz lässt eine Lücke. Welche Gründe das auch immer hat - wer sie nutzt, fährt straffrei ohne Fahrkarte (der erhöhte Fahrpreis ist jedoch fällig ... siehe unten). Denn, so das Gesetz, nur "wer ... die Beförderung durch ein Verkehrsmittel ... erschleicht", begeht eine Straftat. Wer es offen macht, begeht sie nicht. Allerdings muss die Kennzeichnung eindeutig sein, d.h.
  • klar verständlicher Inhalt, dass keine Fahrkarte vorhanden ist,
  • lesbar und sichtbar
  • nicht in einer Form, die auch außerhalb von "Schwarzfahrten" üblich ist (z.B. nicht ausreichend: Schwarzfahrer-T-Shirt, weil das auch in Diskos u.ä. zum Angeben getragen wird).

Aus dem Freispruch des Amtsgerichts Eschwege vom 12.11.2013
Der Angeklagte hat zwar eingeräumt, jeweils den Zug der Cantus Verkehrsgesellschaft benutzt zu haben, ohne im Besitz des erforderlichen Fahrscheins gewesen zu sein. Seine Einlassung, dass er jedoch in allen 3 Fällen vor Fahrtantritt deutlich sichtbar einen Zettel an seine Kleidung geheftet hatte mit der Aufschrift "Ich fahre umsonst" war nicht zu widerlegen. Damit hat er allerdings gerade offenbart, kein zahlungswilliger Fahrgast zu sein, weshalb bereits der objektive Tatbestand des § 265 a Abs. 1 StGB nicht erfüllt ist.

Das Absurde jedoch ist, dass viele Richter_innen (zumindest auf den unteren Ebenen) trotz des Gejammers über die vielen Prozesse genau diejenigen besonders hart bestrafen, die legal "schwarzfahren". Warum? Ein Staatsanwalt im Prozess in Gießen drückte es in seinem Plädoyer sinngemäß so aus:

  1. Auch er fände den § 265a StGB unsinnig und sei für dessen Streichung. Aber solange ein Gesetz besteht, müsse es auch befolgt werden - selbst wenn es unsinnig ist.
  2. Wer mit Kennzeichnung fahrscheinlos fahre, hätte das Gesetz besonders genau angeguckt, um Lücken zu finden. Das zeuge von hoher krimineller Energie und müsse deshalb besonders hart bestraft werden. Sprich: Hart bestrafen, weil kein strafbares Verhalten vorliegt!

Zur Zeit laufen mehrere Verfahren auf diesen unteren Ebenen. Spannend dürften erst die Revisionsgerichte sein. Denn dort werden die Rechtsfragen geprüft und entschieden. Dort sind (mit einer Ausnahme) bislang sehr ähnliche Formulierungen zu finden. So zeigte das Bundesverfassungsgerichts im Urteil 2 BvR 1907/97 vom 9.2.1998, dass es "unter dem Erschleichen einer Beförderung jedes der Ordnung widersprechende Verhalten versteht, durch das sich der Täter in den Genuß der Leistung bringt und bei welchem er sich mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt." Ähnliche urteilten viele Oberlandesgerichte und der Bundgerichtshof (Extraseiten zum Recht und zu Urteilen).

OLG Naumburg, Beschluss vom 06.04.2009 - Az. 2 Ss 313/07
Nach diesen Grundsätzen ist der objektive Tatbestand der Leistungserschleichung nicht bereits dann erfüllt, wenn der Angeklagte das Verkehrsmittel unberechtigt nutzte. Er muss darüber hinaus für einen objektiven Beobachter den Anschein ordnungsgemäßer Erfüllung der Geschäftsbedingungen erregt haben. Daher ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob der Täter gemessen an den jeweils geltenden Geschäftsbedingungen ein äußerlich erkennbares Verhalten zeigte, das einem objektiven Beobachter erlaubte, durch Subsumtion unter die Voraussetzungen der Geschäftsbedingungen den Schluss zu ziehen, der Täter sei zur Benutzung des Verkehrsmittels berechtigt.

Das klingt eigentlich eindeutig: Wer das "Schwarzfahren" offen kennzeichnet, benimmt sich nicht wie ein normaler Fahrgast - und "erschleicht" damit die Beförderung nicht. Das wissen sogar die Verkehrsunternehmen.

