OFFENER RAUM - WAS IST DAS?
Merkmale, Probleme und Lösungsmöglichkeiten verschiedener Räume
1. Einleitung
2. Kontrollfreier und bedingungsfreier Raum
3. Merkmale, Probleme und Lösungsmöglichkeiten verschiedener Räume
4. Debatten um konkrete Experimente offener Räume
5. Offener Raum versus Schutzraum?
6. Offene Wohnungen
7. Abschreckendes Vorbild: Linke "Frei"räume als Übungsfeld für Hierarchien
8. Links zu mehr ...
Merkmale demokratischer (gelb), basisdemokratischer (gelborange) und offener (orange) Räume
Merkmal | Emanzipatorisches Ziel | Demokratischer Raum | Basisdemokratischer Raum | Offener Raum (Ziel) |
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Dominanzen
Hierarchien | Gleichberechtigung, Vielfalt und Kooperation | Vorstände, Wahlen | Plenum als Entscheidungsort. Formal scheinbar gleichberechtigt, aber voller informeller Hierarchien
Zum Teile Rätemodelle wie SprecherInnen- oder Koordinierungskreise | Keine formalen Privilegien, keine Entscheidungen, weder formale noch informelle Hierarchien. |
Durchsetzung | Einigung statt Zwang | Hausrecht mit Inhaber_innen oder deren Beauftragte | Oft unklare Durchsetzungsfrage oder Beauftragte des Plenums | Keine Zuständigen oder formalen Grundlagen einer Durchsetzung |
Kommunikation | Begegnungs- und Austauschmöglichkeiten ohne Einschränkungen, aber auch ohne Zwang | Oft nur verregelte Formen der Begegnung, zumindest zwischen den Hierarchien der Gesellschaft. | Zentrierung von Infoaustausch auf das Plenum bzw. die Gesamtheit aller. | Keine Regeln, aber Förderung direkter Kommunikation - von Intervention bei Krise oder zum direkten Austausch zwecks Kooperation |
Wissen und Information | Hohe Transparenz und optimale Nutzung allen Wissens. Ausdehnung des Wissens bzw. des Zugangs zu Informationen. | Formalisierter Zugang zu Informationen (je nach Regelinhalt hohe oder niedrige Gleichberechtigung) | In der Regel ausgeblendete Frage, Gleichberechtigung im Zugang zu allem Wissen könnte aber mit Basisdemokratie verbunden sein. | Offener Zugang zu allem Wissen, organisierte Weitergabe von Erfahrungen, aushängende Anleitungen und Benennung aller Wissensquellen |
Ressourcen | Effiziente und gleichberechtigte Nutzung aller Ausstattungen.
Erhalt und Ausdehnung der materiellen Möglichkeiten | Zugang für Berechtigte oder mit Erlaubnis
Kontrolle, wer was macht Eventuell besserer Erhalt der Sachwerte? | Regeln (festgelegt im Konsens aller) | Zugang für alle und jederzeit
Bedingungsanleitungen, Workshops ... Geschenkökonomie stärkt Neigung zur Leihe/Spende |
Konkurrenz und Kooperation | Nutzen des Einzelnen ist gleichzeitig Nutzen Vieler (Konkurrenz abbauen). Freie Kooperation als Grundmuster der Interaktion von Menschen. | Regeln und Kooperationsanbahnung durch demokratische Entscheidungsfindung oder die durch solche geschaffenen Räume (z.B. Markt) | Offen, aber starke Tendenz, alle Fragen über das zentrale Gremium (meist das Plenum) zu regeln | Keine Vorgaben, aber Förderung von Kooperation (Infoaustausch, Kooperationsanbahnung) |
Stellvertretung
Außenpolitik | Alle Menschen sprechen für sich - gemeinsam nur nach jeweiliger Vereinbarung | Vertretungsberechtigtes Gremium oder Einzelperson | Formal: Plenum.
Tatsächlich oft SprecherInnen. | Keine Stellvertretung. Niemand kann für das Ganze sprechen. |
Umgang mit sozialen Vorbelastungen | Soziale Rollen, Erwartungshaltungen, Reichtumsunterschiede, sozialer Status, Alter usw. sollen keine Handlungsunterschiede bedingen | Regeln
Je nach Beschlusslage Förderung bestimmter Personenkreise (z.B. Frauenquote) | Formale Gleichsetzung aller Personen im Plenum (eine Stimme, eventuell Vetorecht), meist aber ohne praktische Veränderung z.B. von Reichtums- oder Wissensunterschieden | Selbstorganisierung im Alltag (Koops, Umsonstladen, Nutzigems), gleicher Zugang aller zu allem, aktiver Abbau von Diskriminierungen |
Lernen und Prozess | Selbstermächtigung aller Beteiligten zur Aneignung des von ihnen gewünschten Wissens, Reflexion von Abläufen und Transparenz | Zentrale Steuerung und Vorgabe von Lernzielen | Moderation (sanft steuernde und kontrollierende Person, z.T. rotierend). | Learning by doing - keine Steuerung (Selbstmoderation statt Moderation usw.). Ausprobieren von Methoden. Ständige Reflexion. |
Umgang mit Konflikten | Streit als Produktionskraft: Offensiver Umgang mit Meinungsverschiedenheiten und Konflikten. | Verregelung durch demokratische Entscheidung oder demokratisch mehr oder weniger legitimierte Gremien (z.B. Gerichte, Vorstände) | Verlagerung ins Plenum oder von diesem legitimierte Gremien | Schaffung von Orten aktiver Streitkultur (z.B. Fish Bowl) |
