Schwarzstrafen

SS-TREFFEN IN BAD HERSFELD

Geben Sie Gedankenfreiheit


1. Scherbenhaufen für die Stadt
2. Wie alles begann
3. Das Ansehen Hersfelds droht Schaden zu erleiden
4. Eine fassungslose Unbegreiflichkeit
5. Klausmann will die Festspiele torpedieren
6. Geben Sie Gedankenfreiheit
7. Ende gut, alles gut?
8. Widerstand gegen den 'braunen Sud' - Interview mit dem Ex-DGB Kreisvorsitzenden Julius Klausmann

Mit Ende der Demonstration waren die Turbulenzen rund um das SS-Treffen noch nicht vorbei. Weil die Schauspielerin Eva Renzi im Rahmen eines privaten Abendessens mit Boehmer, Intendant Kübel und deren Ehefrauen sowie dem Landrat, das am Rande der Tourismus-Börse im Frühjahr '83 in Berlin stattgefunden hatte, Karl Carstens, den damaligen Bundespräsidenten und ehemaliges Mitglied der NSDAP, als ?alten Nazi" bezeichnet haben soll, wurde ihr Festspielvertrag von Intendant Kübel fristlos gekündigt. Dies geschah, nachdem ihm ein privater (!) Brief in die Hände gespielt worden war, der diese Aussage nochmals wiederholte. Am Tag des Probenbeginns zeigte sich daraufhin Eva Renzi mit einem Pappschild vor der Stiftsruine den Fotografen, auf dem zu lesen war: ?Geben Sie Gedankenfreiheit". Diesen Satz spricht der Marquis de Posa zu König Philipp in dem Stück ?Don Carlos" von Friedrich Schiller, das in jenem Jahr auf dem Festspielprogramm stand. Ebenso war die Stellungnahme Eva Renzis zu den Vorwürfen dort zu lesen: ?Ich habe niemals öffentlich behauptet, daß Carstens ein Nazi sei." 27

Fast das gesamte Festspielensemble kritisierte daraufhin den Rauswurf der Kollegin und das Verhalten des Intendanten Hans Gerd Kübel, der sich nicht öffentlich von den SS-Treffen distanziert hatte. Als Reaktion auf das Verhalten ihres Intendanten entzogen 35 SchauspielerInnen Kübel das Vertrauen. In der Begründung war zu lesen, daß Kübel schwere Fehler begangen habe. So habe er sich, auch nach der Kündigung von Mack und Moszkowicz, nicht öffentlich vom SS-Treffen distanziert. Ferner war in dem Vertrauensentzug zu lesen: ?Der späte Zeitpunkt der fristlosen Kündigung von Eva Renzi kann uns nicht vom aufgeführten Kündigungsgrund überzeugen. Er erscheint uns auch als Statuierung eines Exempels zurDisziplinierung des Ensembles." Außerdem habe keine Aussprache mit dem Ensemble zu Beginn der Arbeit stattgefunden. Fazit dieses Papiers: ?Wir sind aufs Äußerste irritiert."

In einer ?Antifaschistischen Matinee", die am 7. August in der Stadthalle, dem Ort des SS-Treffens, stattfand, setzen sich Mitglieder des Festspielensembles unter dem Motto: ?Vergeßt die Opfer nicht - seht die Gefahr" mit den Themenbereichen Ideologie, Militarismus, Rassismus, SS, Endlösung sowie Neonazismus auseinander, wie es in der Einladung hieß. Neben Texten von Hitler, Goebbels, Brecht, Fried oder dem Neonazi Kühnen wurde auch ein ?deutscher Bürgermeister 1983" mit dem Satz zitiert: ?Wir Deutsche reagieren auf das Wort 'Nationalsozialismus' sowieso immer etwas hysterisch." 28

Eva Renzi klagte vor dem Bühnenschiedsgericht in Frankfurt das ihr verweigerte Gehalt ein. Neben den unterstützenden Solidaritätsbriefen, die nach ihrer Kündigung täglich in Bad Hersfeld eintrafen und diesen Schritt verurteilten, gab nachträglich auch das Gericht Eva Renzi Recht: Die Stadt verlor den Prozeß und mußte der Schauspielerin das Gehalt auszahlen.

Einladung zur Antifaschistischen Matinee


Auch bei der feierlichen Eröffnung der Festspiele am 2. Juli ging Hartmut Boehmer, wenn auch nur kurz, in seiner Eröffnungsrede auf die Vorfälle ein, die in diesem Jahr Bad Hersfeld in das öffentliche Interesse gerückt hatten: ?Die Ergebnisse machen deutlich, daß wir in unserem Rechtsstaat die Freiheit zu demonstrieren haben, aber auch manches ertragen müssen, so schwer es uns fällt."

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