Aus "Ich fahre umsonst", in: SZ, 21.11.2014
Vertreter der Verkehrsbranche kennen diese Argumentation. Viele Gerichte hätten sie bestätigt, sagt Thomas Hilpert-Janßen vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). "Wenn so ein Hinweis offenkundig ist, ist die Sache unstreitig." Nur die 40 Euro "erhöhtes Beförderungsentgelt" muss der Schwarzfahrer stets entrichten.

Sammlung von Schwarzfahr-SchildernMehr zum rechtlichen Hintergrund des Schwarzfahrens mit Hinweisschild:
  • Rechtstexte, unter anderem mit dem vollständigen Argumentationsstrang zum Freispruch (rechtlich korrekt, aber das interessiert Richter_innen in der Regel nicht ++ hilft aber für die Prozessdurchführung und die spätere Revision)
  • Urteile ++ Sammlung von Diskussionen über Schwarzfahren und Schwarzstrafen

Rechts: Foto aus der Projektwerkstatt Hildesheim ... gleich eine ganze Sammlung möglicher Schilder!

Noch besser: Mit Flyer (also: Schild und Flyer!)
Schon vor langer Zeit hat das OLG München ein Urteil gefällt, dass das Verteilen von Flugblättern, auf denen gegen Fahrpreise u.ä. Stellung bezogen wird, besonders deutlich macht, dass hier nicht der Zweck der Beförderungserschleichung vorliegt.

Im Original: Der Text des Flyers
Die Fahrkarte bitte? Nö, keine gute Idee!
Wahrscheinlich halten Sie die Sache mit den Fahrkarten für eine richtige oder zumindest notwendige Sache. Ich habe Ihnen diesen Zettel gegeben, weil ich Sie mit ein paar Zahlen und Überlegungen in dieser Ansicht irritieren möchte. Denn es gibt einiges, was dafür spricht, Fahr karten und Fahrpreise eher als Problem für eine gleichbe rechtigte und umweltfreundliche Mobilität zu sehen. Denn diese erhöhen den Autoverkehr und zerstören damit Lebensräume – für Pflanzen, Tiere und für uns. Sie halten arme Menschen aus Geldmangel davon ab, am gesellschaftlichen Treiben teilzunehmen und kriminalisieren diejenigen, die dennoch Verkehrsmittel nutzen.
Ohne Fahrkarte sei das Mitfahren nicht erlaubt, wird uns - so oder noch schärfer formuliert – auf Plakaten in Bussen und Bahnen eingebläut. Wer sich nicht daran hält, wird als „Schwarzfahrer_in“ mit hohen Geldbeträgen und sogar Haftstrafen überzogen. Viele Fahrgäste schauen nicht nur weg, sondern schimpfen noch auf die Verfolgten z.B. mit dem Zuruf, dass diese auf Kosten anderer fahren. Doch stimmt das überhaupt? Eher nicht, denn ...
• Wer sich kein Ticket leisten kann oder will, tut das oft aus Mangel an Geld. So sind die arm gehaltenen Menschen weniger unterwegs, leben sozial isolierter und sind in ihren Möglichkeiten erheblich eingeschränkt. Für Menschen mit sehr wenig Geld bleibt nur die Qual der Wahl zwischen Schwarzfahren oder dem Verzicht auf Fortbewegung.
• Wenn etwas richtig viel Geld verschwendet, dann das Fahrkartenwesen selbst. Ungefähr ein Fünftel der Einnahmen werden von Buchhaltung, Automaten, Preisberatung, Kontrollen und der Werbung für Fahrkarten aufgefressen. Dabei sind die Kosten für Gerichtsverfahren und Gefängnisse noch gar nicht mitgerechnet.
Fazit: Wenn Sie mit Ticket in einer Bahn sitzen, neben Ihnen jemensch schwarz fährt oder sein_ihr Ticket teilt, dann ist Ihr Fahrpreis dadurch nicht höher geworden.
Stattdessen müssen Sie die Kontrolleur _innen mitbezahlen. Das geht anders ,,, besser!