Innen und Außen | Keine Grenzen. | Mitgliedsstatus | Für Konstruktion des Plenums muss geklärt werden, wer dazugehört, eingeladen wird usw. | Es gibt kein Innen und Außen, damit auch keine Klärung, wer dazugehört |
Probleme und Lösungsansätze in offenen (orange) und kontrollierten (weiß) Räumen
Probleme | Konkrete Probleme | Typische Umgangsform wäre ... | Gefahr des Scheiterns | Möglicher Umgang |
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Klauen | Heimlicher Diebstahl
Ausleihe mit Schwund Offenes Wegschleppen | Direkte Intervention, kommt aber nur selten vor | Gleichgültigkeit und Unaufmerksamkeit verhindern Intervention | Streitdebatte
über Eigentumsbildung bei Klau |
Heimlicher Diebstahl
Ausleihe mit Schwund | Kontrolle&Sanktion, bei Versagen mehr davon und stärkere Eigentumssicherung | Wie im Staat: Recht hat, wer das Recht durchzusetzen in der Lage ist. Privilegierte können sich Ressourcen "legal" aneignen. | Bei Versagen: Verschärfung von Kontrollen und Sanktionen. | |
Entropie | Dinge werden irgendwo liegengelassen oder so behandelt, dass sie schnell unbrauchbar werden | Öffentlichmachung von Kritik, Appelle, Workshops zur Selbstorganisierung, Verzicht auf separates Eigentum (Reichtum der Einzelnen = Reichtum aller) | Gleichgültigkeit bleibt bzw. zieht durch neue Leute ständig wieder ein. Frustrierte Aufgabe derjenigen, die die Nutzbarkeit aufrecht erhalten. | Transparenz der Folgen, Trainings und Seminare zum "Einüben" von Aufmerksamkeit, eigentumsfreie Zone. |
Ähnlich wie im offenen Raum | Schlösser, Schlüssel, Passwörter, Ausgrenzungen, dazu Regeln, Kontrolle, Verweise, und Sanktionen sowie Zuständigkeiten für die Wiederherstellung der Nutzbarkeit | Kontrolle, Neukauf. | Gesteigerter Personal- und Finanzaufwand. | |
Diskriminierung | Offener Übergriff
Übergriff im persönlichen Kontakt | Nichts oder direkte Intervention
Im günstigen Fall: Mehr Aufmerksamkeit und Einmischen | Leute oft nicht bereit zum Hingucken und Handeln | Debatte, Trainings
Fall-Transparenz (z.B. Klagebrett) |
Diskriminierender Redebeitrag, Beschluss oder Forderung, formale Benachteiligung.
Offener Übergriff | Gegenrede/-antrag oder keine Reaktkon. Sonst: Formaler Umgang, z.B. Ausschluss | Macht erleichtert Diskriminierung, daher häufiger ausgeübt durch Privilegierte | Kontrolle der Kontrollierenden. | |
Privatisierung des Raumes | Schleichende Besetzung des offenen Raumes durch Menschen, die ihn für Privates nutzen. | Oft keine Reaktion (Raum geht verloren). Jammern oder gegenseitiges Mobbing. | Bislang unbefriedigend, d.h. keine brauchbaren Strategien vorhanden. | Frühe Debatte.
Offene Wohnräume (Küche, Betten ...) räumlich getrennt. Umsonstladen, eigentumslose Zone. |
Formale Übernahme | Keine oder formale Gegenwehr
(z.B. Antrag auf Abwahl, VV ...) | Formale Gegenwehr reproduziert selbst Herrschaft, d.h. gesteigerte Formalstreiereien. | Machtkampf, Verbote. | |
Machtergreifung | Außenvertretung
MacherInnentum, Lautstärke | Keine oder interne Kritik
Keine oder Gespräche | Offensive Darstellung der Nicht-Stellvertretung
Schafft Leere und Gleichgültigkeit | Autonomie der Teile, Kooperation
Kein Ganzes Trainings |
Formale Übernahme, Hausrecht
Dominanz in Gremien (Vorstand, Plenum ...) | Verregelung (Konsens ...)
Keine oder formale Gegenwehr (z.B. Antrag auf Abwahl, VV ...) | Verändert Mechanismen, aber nicht das Prinzip | Machtkampf. | |
Transparenz | Viele informelle Vorgänge
Open Space, Zugang zu Wissen | Keine oder Rückkehr zu Plenum
Infoboards, Tuschelrunden ... | Dominanzen entstehen | Wandzeitungen, Pinnwände usw.
für alle Bereiche. Offenes Wissen und freier Zugang zu allen Unterlagen. |
Formale Gremien sichtbar
Viele informelle Ebenen | Informelle Dominanzen in Gremien
Intransparente Privilegien, Treffen | Reduzierung auf formale Reaktionsformen hemmt. | Formaler Zugang zu Informationen. | |
Verbrauchs- material | Mangelnde Aufmerksamkeit, kein Interesse für Aufrechterhaltung der Ressourcen. | Materialmangel ist immer transparent (nicht erst, wenn letztes Material verbraucht!). Alle versuchen, neue Ressourcen zu organisieren.
Eigentumslose Zone verhindert, dass Menschen für eigenen Bereich Ressourcen horten. | Appelle nutzen nichts. Diejenigen, welche gute Infrastruktur wollen, kümmern sich - andere denken nicht drüber nach. | Appelle und Trainings zu Selbstorganisierung und Aufmerksamkeitsschulung. |
Wie offener Raum, zudem: Fehlende Zuständigkeit | Regeln, Schaffung von Zuständigkeiten. | Starke Arbeitsteilung: Nur wenige kümmern sich um Reproduktionsarbeit. | Schärfere Regeln, Sanktionen und Kontrolle. | |
Legende | Farbig: Offener Raum | Weiß: Kontrollierter Raum |
Tabelle zu Störungen und Umgang in verschiedenen Räumen