Wir fordern eine Abkehr vom Fahrkartenwesen. Mobilität ist Menschenrecht. Daher: Nulltarif für alle!
Fahrpreise halten Menschen davon ab, den öffentlichen Verkehr zu nutzen. Würden jedoch mehr Menschen Busse und Bahnen nutzen, müssten mehr Linien in dichterem Takt fahren – auch in abgelegene Bezirke und Regionen. Das wäre doch gut, oder? Das verbessert die Mobilität für alle. Und hat noch weitere Vorteile:
• Freiflächen und sichere Aufenthaltsräume in Dörfern und Städten verschwinden durch den massiven Autoverkehr. Wenn mehr Menschen mit Bussen und Bahnen unterwegs sind, könnten Tiere, Kinder oder Erwachsene viele der bisher für den Autoverkehr genutzten Parkplätze und Straßen zurückerobern als ruhige und kreative Spiel-, Flanier-, Erholungs- oder Gestaltungsräume direkt am Wohnort.
• Ob Millionär_in oder HartzIV – das Ticket von A nach B kostet für beide gleich viel. Ist das nicht völlig ungerecht? Mit einem Nulltarif können alle Menschen in gleicher Weise mobil sein.

Straffreiheit für „Schwarzfahrer_innen“!
Bevor der Nulltarif kommt, sollte das Fahren ohne Ticket entkriminalisiert werden. Und das gleich aus mehreren Gründen, denn wenn das Fahren ohne Ticket kein Straftatbestand mehr ist, bedeutet das einen erheblichen Gewinn für die gesamte Gesellschaft.
• Bis zu einem Drittel aller Menschen in Gefängnissen sitzen dort wegen „Schwarzfahrens“. Gefängnisse isolieren Menschen. Für eine Gesellschaft ist jedes Gefängnis weniger ein Gewinn, da Haftstrafen soziale Bindungen zerstören und Gewalt fördern.
• Für Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland geflüchtet sind, bedeutet das Bestrafen für ein Fahren ohne Ticket eine große Gefahr. Denn straffällig zu werden, ist für viele das Ende ihrer Aufenthaltsduldung. Hier bedeutet der unsinnige Strafparagraph 265a die Abschiebung – in extremen Fällen also Verfolgung bis Tod für „Schwarzfahren“!
• Wenn Polizei, Gerichte und Gefängnisse nicht mehr zu erheblichen Teilen die „Erschleichung von Leistungen“ verfolgen müssen, kann viel destruktive Tätigkeit eingespart werden – noch ein Pluspunkt für die Idee des Nulltarifs im Nahverkehr.

Macht mit!
Es gibt schon jetzt etliche Möglichkeiten, die Nulltarifsidee voranzubringen oder zumindest für sich selbst oder einige Andere das wahr werden zu lassen.
• Ticket teilen: Ihr bietet Eure Plätze auf Zeitkarten oder Gruppentickets ganz offensiv Mitfahrenden an, die kein Ticket haben. Auf Wochen- und Monatskarten vieler Verkehrsverbünde sowie auf einigen Länder- und anderen Gruppentickets ist oft Platz für mehr. Das kann ausgenutzt werden. Umgekehrt lohnt es sich, zu fragen, wer Platz hat – eine Art „Trampen“ per Bahn. Verabredungen per Aushang, Telefon, Internet oder Treffpunkt würden solche gegenseitige Hilfe vereinfachen. Mehr auf www.ticketteilen.org.
• „Schwarzfahren“ mit Hinweisschild: Nach der aktuellen Rechtslage ist die „Erschleichung von Leistungen“ nur dann strafbar, wenn sie heimlich erfolgt. Mit Hinweisschild, lautem Rufen, dem Verteilen von Flugblättern (z.B. diesem hier) oder am besten allem gleichzeitig wäre es den Gesetzeskommentaren und bisherigen Urteilen nach nicht strafbar. Es ist also schlau für alle, die sich kein Ticket leisten können oder wollen, mit Kennzeichnung und offensiv „schwarz“ zu fahren. Alles Weitere steht auf www.schwarzstrafen.siehe.website (und zur Klarstellung: Es gibt keine Garantie, dass sich Richter_innen an das Recht halten – das tun sie häufig nämlich nicht. Außerdem ist das erhöhte Beförderungsentgelt trotzdem fällig für alle, die zahlungsfähig sind).
• Verteilt dieses Flugblatt, wo immer Ihr unterwegs seid!
• Nulltarif kann es in jeder Stadt oder Region geben – wenn Ihr Euch dafür engagiert. An einigen Orten gibt es schon Gruppen, vielerorts bedarf es aber noch des ersten Anstoßes. Wer eine Initiative startet, muss nicht gleich einen Verein oder eine Partei gründen. Ihr könnt selbst entscheiden, ob Ihr im Nulltarifs-Netzwerk „Solidarische Mobilität“ (www.solimob.de), bei Ticketteilen.org oder an anderen Stellen mitmischt – oder einfach Euer eigenes Ding macht. Wir wünschen Euch viel Erfolg und fordern:
Weg mit den Fahrscheinen und teuren Fahrkartenkontrollen! Freie Fahrt für alle!

Alternativen oder Ergänzungen zu Schild und Flyer
Es gibt 1000 Möglichkeiten mehr, wie mensch auf das eigene Schwarzfahren und die dahinterstehenden Ideen aufmerksam machen kann:
  • Mit Kreide (sowieso: die Allzweck"waffe" immer und überall, um den öffentlichen Raum umzugestalten, Kritik zu markieren usw.) auf dem Bahnsteig einen Treffpunkt für Leute, die andere mitnehmen können, markieren - und in den Waggons einen Sektor für Menschen ohne Fahrschein (damit sehr eindeutig gekennzeichnet - und der Akt, in einer Bahn immer eine solche Fläche einzuzeichnen, ist sehr auffällig, führt zu Gespräche, Menschen fragen nach, wollen den Flyer usw.).
  • Mit Aufklebern (Ausdruck-/Kopiervorlage hier) die 60-Euro-Warnplakate ergänzen

Es geht aber um etwas ganz Anderes - das wissen die Aktivist_innen ... und auch die Gerichte!
Die Sache mit dem Schild ist der Aufhänger, ist die Aktion in der Kampagne. Den Aktivist_innen geht es tatsächlich einmal um die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens, zum anderen um einen Nulltarif im öffentlichen Personenverkehr - in der Hoffnung, dass der Autowahn mit seinen vielen Opfern bei Unfällen, in Folge schlechterer Lebensqualitäten überall, beim Rohstoffabbau usw. dadurch zurückgedrängt werden kann. Wenn das Schwarzfahren nicht mehr illegal wäre, dann mehr und mutiger ohne Ticket unterwegs sind, gerade zum Zwecke der Straffreiheit offensiv für Ticketfreiheit geworden wird, könnte das politisch wirken. Dem Kapital ginge ein praktisches Druckmittel (Strafrute des Staates) verloren.

Das alles ist auch Polizei und Gerichten klar. Sie tun nur so, als wenn es um die richtige Größe, Farbe und Form des Schildes oder den Zeitpunkt der Kenntlichmachung geht. Tatsächlich wollen sie einfach die Lücke schließen und so den Kapitalinteressen (Profit aus Eigentum an Produktionsmitteln machen) dienen. Der Beweis dafür waren die Aktionstage gegen die Kriminalisierung von Schwarzfahren selbst. Dort fuhren die fünf Aktivist_innen nicht nur mit vielen, z.T. riesigen Schildern, mit Transparenten, mit Lautsprecher und Flyerverteilen. Sie hatten zudem alles vorher im Internet und per Presseinformation angekündigt. Bahn und Polizei erwarteten sie auch schon, einige Schaffner_innen versuchten, die Züge noch im Abfahrbahnhof zu stoppen, um eine Räumung zu veranlassen. Die Bundespolizei warnte bundesweit vor der "Schwarzfahr"truppen - und behauptete schon dort, dass es sich um eine Straftat handelte. Das heißt, die Bundespolizei wusste schon vor Fahrtantritt, dass die Aktivist_innen ohne Fahrkarte unterwegs waren. Sie kannte deren Plan und deren Design ... und behauptete trotzdem, es sei Erschleichung. Unfassbar dann: Nach der Aktion leitete sie tatsächlich Ermittlungsverfahren ein. Da es auffälliger als bei dieser Aktionsschwarzfahrt nicht mehr geht, bleibt als Resümee, dass die ganze Debatte nur vorgeschoben ist. Es soll verurteilt werden - auf die Rechtsgrundlagen kommt es gar nicht an.

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Kommentare

Tgzbg am 02.12.2021 - 21:57 Uhr
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